Er hat mich von Anfang an nur benutzt.
Die Erkenntnis frisst sich in meinen Verstand wie eine Krankheit. Auf meinem Weg durch das Labyrinth aus Gängen in Elcatar
fühle und höre ich nichts. Ich kann nur daran denken, was gerade zwischen Ferenian und mir passiert ist. Wie sehr er mein erstes Mal zerstört hat mit einem einzigen Satz: »Geh jetzt.« Und dazu der Ausdruck in seinen Augen.
Es ist ein großer Fehler gewesen.
Das ist mir klar. Das habe ich schon vorher gewusst. Dennoch ist das Gefühl missbraucht zu werden eines der schlimmsten, was ich jemals erlebt habe. Wenn nicht sogar das Schlimmste.
Und doch kann ich nicht aufhören mir zu wünschen, dass es nicht bei diesem einen Mal bleibt.
Bin ich verrückt?
Definitiv.
Aber auch diese Erkenntnis hilft mir nicht weiter. Das Einzige, was ich mir wünsche, ist, dass Ferenian mir nachläuft, mich zurückholt, zu sich ins Zimmer schleift und wir es nochmal tun und dann zusammen einschlafen. Dass er endlich damit aufhört, diesen harten, arroganten Typen zu spielen und zugibt, dass er mich mag, dass etwas zwischen uns ist. Trotz meiner Enttäuschung und diesem widerlichen Gefühl des Verrats, das sich in meiner Brust staut, weiß ich, dass es so ist. Zwischen Ferenian und mir gibt es eine Verbindung, die so stark ist, dass weder er noch ich sie begreifen.
Warum läuft er mir nicht nach, verdammt?
Ich sehe mich immer wieder um; warte darauf, ihn hinter mir auftauchen zu sehen, und bin jedes Mal enttäuscht darüber, dass es nicht so ist.
Ich irre ziellos umher, sehe mich immer wieder um und kriege schon fast eine Nackenstarre, als ich plötzlich Schritte höre. Sehr schnelle Schritte.
Ist er das?
Ich spüre, wie ich instinktiv langsamer werde. Mein Herzschlag beschleunigt ungesund, ich zwinge mich, nach vorne zu sehen. Er soll nicht wissen, dass ich nach ihm Ausschau halte. Diesen Triumph gönne ich ihm nicht.
Die Schritte kommen rasch näher. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich erschrecke innerlich, als ich höre, dass es mehr als zwei Beinpaare sind.
Noch bevor ich begreifen kann, dass mich eine ganze Horde verfolgt, haben sie mich auch schon gefasst.
Dutzende Hirschkäfer drängeln sich in dem schmalen Gang zwischen Irgendwo und Nirgendwo. Sie tauchen vor mir auf, bedrängen mich von hinten und kreisen mich mit wildem Geklacker und Geschubse ein.
Ich fühle mich so erschöpft von allem, dass ich mich nicht einmal wehre, als sie mich hochnehmen und in ein abgelegenes Zimmer transportieren und hinter mir die Tür verschließen.
Alles geht so verdammt schnell, dass ich nicht richtig hinterherkomme.
Wo bin ich denn jetzt schon wieder gelandet?
Ich sitze alleine in einem kleinen Zimmer. Sieht eigentlich eher aus wie eine Rumpelkammer. Es gibt eine schmale Liege, ein Loch in der Rinde, durch das ich hinaussehen kann, und einen Pilzstammhocker. Mehr nicht.
Es ist ein Schlafzimmer. Oder ein Gefängnis.
Als ich am Türknauf rüttle, stelle ich fest, dass ich eingeschlossen bin.
»Das war so klar ...« Seufzend lehne ich mich an die Tür, lasse den Kopf in den Nacken fallen, stoße mehrfach gegen das harte Holz. Ein Lachen entweicht meiner Kehle, weil es echt erstaunlich ist, wie dämlich ich bin. Es hat mal eine Zeit gegeben, in der ich mich ernsthaft für klug gehalten habe. Wahrscheinlich hat Ferenian wirklich recht damit, dass wir Menschen dumm sind. Auf mich trifft diese Aussage definitiv zu.
Dumm ist gar kein Ausdruck ...
Leichtgläubig, naiv, strunzdoof, einfach blöd.
Ich fühle mich furchtbar. Ich verabscheue mich dafür, dass ich mir gewünscht habe, mit Ferenian Sex zu haben. Habe ich wirklich geglaubt, dass das irgendwas ändern würde? Ich habe doch mitbekommen, dass er mich nur benutzt. Ich habe gehört, wie er über mich gesprochen hat. Außerdem ist er mit Silyan verlobt und wird in nicht mal einem Monat verheiratet sein.
Wieso also sollte er mich wählen?
»Ich bin so ein jämmerliches Weichei!« Ich trete den Hocker beiseite und schlage gegen die Wand. Der Schmerz nach
dem Aufprall durchzuckt meinen Arm, lässt ihn taub zurück.
Gefühle machen nur Probleme. Das ist ja nichts Neues, aber in diesem Fall ist es eine Katastrophe.
Wie habe ich mich in ihn verknallen können? Wann? Und vor allem wieso?
Hat er mich nicht von Anfang an scheiße behandelt? Mich missachtet, gefangen genommen, nur schlecht von mir gesprochen? Hat er nicht ständig versucht, alle anderen davon zu überzeugen, dass sie mich verbannen sollen, anstatt mir zu helfen? Ferenian hasst alle Menschen, weil ein paar von ihnen ihm sein Zuhause genommen haben. Natürlich hasst er dann auch mich. Wieso also sollte ich mir Hoffnungen machen, dass das zwischen uns irgendetwas ändern könnte?
Vergiss ihn, Lou, konzentrier dich darauf, dass du bald wieder zuhause bist.
Ich schließe die Augen und stelle mir den Heimflug vor, den Moment, in dem ich in Berlin aus dem Zug steige und von meinen Freunden umgerannt und vollgelabert werde. Irgendwie ist das Bild verzerrt. Ich kann mich nicht mehr richtig an sie erinnern. Ich bin mir nicht mal sicher, welche Haarfarbe Pfötchen zuletzt gehabt hat. Und Schnorri? Ist er nicht eigentlich meine große Liebe? Wie habe ich ihn in den zwei Monaten hier im Feenreich komplett vergessen können?
Ich raufe mir die Haare und laufe auf und ab. Es ist schon dunkel draußen. Durch das kleine Loch in der Rinde kann ich die vielen Äste und Blätter sehen, die sich sanft im Wind bewegen. Der Himmel ist sternenverhangen und traumhaft dunkelblau. Ich seufze und setze mich auf das Bett.
Das einzige Bild, was klar und deutlich in meinen Gedanken hängt, ist der heiße Sex mit Ferenian und diese seltsame magische Verbindung zwischen uns. Ich starre auf meine
Hände. Sie sehen eigentlich ganz normal aus, nicht besonders feeisch oder so. Keinen Schimmer, wie ich es schaffe, daraus irgendeine Energie oder Lichter zu zaubern. Ich weiß nur, dass es so ist.
Wenn es wirklich magische Kräfte sind, woher habe ich die? Als Mensch habe ich sowas nie gekonnt. Oder doch?
»Nö, ich kann nicht mal jetzt zaubern.« Selbst der Versuch, irgendwas aus meinen Fingern schießen zu lassen schlägt fehl. Ich fühle mich ganz normal. Mal davon abgesehen, dass mein Körper noch immer völlig durch ist, von Ferenians ...
Nein. Nicht darüber nachdenken!
Nach dieser heißen Nacht sitze ich nun in einem anderen Gefängnis und habe keinen Schimmer, wie ich ihm jemals wieder gegenübertreten soll. Es ist mir echt peinlich, wie ich mich ihm angebiedert habe. Und jetzt hat er mich so richtig abserviert. Das war`s dann wohl.
Ich lasse mich aufs Bett fallen, starre an die hölzerne Decke und merke, dass mein Körper müde ist. Ist mir recht. Schlafen ist mir lieber als wach zu sein im Moment. Langsam gleite ich in einen traumlosen Schlaf, während ich Ferenian deutlich vor mir sehe, wie er sich über mich beugt, wie er leuchtet und dann nichts als schwarze Leere.
Die nächsten zwei Wochen funktioniere ich wie eine Maschine. Ich stehe auf, esse was zum Frühstück, gehe zur Arbeit auf dem Feld, komme wieder zurück, esse zu Abend und gehe schlafen. Mein Leben in der Feenwelt ist so monoton geworden, dass es anfängt, mich zu langweilen. Es ist nichts
Besonderes mehr. Nicht aufregend, nicht neu und vor allem nicht schön.
Corelio ist der einzige Lichtblick des Tages, doch auch er beginnt mich zu nerven. Er wird aufdringlich, versucht, mich immer wieder zufällig zu berühren, und starrt mich ständig mit diesem sehnsuchtsvollen Blick an, dass ich ihm am Liebsten eine reinhauen würde. Vorbei sind die Tage, in denen ich Spaß an der Arbeit gehabt habe. Ich muss ihn auf Distanz halten. Die Arbeit geht weiter, doch meine Lust, kunstvolle Muster in Pilzstämme zu ritzen ist verflogen. Ich mache es nur, um überhaupt irgendetwas zu tun. Ich begleite Corelio immer seltener auf seine Touren durch die Arbeitslager und habe aufgehört, mich über die Hierarchie in der Feengesellschaft aufzuregen.
Am Abend werde ich wie immer von Ralac zurück ins Schloss geflogen, danach sofort in mein Zimmer gebracht, bekomme Essen hingestellt und werde nur ab und an zum Baden eskortiert, wobei ich auch niemand Wichtigen antreffe. Silyan, Lardonal und Ferenian sehe ich gar nicht mehr.
Sie halten sich von mir fern. Dass man mir verbietet, Silyan zu sehen, ist mir klar. Schlechter Einfluss und so. Lardonal ist früher auch nie oft zu sehen gewesen und Ferenian hat die besten Gründe mich zu meiden. Er bereut es sicher. Tja, da ist er nicht der Einzige.
Es ist erstaunlich, wie einfach es ist, im Schloss nebeneinander her zu leben, ohne sich je zu hören oder zu sehen. Es ist über zwei Wochen her, dass ich und Ferenian ... naja und seitdem habe ich ihn kein einziges Mal gesehen. Ich lebe in den Tag hinein, arbeite, esse und schlafe und hoffe, dass die Zeit schnell rumgeht
.
»Essen«, sagt eine der Käferwachen in komischer Klack-Sprache.
Sie öffnen die Tür, stellen eine Schale mit Früchten auf dem Boden ab und verschwinden wieder.
Ich starre wie ein Zombie aus dem winzigen Loch in der Wand nach draußen, warte darauf, dass der Tag rumgeht und mit ihm auch die nächsten vierzehn. Noch zwei Wochen monotone Arbeit liegen vor mir. Zwei Wochen des Seufzens und Hoffens, dass die Zeit schneller verfliegt als sie es für gewöhnlich tut.
Lustlos greife ich nach der Schale. Die vielen farbenfrohen, flutschigen Früchte sind mir völlig egal. Früher haben sie mir mal gut geschmeckt. Da hab ich mich wie verrückt darauf gestürzt. Jetzt wird mir schlecht, allein bei dem Gedanken daran, zu essen.
Ich nehme eine gelbe Frucht zwischen die Finger. Ich erkenne sie wieder, es ist eine Nando
, die zu Übelkeit führen kann, wenn man zu viel davon verputzt. Ferenian hatte mich davor gewarnt. Ich habe mich geweigert und danach gekotzt. Ich bin nicht scharf drauf, erneut den gleichen Fehler zu machen und lege sie beiseite.
Es ist so öde, ständig den gleichen Tagesablauf zu haben, dass ich mir insgeheim wünsche, dass irgendetwas passieren würde. Dass jemand den Baum in Brand steckt oder die Feen von Killervögeln angegriffen werden. Irgendwas, das meine Trägheit beendet. Und das sogar ganz ohne Alkohol und Kippen.
»Ich könnte baden …« Seufzend schnüffle ich an meinem Oberteil. Es müffelt, obwohl ich es erst seit drei Tagen trag
e. Normalerweise wechsle ich meine Klamotten einmal die Woche.
Oder bin ich das, der so stinkt?
Eindeutig!
Ich stehe auf, hämmere an die Tür und erkläre ihnen, dass sie mich zum Morgentaubecken bringen sollen, wenn ich nicht den gesamten Baum vollstinken soll.
Zum Glück fragen sie nicht Ferenian oder irgendjemand sonst um Erlaubnis und bringen mich direkt hin.
Ich kann die engen, verschlungenen Gänge Elcatars
nicht mehr sehen. Der Geruch von Holz und Moos ekelt mich an. Ich finde nichts Schönes mehr an den rankenverzierten Torbögen, den schmalen Abenteuerpfaden an der Außenseite der Rinde oder dem schmuckvollen Blätterwerk am Eingang des Baderaums. Ich lasse mich mit starrer Miene hineinführen, ziehe meine Klamotten aus und laufe zur Badewanne hinüber, die vollgefüllt mit Tautropfen darauf wartet, von mir benutzt zu werden.
Es interessiert mich einen Scheiß, dass die Käfer mich vollkommen nackt sehen. Warum auch? Es sind nur Käfer. Wortkarge Diener von Feenprinzen, die sie wie Dreck behandeln. Sie tun alles, was Ferenian ihnen befiehlt, ohne nachzudenken, ohne zu fragen, wo der Sinn liegt. Sie haben mein Mitleid nicht verdient und bekommen es auch nicht. Interessiert mich herzlich wenig, was die denken oder sehen oder Ferenian weiter erzählen können ...
Sollen sie ihm ruhig sagen, dass ich gut aussehe. Ach ne, das weiß er ja schon.
Mit nackten Füßen tappe ich am Rand des Beckens entlang. Das Wasser ist erstaunlich warm, dafür, dass es spät abends ist und es keine einsehbare Wärmequelle gibt. Auch
egal. Ich lasse mich in das angenehme Bad nieder und tauche einmal komplett unter.
Das dumpfe Gluckern in meinen Ohren ist allumfassend. Ich habe das Gefühl zu schweben - in Zeitlupe. Wie eine Leiche schwimmen meine Arme und Beine im Wasser umher. Ich bewege mich nicht, lasse mich einfach treiben und erlaube dem Wasser zu entscheiden, was mit mir passieren soll.
Ich warte. Tue nichts, was mein Leben verlängern würde. Auf einmal kommt mir der Gedanke, dass ich sterben könnte. Ohne Luft in meinen Lungen werde ich ersticken.
Wie lange dauert sowas eigentlich?
Ich warte weiter. Die Luft wird immer knapper, doch ich halte mich unten, zehre den letzten Sauerstoff aus meinen Lungen und fühle dann die erdrückende Leere in meiner Brust. Es ist keine Luft mehr übrig. Meine Lungen brennen und krampfen.
Mir fällt gerade ein, dass ich den Blättervorhang offengelassen habe. Aber das ist auch egal. Sollen sie doch alle sehen, wie ich ertrinke. Mein Herz fühlt sich so schwer an, ist so voller Leere, dass mich der Gedanke an den Tod nicht einmal erschreckt.
Obwohl es schon ziemlich übel ist, wie sich mein Körper nach Sauerstoff verzehrt, bleibe ich liegen, warte darauf, was als Nächstes passiert.
Über mir tauchen schleierhafte Wesen auf. Durch das Wasser sind ihre Gestalten verzerrt. Mein Kopf ist mittlerweile so leer, dass ich nur noch mit aufgerissenen Augen geradeaus starren kann. Es ist eine Qual nicht ausatmen zu dürfen. Meine Lungen zucken unkontrolliert, suchen nach jedem kleinsten Bisschen Sauerstoff, doch ich halte alle Ventile geschlossen und warte darauf, dass mein Körper aufgibt
.
Plötzlich wird das dumpfe, gleichmäßige Gluckern um mich herum gestört. Ein extrem lautes Rauschen ertönt. Etwas taucht durch die Wasseroberfläche. Ich spüre Finger, die meinen Brustkorb umschließen, bevor ich mit einem Ruck aus dem Wasser gezogen werde.
Sobald meine Lungen sich mit Luft füllen, beginne ich wie wild zu keuchen, huste und röchle. Die starken Arme meines Retters ziehen mich komplett aus dem Wasser. Ich hänge an seiner Brust. Es ist eindeutig ein Feenmann.
Das grünliche Leuchten zwischen seinen Brustmuskeln offenbart mir das Schlimmste.
Das darf einfach nicht wahr sein ...
»Willst du dich umbringen?«, fragt eine Stimme, die nicht Ferenians ist.
Ich sehe träge zu ihm hinauf. Es ist Ralac und er sieht ziemlich finster drein. Ich sehe kurz auf seine Brust und atme erleichtert aus, als ich ein bläuliches Leuchten erkenne. Komisch. Ich hätte schwören können, dass es grün ist.
Ich sehe vorsichtshalber nochmal in sein Gesicht. Glück gehabt. Es ist wirklich nicht Ferenian. Das ist allerdings ein Problem.
Augenblicklich wird mir klar, dass ich nackt bin. Und wenn ich nackt sage, dann meine ich wirklich nackt. Ralac ist nicht der Einzige, der mir auf die Zwölf glotzen kann. Er hat eine Eskorte von sieben Feenmännern bei sich. Und sie starren mich alle an.
Ich löse mich räuspernd von Ralac und suche mir am Boden meine Sachen zusammen. Angezogen fühle ich mich um einiges sicherer.
Ralac lässt mir Zeit, bis ich meine Hose anhabe, dann stellt er sich mir wütend entgegen
.
»Lou, ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast, aber ich werde Lord Ferenian davon berichten müssen.«
»Nein!«, entfährt es mir. Sofort ist meine Sicht wieder glasklar. Wie blöd bin ich gewesen, und wie naiv, anzunehmen, dass mir alles egal ist. Der Gedanke daran, dass Ferenian davon erfahren könnte, lässt meine Lungen erneut verkrampfen.
»Nein, bitte, Ralac. Könnt ihr das nicht einfach vergessen?«
»Es tut mir leid, Lou, aber das können wir nicht tun.«
»Klar, behaltet das einfach für euch.« Ich sehe ihm flehend ins Gesicht. »Tut so, als wäre nichts passiert.«
»Das wäre eine Lüge.« Ralac sieht mich mitleidig an.
»Nicht wirklich. Ihr könnt mich ja gefunden haben, müsst aber nicht alles erzählen. Er interessiert sich doch sowieso nicht für mich.«
»Das stimmt so nicht.«
Ich spüre, wie mein Herz vor Freude gegen meinen Brustkorb hüpft.
»Wie meinst du das?«
»Er hat ein Auge auf dich und wird froh sein zu hören, dass wir dich rechtzeitig gefunden haben.«
»Glaub ich nicht. Außerdem war doch nichts. Ich hab gebadet, das ist ja wohl kein Verbrechen. Ich wollte nur mal kurz untertauchen, nichts weiter.«
Ralac sieht nachdenklich aus. Für einen Moment habe ich das Gefühl, dass er mir glauben könnte.
»Nein, ausgeschlossen. Er muss davon erfahren.«
»Bitte!«, flehe ich, die Hände wie zu einem Gebet gefaltet. »Bitte, Ralac, er hat genug zu tun mit allem anderen. Willst du, dass er sich extra Sorgen macht?« Auch wenn ich selbst
nicht an den Inhalt meiner Worte glaube, scheinen sie bei Ralac zu funktionieren.
»In Ordnung. Wir behalten es erst einmal für uns. Wir haben dich nicht gesehen.«
Beim Wort gesehen
muss ich mich räuspern. Gesehen hatten sie viel zu viel von mir, aber das war nicht mehr zu ändern. Zum Glück sind Ferenians und auch Ralacs Männer schweigsame, treudoofe Idioten, die sich nicht über Regeln hinwegsetzen.
»Danke.« Ich lächle, seit Tagen zum ersten Mal wieder ehrlich, und lasse mich dann von ihnen zurück in meine Rumpelkammer führen.
Wie jeden Abend starre ich aus dem kleinen Fenster und versuche, den Mond zu sehen, der sich mir nur selten zeigt. Da es an diesem Tag ein wenig bewölkt ist, kann man keine Sterne erkennen, nur graue Schwärze. Das passt gut zu meiner Stimmung. Auch wenn ich mich nach dem Bad ein bisschen besser fühle, bin ich immer noch träge und lustlos. Ich habe nichts zu tun und grüble viel zu viel nach. Das ist echt ungesund. Ich brauche dringend Abwechslung.
Es klopft an der Tür. Ich sehe überrascht zum anderen Ende des Raumes. Das schreit ja geradezu nach Schicksal.
Essen hab ich für den Tag doch schon bekommen ...
»Ähm, ja?«
Eine der Wachen tritt ein.
»Lord Silyan ist hier und wünscht, Euch zu sprechen.
«
Ich stehe auf einmal kerzengerade mitten im Zimmer.
Silyan ist hier?!
»Ähm, lasst ihn rein.«
Schon sehe ich Silyans seidiglange, blaue Haare durch die offene Tür treten. Er sieht aus wie das Mädchen aus The Ring,
so versteckt ist sein Gesicht hinter dem Haarvorhang.
Ich bin erleichtert, ihn zu sehen. Er muss mir also verziehen haben. Unser Streit scheint damit vergessen.
Silyans Augen leuchten verheißungsvoll, als er zu mir aufsieht.
Die Wachen lassen uns allein und schließen die Tür hinter ihm.
»Hey«, sage ich und bin mir unsicher, wie ich ihn begrüßen soll. Eine Umarmung? Oder ein Händedruck? Oder gar nichts?
Silyan nimmt mir die Entscheidung ab und wirft sich mir schwungvoll an den Hals.
»Lou! Ma la negal
.«
»Was ist passiert?« Ich umarme ihn.
»Wir haben uns so lange nicht gesehen. Ich habe dich vermisst! Du bist für mich wie ein Bruder.«
Ich bin froh zu hören, dass er in mir nur einen Bruder sieht und nicht mehr. Da war ich mir zwischenzeitlich nicht sicher.
»Du musst mir helfen. Ich ertrage es nicht länger.«
»Was denn?«
»Von dir getrennt zu sein.«
»Ach so.« Ich muss lachen. »Und ich dachte schon, es ist was Schlimmes passiert.
«
Silyan kuschelt sich an mich und für einen Moment frage ich mich, ob es Brüder unter den Feen auch miteinander treiben. Dann kommt mir ein Gedanke in den Sinn, den ich nicht für mich behalten kann.
»Warum lässt dich Ferenian auf einmal zu mir?«
»Tut er nicht. Er hat keine Ahnung, dass ich hier bin«, verrät er kichernd. »Ich hab mich weggestohlen.«
»Aber ... er wird es rausfinden.«
»Meinst du?« Silyan starrt mich mit seinen veilchenblauen Augen an, wie eine Zwölfjährige.
»Ja, na was glaubst du denn? Das sind seine Wachen da draußen.« Ich drossle meine Stimme, damit sie uns nicht hören können.
»Oh je, daran habe ich nicht gedacht.« Silyan sieht besorgt zur Tür.
»Egal. Du bist hier und das war sehr mutig von dir.«
»Wirklich?« Silyan strahlt.
»Ja, wirklich.« Ich kann nicht anders, als ihn anzugrinsen. Dieser Feenprinz schafft es immer wieder, mich aus der Reserve zu locken.
»Aber ... wenn Ferenian herausfindet, dass ich hier war, dann wird er mich sicher wieder einsperren lassen. Mar ena!
«
»Nicht, wenn er dich nicht finden kann.« Ich zwinkere ihm verheißungsvoll zu.
»Wieso sollte er mich nicht finden?«
»Weil wir abhauen«, flüstere ich und deute mit dem Kopf in Richtung Fenster. Da ist mein Abenteuer, meine Abwechslung, die ich so dringend brauche
.
»Oh ... ja!« Silyan hält sich vor Freude den Mund zu. »Das ist eine gute Idee.«
»Und schon lange überfällig«, erinnere ich mich. »Ich habe dir ja versprochen, dass ich dich hier raushole.«
»Wie? Wann?«
»Noch heute Nacht«, wispere ich, so leise ich kann, und ziehe Silyan in eine weitere Umarmung. »Pack nur das Nötigste ein, am besten du holst dir auch die Trage von den Wachen, mit denen sie mich immer transportieren. Die dürfte am Ausgang irgendwo liegen. Wir werden ins Dorf gehen und uns dann überlegen, was wir tun.«
»Oh, das ist so aufregend«, haucht Silyan gegen mein Ohr und presst seinen Körper an mich. Ein bisschen komisch komme ich mir dabei schon vor.
»Du darfst es niemandem verraten. Versprich mir das.«
»Natürlich nicht. Das ist unser Geheimnis.« Silyan drückt mich noch fester. Ich glaube, etwas Hartes in seinem Schritt fühlen zu können.
Oh Gott, seine Knospe ...
»Oh, was ...?« Silyan scheint es selbst auch zu spüren und sieht irritiert an seinem Körper herab.
Ich kratze mir den Nacken. »Ist doch nichts«, winke ich ab. »Passiert halt sowas.«
»Ich ... weiß nicht, was das bedeutet, aber ... ich fühle mich ganz eigenartig. Was ist das?«
Ich kann ihm nicht in die Augen sehen. Ich will echt nicht schon wieder dieses Bienchen-Blümchen-Gespräch mit ihm führen müssen.
»Du bist halt aufgeregt, das ist ... normal. Geht mir auch manchmal so.
«
»Und jetzt?«
Noch bevor ich etwas dagegen tun kann, liegt seine Hand in meinem Schritt. Ich schlage sie eilig weg.
»Jetzt nicht!«
»Oh ...«
»Aber, ich kenne das. Also, ist ganz normal. Klar?«
Silyan nickt. Seine großen, hellen Augen starren mich sehnsuchtsvoll an.
»Du solltest dringend Erfahrung sammeln in dem Bereich«, meine ich beiläufig.
»In welchem Bereich?«
»Na ... Knospenmäßig.«
Silyan leckt sich die Lippen und betrachtet mein Gesicht eindringlich.
»Das zerreißt dich sonst noch. Also nicht wirklich, aber gefühlstechnisch. Ach, vergiss es. Zurück zu unserem Plan.« Ich werde wieder leiser. »Verhalte dich unauffällig und hol mich ab, wenn alle anderen schlafen. Noch vor Sonnenaufgang müssen wir abgehauen sein.«
Silyan nickt.
»Falls du Ferenian oder deinem Vater begegnest, musst du stark bleiben. Sie dürfen nicht mal daran denken, dass du etwas vorhaben könntest. Nicht eine Sekunde. Schaffst du das?«
»Ja. Bestimmt.«
»Ich hoffe es, denn das ist unsere letzte Chance. So viel steht fest.«
»Ich werde es schaffen. Ich will es unbedingt. So schnell wie möglich.«
»Warum so plötzlich?«, frage ich und versuche, im schummrigen Licht in seinem Gesicht zu lesen
.
»Ja, nun ... also nein, aber eigentlich doch.«
»Was denn nun?« In mir macht sich ein ungutes Gefühl breit. Ich ahne, dass das, was ich gleich hören werde, mir nicht gefällt.
»Ferenian … er bereitet mich seit ein paar Tagen auf … das vor, was ...«
»Ich wusste es ... Was hat er gemacht? Hat er dich angefasst?« Ich muss mich echt anstrengen, nicht laut zu werden. Das soll ja nun wirklich keiner mithören.
»Er … übt mit mir den Tanz.«
»Was für einen Tanz?«
Silyan wirkt peinlich berührt.
»Für die Vereinigung … es gehört dazu, dass wir tanzen.«
»Also ist er dir nahegekommen?«
»Nicht richtig. Er ist sehr vorsichtig, aber jede seiner Berührungen ist mir unangenehm.«
»Verstehe ich gut.« Ich nicke wissend. Zwar sind mir seine Berührungen alles andere als unangenehm, aber ich kann mir vorstellen, wie Silyan sich fühlt.
»Wirklich? Ich habe geglaubt, du magst ihn sehr. Nachdem er dich trainiert hat und ...«
»Was und
?«
»Er hat da etwas erwähnt.«
Mir rutscht das Herz in die Hose.
»Was? Was hat er gesagt?« Ich versuche, ruhig zu bleiben. Ich habe mir fest vorgenommen, Ferenian aus meinen Gedanken - aus meinem Leben - zu streichen.
Das ist der perfekte Moment, um damit anzufangen. »Ach, ich will es gar nicht wissen.«
»Willst du nicht?«
»Nein. Interessiert mich nicht.« Irgendwo, tief in meinem Inneren hoffe ich doch, dass Silyan es einfach erzählt. Tut er aber nicht.
Ist wahrscheinlich besser so, sonst mache ich mir Hoffnung, wo keine ist.
»Also, magst du ihn nicht?«, fragt Silyan.
»Nein. Ich mag ihn genauso wenig wie du. Auch wenn das mal anders ausgesehen hat. Glaub mir, er hat keinen Platz in meinem Leben, du dafür schon.« Ich grinse. Das ist gerade ein großes Kompliment gewesen, was Silyan auch als solches erkennt, denn er umarmt mich schon wieder.
»Ach Lou, es wird so toll sein, mit dir zusammen wegzu-«
»Schhh!«
»Ich meine natürlich, dich zu sehen«, überspielt Silyan.
»Wir reden später darüber. Jetzt mach dich lieber fertig. Du weißt schon.«
»Ja.« Silyan nickt eifrig. In seinen Augen kann ich sehen, wie aufgeregt er ist und auch, wie sehr er sich darauf freut, endlich abhauen zu können.
»Also geh schnell zurück und denk daran, was ich dir gesagt habe. Wehe, du haust ohne mich ab.«