Ehre im Tod
Von Josh Vogt
Corvis, 608 n.R.
Belgur grinste, so dass seine angeschlagenen Hauer deutlicher zu sehen waren, als er die verhüllte Gestalt erblickte, die die Straße entlang in Richtung des Friedhofs marschierte. Ein beständiger nächtlicher Regen fiel auf die umliegenden Grüfte herab, auf das Labyrinth aus Grabsteinen, Marmortürmen und Krypten. Belgur vermutete, dass diese in Katakomben führten, die weitaus tiefer waren, als es sich die meisten Leute vorstellen könnten. Eisiges Wasser sickerte durch seine Plattenrüstung und das Kettenhemd, doch er ignorierte die Kälte.
Der verhüllte Mann ging an den eingestürzten Teilen der Friedhofsmauer vorbei, durch die er ohne Probleme hindurch gekommen wäre. Stattdessen ging er durch das schmiedeeiserne Tor hinein, mit dem Auftreten eines Fürsten, der auf seinen Landsitz zurückkehrte. Der Saum seiner Robe aus Zobel schleifte durch die schlammigen Pfützen, in denen der Hof versank, doch er ignorierte die elenden Umstände genau wie Belgur es tat.
Er ging an den maroden Grüften vorbei, bis er keine fünf Schritt von dem Grab entfernt stand, das Belgur bewachte. Als der Mann stehen blieb, verlieh ein grünlich-blaues Licht den Schatten einen schärferen Umriss. Belgur brauchte nicht hinter sich schauen, um zu wissen, dass die Schutzzeichen des Grabsteins jetzt vor Energie schimmerten. Sie waren darauf ausgelegt, jegliche böse Magie abzuwehren, die auf sie geschleudert würde.
Belgur stand sicher innerhalb der Grenzen der Schutzzeichen und studierte seinen Gegner, um zu neuen Einsichten zu gelangen. Der Mann bewegte sich mit königlicher Anmut, sein Gesicht unter seiner wehenden Kapuze verborgen. Eine silberne dreizackige Sichel an einer Kette um seinen Hals kennzeichnete ihn als Thamariten, als Diener der dunklen Gottheit – ein weiterer Todesanbeter, der sich in Corvis herumtrieb. Belgur wusste, dass sein Feind das Zeichen offen zur Schau trug, um seine Macht zu beweisen und ihn zu verspotten.
Die beiden starrten einander für einen Augenblick an. Schließlich entwich der Kapuze ein kehliges Seufzen. Die Stimme des Mannes war abgehackt, seine Worte scharf wie eine Rasierklinge.
»Wie oft müssen wir das tun, Ogrun?«
»Mein Vertrag läuft in zwei Wochen aus«, sagte Belgur. »Wenn der Mond wieder voll ist. Bis dahin wirst du meinen Meister nicht stören.«
Ein Schniefen. »Dein Meister ist tot, du Narr. Er verfault unter der Erde nicht einmal drei Schritte von wo du stehst. Welches Abkommen du auch mit ihm getroffen hast, es ist nicht mehr gültig.«
»Du sprichst voller Unwissenheit.« Belgur schlug mit der Faust auf seinen Brustharnisch, wo er den Vertrag verstaut hatte, um ihn sicher aufzubewahren. Er hatte ihn sich natürlich vor langer Zeit eingeprägt. »Ich diene Fürst Dorun Munthulos für genau zwölf Monate, mit der Option, den Vertrag für zusätzliche Bezahlung um weitere sechs Monate zu verlängern. Während dieser Zeit sind all meine Gedanken, Stärken und Fertigkeiten nur dem Bemühen verschrieben, ihn und seinen Besitz zu schützen und seine Bestrebungen und sein Ansehen zu fördern. Keine Klausel spricht davon, dass der Vertrag erlischt, wenn er sein Leben aushaucht.«
»Eine reine Formsache. Ein Versehen.«
Belgur zuckte mit einer seiner Schultern, die groß wie Felsbrocken waren. »Das sind die Bedingungen, denen ich zugestimmt habe.«
»Du hättest bessere aushandeln sollen.«
»Mag sein. Bei meinem nächsten Kunden werde ich weiser sein.«
»Gewiss ist der Vertrag nicht über den Tod hinaus gültig. Welchen Sinn soll das haben?«
Balgur schlug mit der Klinge seiner Stangenwaffe gegen den dornenbewehrten Schild. »Ich bin ein Bokur. Das verstehst du nicht.«
»Erleuchte mich.«
»Ich bin der Ehre verschrieben. Ich kämpfe, damit nicht nur mein Meister, sondern auch meine Verwandten mich als würdig erachten. Eines Tages werde ich in meine Heimat zurückkehren und mich einem Korune verschreiben – dieser wird mich für den Rest meines Lebens führen und meinen Lebenszweck bestimmen.« Belgur warf einen Blick zurück auf das Grab seines Kunden. »Und mein Korune wird wissen, dass ich bis zu seinem Tod und darüber hinaus treu ergeben bin, so wie ich es jetzt bin.«
»Du musst bessere Herren auswählen. »Einem Morrowaner wie Munthulos zu dienen ist armselig.«
»Er verdient es, in Frieden neben seinen Ahnen zu ruhen«, sagte Belgur. »Er hat die Leben vieler Thamariten gefordert, ehe er getötet wurde.«
Der Nekromant kam näher, doch wich er zurück, als die Schutzzeichen aufleuchteten. Belgur unterdrückte ein Lächeln. Er bezweifelte, dass sie den Thamariten wirklich verletzen würden – ihr Ziel war es, böse Magie abzuwehren, nicht jene, die sie nutzten. Die Kapuze des Nekromanten bewegte sich, was ein höhnisches Grinsen vermuten ließ. »Und so werde ich seinen Dienst im Tode beanspruchen.«
Der Ogrun schwenkte seine Stangenwaffe herum, um auf das Herz des Nekromanten zu zielen. »Das wirst du nicht.«
»Ich würde dir das Doppelte anbieten, um deine Dienste zu kaufen, aber ich fürchte, deine Ehre macht dich zu blind, um es auch nur zu erwägen.«
»Endlich beginnt die Fäulnisratte, es zu begreifen.«
Noch ein Schniefen. »Welch Verschwendung, aber keine vollständige. Ich werde dich an der Seite deines ehemaligen Meisters zu einem meiner Knechte machen. Ihr beide werdet mir bis in alle Ewigkeit dienen.«
Belgur hustete einen Schleimklumpen herauf und spie ihn dem Mann vor die Füße. »Dein Schwadronieren langweilt mich. Bring deine Diener hervor oder verschwinde.«
Der Nekromant breitete die Arme aus und der Friedhof geriet in Bewegung. Ein halbes Dutzend wandelnder Toter schlurfte aus ihren Verstecken hinter Grabsteinen und Misthaufen hervor. Die untoten Diener des Thamariten schienen vor allem aus Menschen aller Kulturen und Klans zu bestehen. Sie taumelten vorwärts und bildeten einen enger werdenden Kreis um Belgur. Schlaffe Gesichter und trübe Augen schauten ihn von allen Seiten an. Verfaulte Haut, Organe und Knochen waren durch ihre Lumpen sichtbar. Arkane Sigillen waren in ihr Fleisch geschnitten worden, als Foki für die verderbte Macht des Thamariten, die sie antrieb.
Einige der frischeren Leichen trugen glänzende Schwerter und Streitkolben. Sie hatten das grimmige Aussehen von Karawanenwächtern. Belgur fragte sich, ob der Nekromant vor kurzem einer solchen aufgelauert hatte, um seine kleine Armee zu vergrößern. Er grinste erneut und nahm Kampfhaltung ein. Gut. Eine würdigere Herausforderung.
Mit einem gemeinsamen Stöhnen griffen die wandelnden Leichname an. Belgur schaute sich um und suchte das schwächste Glied in ihrer Reihe. In der vergangenen Nacht hatte der Nekromant ihn geprüft, indem er ein oder zwei wandelnde Tote auf einmal geschickt hatte, doch Belgur hatte sie ohne Schwierigkeiten bezwungen.
Er stellte sich mit dem Rücken zu einem riesigen Grabstein und wurde zu einem Bollwerk der Gewalt, als er um sich hieb und hackte. Er schlug einen wandelnden Toten mit dem Schild und schnitt einen zweiten mit seiner Waffe entzwei. Einen dritten spießte er auf die Dornen seines Schilds auf und schleuderte dann den Körper von sich, was einen vierten zu Fall brachte. Während sich die wandelnden Toten erholten, schritt er in ihre Mitte, wehrte Hiebe mit seinem Schild ab und schob seine Gegner vor sich her wie Kiesel vor einem Steinschlag.
Der Boden bebte und Belgur drehte sich herum, gerade als ihn ein gewaltiger Leib rammte. Er taumelte und rang um sein Gleichgewicht. In diesem Augenblick schoss eine scharfe Klinge an seinem Schild vorbei und grub sich in seinen Arm.
Belgur brüllte, doch drängte er den Schmerz beiseite, während er sich von dem Angriff erholte. Sein Arm pulsierte vor Schmerz, doch hielt er den Schild hoch genug, um einen zweiten hämmernden Schlag abzuwehren. Als er einen klaren Blick auf seinen neuen Angreifer erhaschte, verwandelte sich sein Blut in eisigen Brei.
Ein weiterer Ogrun stand vor ihm. Er war tot, mit grauem Fleisch, klaffenden Augenhöhlen und einem fehlenden Hauer. Der Ogrun-Knecht trug eine mit Schleim bedeckte Rüstung und hielt eine abgenutzte Stangenwaffe, die mit Rost und Belgurs Blut besudelt war.
Belgur brüllte erneut, dieses Mal in rachsüchtigem Zorn. Das Gelächter des Nekromanten stach ihm in die Ohren.
»Ich gebiete über ihr Können«, rief er.
Der tote Ogrun hackte nach Belgur und er wehrte die geistlosen Hiebe mit seinen eigenen wilden Schlägen ab. Während er kämpfte, um sie niederzustrecken, schwärmten die verbleibenden wandelnden Toten zusammen und zwangen ihn, seine Angriffe auf sie aufzuteilen. Sie rückten vor, ohne sich zu verteidigen, und nahmen Schläge hin, die lebende Kreaturen zu Fall gebracht hätten.
»Ich gebiete über ihre Stärke.«
Die wandelnden Toten sprangen auf ihn zu. Belgur schlug einen zur Seite, aber zwei weitere nahmen seinen Platz ein. Kalte Hände umklammerten seine Schulterplatten, seinen Schild, den Schaft seiner Stangenwaffe. Ihr vereintes Gewicht begann ihn in den Schlamm zu ziehen.
»Ich gebiete über ihre Seelen.«
Belgur zitterte. Seine Knie begannen unter ihm wegzusacken. Der untote Ogrun stand vor ihm, die Waffe zu einem tödlichen Hieb erhoben. Die Worte des Nekromanten waren ein grausames Flüstern.
» So wie ich über die deine gebieten werde. «
»Niemals!«
Die Grabsteine erbebten bei Belgurs trotzigem Schrei. Er bäumte sich auf, schüttelte die wandelnden Toten ab und wich gerade so dem Stich des Knechts in sein Gesicht aus. Er wirbelte herum und ließ seine Stangenwaffe mit aller Kraft herumsausen. Die Klinge schnitt durch den Hals des untoten Ogruns. Verrostete Rüstung barst, als der Kopf davonflog.
Begur zertrat den Schädel eines wandelnden Toten und drehte sich auf der Stelle, auf der Suche nach ihrem verderbten Meister. Er sah den Nekromanten, wie er im Schatten eines Monuments aus Marmor kauerte.
Ein letzter wandelnder Toter verstellte ihm den Weg zu ihm, doch der Bokur stürmte vor. Er rammte die Kreatur zu Boden und zermalmte sie unter seinen Füßen, während er weiter nach vorne brach.
Der Nekromant warf sich im letzten Augenblick zurück. Belgurs Klinge traf funkenstiebend auf den Stein. Er sprang zurück und deutete mit der Stangenwaffe auf den angeschlagenen Thamariten.
»Verweigere mir meine Ehre. Ich fordere dich heraus, es zu versuchen.«
Der Nekromant zögerte. Eine Hand zuckte zu einem Dolch an seiner Hüfte. Dann drehte er sich in einem Wirbel aus schwarzen Roben um und stürmte in die regnerische Nacht. Das Platschen seiner sich entfernenden Schritte verklang Augenblicke später und der Friedhof versank wieder in seiner vorherigen Ruhe – auch wenn es einige zusätzliche Leichen gab.
Belgur hinkte schwer atmend zum Grabstein seines Kunden zurück. Er verneigte sich vor dem Grabstein.
»Fürchtet Euch nicht. Ihr seid sicher, Meister.«
Zumindest für eine weitere Nacht. Der Nekromant würde zurückkehren und es verblieb nur noch eine Woche bis zum Vollmond und dem Ende von Belgurs Dienst. Er ließ sich nieder und untersuchte die Wunde, die die Klinge des Ogrun-Knechts ihm zugefügt hatte. Er grunzte zufrieden. Sie würde eine hervorragende Narbe abgeben.