Da kommt er. Beifall und Jubel branden auf. Behr ist unser Mann! Der Professor bleibt stehen, schiebt seinen Bauch vor und hakt die Daumen in die Weste. Nun tritt hinter Behr auch noch Professor Brendel aus der Tür. Als die Studenten ihn entdecken, hören sie auf zu jubeln, beginnen stattdessen zu pfeifen und zu buhen. Einer schreit: »Hep-Hep – Jud’ verreck!« Dann schreit es noch einer. Dann alle: »Hep-Hep – Jud’ verreck!«

Sebald Brendel ist gar kein Jude, hat aber kürzlich einen Artikel zugunsten der Juden geschrieben. Vermutlich hat er dafür von ihnen eine Dose voll Dukaten erhalten. Vermutlich? Nein: sicher! Brendel sieht sich verängstigt um. Seine Brille beschlägt. Professor Behr schmunzelt, hebt aber gleichzeitig beschwichtigend die Arme. Er dreht sich zu Brendel um, will ihm sagen, dass er sich nur dicht bei ihm halten soll. Bei aller Unterschiedlichkeit der Meinungen sind sie schließlich immer noch Kollegen. Aber Brendel hat bereits Reißaus genommen. Verschwindet mit rudernden Armen und

Die Volksmenge erreicht die Geschäfte. Bisher unbescholtene Bürger werfen Fensterscheiben ein, reißen Firmenschilder herunter, plündern die Auslagen und werfen Waren auf die Straße. Das ein oder andere, was sich gut gebrauchen lässt, wird auch schon mal eingesteckt. Wer sich wehrt oder händeringend im Weg steht, wird verprügelt. Weinende Kinder irren durch die Gassen, Frauen mit aufgelösten Haaren, Männer mit Platzwunden auf der Stirn. Das fromme Bürgertum schaut zu und freut sich. Vierhundert Juden gibt es jetzt schon in Würzburg. Sie wollen unsere Heiligtümer schänden und unsere Priester kreuzigen, und den Kaffee verkaufen sie auch noch billiger. Die Regierung steckt mit ihnen unter einer Decke, will die gesamte christliche Bevölkerung durch eine jüdische ersetzen, weil man mit denen mehr verdienen kann. Die Warenlager sind nicht ganz so einfach zu demolieren. Zu wenig Glas. Man beschließt, am nächsten Tag mit Werkzeug wiederzukommen.

Aber am nächsten Tag sind Ordnungskräfte vor Ort, um die gefährdeten Objekte zu schützen. Sie stehen auch vor dem Wohnhaus des Bankiers Hirsch. Das macht die Geschäftsleute und Kleinhändler, die sich davor zusammengerottet haben, nur noch wütender. Das Haus war einmal Wohnsitz der Äbte des Klosters Ebrach. Moses Hirsch hat es einfach gekauft und sich darin breitgemacht. Und sein Sohn, der Jacob Hirsch, hat auf einer Auktion Juwelen ersteigert, die aus Kirchengeräten stammten. Und die Polizei schützt solche Heuschrecken auch noch.

Der Kaufmann Konrad weiß noch mehr: »Der Jacob Hirsch hat sich bei der Versteigerung als Bischof verkleidet, um uns Christen zu verhöhnen.«

Das ist den anderen neu, aber sie glauben es sofort. Sie glauben

Beim Sturm auf das Haus wird Kaufmann Konrad von einem Polizisten erschossen. Es folgen bürgerkriegsähnliche Zustände. Sämtliche Juden fliehen aus der Stadt und verbergen sich im Umland. Bayerisches Militär trifft ein. Ein Schuhmacher erschießt einen Wachsoldaten. Erst nach drei Tagen ist die Situation wieder unter Kontrolle. Am 8. August kehren die jüdischen Mitbürger zurück und machen sich daran, die »Hep-Hep«-Parolen von ihren Ladenfassaden zu schrubben.

Tendenziöse Presseberichte regen in ganz Deutschland zur Nachahmung an. Bamberg, Regensburg, Mannheim, Heidelberg, Danzig, Koblenz, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg – überall taucht der »Hep-Hep«-Ruf auf, werden Juden angerempelt, von den Gehwegen geschubst und aus den Kaffeehäusern geworfen. Marodierende Banden ziehen durch die Straßen und plündern Geschäfte. Hausbesitzer, die an Juden vermietet haben, bekommen Drohbriefe. Häuser brennen. Es gibt Tote und Verletzte.

Flugblätter sprechen von »jüdischem Ungeziefer« oder fordern gleich direkt die völlige Vertilgung aller Juden. Hartwig Hundt, ein bislang wenig erfolgreicher Schriftsteller, der seinen Namen zu »von Hundt-Radowsky« aufgebrezelt hat, schlägt in einer Broschüre vor, alle Juden zu kastrieren und den Engländern als Plantagensklaven zu übereignen. Innerhalb von drei Wochen werden 10 000 dieser Broschüren verkauft.