26

Jacks

Jacks fiel nach hinten, als sich Evangeline auf ihn stürzte. »Du Monster!« Sie schrie und fluchte.

Er hatte sie noch nie richtig fluchen gehört. Sie war nicht sehr gut darin, aber sie tobte mit aller Kraft.

Als er zu Boden ging, landete sie mit einer Wucht auf seiner Brust, die ihr eigentlich die Luft hätte nehmen müssen, was sie aber nicht davon abhielt, weiter zu wüten. »Warum hast du das getan? Du kannst nicht einfach alle umbringen!«

Mit beiden Händen schlug sie auf ihn ein, während sie über ihm kniete und seine Taille mit den Beinen umschloss. Jacks wusste nicht, ob sie nur auf ihn einprügeln oder ihn erstechen wollte, und vermutlich wusste sie das selbst auch nicht so genau.

Falls sie ihn erstechen wollte, dann hielt sie den Dolch falsch herum, während sie mit beiden Fäusten auf seine Brust trommelte. An jedem anderen Tag hätte er sich vielleicht darüber gefreut, dass sie wenigstens versuchte, sich zu schützen, aber wie gewöhnlich hatte sie mal wieder keine Ahnung, in welcher Gefahr sie schwebte.

Jacks umschloss ihre Handgelenke mit seinen behandschuhten Fingern und riss sie hoch, bevor sie ihm noch versehentlich die Kehle aufschlitzte.

»Er ist nicht wirklich tot«, brachte er heraus. »Das echte Monster, das ich gerade erstochen habe, wird gleich wieder lebendig. Und wenn es so weit ist, müssen wir weg sein.«

»Es gibt kein Wir. Ich weiß, wer du bist!« Sie riss sich los, fuhr zurück und richtete den Dolch direkt auf sein Herz. Dieses Mal zeigte die Spitze in die richtige Richtung. Ihre Hände zitterten, aber ihre Stimme klang immer noch wütend und verletzt. »Ich habe dein Bild im ›Gerücht des Tages‹ gesehen – neben dem Bericht darüber, wie viele Menschen du letzte Nacht ermordet hast!«

»Ich habe letzte Nacht überhaupt niemanden ermordet.«

»Du hast vor meinen Augen jemanden ermordet!«

»Das war kein Mord. Er wollte dich umbringen.«

Evangeline verzog den Mund. Sie wusste, dass er recht hatte, aber sie ließ den Dolch nicht sinken. Die Spitze zeigte weiter auf sein Herz. In ihren Augen las er, dass sie dies für das Richtige hielt. Sie glaubte, sie müsste ihm ein Ende bereiten. Und ganz falschlag sie damit nicht.

»Ich habe das hier verdient«, sagte er. »Wahrscheinlich verdiene ich noch Schlimmeres. Aber heute ist nicht der richtige Tag, um mich umzubringen. Ich gebe mir wirklich große Mühe, dich am Leben zu halten.«

Damit packte er wieder ihre Arme, drehte sie um und klemmte sie unter seinem Körper ein. Er versuchte, vorsichtig zu sein, er versuchte, ihr nicht wehzutun. Doch sie musste etwas begreifen, bevor er sie wieder loslassen konnte. »Ja, ich bin ein Mörder. Es gefällt mir, anderen wehzutun. Ich mag Blut. Ich mag Schmerz. Ich bin ein Monster, aber ob du dich nun daran erinnerst oder nicht, ich bin dein Monster, Evangeline.«

Er hörte, wie ihr der Atem stockte.

Einen Moment lang glaubte er, weder Furcht noch Zorn in ihren Augen zu lesen. Ihr Hals lief rosa an, dann flammten ihre Wangen auf … anders als gerade eben noch. Er wusste nicht, ob sie sich vielleicht endlich erinnerte.

Doch er war selbstsüchtig genug, es zu hoffen.

Er überlegte, sie einfach unter sich festzuhalten, bis sie es tat. Er wusste, was für eine schlechte Idee das war, aber er wollte, dass sie sich an ihn erinnerte. Er wollte, dass sie ihn ansah, nur einmal, und ihn so kannte, wie sie es zuvor getan hatte.

Es war grausam von ihm, sich zu wünschen, dass sie ihn erneut begehrte. Wenn sie sich erinnerte, würde es ihr nur noch mehr wehtun.

Der Moment, in dem er sie das letzte Mal mit ihren Erinnerungen gesehen hatte, verfolgte ihn noch immer. Es war vor dem Valorienbogen gewesen. Und nur Stunden zuvor hatte er gefühlt, wie sie in seinen Armen gestorben war.

Evangeline hatte keine Ahnung, dass dies geschehen war, keine Ahnung, dass Jacks die Steine bereits eingesetzt hatte, um die Zeit für sie zurückzudrehen.

Sie hatte versucht, ihm auszureden, die Steine zu benutzen, um zu Donatella zurückkehren zu können. Sie hatte gewollt, dass er stattdessen mit ihr ging.

Nach allem hatte sie ihn immer noch gewollt.

So gern hätte Jacks ihr gesagt, dass er nicht einmal mehr richtig wusste, wie Donatella aussah, weil Evangelines Gesicht das Einzige war, das er sah, wann immer er die Augen schloss. Dass er mit ihr überall hingehen würde … wenn er es denn könnte.

Doch er konnte sie nicht noch einmal sterben sehen. Seine erste Füchsin hatte an ihn geglaubt und sie war gestorben, und genau das würde auch mit Evangeline geschehen. Es gab nur eine Möglichkeit, wie ihre Geschichte enden konnte, und es war kein glückliches Ende. Ihre Hoffnung mochte stark sein, aber sie war nicht magisch, nicht genug.

Deshalb war es besser, ihr wehzutun; besser, ihr das Herz zu brechen und zu tun, was auch immer nötig war, damit sie lebte und damit sie ihm fernblieb.

Daran hatte sich nichts geändert.

Heute jedoch versagte er, denn er wollte sie nicht gehen lassen. Er wollte sie weiter unter sich zu Boden drücken. Er würde die ganze Welt in Flammen setzen und niederbrennen lassen, wenn er sie nur weiter so halten könnte.

Rasch warf er einen Blick zur Seite. Castor rührte sich nicht. Seine Brust war still, seine Augen standen starr offen. Er sah wirklich tot aus. Doch es würde nicht mehr lange dauern, bis er ins Leben zurückkehrte.

Er musste Evangeline von hier wegbringen. Ihr Atem ging schwer, und ihre Wangen waren immer noch gerötet. Er erkannte, dass sie sich noch nicht entschieden hatte, ob sie ihm trauen konnte, aber er durfte keine Zeit mehr verlieren.

Er sprang auf, dann packte er ihre Hand und zog auch sie auf die Füße, bevor er nach dem Seil an seinem Gürtel griff.

»Was machst du denn da?«, setzte sie an, doch Jacks ließ ihr keine Gelegenheit, sich loszureißen. Er zog sie wieder an sich und fesselte schnell ihr Handgelenk an seines.