Vor Kirk nahm der Transporterraum Konturen an, und er fühlte wieder die vertraute Schwerkraft an Bord der Enterprise. Die Gesichter von Spock, McCoy und Kyle waren ebenso willkommen.
Jim sprang von der Plattform herunter und sah, wie Spocks Blick zu den Intervallern an seinem Gürtel glitt.
»Wer greift die Universität an?«, fragte er. »Wie ist dort unten die Lage?« Leonards plötzliches Lächeln verwirrte ihn. »Freut mich, dich wiederzusehen, Pille.«
»Die Universität wird nicht angegriffen«, erwiderte McCoy.
»Und die Situation ist recht bemerkenswert«, fügte Spock hinzu.
Kirk musterte die beiden Männer nacheinander. Hinter ihm öffnete Cardinali mit Hilfe der beiden Techniker die Ausrüstungszylinder, um ihnen die Datenmodule zu entnehmen.
»Wir haben Kriegsflugzeuge gehört«, sagte der Captain verwirrt.
»Ja«, bestätigte Spock. »Mehrere hundert Exemplare sind unterwegs.«
Kirk runzelte die Stirn. Auf der Welt unter ihnen brach der Krieg aus, doch McCoy und der Erste Offizier begegneten der sich anbahnenden Katastrophe mit verblüffender Gelassenheit.
»Sie sind zurückgerufen worden«, meinte Spock.
»Was ist passiert?«, fragte Kirk.
McCoy strahlte regelrecht. »Es herrscht Frieden, Jim. Die Grünen und Braunen ziehen ihre Truppen zurück, überall auf dem Planeten.«
»W-was?«, brachte Wilforth hervor. Neben ihm unterbrachen Cardinali und die beiden Techniker ihre Arbeit.
Kirk zögerte und überlegte, ob er weitere Fragen stellen musste oder hoffen durfte, dass man ihm alles erklärte.
Die Tür des Transporterraums öffnete sich, und Carole Mallett kam mit hastigen Schritten herein. Sie lächelte ebenso erfreut wie McCoy, trat zu Cardinali und umarmte ihn.
»Sie schaffen es!«, entfuhr es ihr. »Die Talin schaffen es tatsächlich, den Krieg zu verhindern.«
Bevor sich das Schott wieder schloss, hörte Kirk seltsame Geräusche im Korridor. Es dauerte einige Sekunden, bis es ihm gelang, sie zu identifizieren: Eine Party fand statt.
»Spock …«
»Wir hatten das Privileg, eine außerordentlich faszinierende Ereigniskette zu beobachten, Captain. Die Talin brachten ihre Zivilisation bis an den Rand des Untergangs.«
»Und genau das war ihre Rettung!«, warf McCoy ein. »Sie wagten sich tatsächlich bis zum Rand des Abgrunds vor – und dann traten sie davon zurück.« Der Arzt sprach so aufgeregt und schnell, dass sich sein Südstaatenakzent bemerkbar machte und die Worte miteinander zu verschmelzen schienen. »Wir haben es auf der Brücke gehört. Himmel, nicht nur auf der Brücke, sondern überall im Schiff – Carolyn hat eine Interkom-Verbindung geschaltet.«
»Die Talin wussten, dass ihnen nur noch wenige Minuten bis zum sicheren Verderben blieben – und dann beschlossen sie ganz bewusst, auf den Krieg zu verzichten.« McCoy schüttelte den Kopf – offenbar konnte er es noch immer nicht fassen. »Sie wählten das Leben.«
Begeisterung erwachte in Kirk. Mit einer solchen Nachricht hatte er nicht gerechnet. »Das ist wundervoll, Pille! Meine Güte, es ist mehr als nur wundervoll!«
»Es ist unglaublich«, sagte Wilforth leise.
»Die Talin haben damit ein hohes Maß an Logik bewiesen«, ließ sich der vulkanische Erste Offizier vernehmen.
McCoy schüttelte erneut den Kopf. »Ersparen Sie uns Hinweise auf Logik, Spock. Die Bewohner des Planeten hatten schlicht und einfach Angst. Und Angst ist ein Gefühl. Die Talin sind nicht etwa von Logik gerettet worden, sondern von Emotionen!«
»Es ist den emotionalen Faktoren ihrer Existenz zuzuschreiben, dass sie überhaupt erst in eine derartige Gefahr gerieten …«
»Spock, Pille … Bitte hört auf, bevor wir die Unterhändler der Talin an Bord bitten müssen, damit sie zwischen euch vermitteln.« Kirk streckte die Hand nach der Transporterkonsole aus, schien sich auf diese Weise vergewissern zu wollen, dass er nicht träumte. »Warum spitzte sich die Lage so plötzlich zu? Die Situation war doch nicht so kritisch, als wir uns hinunterbeamten, oder?«
»Die Kontroverse in Hinsicht auf den polaren Luftwaffenstützpunkt gab den Ausschlag«, entgegnete Spock. »Das betreffende Gebiet lässt sich kaum überwachen, weil die Magnetosphäre Interferenzen verursacht, und deshalb …«
»Die Grünen glaubten, dass die Braunen Lücken in der kontinentalen Verteidigung ausnutzen wollten«, sagte McCoy, um einem langen, detaillierten Vortrag des Vulkaniers vorzubeugen. »Die Braunen leugneten, und daraufhin glaubten die Grünen, dass ihre Gegner tatsächlich etwas im Schilde führten. Sie verstärkten ihre Kriegsvorbereitungen, was die Braunen davon überzeugte, dass die Grünen den Zwischenfall im Polargebiet nur als Vorwand für einen Angriff nutzten – was sie ihrerseits zum Anlass nahmen, ihre Streitkräfte zu mobilisieren. Es war wie bei einer deiner verdammten Schachpartien mit Spock: Keine Seite wollte nachgeben.«
McCoy und der Vulkanier starrten sich an.
»Und …?«, fragte Kirk, der auch den Rest erfahren wollte. »Was geschah dann?«
»Es kam zu einer Intervention der Talin-Unterhändler«, antwortete Spock. »Beide Seiten stellten sich der Erkenntnis, dass der Gegner durch einen Angriff keine Vorteile erringen konnte, woraus der logische Schluss folgte: Die jeweiligen Vorwürfe konnten nicht gerechtfertigt sein.«
»Sie schoben alles auf ein Versagen des Kommunikationssystems«, fügte McCoy hinzu. »Um das Gesicht zu wahren. Ein Verhalten, das nicht logisch ist, aber trotzdem zu den angestrebten Resultaten führte.«
»Und es gelang ihnen innerhalb so kurzer Zeit, die Streitkräfte zurückzuziehen?«, kam es von Kirks Lippen. Es klang noch immer verwundert.
»Bei den Talin gibt es ein sehr komplexes Eid-System«, erläuterte Spock. »Es hat tiefe Wurzeln in der Kultur des Planeten, und niemand kann sich den damit einhergehenden Verpflichtungen entziehen. Die Befehlshaber der Braunen und Grünen haben sich zum ersten Mal auf einige jener Eide berufen.«
Wilforth' Mund klappte auf – mit dieser Reaktion erinnerte er Kirk an die beiden Talin, die sich plötzlich der Landegruppe gegenübergesehen hatten. »Haben die Kommandeure der Brauen und Grünen etwa gemeinsame Abstammung und Verwandtschaft erwähnt?«
»Ja«, sagte Spock. »Ich glaube, der Translator verwendete solche Bezeichnungen.«
Kirk befürchtete fast, dass Wilforth in Ohnmacht fiel.
»Vor einer Stunde hätte ich so etwas für völlig ausgeschlossen gehalten«, ächzte der EKA-Direktor. Er sah Kirk an, und Falten formten sich in seiner Stirn. »Wir hätten auch die beiden anderen Talin betäuben sollen. Es war gar nicht nötig, sich in Sicherheit zu bringen.«
Kirk sah die Frage in Spocks Augen. »Zwei Talin entdeckten uns – der Direktor und seine Mitarbeiter schickten sie mit elektrischen Entladungen ins Reich der Träume. Später kamen zwei weitere in den Raum und erblickten uns. Besser gesagt: Sie bemerkten die beiden Ausrüstungszylinder.«
»Solche Überraschungen sind bei planetaren Missionen des EKA nicht ungewöhnlich«, kommentierte der Vulkanier.
»Darauf hat man mich bereits hingewiesen«, erwiderte Kirk trocken.
Cardinali trat näher, den einen Arm um Malletts Taille geschlungen. »Captain, dies ist ein einzigartiger Moment in der Geschichte von Talin. Wenn es schließlich zu einem Kontakt zwischen der Föderation und den Bewohnern des vierten Planeten kommt … Eins der größten Geschenke, das wir ihnen machen können, besteht vielleicht in einer vollständigen Aufzeichnung der aktuellen Ereignisse. Ich bitte Sie hiermit um Erlaubnis, die Sensorsatelliten mindestens eine Woche lang für umfassende Sondierungen einzusetzen. Ihr Schiff sollte dabei die Kontrolle übernehmen.«
Kirk wollte ablehnen – ihm lag nichts daran, noch mehr Zeit in diesem Sonnensystem zu verbringen.
Doch Cardinalis Enthusiasmus wirkte ansteckend. »Denken Sie daran, wie sehr man auf der Erde die von Vulkaniern zusammengestellten Kom-Berichte zu schätzen wusste. Sie betrafen die letzten zehn Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und beantworteten viele Fragen.«
Kirk wandte sich an Spock. »Wenn wir Richtstrahlen benutzen … Können wir dann in der Umlaufbahn bleiben, ohne von den Sensoren der Talin erfasst zu werden?«
Der Erste Offizier nickte. »Das ist sicher möglich.«
»Nun gut«, murmelte der Captain und richtete den Blick auf Cardinali. »Lassen Sie sich von Lieutenant Uhura bei den Vorbereitungen helfen.«
Der Kommunikationschef bedankte sich aufgeregt bei Kirk, und zusammen mit Mallett verließ er den Transporterraum. Als sich die Tür zum zweiten Mal öffnete, schienen die Partygeräusche im Korridor noch lauter geworden zu sein.
»Haben sich während unserer Abwesenheit irgendwelche Probleme angesichts der niedrigen Umlaufbahn ergeben?«, erkundigte sich Kirk.
»Die Talin waren zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um uns Aufmerksamkeit zu schenken.«
Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile spürte Kirk, wie er sich allmählich entspannte. Zu Beginn der Mission hatte er das Schlimmste erwartet, und nun endete sie mit dem denkbar besten Ergebnis. Er durfte sich nicht zu sehr der Freude hingeben – um zu vermeiden, dass er sich bei den nächsten Einsätzen ähnliche Wunder erhoffte. Nach einigen Sekunden hob er den Kopf, sah seine Freunde an und lächelte. Ich habe erneut den Sieg errungen, dachte er. Obwohl ich diesmal nicht alle Spielregeln kannte.
»Du weißt sicher, dass es jetzt nur noch eine Sache zu erledigen gilt«, sagte McCoy.
Kirk nickte. »Und ob.«
Einige subtile Anzeichen in Spocks Gesicht verrieten Verwirrung. »Ich verstehe nicht. Mir sind keine anderen Pflichten bekannt.«
»Natürlich verstehen Sie nicht.« McCoy schritt zur Tür. »Weil es für Sie nichts mehr zu tun gibt.«
Spock blickte zu Kirk, dessen Lächeln in die Breite wuchs. »Pille meint folgendes: Es dauert mindestens noch fünfzig Jahre, bis wir mit den Talin feiern können, und deshalb sollten wir die Gelegenheit nutzen, für sie zu feiern.«
Spock überlegte. »Heute ist eine Welt gerettet worden. Ein ganzes Volk ist dem Tod entronnen und hat nun die Möglichkeit, irgendwann zu den Sternen zu reisen, andere Planeten zu besiedeln. Ja, ich glaube, unter diesen Umständen ist eine Feier angebracht.«
McCoy musterte den Vulkanier erstaunt. »Da soll mich doch … Vielleicht besteht tatsächlich noch Hoffnung für Sie, Spock.«
Kirk klopfte Leonard auf den Rücken. »Wenn's die Talin geschafft haben, so sind auch andere Leute dazu imstande. Kommen Sie, Mr. Spock: Eine logische Feier wartet auf uns.«
Kirk las den Bericht des Quartiermeisters und griff geistesabwesend nach der Tasse Kaffee auf dem Tablett des Unteroffiziers. Der QM wies darauf hin, dass der Alkoholkonsum an Bord in einem alarmierenden Maße zugenommen hatte, aber Jim hakte den entsprechenden Hinweis einfach ab. Die gestrige Talin-Feier hatte der Crew zum ersten Mal seit langer Zeit Gelegenheit gegeben, sich zu vergnügen. Und sie hat ein Recht darauf, dachte Jim. Nach einigen Sekunden merkte er, dass sich seine Hand um leere Luft schloss. Er sah vom elektronischen Notizblock auf, um festzustellen, was mit dem Kaffee geschehen war.
Das Tablett befand sich nicht mehr in Reichweite. Jemand musste es fortgezogen haben.
»Unteroffizier Frietas, was … Oh.«
»Hallo, Captain«, sagte Carolyn Palamas. »Möchten Sie Kaffee?« Sie schob das Tablett näher.
Kirk nahm die Tasse. Die Enterprise schwebte fünfzigtausend Kilometer über Talin und ›belauschte‹ die Friedensverhandlungen auf dem Planeten – dadurch herrschte auf der Brücke eine ganz andere Atmosphäre. Er freute sich über die Präsenz der jungen Wissenschaftlerin.
»Nun, Lieutenant, ich kann mich gar nicht daran erinnern, Sie zu meinem Adjutanten ernannt zu haben.«
Palamas kam etwas näher. »Ich habe auch keinen entsprechenden Antrag gestellt. Wissen Sie, heute morgen sah ich jemanden, der ohne Frühstück forthastete, und ich dachte mir, dass er jetzt Kaffee vertragen könnte.«
Kirk lächelte. Er erinnerte sich an eine wundervolle Party – und er entsann sich an die noch wundervollere weibliche Gesellschaft, die der Party folgte. »Wenn ich daran denke, dass der Rückflug durchs Sonnensystem fünf Tage dauert …«
»Ich dachte, es gefällt Ihnen nicht, durch den interplanetaren Raum zu kriechen.« Palamas blieb beim Sie.
»Kommt ganz darauf an, mit wem man die betreffende Zeit verbringen kann«, sagte Kirk. Ihre Blicke trafen sich, übermittelten eine wortlose Botschaft.
»Entschuldigen Sie bitte, Captain«, erklang Spocks Stimme von der wissenschaftlichen Station.
Kirk drehte sich sofort um.
»Sensorsatellit fünf sendet keine Informationen, obwohl jetzt ein automatischer Transfer der gesammelten Daten erfolgen müsste«, meldete der Vulkanier.
Kirk stand auf und nickte Palamas zu, als sie zum Turbolift ging. Sie erwiderte das Nicken und verstand: Die Mission und das Schiff kamen immer an erster Stelle.
Jim blickte auf die Anzeigen der Konsole vor Spock. »Der Satellit befindet sich noch immer in einer stabilen Umlaufbahn. Funktioniert seine interne Energieversorgung?«
»Wir verwenden Richtstrahlen, um die für einen Datentransfer notwendige Verbindung zu schaffen, Captain. Der technische Status lässt sich nur mit Hilfe einer Sensorsondierung feststellen, doch angesichts der geringen Entfernung besteht die Möglichkeit, dass dabei Streustrahlung bis zur Oberfläche des Planeten gelangt und dort entdeckt wird.«
»Geben Sie Scotty Bescheid und bitten Sie ihn, eine Untersuchung vorzunehmen. Er hat die Satelliten für den orbitalen Einsatz vorbereitet und kann sie in Ordnung bringen, falls ein Defekt vorliegt.«
»Wie Sie meinen, Captain. Und wenn wir nicht imstande sind, den Kontakt mit dem betreffenden Satelliten wiederherzustellen?«
Kirk blickte zum Wandschirm, der Talin IV zeigte – eine Welt des Friedens. »Dann sehen wir uns die Sache aus der Nähe an. In Hinsicht auf die Situation dort unten brauchen wir uns jetzt keine Sorgen mehr zu machen.«
Er kehrte zum Kommandosessel zurück, um die Lektüre des QM-Berichts fortzusetzen. Als er sich dem Befehlsstand näherte, sah er kurz in Richtung Turbolift, aber die Tür hatte sich bereits hinter Palamas geschlossen. Nun, macht nichts, dachte er. Bald haben wir fünf Tage für uns.
Zwei Minuten nach Spocks knapper Interkom-Mitteilung erschien Chefingenieur Scott auf der Brücke. »Die Sache ist mir ein Rätsel«, brummte er, als er die Anzeigen betrachtete. »Am Zustand der Satelliten gab es nichts auszusetzen. Selbst in fünfzig Jahren sollten sie noch einwandfrei funktionieren.«
»Was nichts an der Tatsache ändert, dass ein Exemplar ganz offensichtlich defekt ist«, erwiderte Spock.
»Darauf deutet alles hin. Aber ich finde keinen Grund dafür. Wir haben die Ergzellen prästabilisiert und mit zusätzlichen Balancefiltern ausgestattet. Darüber hinaus sind die L-37-Einheiten mit allen duotronischen Komponenten verbunden …«
Kirk lehnte sich ans Geländer zwischen Haupt- und Oberdeck, während Spock und Scott ein Gespräch führten, in dem jedes zweite Wort ein technischer Fachbegriff zu sein schien. Der Captain kannte zwar die einzelnen Ausdrücke, aber in einer solchen Menge schienen sie immer mehr an Bedeutung zu verlieren – seit den Technikkursen an der Akademie war viel Zeit verstrichen.
Einige Minuten lang fuhren die beiden Männer damit fort, immer komplizierter klingende technische Spezifikationen zu formulieren, und mehrmals rejustierten sie die Instrumente der wissenschaftlichen und technischen Station. Dann schienen Erster Offizier und Chefingenieur in eine Sackgasse zu geraten.
»Sollen wir zu dem Satelliten fliegen, um ihn uns aus der Nähe anzusehen?«, fragte Kirk.
»Nicht nötig«, erwiderte Scott. »Das Problem liegt bei der Software.«
»Ich halte eine Untersuchung aus geringerer Entfernung für notwendig«, sagte Spock. »Ganz offensichtlich liegt ein Hardware-Defekt vor.«
Beide Offiziere drehten sich um und sahen Kirk an. Ich muss einen Kompromiss finden, dachte Jim. Was in diesem Fall besonders schwer ist. »Entschuldigen Sie, Scotty, aber wenn die Möglichkeit besteht, dass der Satellit irgendwie beschädigt wurde … Wir dürfen nicht riskieren, dass er in die Atmosphäre fällt oder gar auf den Planeten hinabstürzt. Wir fliegen nahe genug an ihn heran, um eine Sensorsondierung vorzunehmen, ohne dass dabei Streustrahlung die Oberfläche von Talin IV erreicht. Nach unserer Rückkehr hierher haben wir Zeit genug, um die Software zu untersuchen.« Kirk hoffte, dass er schnell genug gesprochen hatte.
»Aye, Captain.« Scott wandte sich dem Vulkanier zu und lächelte. »Ich bin gern bereit, Ihnen bei der Neuprogrammierung zu helfen, Mr. Spock.«
»Danke, Mr. Scott, aber das ist sicher nicht erforderlich. Bestimmt genügt eine Reparatur des Satelliten.«
Kirk wandte sich ab und ging zu Sulu, um ihn aufzufordern, eine Kursänderung vorzubereiten. Aber der Steuermann hatte alles gehört und die neuen Orbitaldaten bereits eingegeben.
»Ausgezeichnet, Mr. Sulu. Bringen Sie uns zu dem Satelliten.«
Chekov stand auf und eilte zur Verteidigungsstation, um von dort aus Maßnahmen zu ergreifen, die eine Ortung des Schiffes verhindern sollten. Fähnrich Leslie verließ seinen Platz an den Ambientenkontrollen, um Chekov am Navigationspult zu vertreten. Kirk lehnte sich im Kommandosessel zurück, als sich die Enterprise dem Planeten näherte. Es ergaben sich keine Schwierigkeiten.
Nach einer Weile richtete Jim seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bericht des QM-Programms. Darin hieß es unter anderem: ›Wenn sich nichts am gegenwärtigen Konsum ändert, reicht der Vorrat an echter Schokolade nur noch für zwei Monate.‹ Es folgte der Rat, den Verzehr von synthetischer Schokolade zu empfehlen. Kirk schauderte bei dieser Vorstellung, hob den Stift und brachte seine Ablehnung zum Ausdruck, indem er den entsprechenden Hinweis durchstrich.
»Wir nähern uns Satellit fünf«, meldete Sulu.
Jim sah auf. Die untere Hälfte des Planeten füllte den Wandschirm. Bei der gegenwärtigen Auflösung war der kleine Satellit nicht zu erkennen, aber das Sensorecho zeigte sich auf dem Astrogatorschirm. Kirk unterschrieb den Bericht des Quartiermeister-Programms, und eine Sekunde später erschien der wöchentliche Medo-Report im Display.
»In Sensorreichweite, Mr. Spock«, sagte Leslie.
»Sondierung beginnt«, erwiderte der Erste und wissenschaftliche Offizier.
Kirk hakte auch den medizinischen Bericht ab: Er enthielt nur zehn Hinweise darauf, dass sich ein gewisser Kirk, James T., zur bereits längst fälligen Routineuntersuchung in der Krankenstation einfinden sollte; andernfalls erschien sein Name auf der Disziplinarliste des Captains.
»Bei den technischen Komponenten liegt kein feststellbarer Defekt vor«, verkündete Spock.
Kirk hob den Kopf, als er glaubte, so etwas wie Überraschung in der Stimme des Vulkaniers zu hören.
Scotty lächelte. »Und Sie brauchen wirklich keine Hilfe bei der Software?«
Spock schüttelte den Kopf. »Die Programme können wohl kaum für den Defekt verantwortlich sein, Mr. Scott. Sie befinden sich nicht mehr im Speicher des Satellitencomputers.«
Kirk ließ den elektronischen Notizblock sinken.
»Wie bitte, Mr. Spock?«, brachte der Chefingenieur verdutzt hervor.
»Sind die Kontrollprogramme gelöscht worden?«, fragte Kirk.
Spock nickte. »Es sollte eigentlich völlig unmöglich sein, aber alle Datenspeichermodule des Satelliten sind leer.«
»Erklärung, Mr. Scott?«
»Im Augenblick sehe ich mich außerstande, Ihnen eine anzubieten, Captain. Ich weiß nicht, wie so etwas geschehen kann, ohne …«
»Ohne was, Mr. Scott?«
»Nun, ohne eine Übermittlung des Kennworts und der verschiedenen Verschlüsselungscodes. Die Satelliten sind gemäß der EKA-Vorschriften modifiziert worden. Es ist praktisch ausgeschlossen, ihnen mit Gewalt gespeicherte Informationen zu entnehmen.«
»Mr. Spock? Irgendwelche Theorien?«
»Nein. Ein starker Subraum-Impuls hätte die Transtator-Schaltkreise zerstören können, aber ein derartiges Phänomen hätte wir zweifellos bemerkt. Ich muss jedenfalls eine gründliche Situationsanalyse vornehmen, um …«
»Captain!«, entfuhr es Chekov. »Ich orte energetische Aktivität auf dem Planeten.«
»Um welche Art von Energie handelt es sich?« Kirk sah zum Wandschirm: Dicht hinter dem Terminator, auf der Nachtseite von Talin IV, bemerkte er einen hellen weißen Fleck. »Vergrößerung, Steuermann. Gehen die Emissionen davon aus, Mr. Chekov?«
Der Navigator blickte ebenfalls zum großen Projektionsfeld. »J-ja, Sir.«
Das Bild auf dem Schirm zitterte kurz, als sich der Vergrößerungsfaktor änderte. Einen Sekundenbruchteil später rückte der weiße Fleck näher, und Kirk beobachtete, wie rote Feuerranken daraus hervorwuchsen. »Was ist das, Fähnrich?«
»Eine … nukleare Explosion, Captain. Vierzig Megatonnen.«
Kirk fühlte sich so, als hätte die Enterprise ganz plötzlich auf Warp neun beschleunigt. »Wo?«, fragte er.
Chekov las die Koordinaten. »Die Detonation betrifft den Staat der Grünen«, bestätigte er die Vermutungen des Captains. »Östlicher Verwaltungsdistrikt. Subregion fünf.«
Kirk starrte auf den Fleck und stellte sich sein Vernichtungspotenzial vor – eine ganze Stadt mochte jetzt in Schutt und Asche liegen.
»Die genannten Koordinaten sind mit denen einer unterirdischen Startrampe für Raketen identisch«, sagte Spock.
Kirk versteifte sich unwillkürlich. Ein militärisches Ziel. Und daraus konnte nur ein Schluss gezogen werden. »Warum sollten die Braunen ausgerechnet jetzt einen Erstschlag beschlossen haben?«
»Und warum sollten sie dabei auch nur einen einzigen nuklearen Sprengkopf verwenden?«, fügte Spock hinzu. Er beugte sich über den Sichtschlitz des Scanners.
»Captain!«, rief Chekov. »Raketen werden gestartet! Dutzende von Raketen!«
»Lieber Himmel«, hauchte Kirk. Auf dem Kontinent der Grünen bildete sich ein Muster aus roten Punkten: mit atomaren Sprengsätzen ausgestattete Raketen. Und es mussten Hunderte sein.
»Alarmstufe Rot«, sagte der Captain. Die Vorschriften verlangten eine solche Anweisung, obwohl keine Gefahr für das Schiff bestand. Einige Sekunden lang heulten die Sirenen, und auf Kirks Zeichen hin deaktivierte Uhura den akustischen Alarm. Doch das rote Licht pulsierte auch weiterhin.
»Captain«, sagte Spock, »nach den Sensordaten zu urteilen, fand die Explosion tief unter der Oberfläche des Planeten statt.«
»In welcher Tiefe?«
»Sie entspricht der von in Bereitschaft gehaltenen Atomwaffen.«
»Nein!«, stöhnte Kirk. Er wandte sich wieder dem Schirm zu und beobachtete noch mehr rote Punkte. Tausende von Raketen, die den Tod in sich trugen. »Es war ein Versehen!«
»Hohe Kom-Aktivität bei den Braunen, Captain«, warf Uhura ein. Tränen schimmerten in ihren Augen. »Sie haben die von den Grünen gestarteten Raketen geortet und leiten den Gegenschlag ein.«
»Raketenstarts bei den Braunen!«, meldete Chekov. »Raketenstarts bei den Braunen!«
»Es ist ein Versehen, ihr Narren!« Kirk starrte zum Wandschirm und sah eine sterbende Welt. »Spock! Es kann keine Absicht dahinterstecken! Die Sprengköpfe der Talin sind alles andere als zuverlässig – ihre Fehlerquote beträgt vierzig Prozent. Die Grünen waren dabei, ihre Raketen zu demontieren, und dabei haben sie versehentlich eine verdammte Atombombe gezündet!«
Spocks Gesicht blieb ausdruckslos, als er ebenfalls zum großen Projektionsfeld blickte. »Das ist die … logische Erklärung.«
»Ein Versehen!«, wiederholte Kirk und schlug mit der Faust auf die Armlehne des Kommandosessels. »Ein ganzer Planet wird vernichtet, nur weil jemandem ein Fehler unterlief. Das darf nicht passieren!«
»Captain?« Spock wölbte eine Braue.
»Ich lasse nicht zu, dass diese Welt stirbt.« Zorn brodelte in Jim. Die Zivilisation von Talin IV musste überleben – jedes andere Schicksal kam einem persönlichen Affront James T. Kirk gegenüber gleich.
»Uns sind die Hände gebunden, Captain«, entgegnete der Vulkanier. Worte und Tonfall vermittelten zwei verschiedene Botschaften. »Die Erste Direktive verbietet uns ein Eingreifen.«
»Nein!«, zischte Kirk. »Die Erste Direktive verbietet uns, Einfluss auf die natürliche Entwicklung eines Planeten zu nehmen. Und sehen Sie sich an, was jetzt passiert. Von einer ›natürlichen Entwicklung‹ kann in diesem Fall sicher nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Es ist ein tragischer Unfall. Die unbeabsichtigte Explosion eines nuklearen Sprengkopfs hat eine anomale Ereigniskette ausgelöst. Wir wissen, dass sich die Talin für den Frieden entschieden haben.«
So etwas wie Schmerz huschte durch Spocks Züge, bevor der Vulkanier seine Mimik wieder unter Kontrolle brachte. »Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, Captain. Und ich stimme Ihnen zu: Man könnte das aktuelle Geschehen als eine natürliche Katastrophe definieren … so wie die drohende Kollision mit einem Asteroiden. Trotzdem sehe ich keine Möglichkeit für eine Intervention.«
»Niemand sieht uns, Spock.« Kirks Gedanken rasten. Es musste einen Ausweg geben. Es gab immer einen. Man ändere die Spielregeln, man ändere die Ziele – man unternehme irgend etwas, um das Problem zu lösen. »Wir können es schaffen. Die Enterprise kann es schaffen. Anschließend wissen die Talin überhaupt nicht, was sie vor dem Verderben bewahrt hat. Es wird ihnen ebenso ein Rätsel sein wie die Ursache der unterirdischen Atomexplosion. Wir mischen uns nicht ein, Spock. Wir geben ihnen nur etwas mehr Zeit. Mehr Zeit, um auf ihrer Welt alles in Ordnung zu bringen. Das ist alles.«
Die Brückenoffiziere erstarrten an ihren Stationen. Sie waren bereit, jeden Befehl des Captains zu befolgen, aber sie wussten auch: Ohne Spocks Einverständnis würde ihnen Kirk nicht die erhoffte Order geben.
Der Vulkanier trat zum Geländer.
Kirk breitete die Arme in einer beschwörenden Geste aus. »Denken Sie darüber nach, Spock. Wir achten die Bestimmungen der Ersten Direktive. Das Geheimnis unserer Präsenz bleibt gewahrt.«
»Ja …«, erwiderte der Erste Offizier langsam. »Die Erste Direktive … wird nicht … verletzt.« Er straffte die Schultern. »Ich berechne die Koordinaten«, fügte er hinzu und kehrte zur wissenschaftlichen Station zurück.
Kirk gab Anweisungen. Die Zeit genügte nicht, um seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Sie reichte nur aus, um aktiv zu werden, um zu handeln, um eine Welt zu retten.
Die Enterprise richtete ihre Sensoren auf Talin IV und nahm eine umfassende Sondierung vor, die dem ganzen Planeten galt. Innerhalb weniger Sekunden empfingen die Computer Daten über die Flugbahnen aller gestarteten Raketen.
Scott wusste, wie die Zünder der Sprengköpfe funktionierten. Er beanspruchte fünf Prozent der allgemeinen Elaborationskapazität, um Selbstzerstörungssequenzen zu decodieren und zu senden. Hunderte von roten Ortungsreflexen verschwanden vom Wandschirm.
Uhura kannte die Funk-Codes. Sie verwendete acht Prozent des Computerpotenzials, um Sprachprozessoren mit Stimmen zu programmieren und Befehle zu übermitteln, die Bomber, Jagdflugzeuge und Unterseeboote aufforderten, zu ihren jeweiligen Basen zurückzukehren. Die meisten Talin-Kommandanten gehorchten nicht sofort, verzichteten jedoch darauf, die Angriffsmission fortzusetzen – sie setzten sich mit den Einsatzzentralen in Verbindung und baten um Bestätigung der Anweisungen.
Chekov nahm wieder an seiner Konsole Platz und bediente die Kontrollen der Phaser. Vierhundertsiebenundzwanzig Raketen reagierten nicht auf Scotts Signale, und der Russe holte sie nacheinander vom Himmel, verfehlte nie das Ziel.
Vierzig Minuten verstrichen, und zweimal umkreiste die Enterprise den Planeten. Die Raketen der Braunen existierten nicht mehr, ebenso wenig die der Grünen. Bombenflugzeuge drehten ab und flogen wieder zu ihren Luftwaffenstützpunkten. Unterseeboote änderten den Kurs und steuerten Häfen an.
Die nukleare Katastrophe fand nicht statt.
Kirk war schweißgebadet und heiser. Nach wie vor pulsierte das Licht der Alarmstufe Rot.
Uhura räusperte sich. »Captain … Ich höre eine diplomatische Frequenz ab. Die Unterhändler sprechen wieder miteinander. Sie … entschuldigen sich, Sir. Sie … Sir, sie danken ihren Göttern dafür, vor den schrecklichen Folgen eines Unfalls bewahrt worden zu sein.« Uhura wischte sich Tränen aus den Augen. »Sie wissen, dass die nukleare Explosion auf einen technischen Defekt zurückging.« Scott ging zu der Kom-Spezialistin und legte ihr den Arm um die Schultern. Das dunkle Haar des Chefingenieurs klebte an der feuchten Stirn.
Kirk blickte noch immer zum Wandschirm. Auf der Nachtseite des Planeten brannten Tausende von kleinen Feuern, verursacht von den brennenden Trümmern der zerstörten Raketen. Aber die Welt und ihre Zivilisation existierten noch. Ein Volk hatte überlebt.
»Lieutenant Uhura …«, sagte Jim schließlich. »Transferieren Sie die während der letzten Stunde angefertigten Aufzeichnungen zum EKA-Hauptcomputer auf dem Mond. Bringen Sie anschließend Kopien der aufgezeichneten Daten in zwei verschiedenen Nachrichtenkapseln für Starfleet Command unter und veranlassen Sie unverzüglich den Start.«
»Aye-aye, Sir«, bestätigte Uhura.
Die Tür des Turbolifts öffnete sich, und McCoy stürmte in den Kontrollraum. »Zum Teufel auch, was ist hier eigentlich los?« Er blieb stehen, als er die vielen kleinen Brände auf dem Planeten sah. »Bei allen Raumgeistern … Was hat das zu bedeuten?« Er sah Kirk an, bemerkte die Erschöpfung des Captains und holte seinen Medo-Scanner hervor. »Was habt ihr angestellt?«
Spock beantwortete die Frage des Arztes, und seine Stimme klang so ruhig wie immer.
»Wir haben unsere Pflicht erfüllt, Doktor.«