Kapitel 1

 

Der subtile Duft im Wartezimmer der Botschaft weckte Kindheitserinnerungen in Spock. Seine Mutter hatte damals großen Gefallen an diesem Aroma gefunden, und die Intensität der plötzlichen Reminiszenzen überraschte ihn, ließ eine Erkenntnis in ihm heranreifen: Er wusste nicht, wann er Vulkan wiedersehen würde, und die Vorstellung, nie in die Heimat zurückzukehren, besorgte ihn. Spock begriff, dass es dieser Reaktion an Logik mangelte, und er beschloss, später am Abend zu meditieren, die Ursache dieser Emotionen zu analysieren und unter Kontrolle zu bringen. Doch in der Zwischenzeit roch er den Duft von Kevas und Trillium, entsann sich dabei an das Lächeln seiner Mutter.

Neben Spock gluckste Maritas Baby im Schlaf. Er fragte sich, ob sich das Kind in zehn oder zwanzig Jahren an den Aufenthalt in der Botschaft erinnern würde. Das mochte der Fall sein, wenn es diesen Geruch wahrnahm. Die ältesten Strukturen im Gehirn von Vulkaniern und Menschen wiesen große Ähnlichkeiten auf, und Duft konnte als Schlüssel zu besonders tief verankerten Erinnerungen dienen. Spock hielt den Zusammenhang zwischen Geruchssinn und Gedächtnis für sehr interessant und begann in Gedanken damit, dreidimensionale Luftmoleküle zu manipulieren, um festzustellen, wie sie zu den olfaktorischen Nervenrezeptoren von Menschen passten. Gleichzeitig bereitete er seine Argumente für die Diskussion vor, von der ihn nur noch wenige Minuten trennten. Weiter hinten, jenseits der Tür des fast grell erleuchteten Zimmers, erklangen Schritte auf einem Boden, der aus schwarzen Granitfliesen bestand.

»Er kommt«, sagte Spock.

Marita saß neben ihm auf der steinernen Bank und hob verwirrt den Kopf. Sie hatte noch nichts gehört, aber erstaunlicherweise verzichtete sie auf eine Frage – andere Menschen hätten wohl kaum gezögert, einen Kommentar abzugeben. Vielleicht lag es an ihrer Jugend – sie war erst zweiundzwanzig. Zwar zeichnete sie sich durch großes politisches Engagement aus, aber sie besuchte noch immer die Universität, lernte nach wie vor und begegnete neuen Erfahrungen daher mit besonderer Offenheit. In diese Kategorie fiel unter anderem der Umstand, dass ihr ein Vulkanier Gesellschaft leistete, nicht nur hier, sondern auch in ihrer kleinen Studentenwohnung.

Marita strich sich eine Locke des langen braunen Haars aus der Stirn und rückte das Kind im Arm zurecht. Alexander Llorente war fünf Monate alt, und bisher hatte er sich der würdevollen Umgebung gegenüber nicht zu Respektlosigkeiten hinreißen lassen.

»Ich weiß nicht, ob eine solche Bemerkung angemessen ist, Mr. Spock«, sagte die junge Frau. »Wie dem auch sei: Ich wünsche Ihnen viel Glück.«

An einem anderen Ort und unter anderen Umständen wäre Spock vielleicht versucht gewesen, ihr die Sinnlosigkeit eines derartigen Wunsches zu erläutern. Aber er verstand auch die kulturellen Konzepte, auf denen Maritas Worte basierten, und er akzeptierte die darin zum Ausdruck kommende Anteilnahme.

»Danke. Allerdings … Bei der vulkanischen Diplomatie spielt Glück nur eine untergeordnete Rolle.«

»Dann für die Talin«, erwiderte Marita rasch – sie wollte niemanden beleidigen.

Spock nickte. »Einverstanden. Für die Talin.«

Die beiden Türflügel schwangen auf, drehten sich an perfekt ausbalancierten Angeln, die ohne Metall konstruiert worden waren. Spock erhob sich, und Marita folgte seinem Beispiel, strich ihren langen Rock glatt.

Spock hob die Hand zum traditionellen Gruß. »Glück und langes Leben, Botschafter Sytok.«

Der vulkanische Botschafter auf der Erde wirkte gebieterisch in seinem schwarzen Umhang, dessen elegante Schlichtheit der von Spocks brauner Kutte entsprach. Der Besucher war enttäuscht, obgleich er sich natürlich nichts anmerken ließ. Sytok hatte offenbar beschlossen, ihm nicht in der Amtstracht des Botschafters gegenüberzutreten, und das bedeutete: Er lehnte es ab, etwas Offizielles in dieser Begegnung zu sehen.

Sytok hob ebenfalls die Hand, um den Gruß zu erwidern. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, und der Haaransatz bildete eine gerade Linie. »›Glück und langes Leben‹, Spock? Müssen Sie eine fremde Sprache benutzen, weil Sie die Bräuche Ihrer Heimat vergessen haben?«

Spock hatte nicht mit einem verbalen Angriff gerechnet und modifizierte seine Strategie. »Meine Begleiterin ist nicht mit den Feinheiten der diplomatischen Dialekte vertraut«, erwiderte er und nickte in Richtung Marita. Sein Hinweis kam einer Untertreibung gleich: Die junge Frau brachte es kaum fertig, in der primären vulkanischen Sprache ›Hallo‹ zu sagen.

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Euer Exzellenz.« Sie deutete eine Verbeugung an.

Sytok musterte sie so, als sähe er sie nun zum ersten Mal. Er schwieg, und Maritas Züge machten deutlich, dass sie seinen durchdringenden Blick als unangenehm empfand.

Der Botschafter wandte sich wieder an Spock, ohne die Terranerin zu begrüßen. »Warum haben Sie um eine Audienz gebeten?«

»Der Grund sollte eigentlich offensichtlich sein«, entgegnete Spock unschuldig und erwiderte damit die Unfreundlichkeit des Diplomaten.

»Ihre Verhaltensmuster und Motive haben längst den Bereich des Logischen verlassen, Spock.«

»Logik kann sehr subtil sein. Und wer zu einer begrenzten Perspektive neigt, sieht nicht alle Muster.« Spock beobachtete, wie Sytok die Zeit bis zu seinem nächsten Termin berechnete. Wie lange wollte der Botschafter den unsinnigen Dialog fortsetzen? Ganz gleich, wie die Antwortet lautete: Zumindest in dieser Hinsicht wusste sich Spock im Vorteil. Sytok musste sich um wichtige Angelegenheiten kümmern, während er selbst Zeit im Überfluss hatte.

»Debatten sollte man Studenten überlassen«, verkündete Sytok. »Ich nehme an, Sie benötigen Hilfe, um nach Vulkan zurückzukehren. Die Botschaft …«

»Nein«, sagte Spock und verbarg seine Überraschung. War es möglich, dass der Botschafter nicht den wahren Grund für seinen Besuch kannte, obwohl ihn Marita begleitete? Andererseits … Sytok hatte sich nicht dazu herabgelassen, der jungen Frau vorgestellt zu werden.

»Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Sie finanzielle Unterstützung für Ihre Heimreise nach Vulkan beantragen wollten, betrug fünfundfünfzig Prozent.« Sytoks Stimme klang total unbewegt. »Für Ihre theoretische Absicht, zu einer vulkanischen Kolonialwelt zu fliegen, gibt es eine Wahrscheinlichkeit von dreißig Prozent.«

Spock konnte der Versuchung nicht widerstehen. »Für wie wahrscheinlich halten Sie meine Absicht, auf der Erde zu bleiben?«

Sytok zögerte nur ein oder zwei Sekunden lang. »Eins Komma fünf Prozent.«

Spock neigte wie herablassend den Kopf zur Seite. »Derzeit ist es nicht mein Wunsch, die Erde zu verlassen.«

Sytok schwieg, und Spock vermutete, dass er nicht auf eine solche Möglichkeit vorbereitet war.

»In diesem Zusammenhang bitte ich um die Hilfe der vulkanischen Botschaft.«

»Sie sind noch immer Bürger der Föderation. Sie brauchen keine konsularische Hilfe, um Ihren Aufenthalt auf diesem Planeten fortzusetzen.«

Es verblüffte Spock geradezu, dass der Botschafter noch immer nicht ahnte, auf was er hinauswollte. Sytok gehörte zu den besten Analytikern Vulkans.

»In fünf Tagen findet eine Versammlung des Föderationsrates statt«, sagte Spock.

Sytoks Züge verharrten in Ausdruckslosigkeit, aber bestimmt wusste er jetzt um das Vorhaben des Besuchers.

»Ich möchte zu dem Rat sprechen«, fügte Spock hinzu.

»Das ist völlig ausgeschlossen.«

»Nein.«

Maritas Blick wanderte zwischen den beiden Vulkaniern hin und her – Sytok und Spock blinzelten nicht, während sie sich gegenseitig anstarrten. Alexander öffnete die Augen, als sei er sich ebenfalls der Konfrontation bewusst.

»Diese Botschaft wird Ihnen nicht helfen«, sagte der Diplomat schließlich.

»Ihnen bleibt keine Wahl«, erwiderte Spock. »Sie müssen auf mein Anliegen eingehen.«

»Sie haben eine wissenschaftliche Ausbildung hinter sich, Spock. Ich kann nicht von Ihnen erwarten, dass Sie mit dem sehr komplizierten interstellaren Recht vertraut sind …«

»Ich kenne das Gesetz«, unterbrach Spock den Botschafter. »Wir hatten den gleichen Lehrer.« Sein Vater Sarek hatte Vulkan auf der Erde vertreten und damals gehofft, dass der Sohn in die Fußstapfen des Vaters trat und ebenfalls mit einer diplomatischen Laufbahn begann. Doch Spock entschied sich für Starfleet, was zu einer bitteren Auseinandersetzung mit Sarek führte, die erst nach vielen Jahren beigelegt werden konnte.

Zum ersten Mal zeigte sich eine Reaktion in Sytoks Gesicht. Falten bildeten sich in der Stirn, und die Mundwinkel senkte sich um zwei oder drei Millimeter herab.

»Ich bestätige hiermit, dass mir der Rat Ihres Vaters bei meiner Tätigkeit fürs diplomatische Korps häufig eine große Hilfe gewesen ist. Bei drei Babel-Konferenzen bin ich sein Assistent gewesen. Ich respektiere ihn sehr, und genau dieser Respekt Sarek gegenüber hat mich veranlasst, Sie zu empfangen.«

»Nach dem Gesetz bin ich Vulkanier«, stellte Spock fest. »Und deshalb verpflichtet Sie das Gesetz, mir eine Audienz zu gewähren. Respekt hat nichts damit zu tun.«

»Die entsprechende Warteliste ist mehr als sieben terranische Monate lang. Und seit Ihrem Gesuch sind erst drei Tage vergangen.«

»Ich danke Ihnen dafür, dass Sie so schnell darauf eingegangen sind.«

Sytok runzelte erneut die Stirn. »Ich sehe mich außerstande, Ihnen noch mehr Zeit zu widmen. Meine Aufgaben …«

»Ich möchte zum Föderationsrat sprechen, Botschafter Sytok«, wiederholte Spock förmlich. »Sie haben nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, mir dazu Gelegenheit zu geben.«

Sytok schwieg einmal mehr, und Spock sah darin einen Beweis für die Richtigkeit seines Standpunkts.

»Darüber hinaus brauche ich die Hilfe eines Angehörigen Ihres Mitarbeiterstabs, um alle notwendigen Dokumente für das Protokoll der Ratstagung vorzubereiten«, fuhr Spock fort. »Hinzu kommt eine zivile Akkreditierung, sowohl für mich als auch für meine Begleiterin.«

Sytok nahm diese Worte zum Anlass, sich an Maritas Präsenz zu erinnern. Er sah sie an, und das kleine Kind in den Armen der jungen Frau erwiderte seinen Blick.

»Welchen dieser beiden Menschen meinen Sie?« Ein solcher Sarkasmus war ganz und gar nicht typisch für den Diplomaten. Spock interpretierte ihn als ein Anzeichen für den Ärger, der tief in Sytok brodelte.

»Botschafter … Bitte erlauben Sie mir, Ihnen Marita Llorente vorzustellen.«

Sytok hatte die junge Frau noch nie zuvor gesehen, aber ihren Namen kannte er. Erneut neigten sich die Mundwinkel kaum merklich nach unten.

»Das kann ich unmöglich zulassen, Spock. Diese Person leitet eine Organisation, die häufig versucht hat, Versammlungen des Föderationsrates zu stören und negativen Einfluss auf die legitime Arbeit der Abgeordneten zu nehmen. Ihre Begleiterin darf bei der Tagung des Rates nicht zugegen sein. Selbst mir fehlt die Befugnis, ihre Präsenz zu autorisieren.«

Marita musterte den Botschafter ruhig und nahm seine Ablehnung gelassen hin.

»Aber Sie sind befugt, mir eine entsprechende Erlaubnis zu erteilen«, sagte Spock. »Und es liegt allein bei mir, von wem ich mich begleiten lasse.«

Sytok zupfte am Kragen seines Umhangs, blickte an Spock und der Frau vorbei. Alexander gurgelte, und Marita schaukelte ihn sanft.

»Worüber wollen Sie zum Rat sprechen?«, erkundigte sich der Botschafter widerstrebend.

»Bei meinem geplanten Vortrag geht es um gewisse juristische Konsequenzen bezüglich der Ereignisse auf und in der Nähe von Talin IV. Meiner Ansicht nach existieren in diesem Zusammenhang Situationsaspekte, die von Starfleet und der Föderation nicht gründlich genug untersucht worden sind.«

»Allein Starfleet hat sich mit den Ereignissen von Talin befasst. Gerade Sie sollten das wissen. Die Föderation war nie an irgendwelchen ›Untersuchungen‹ beteiligt.«

Alexander gab einen Schrei von sich, den die beiden Vulkanier ignorierten. Marita schaukelte ihren Sohn erneut und flüsterte ihm beruhigende Worte zu.

»Genau aus diesem Grund möchte ich zum Rat sprechen, Botschafter«, sagte Spock. »Um darauf hinzuweisen, dass es noch andere rechtliche Faktoren zu berücksichtigen gilt – abgesehen von Starfleets Zuständigkeit in Bezug auf Offiziere, denen man vorwirft, die Erste Direktive verletzt zu haben.«

Sytok schüttelte den Kopf. »Solche rechtlichen Faktoren gibt es nicht.«

»Botschafter … Wenn Sie nichts von ihrer Existenz wissen, dann ist es noch wichtiger, dass ich vor den Ratsmitgliedern spreche, die über weitaus weniger juristische Fachkenntnisse verfügen.«

Sytok schien unruhig zu werden, als Marita hin und her schritt, dabei leise zu ihrem Kind sprach. »Würden Sie mir bitte erklären, woraus die von Ihnen erwähnten mysteriösen Faktoren bestehen?«

Spock griff unter seine Kutte und holte ein Bündel aus bedruckten Blättern hervor. »Ich halte es für besser, derzeit noch keine Auskunft über die Details zu geben. Wenn ich schon jetzt den Kern meines Anliegens preisgäbe, so müsste ich mir später vielleicht den Vorwurf gefallen lassen, die Zeit der Ratsdelegierten zu vergeuden – indem ich ihnen Dinge erläutere, von denen sie bereits gehört haben.«

»Auf diese Weise ginge alles schneller«, meinte Sytok.

»Aber Genauigkeit und Sorgfalt litten darunter«, wandte Spock ein. »Nun, diese Unterlagen sollten Ihren Assistenten die Aufgabe erleichtern, alle erforderlichen Dokumente vorzubereiten.«

Sytok nahm die Papiere entgegen, warf jedoch keinen Blick darauf. »Warum sollte ich zusätzliche Belastungen für meine Mitarbeiter schaffen, indem ich Ihren Antrag, in fünf Tagen vor dem Föderationsrat zu sprechen, Priorität verleihe?«

»Wenn Sie ihm keine Priorität verleihen, dauert es mindestens ein Standardjahr, bis ich vor dem Rat sprechen kann. Ich bin mir der üblichen Wartezeit durchaus bewusst.«

»Haben Sie die Tugend der Geduld vergessen, Spock? Darin bestand eine der wichtigsten Lektionen Ihres Vaters.«

»Was mich selbst und meine berufliche Zukunft betrifft, besteht kein Anlass zu Eile. ›Denn das Leben ist lang, und durch ruhige Kontemplation gibt es viel zu lernen‹«, zitierte Spock. »Wenn ich darauf hinweise, dass es keine Zeit zu verlieren gilt, so nehme ich damit die Interessen anderer Personen wahr.«

Sytok sah zu der Frau – sie hob das Kind und küsste es. Der Botschafter schloss die Augen und seufzte. »Für Menschen muss immer alles so schnell gehen …«

»Das menschliche Leben ist im Vergleich mit unserem sehr kurz«, erwiderte Spock. »Aber ich meine keine Terraner, sondern jene Bewohner von Talin IV, die bei der nuklearen Katastrophe nicht den Tod gefunden haben.«

Sytok hielt es für angebracht, in seinem Gesicht für einige Sekunden rituellen Kummer erscheinen zu lassen – ein Mensch hätte die mimische Veränderung überhaupt nicht bemerkt. »Ihnen kann nicht geholfen werden, Spock.«

»Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Bitte lesen Sie meine Notizen, Botschafter.«

Sytok blätterte in den Papieren. »Diese Thesen kennen wir bereits – sie werden auch von Llorentes Organisation vertreten. Es handelt sich um einen weiteren Versuch, radikale und schlecht durchdachte Konzepte mit dem Ziel zu verbreiten, die Erste Direktive außer Kraft zu setzen oder sie zu umgehen. Es soll der Föderation möglich sein, allen Welten Hilfe zu gewähren, auch jenen Planeten, zu denen noch kein Kontakt hergestellt wurde. Als einziges Kriterium dient der Umstand, dass sich die betreffenden Kulturen auf einem niedrigeren Entwicklungsstand befinden als eine durchschnittliche Zivilisation des interstellaren Völkerbundes. Eine derartige Politik hätte zweifellos Tragödien und Chaos zur Folge.«

Bei Sytoks letzten Worten kehrte Marita zu den beiden Vulkaniern zurück, und Zorn blitzte in ihren Augen. »Sie irren sich, Botschafter. Die Föderation hat mehr als genug Ressourcen, um sie mit anderen, weniger entwickelten Welten zu teilen. Die Erste Direktive ist ein in moralischer Hinsicht nicht zu rechtfertigender Versuch einiger mächtiger Regierungen, den Reichtum von tausend Planeten unter Kontrolle zu halten.«

Sytok wandte sich an Sareks Sohn. »Ich kann nicht genug Zeit erübrigen, um diese Angelegenheit mit einem Kind zu erörtern«, sagte er kühl. »Sie haben mehr Zeit als ich, und deshalb bitte ich Sie, Ihrer Begleiterin folgendes zu erklären: Die Erste Direktive ist ein Grundpfeiler der Föderation.«

»Marita Llorente hat recht«, sagte Spock.

Erneut zeichnete sich fast so etwas wie Verblüffung in Sytoks Zügen ab. »Was?«

»Man kann tatsächlich die Meinung vertreten, dass die Erste Direktive in moralischer Hinsicht bedenklich ist und nicht länger Gesetz sein sollte.«

Der Botschafter blinzelte zweimal. »Spock … Diese Bemerkung widerspricht den Prinzipien des Friedens und der Gleichheit, den wichtigsten Grundsätzen der Föderation. Sie geben damit die Ideale auf, die Vulkan veranlassten, sich mit anderen Welten zum interstellaren Völkerbund zusammenzuschließen. Eine derartige Einstellung leugnet die Geschichte und ist nicht … logisch.«

»Trotzdem hat sie etwas für sich.«

Sytok blickte dem Besucher tief in die Augen, und Spock bereitete sich auf eine psychische Abschirmung vor, falls sein Gegenüber eine plötzliche Mentalverschmelzung versuchen sollte. Der Botschafter schien geradezu erschüttert zu sein.

»Hassen Sie Starfleet so sehr, Spock? Sind Sie aufgrund Ihrer jüngsten Erfahrungen so verbittert, dass Sie sich an der Föderation rächen wollen?«

»Ich hasse weder Starfleet noch die Föderation. Es geht mir einzig und allein um Verbesserung.«

Sytok zerknüllte die Papiere. »Ich werde Ihnen nicht erlauben, dass Sie mit vagen, absurden Vorwürfen Ehre und Würde des Rats in Frage stellen.«

»Von ›vagen‹ und ›absurden‹ Vorwürfen kann nicht die Rede sein. Ich beabsichtige vielmehr, ganz konkrete Anklagen zu erheben, und zwar gegen jene Personen, die Talin zerstört haben – weil sie versuchten, die Erste Direktive zu achten.«

Sytoks Lippen zitterten. »Soll das vielleicht ein menschlicher Scherz sein? Wollen Sie sich selbst anklagen?«

Spock nickte. »Die Logik lässt mir keine andere Wahl.«

»Die Logik?«, erwiderter Botschafter fassungslos. »Sie wagen es, in diesem Zusammenhang von Logik zu sprechen? Wenn Sie Ihre Absicht verwirklichen, Spock … Dann weisen Sie alle Welten darauf hin, dass Sie Ihr vulkanisches Erbe aufgeben. Erinnern Sie sich an die Kontroverse, zu der es in der Heimat kam, als Sie Starfleet wählten? Die Ältesten haben davor gewarnt, dass Sie durch die Nähe zu Menschen Ihr vulkanisches Wesen verlieren könnten. Wenn Sie mit diesem Unsinn fortfahren, erbringen Sie den Beweis dafür, dass jene mahnenden Stimmen recht hatten.« Sytok hob die Papiere und bot sie dem jüngeren Vulkanier an. »Als Freund Ihres Vaters bitte ich Sie, noch einmal gründlich über Ihr Anliegen nachzudenken. Stellen Sie sich vor, was man über Sie sagen wird.«

Spock verbarg seine wahren Gedanken und Empfindungen. »Als ich eine berufliche Laufbahn bei Starfleet wählte, war es mir gleich, was die Leute dachten. Und das ist auch jetzt der Fall.« Er legte die Hände auf den Rücken und weigerte sich mit dieser Geste, die Unterlagen zurückzunehmen. »Botschafter Sytok, sind Sie bereit, meine Referenzen vorzubereiten, damit ich als Bürger Vulkans und der Föderation mein Recht wahrnehmen kann, zum Rat zu sprechen?«

Aus den Augenwinkeln bemerkte Spock Maritas triumphierendes Lächeln. Ihre offene Emotionalität half Sytok, sich wieder zu fassen.

»Ja, Spock«, sagte der Diplomat monoton. In seiner Stimme erklang jetzt nicht einmal mehr ein Hauch von Zorn. »Ich sorge dafür, dass man Ihre Referenzen vorbereitet, damit Sie in fünf Tagen Gelegenheit haben, zum Föderationsrat zu sprechen. Aber ich gebe dabei folgendes zu bedenken: Wenn Marita Llorentes Name in den Formularen erscheint, entscheidet der Rat vielleicht, die Sitzung zu vertagen – um Ihre Begleiterin daran zu hindern, störenden Einfluss zu entfalten.«

Perfekt, dachte Spock. Der Plan hatte funktioniert. Sytok ließ sich von seinen eigenen Emotionen ablenken und merkte gar nicht, dass er manipuliert wurde.

»Botschafter … Darf ich vorschlagen, dass Ihre Assistenten die betreffenden Formulare ausfüllen, ohne Miss Llorentes Namen zu erwähnen? Soweit ich weiß, haben Sie die Möglichkeit, Blanko-Referenzen für mich und andere, ›später zu benennende‹ Personen herauszugeben.«

»Ja«, sagte Sytok. »Dazu bin ich ermächtigt, weil nie ein Vulkanier das System missbraucht hat. Allem Anschein nach wollen Sie diese Tradition beenden.«

»Bitte glauben Sie mir, Botschafter: Mir liegt nichts an irgendeinem Missbrauch des Systems.«

Sytok ließ die Papiere rascheln. »Und doch geben Sie mir das hier.«

Spock trat zurück und hob die Hand zum vulkanischen Gruß. »Glück und langes Leben, Botschafter. In vier Tagen komme ich noch einmal hierher, um die Referenzen abzuholen.«

Sytok erwiderte den Gruß nicht. »Ich warne Sie, Spock: Wenn Sie nach der Katastrophe von Talin IV eine Sitzung des Föderationsrates stören, so erklärt man Sie vielleicht zur unerwünschten Person und lässt Sie deportieren.«

Spock zuckte mit den Schulter. »Dann habe ich wenigstens vor dem richtigen Forum gesprochen.« Er wandte sich zum Gehen.

»Und wenn es selbst auf Vulkan keinen Platz mehr für Sie gibt?«, fragte Sytok.

Wieder hob und senkte Spock die Schultern, als sei es ihm völlig gleichgültig.

Und daraufhin schöpfte der Botschafter Verdacht. Spock wusste es sofort: Sytok ahnte plötzlich, dass er getäuscht worden war.

Nachdenklich blickte der Diplomat auf die Papiere. »So etwas sieht Ihnen gar nicht ähnlich, Spock. Eine derartige Verhaltensweise entspricht nicht dem Sohn Sareks.« Er sah auf. »Sie haben etwas anderes geplant …«

Spock begriff, dass er sofort etwas unternehmen musste – es ging darum, den Botschafter noch einmal abzulenken. Er streckte der Terranerin die Hand entgegen: Zeige- und Mittelfinger nach vorn geneigt, die anderen gekrümmt.

»Marita …«, sagte er.

Die junge Frau lächelte verführerisch und streckte ihrerseits die Hand, berührte Spocks Finger in einer Geste, deren terranisches Äquivalent eine liebevolle Umarmung war.

Spock hörte, wie die Papiere in Sytoks Faust knisterten, als er sie noch mehr zerknüllte. Eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Empörung verschlug ihm die Sprache – Spocks Taktik hatte funktioniert.

An Maritas Seite schritt Sareks Sohn zum Ausgang der Wartekammer. Die beiden Hälften des großen Portals schwangen lautlos auf.

»Spock!« Die Stimme des Botschafters hallte durch den Raum.

Der Besucher blieb stehen und sah über die Schulter hinweg zum Repräsentanten Vulkans.

Sytok schüttelte den Kopf. »Was würde Ihr Vater dazu sagen?«

Spock wölbte eine Braue. »Vermutlich würde er mir viel Glück wünschen.«