Aufzeichnung der Tapferkeit

Von Orrin Grey

Die Fennmarschen, 607 n.R.

»Jonhots Säule muss mindestens ein Dutzend dieser knochigen Torkler zerschmettert und den Bokor, der sie befehligt hat, verwundet haben.« Der Sprecher war Ganthak, ein stämmiger Trollsiplling, dessen Kinn von einem Bart aus steinigen Wülsten bedeckt war. »Ich habe niemals zuvor in all meinen Jahren einen stärkeren Säulenwerfer gesehen.«

»Er ist in der Tat stark und tapfer. Es ist möglich, dass er eines Tages selbst ein Krielsteinwerfer sein wird«, sagte Balasar. »Aber wollen wir nur Stärke in der Schlacht abbilden?«

Balasar war ein Trollsippling, der deutlich jünger war als Ganthak, doch betrachteten ihn alle Anwesenden als weiser, als es seine Jahre erlauben sollten. Seine Augen waren von einem seltsam klaren Blau und sein Blick hatte eine Art, tief in jeden hineinzublicken, auf den er fiel. »Als dieser tentakelbewehrte Schrecken zornig wurde und die Mauern des Dorfs bedrohte, sahen wir alle, wie Kolor den Rest seiner Fennklingen verließ und sich zwischen das Ungeheuer und unsere Sippe stellte, bis Verstärkungen eintrafen. Man sagte mir, er sei an seinen Wunden gestorben, doch verlangte er dem Geschöpf einen hohen Preis für sein Leben ab. Die Mauern wurden nicht durchbrochen. Ein solches Opfer verdient es sicherlich nicht weniger, aufgezeichnet zu werden, als Jonhots Stärke.«

Die versammelten Trollsipplinge nickten zu Balasars Worten. Die Schlacht war vorüber und die Toten und Verwundeten waren aus dem Morast gezogen worden, der die Dorfmauern umgab. Die Nacht brach herein. Fackeln brannten in großen Haltern überall im Dorf und Wächter standen auf den Mauern und spähten in die Dunkelheit, während die Überlebenden alle Hände voll damit zu tun hatten, die Arbeit zu verrichten, die nach einem Krieg unvermeidlich war. Viele Krieger der Trollsippe saßen immer noch an den Festmahltischen und stopften sich voll, damit ihre Wunden schneller heilen würden. Junge Trollsipplinge und Pygs rannten umher, brachten den Kriegern Teller voller Essen und trugen die Teller davon, die bereits geleert worden waren.

In den abgerundeten Hütten, die den Dorfplatz säumten, arbeiteten Handwerker daran, beschädigte Waffen zu reparieren, Kerben aus Klingen zu schleifen und zerbrochene Stiele zu ersetzen. Die vier Schreiber standen um den Krielstein, der im Windschatten der Kuar-Plattform des Dorfs stand, auf der Gargosch, ein Träger, ihn abgestellt hatte. Gargosh selbst hatte sich zur Ruhe gelegt, nachdem er sich dem Festmahl der anderen Krieger angeschlossen hatte. Er war der stärkste Trollsippling, den alle versammelten Schreiber jemals gekannt hatten. Er war dazu imstande, mit bloßen Händen ein Bison zu Boden zu ringen. Er war der einzige Trollsippling im Dorf, der den schweren Krielstein in die Schlacht tragen konnte.

Die Schreiber hatten zu Beginn des Festmahls gegessen, um die leichten Wunden zu heilen, die sie in der Schlacht erlitten hatten. Während die anderen Krieger sich ausruhten und erholten, um sich auf die nächste Schlacht vorzubereiten, hatten die Schreiber die Ehre, die Heldentaten der heutigen Auseinandersetzung aufzuzeichnen, so dass zukünftige Generationen von Trollsipplingen vom Heldenmut und den Opfern jener erfahren könnten, die an diesem Tage gekämpft hatten.

Mit dieser Ehre allerdings kam die Pflicht, zu entscheiden, welche der Taten auf den Steinen verzeichnet werden sollten. Krielsteine waren selten und kostbar und der Platz auf ihrer runenbedeckten Oberfläche war sowohl Dhunia als auch den Kriels heilig – er konnte nicht gedankenlos vergeudet werden. Die Schreiber nahmen ihre Pflicht ernst und es war ihr Brauch geworden, sich um die heiligen Steine zu versammeln und zu besprechen, welche Heldentaten auf seiner Oberfläche verewigt werden würden.

»Balasar hat Recht. Opferbereitschaft ist ebenso wichtig wie Stärke, aber es sind nicht nur die Kämpfe, an die wir uns erinnern sollten.« Die Sprecherin war Jata, die einzige Frau in ihrer Gruppe. Ihre Haut war bleicher als die der Anderen, so dass sie im sterbenden Licht wie eine Albinohexe aussah. »Es gab einen Moment, in dem der Schwarzschuppen Kurn mit den Kiefern packte und ihn in den Sumpf zerrte. Ich weiß, ihr erinnert euch alle gut. Blut und schlammiges Wasser flogen in alle Richtungen und als der Alligator zurück nach oben kam, mit Blut, das von seinem Kiefer tropfte und den hasserfüllten Augen, da haben wir alle, so glaube ich, Zweifel verspürt. Auch wenn es keine Feiglinge in unserer Sippe gibt, so fühlten wir uns doch in diesem Augenblick alle in der Unterzahl, hatten das Gefühl, einen aussichtslosen Kampf zu kämpfen. Wenn der mächtigste unserer Trollbrüder nicht überleben konnte, welche Hoffnung hatten dann wir? In den Augen dieses Schwarzschuppens sahen wir alle unser Verderben.«

Eine nahe Fackel fauchte und knisterte. Für einen Augenblick verlieh das Licht Jatas Gesicht einen scharfen Kontrast mit ihrer Kapuze. Ihre Augen leuchteten. »Dann hörten wir es alle: Tassars Ruf, der über das Schlachtfeld dröhnte und uns daran erinnerte, wer wir sind, uns an das Blut erinnerte, das durch unsere Adern fließt. Wir packten unsere Waffen fester und erinnerten uns alle daran, dass wir Kinder Dhunias sind und dass nichts im Leben uns jemals leicht zugefallen ist. Wir erinnerten uns an die Opfer unserer Ahnen und wir wussten alle, dass wir an diesem Tag die Stellung halten und bis zum Ende kämpfen würden – sei es unser Ende oder das des Feindes.«

Wieder nickten die anderen Schreiber, als sie sich alle an den Augenblick erinnerten, den Jata beschrieb. Es war die Pflicht der Steinschreiber, die Geschichte der Trollsippen für spätere Generationen aufzuzeichnen. Doch Todesrufer wie Tassar erinnerten sie an den Ruhm ihres Volkes in der Hitze des Gefechts, in den Augenblicken, in denen es nötig war. Die Trollsippen waren tapfer und stolz, doch ihre Lage war nach wie vor verzweifelt. Viele waren vertrieben worden, aus ihrer Heimat in die Wildnis gedrängt von den immer näher rückenden menschlichen Armeen, und wurden sogar an den trostlosen Orten, an die sie sich zurückgezogen haben, von Alligatormenschen und anderen Schrecken bedroht. Es war leicht, an einem solchen Ort die Hoffnung zu verlieren. Eine Erinnerung an den Stolz und die Belastbarkeit ihres Volks war immer willkommen.

»Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Tassars Rolle in der Schlacht groß war«, sagte der verbleibende Schreiber. Sein Name war Masdun, ein Trollsippling, der sogar noch älter war als Ganthak. Seine Haut war so grau wie brüchiger Stein. »Und sein Beitrag endete auch nicht mit seinem inspirierenden Ruf. Ich sah mindestens drei Alligatormenschen durch seine Klingen sterben. Meine Empfehlung ist aber eine andere. Keine Heldentat in der Schlacht, sondern etwas, das ebenso sehr unsere Erwägung verdient.

Als die Alligatormenschen angriffen, beschützten Brolas und Holdar die Bisons, während der Rest von uns kämpfte. Sie brachten sie in Sicherheit, so dass die Bisonreiter später in der Schlacht Reittiere haben würden. Bevor das Gefecht auch nur begonnen hatte, hatten Trumbrog und die anderen Häuter bereits das Fleisch gesammelt, an dem wir uns labten, um unsere Wunden zu heilen. Die besten unserer Waffenschmiede schmiedeten die Klingen, die wir in der Schlacht geführt haben, unsere Kundschafter entdeckten den Feind und Bendek und seine Pygs haben das Pulver gefunden, das wir in unseren Gewehren verwendet haben. Jene, die abseits des Schlachtfelds dienen, erhalten nur wenige Gelegenheiten für Ehre und Tapferkeit, doch während wir kämpfen, um die Leben und Sicherheit unseres Dorfes zu bewahren, da bewahren sie unsere Hoffnung. Ohne Hoffnung haben wir nichts, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich denke, dies ist ebenso wichtig und ebenso würdig, aufgezeichnet zu werden, wie jede große Heldentat in der Schlacht.«

Als Masdun seine Rede beendete, beugte sogar Ganthak das Haupt vor der Weisheit seiner Worte. Nach einem Augenblick der Stille streckte Balasar die Hand aus legte die Handfläche gegen die Oberfläche des Krielsteins. Die anderen zögerten für einen Moment und taten es ihm gleich. Unter ihren Händen fühlte sich der Krielstein warm und fest an, beruhigend, stark.

»Unsere Zeiten verändern sich«, sagte Balasar. Seine Worte waren gemessen und langsam, als würde er über jedes einzelne Wort gründlich nachdenken, ehe er sprach. »Unser Volk muss sich mit ihnen verändern. Es gab eine Zeit, in der die Tapferkeit unserer Sippe in den Schlägen von Hämmern und Äxten gemessen werden, als die größten Krieger unseres Volks auch unsere größten Helden waren. Es wandern noch immer große Helden unter uns, doch heute muss jeder Trollsippling tapfer sein. Wir alle müssen Opfer bringen, damit wir Hoffnung haben können. Wenn wir dieses Zeitalter überleben wollen, dann nur als ein Volk, als vereinigtes Volk. Wir täten gut daran, uns das zu merken. Meine Stimme gebe ich dafür, dass Masduns Geschichte ihren Platz auf diesem Stein finden wird.«

Die Schreiber standen im Licht, die Handflächen fest gegen den heiligen Stein gedrückt, und ein jeder von ihnen nickte.