Es ist seltsam, wie schnell die Wochen vergehen, wenn man nicht darauf wartet. Die Zeit nach meiner Rückkehr nach Berlin ist wie im Flug vergangen. Der Sommer ist längst rum, der Herbst steht in voller Blüte und ich bin bei meiner Mutter ausgezogen. Ich wohne jetzt in einer 3er-WG mit Schlumpf und Panzer zusammen. Pfötchen hängt ständig bei uns rum und jammert, weil sie auch gerne ein Teil der WG sein möchte, aber ihre Mitbewohnerin sie nicht gehen lassen will. Schnorri kommt nur ab und zu vorbei.
Er und ich sind wieder Freunde. Zumindest so halbwegs. Er ist viel unterwegs, hat wie immer seine Weibergeschichten und erzählt nicht viel. Aber ich weiß, dass er mir verziehen hat und in mir wirklich nur einen guten Freund sieht. Ich will von ihm sowieso nichts mehr.
Denn ich bin jetzt mit Schlumpf zusammen. Wir wohnen ja auch zusammen und obwohl er ein eigenes Zimmer hat, hängt er ständig in meinem rum.
»Ich sag dir, du machst mich noch fertig«, stöhnend lässt er sich in die Kissen fallen. »Das war ... ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.
«
»Ich weiß.« Grinsend streiche ich mir die frisch gefärbten Haare aus der Stirn und stehe auf, laufe am Spiegel vorbei und erhasche einen Blick hinein. Meine Haare sind wieder schwarz mit feuerroten Spitzen. Pfötchen hat gute Arbeit geleistet. Diesmal hat sie sogar Rattenschwänze in meine kurzen Seiten rasiert. Eigentlich sind es nur geschlungene Kringel, aber wer mich kennt, weiß, was gemeint ist.
»Ich hab so ein Glück.« Schlumpf rollt sich auf die Seite und sieht zu mir auf. Er steht auf meinen nackten Körper.
Ich steige über die Müllberge vor meinem Bett rüber zum Kühlschrank und hole mir ein Bier raus. Nach dem Sex ist das das Beste - neben der Kippe danach.
Ich bringe Schlumpf auch eines mit und komme wieder zurück zu ihm, fläze mich aufs Bett, was eigentlich nur eine ausgezogene, gammelige Couch ist. Wir haben sie von Freunden geschenkt bekommen zum Einzug. Es liegt sich beschissen, aber wir haben im Moment kein Geld, weil ich mit meinem Job an der Tanke nur gerade so die Kohle für meinen Teil der Miete und das Essen reinkriege.
Schlumpf streichelt über meinen Bauch und kuschelt sich an meine Seite. Er ist danach immer so verdammt schmusig.
»Ich hätte nie gedacht, dass du so sein kannst«, schnurrt er.
»Wie?«
»Hammerhart.« Er lacht leise. »Du nimmst dich echt nicht zurück. Das gefällt mir.«
»Warum sollte ich auch. Soll doch Spaß machen.«
»Du sollst auch nicht aufhören damit. Ich meine nur ... dass ich überrascht bin. Ich hätte eher gedacht, dass du ...«
»Dass ich was
?
«
»Schüchtern und nervös bist?«, fragt Schlumpf zaghaft nach.
»Das war ich mal«, erinnere ich mich. »Das ist aber vorbei.« Die Zeiten meiner Jungfräulichkeit sind zum Glück Vergangenheit. Mittlerweile tue ich es regelmäßig. Obwohl ich mich selbst dabei immer mal wieder überrasche. So wie Schlumpf hätte ich nie gedacht, dass ich mal der aktive Part sein könnte. Es hat sich aber herausgestellt, dass mir das liegt und es eigentlich die einzige Form ist, bei der ich wirklich Spaß empfinde. Wenn ich passiv bin, wird es mir schnell langweilig. Dann driften meine Gedanken ab und ich muss die Position wechseln, damit ich nicht ganz weg bin.
Das mit Schlumpf und mir hat sich kurz nach unserem Einzug ergeben. Wir haben am Anfang viel Zeit mit Renovierungen verbracht und waren eigentlich die meiste Zeit zu zweit in der Wohnung, während Panzer arbeiten war. Dabei sind wir uns näher gekommen und haben es oft getrieben. Daraus wurde dann mehr und jetzt sind wir ein Paar.
Mum ist mittlerweile ganz bei Ralf eingezogen. Unsere alte Wohnung hat sie aufgelöst, nachdem ich in die WG gezogen bin. Wir sehen uns ab und zu. Aber nicht mehr als einmal alle zwei Wochen. Denn ich brauche meinen Freiraum vor ihr. Auch wenn wir uns seit meinem Auszug viel besser verstehen.
Ralf hat ihr sogar einen Antrag gemacht. Er ist in Ordnung. Ich kann ihn zwar immer noch nicht wirklich leiden. Aber so wie es aussieht, behandelt er sie gut und sie braucht ihn. Also mische ich mich da nicht mehr ein. Ist sowieso nicht meine Aufgabe. Ich habe mein Leben und sie haben ihres. Und meines ist so viel aufregender. Jeden einzelnen Tag
.
»Was ist los? Du wirkst bedrückt.« Schlumpf sieht mich voller Sorge an.
»Nichts. Was soll sein?« Ich zünde mir eine Kippe an und schüttle ihn und seinen heißen, schwitzigen Körper dabei ab.
Ich mag Schlumpf.
Wirklich.
Aber manchmal klebt er einfach zu sehr an mir.
»Du wirkst manchmal so ... nachdenklich.«
»Vielleicht denke ich einfach nur nach? Das hab ich früher auch schon gemacht.«
»Nein. Das ist was anderes. Das ... machst du erst, seitdem du in Irland warst.«
Ich wende mein Gesicht von ihm ab. Ich will nicht, dass er mir in die Augen sieht. Er soll damit aufhören, mich zu analysieren.
»Was steht heute Abend an?«, frage ich, um davon abzulenken.
»Pfotes Geburtstag. Das kannst du nicht vergessen haben.«
Ich sehe ihn mit einem Grinsen an.
»Hab ich auch nicht, war ein Test.« Er muss nicht wissen, dass ich es wirklich vergessen habe. Dass ich immer mal wieder mit den Gedanken abdrifte; weit, weit weg reise und nur schwer wieder zurückkomme. Das geht weder ihn noch irgendjemand sonst was an.
»Sie kommt her, bringt ein paar Freundinnen mit. Wir feiern. Müssen vorher aber noch Alk kaufen gehen. Ich dachte, dass wir zwei das doch machen könnten.«
»Klar, wieso nicht.« Ich stehe auf und ziehe mich an
.
Schlumpf seufzt theatralisch.
»Und schon ist es wieder vorbei.«
Ich ignoriere ihn und steige in meine Hose. Dabei streife ich die Haut oberhalb von meinem Schwanz und warte darauf, dass es kribbelt oder sich irgendwie warm anfühlt. Tut es aber nicht.
»Hast du ein Geschenk für sie?«, fragt Schlumpf, der sich mittlerweile auch anzieht.
Ich erhasche einen Blick auf seinen Rücken. Er sieht gut aus. Er ist weder dick noch dünn und hat auch ein paar sichtbare Muskeln. Alles in allem kein schlechter Anblick. Trotzdem bin ich in seiner Gegenwart nie so aufgeregt wie damals ... mit ihm
.
»Ein Jahresvorrat an Directions
.« Ich lache. »Nein, zu teuer. Wäre aber eine gute Idee, so oft, wie sie ihre Farben ändert.«
»Wie ein Chamäleon.« Schlumpf steigt in das Lachen mit ein. »Ich hab schon wieder vergessen, welche Farben sie gerade trägt.«
»Feuer. Innen sind sie rot, die Spitzen orange und gelb.« Ich mag Pfotes neuen Look. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich Rot als Haarfarbe mag. Zumindest mehr als grün oder lila.
»Ich bleibe bei Blau.« Schlumpf bindet sich den mittlerweile längeren Iro zu einem Zopf zusammen.
»Musst du auch, sonst ist dein Name fürn Arsch.«
Ich spüre plötzlich seine Hand in meinem Nacken.
»Und du musst dieses Schwänzchen behalten.« Er zwirbelt meinen Rattenschwanz zwischen den Fingern. Dann holt er sich einen Kuss ab. »Du siehst so niedlich damit aus.
«
»Von wegen niedlich.« Ich schüttle ihn ab. »Eben noch war ich hammerhart.«
»Du bist alles, genau deswegen liebe ich dich.«
Ich lächle, auch wenn es sich komisch anfühlt.
Er sagt es so oft - dass er mich liebt. Dass er glücklich mit mir ist. Ich liebe ihn auch. Und glücklich bin ich auch. Aber ich kann das nicht so sagen.
»Also, gehen wir einkaufen.« Ich zerre ihn am Shirt-Kragen mit zur Tür.
In den nächsten vier Stunden hocken wir vor der Kaufhalle rum und schnorren uns ein bisschen was zusammen. Danach gehen wir Bier und Knabberzeug kaufen für den Abend. Pfote wird 19 und hat immer noch keinen festen Freund, was sie ziemlich traurig macht. Sie sagt es nicht so direkt, aber ich merke es ihr an. Sie sehnt sich danach, jemanden zu haben, genauso wie jeder andere auch. Ich erinnere mich noch gut daran, wie es gewesen war damals mit Schnorri. Meine Besessenheit von ihm war echt nicht lustig gewesen. Ein Glück bin ich jetzt in einer echten Beziehung.
Ich beobachte Schlumpf im Stillen, wie er die schweren Kästen in den vierten Stock des Altbau Hinterhauses schleppt. Er jammert nicht. Obwohl ich sehen kann, dass er schon total außer Puste ist. Vor mir gibt er sich nie schwach. Er versucht immer, cool und stark zu sein. Er sieht nicht nur gut aus, er ist auch echt nett und cool, witzig und einfühlsam und er tut alles für seine Freunde. Er ist mir gegenüber immer rücksichtsvoll. Er ... hat eigentlich keinerlei Schwächen,
bis auf, dass er etwas zu anhänglich ist und mich manchmal etwas mehr in Ruhe lassen könnte. Er ist der perfekte Freund. Und ich liebe ihn ... Glaube ich zumindest.
»Das wird so geil«, schwärmt er. »Wir lassen es richtig krachen. Die Party ist erst gut, wenn die Bullen vor der Tür stehen.«
»Immer.« Ich schließe ihm auf. Panzer hilft dabei, alles reinzutragen. Uns bliebt nicht mehr viel Zeit, bis die Gäste kommen. Es wird provisorisch nochmal der Saustall aufgeräumt und durchgelüftet. Dann treffen auch schon die ersten Gäste ein.
Pfote kommt etwas später und wird mit Grölen und Zuprosten empfangen. Wir schmeißen eine Runde Tequila und drehen dann die Musik so richtig auf.
Pfote ist glücklich. Sie freut sich extrem über die Party und all die Leute, die gekommen sind.
Bei uns in der Bude geht richtig der Punk ab. Die Leute pogen zur Musik, spielen Kicker, machen Saufspiele und kiffen was das Zeug hält. Und ich bin mittendrin und kriege plötzlich keine Luft mehr. Ich laufe in die Küche, will ans Fenster, aber ich komme nicht durch. Der Zigarettenqualm schwebt wie ein dichter Nebel über den Köpfen der zehn Leute, die sich reingequetscht haben.
Ich versuche es im Bad, doch da macht gerade ein Pärchen rum, also bleibt mir nur die Wohnungstür. Ich reiße sie auf und stehe plötzlich einem Typen gegenüber, der genauso aussieht, wie Ferenian.
Mir klappt die Kinnlade runter.
»Hi«, sagt er und hört sich dabei auch irgendwie ein bisschen wie er an
.
»Hey. Was machst du hier? Wie ... bist du hergekommen?«
»Ich hab geklingelt«, erwidert er mit gerunzelter Stirn. »Jemand hat mir aufgemacht und ich bin hochgelaufen. Ist das so schwer zu begreifen?«
»Äh, ne. Komm rein.« Ich weiche beiseite und bleibe aber so dicht an der Tür, dass er sich an mir vorbeischieben muss. Dabei schnuppere ich unauffällig an ihm. Er riecht ganz und gar nicht wie Ferenian. Und ein zweiter und dritter Blick in sein Gesicht bestätigt meine Vermutung. Er ist es nicht. Er sieht ihm nur ein klein wenig ähnlich.
Ich bin trotzdem so durcheinander, dass ich mich in mein Zimmer verkrieche und das rummachende Pärchen rausschmeiße, das sich gerade auf meinen Laken rumgewälzt hat.
»Verpisst euch!« Ich schlage hinter ihnen die Tür zu.
Die sollen alle verschwinden!
Ich ertrage diese Partys nicht mehr. Früher hatte ich mal richtig viel Spaß an sowas und war immer überall dabei. Aber seitdem ich in Irland war und mitten in der Natur gelebt habe, ist mir das alles zu viel. Die Stadt ist mir zu viel, die vielen Menschen, der Lärm, der Gestank. Und ich hasse es, dass es mich stört. Das war vorher nie so. Ich habe es geliebt, es konnte für mich nicht dreckig und voll genug sein.
Daran sind diese verfluchten Feen schuld!
Ich trete gegen den Couchtisch. Die vielen Flaschen darauf klirren. Ein paar fallen runter. Ist mir aber egal. Ich schließe die Augen und versuche mich zu beruhigen. Das tiefe Durchatmen hilft ein wenig, nicht aber das Augenzumachen. Sofort erscheint Ferenians Gesicht vor mir, wie er mich ansieht, mit seinen giftgrünen, leuchtenden Augen.
Die Sonne glitzert in seinen goldblonden Haaren. Er wirft sie arrogant in den Nacken und sieht zu mir herab.
Geh weg!
Seine Lippen verziehen sich zu einem fiesen Lächeln. Er kommt näher. Ich will zurückweichen, kann aber nicht, weil hinter mir ein Stuhl steht.
»Ich will dich, Lou«
, raunt er und packt meinen Kopf, drückt mir einen Kuss auf und entfacht damit ein Feuer in mir, das alles niederzubrennen droht.
»Geh aus meinem Kopf raus!«, brülle ich, reiße die Augen auf und erkenne, dass er nicht da ist. Es ist alles nur Einbildung.
»Wieso denke ich immer noch an ihn?«, frage ich so leise, dass ich meine eigenen Worte nicht hören kann. Dafür ist die Musik im Hintergrund viel zu laut. »Ich bin doch mit Schlumpf zusammen und glücklich.«
Ich mach mir ein neues Bier auf und trinke es fast leer, bevor ich mich auf die Couch fallen lasse und in die Luft starre.
Ich muss was machen ...
Rumliegen und Nachdenken bringt mich nicht weiter. Dadurch wird dieses komische Gefühl in mir immer schlimmer, das mir jeden Tag einzureden versucht, dass ich einen großen Fehler begangen habe; dass ich das Feenreich niemals hätte verlassen dürfen. Dass ich ihn
niemals hätte verlassen dürfen.
»Ich bin damit durch. Das ist vergessen. Er ist sowieso längst verheiratet«, erinnere ich mich. Silyans und seine Hochzeit muss kurz nach meiner Abreise stattgefunden haben. Ich hätte sie ohnehin nicht verhindern können. Das Thema ist abgehakt.
Ich habe mich für die Menschenwelt entschieden und bin glücklich hier. Es bringt nichts, zurückzudenken.
Seufzend setze ich mich auf und sehe mich um, womit ich mich beschäftigen könnte, bis diese Party endlich vorbei ist. Mein Blick fällt auf meine Kamera in der hintersten Ecke des Zimmers. Ein aufgeregtes Ziehen in meinem Bauch warnt mich davor, sie in die Hand zu nehmen. Denn ich habe sie nicht angerührt, seit ich sie in Irland aus dem Feenring aufgehoben habe. Nachdem ich zurückgekehrt war, gab es viele andere Dinge, die mich beschäftigt haben. Und irgendwann hatte ich sie vergessen. Bis jetzt. Okay, das ist gelogen. Ich habe es ständig vor mir hergeschoben. Ich wollte mit der Feenwelt abschließen und hatte Angst, dass das Anschauen von Fotos irgendetwas in mir auslösen könnte. Tja, das hat ja wunderbar geklappt - nicht.
Ich kann sowieso nicht aufhören daran zu denken. Ist also auch egal.
Ich hole meine Kamera und auch meinen Laptop und stecke die SD-Karte ein. Der Rechner lädt kurz die Bilder, bevor er eine Vorschau öffnet. Ich merke, wie mir das Herz bis zum Hals schlägt, als ich die winzigen Vorschaubilder sehe, die die irische Landschaft und die Hügelgräber zeigen. Auf dem ersten, großen Hauptbild ist der Zug zu sehen, mit dem wir nach Frankfurt gefahren sind. Auf den nächsten meine Mutter, die mit offenem Mund schläft.
»Was machst du da, heimlich Pornos gucken?«
Ich schrecke hoch. Es ist Schlumpf. Er steht in der Tür.
»Was? Nein! Ich guck mir Fotos an.«
»Oh, von Irland?
«
»Jap.« Er schließt die Tür und setzt sich ungefragt zu mir. Dabei schmiegt er sich an meine Seite, legt den Kopf auf meiner Schulter ab. »Erzähl mal bisschen was.«
Ich klicke mich durch die Galerie. Die nächsten Bilder sind nur vom Flughafen und dem Bus. Dann kommt die Kirche in dem irländischen Dorf Donore
. Schlumpf hört gespannt zu, wie ich die Reise nacherzähle. Ich berichte von dem Pub, dem Barkeeper, meiner frustrierten Mum und dem süffigen Bier. Die Begegnung mit dem Kellner Adian lasse ich aus, genauso wie die Märchengeschichten des Opas, die mich erst darauf gebracht haben die Hügelgräber anzugucken. Dann kommen die Bilder in der Nacht, die nur schemenhafte, gruselige Umrisse der Landschaft zeigen. Ein Teil von einer Brücke, eine Ecke vom Fluss und dann Brú na Bóinne
. Auf dem Bild sind ganz komische Lichtflecke, Punkte, die mir damals schon aufgefallen sind. Doch jetzt erst habe ich die Möglichkeit sie in Ruhe anzusehen. Ich suche mir ein Bild aus, auf dem ein grüner Punkt ganz besonders groß und scharf zu sehen ist, und zoome mit dem Mausrad heran. Der Punkt wird immer größer und bleibt erstaunlicherweise scharf. Was anfangs nur wie ein Lichtschein wirkt, stellt sich als Gestalt heraus.
Ist das ... Ferenian?
Ich traue meinen Augen kaum.
Er ist es wirklich!
»Was ist das denn?«, fragt Schlumpf und starrt auf den Bildschirm. »Ein Glühwürmchen?«
»Ja!«, platzt es aus mir heraus. »Die gab es da viele.«
»Leuchten die nicht sonst gelb?«, fragt Schlumpf, nachdem ich mir auch die nächsten Bilder angesehen habe. Ich kann hören, dass er schon betrunken ist, und rechne damit, dass er sich morgen sowieso an nichts mehr erinnern kann.
»Ist doch gelb, das ist ein voreingestellter Farbfilter, deswegen wirkt das so.«
»Ach so.« Schlumpf kuschelt sich an mich, küsst meinen Hals. Ich weiß, dass er wieder Sex will, bin gerade aber wirklich nicht in der Stimmung dafür.
Ferenian war da ... in dieser Nacht, als Silyan mich rübergeholt hat. Er war da ... Wieso?
Das lässt mich nicht mehr los. Es macht einfach keinen Sinn. Er hat das nie erwähnt, was bedeutet, dass er noch mehr Geheimnisse mit sich rumträgt, oder aber er hat uns nur zufällig beobachtet. Ich sehe mir seine Körperhaltung an.
Nein, das ist kein Zufall. Er sieht mich direkt an. Er guckt in die Kamera. Er muss mich also gesehen haben.
»Komm schon, mach das aus«, schnurrt Schlumpf und streichelt meine Brust.
»Gleich.« Ich gucke mir auch die letzten Bilder an.
Ich will das jetzt wissen.
Ich sehe in der Miniatur-Vorschau schon das letzte Bild, was vollkommen überstrahlt ist. Das muss der Moment gewesen sein, in dem ich geschrumpft wurde. Ich klicke mich bis dahin durch, spüre, wie sich alles in meiner Brust zusammenzieht. Ich will es eigentlich nicht sehen, kann aber trotzdem nicht gegen meine Neugier ankommen.
Das letzte Bild ist fast komplett weiß. Alles ist überbelichtet und verzerrt. Das Foto muss entstanden sein, während die Verwandlung schon losgegangen war. Doch eines ist ziemlich deutlich erkennbar. Ferenian war da. Er war dabei, als es passiert ist
.
»Was ist nur los mit dir?«, fragt Schlumpf, der schon mit dem Kopf in meinem Schritt angekommen ist. »Willst du nicht?«
»Doch ... Gleich.« Ich starre auf das Bild von Ferenian, glaube sogar, sein Gesicht sehen zu können. Obwohl das in der Auflösung echt unmöglich ist.
»Sieht aber nicht so aus.« Schlumpf kommt wieder hoch. »Ist alles okay?«
»Klar, alles gut.« Ich klappe den Laptop zu. Ich habe genug gesehen.
»Seit du verschollen warst, bist du irgendwie anders ...«
Seufzend rolle ich mit den Augen.
»Was ist in den drei Monaten in Irland eigentlich genau passiert? Du hast uns nie davon erzählt.«
»Da gibt`s nicht viel zu erzählen. Ich musste mal raus von allem, bin einfach abgehauen und hab mich zur Küste durchgeschlagen. Travel and Work und so. Ich hab für Arbeit immer was zu Essen und einen Schlafplatz gefunden. Notfalls unter nem Baum.« Das ist nicht mal gelogen.
»Die ganzen drei Monate?«
»Wieso nicht? Ging ziemlich schnell rum die Zeit.«
»Und hast du da Leute kennengelernt? Einheimische?«
»Ja, einige.«
»Und ... die Fotos erinnern dich jetzt daran?«, schlussfolgert Schlumpf verdammt richtig.
»Das ist es nicht alleine.«
Mir wird plötzlich klar, dass ich nicht mehr so weitermachen kann.
Ich kann nicht jeden Morgen mit einem Knoten im Bauch aufwachen und versuchen, mich den ganzen Tag zu beschäftigen und alle Gedanken zu verdrängen.
Schlumpf ist toll. Er ist der perfekte Freund. Und ich liebe ihn. Sollte ich zumindest. Er hat es verdient, geliebt zu werden. Nur tue ich es nicht. Ich weiß nicht wieso.
»Schlumpf ... ich muss dir etwas sagen.«
»Okay?« Er sieht mich an, als rechne er schon mit dem Schlimmsten.
»Ich weiß, es ist nicht fair und es tut mir auch echt leid, aber ... ich brauche etwas Abstand.«
»Oh.« Er zieht sich ein wenig zurück. »Das ging alles ziemlich schnell, was?«
»Ja ... tut mir wirklich leid. Aber das ist meine erste Beziehung und das ist alles noch etwas neu ...« Ich muss das sagen, damit er nicht am Boden zerstört ist. Die Wahrheit würde er nicht verkraften.
»Okay.« Er steht auf. Ich kann sehen, dass er versucht zu verstecken, dass ihn das ziemlich trifft. Ich bin ihm dankbar dafür. Eine Szene könnte ich jetzt nicht ertragen. Denn egal, was er sagt oder tut, es ist schon lange zu spät. Eigentlich war mir das schon zu Beginn unserer Beziehung klar. Nur wollte ich es da noch nicht wahrhaben.
»Gibt es ... einen anderen?«, fragt Schlumpf, als er an der Tür steht.
Ja.
»Nein.« Ich zwinge mich, zu lächeln. »Es gibt keinen anderen. Es liegt auch nicht an dir. Nur an mir. Mach dir keine Vorwürfe.«
»Alles gut, Ratte. Glaub mir ... irgendwie habe ich das schon
gespürt, dass wir auf verschiedenen Stufen sind. Also ... dass du noch nicht so weit bist. Das ist okay. Wirklich. Nimm dir die Zeit, um ... über alles nachzudenken.«
»Danke.« Ich bin unendlich erleichtert, dass er es so gut aufnimmt.
»Ich werde auf dich warten.« Mit einem letzten Lächeln schließt er die Tür hinter sich.
»Tu das besser nicht ... denn ich werde wahrscheinlich nicht zurückkommen«, murmle ich und sehe zurück auf den Bildschirm.