Verwandtenbesuche

Annette und ihre Schwester Jenny saßen in der Hülshoff’schen Reisekutsche, eng aneinandergeschmiegt, um sich gegenseitig Körperwärme zu schenken und die Stöße der grässlichen Knüppelstraße abzufangen. In Westfalen beruhte alles auf uraltem Herkommen, es wurde wenig regiert, wenig gezahlt und wenig gemacht. Schon gar nicht die Straßen. Die lehmigen Haupt- und Feldwege waren bereits bei normalen Witterungsbedingungen eine üble Zumutung, schon ein einfacher Wolkenbruch machte sie zur Rutschbahn. Und jetzt hatte der wochenlange Regen die Fahrbahn so ausgewaschen, dass sie fast nur noch aus Schlaglöchern bestand, eins lag neben dem anderen, und jedes war tief wie ein Brunnen. Mitten im Juli hatte der Kutscher seine Beine in einen pelzgefütterten Sack gesteckt, den er sich bis unter die Achseln gezogen hatte, und dazu hatte er sich ein Tuch um den Kopf gewickelt, wie ein altes Bauernweib. Wo keine Schlaglöcher waren, lagen Feldsteine. Annette hatte bereits Nasenbluten und drückte sich ein zusammengeknülltes Taschentuch ins Gesicht. Eine Unterhaltung war schlichtweg unmöglich. Man konnte nicht einmal gähnen, ohne Gefahr zu laufen, sich die Zunge abzubeißen. Felder zogen vorbei. Meistens standen sie unter Wasser, ab und zu sah man ein Gespenst, das im Morast nach verfaulten Kartoffeln buddelte. Annette starrte auf das Kutschenfenster, an dem dicke Tropfen herunterrannen, aber nie

Verwandtschaft war eine aufreibende Angelegenheit, wenn man so viel davon besaß wie die Hülshoff’schen Schwestern. Allein mütterlicherseits sechs Stiefonkel und sieben Stieftanten, die allesamt den Anspruch hatten, besucht zu werden. Genau genommen war es die Pest, aber das durfte man natürlich nicht zugeben. Nicht einmal vor sich selber. Das erste Ziel, der Bökerhof der Großeltern, versprach immerhin eine vergnügliche Zeit. Der gar nicht onkelhafte Onkel August brachte nämlich jedes Mal Studienfreunde mit nach Hause – nicht irgendjemanden, sondern die interessantesten jungen Männer, die man sich nur denken konnte. August schwor, dass es sich bei ihnen um den westfälischen Geistesadel handelte. Auch die unverheirateten Tanten, die im Bökerhof wohnten und vom Alter her viel eher wie Cousinen waren, luden Freundinnen ein, und zusammen mit der Verwandtschaft aus der näheren Umgebung saßen oft mehr als dreißig Personen am Tisch. Die Verwandtschaft aus der näheren Umgebung bestand dann allerdings aus deutlich älteren, teilweise doppelt so alten Tanten und Onkeln. Zeitlich auseinanderdriftende Generationen innerhalb einer Familie waren nichts Ungewöhnliches. Eine hohe Müttersterblichkeit sorgte dafür, dass oft mehrmals geheiratet wurde, und die Angewohnheit des Adels, die gesamte Fruchtbarkeitsperiode der Frauen hindurch Nachwuchs zu produzieren – schließlich war auch die Kindersterblichkeit groß, sodass es ratsam schien, zwei oder drei Stammhalter in Reserve zu haben –, sorgte wiederum für eine noch höhere Müttersterblichkeit. Blieb der Nachwuchs dann in unerwartet hoher Zahl am Leben und heiratete womöglich noch, besaß man irgendwann eine völlig unüberschaubare Verwandtschaft, und die Visiten hingen aneinander wie ein Kälbergekröse. Außer zum Bökerhof würden Jenny und Annette

Seit Paderborn ging es besser voran, Knüppelstraßen statt Morast, unbequem, aber fest. Die Kutsche rumpelte, der Regen rann.

Dann kam das Gespann mit einem Ruck zum Stehen. Sie hörten den Kutscher fluchen. Was war denn jetzt schon wieder? Langsam senkte sich der Innenraum zur rechten Seite.

»Raus hier«, befahl Annette, stieß die linke Wagentür auf, griff Jennys Hand und schob und zog sie mit sich hinaus. Beide versanken sofort bis zu den Knien im Schlick. Ihre Kleider – der Saum und noch ein ganzes Stück darüber – breiteten sich über den Boden. Teller aus Samt, blau bei Annette, gelb bei Jenny.

»Meine Stiefel«, jammerte Jenny. Dann blickte sie nach vorn und sagte bloß noch: »Oh, Gott!«

Das rechtsziehende Pferd, der brave Moritz, war bis zum

Annette zog Jenny auf ein festeres Stück Straße. Mechanisch riss sie ein paar große Blätter ab und putzte damit an ihrem Kleid herum, während Jenny sich an ihren Arm klammerte. Der Kutscher stemmte sich mit einem gurgelnden, schmatzenden Laut aus dem Sumpf. Die Bettler standen jetzt vor ihm. Drei Männer, eine Frau und zwei Kinder, deren Geschlecht sich nicht mehr bestimmen ließ. Unendlich hager, unendlich dreckig, unendlich nass. Der heftige Schmerz des Hungers hatte ihre Gesichtszüge so verzerrt, dass sie kaum noch Menschen glichen. Mit Schorf auf den Wangen und kahlen Stellen auf den Köpfen sahen sie aus, wie aus dem Grab gerissen.

Sie starrten das eingesunkene Pferd an, dann die Kutsche,

Aber dann herrschte der Kutscher sie an, sie sollten nicht herumstehen, sondern ihm helfen, die Pferde auszuschirren, und schon siegte die lebenslange Gewöhnung an Leibeigenschaft und frommen Gehorsam über den Selbsterhaltungstrieb. Die Frau führte die beiden Pferde aufs Trockene und das spindeldürre Memento von Mann half, die Kutsche zurückzuschieben und alles wieder so herzurichten, dass die Herrschaften weiterreisen konnten. Jenny und Annette drückten jedem eine kleine Münze in die Hand und der Kutscher hatte noch ein Stück Brot, das eine Tränenflut und nicht enden wollende Dankbarkeitsbezeugungen auslöste.

 

»Dem Himmel sei Dank, dass ihr endlich da seid«, rief die Großmutter. Sie stand mit Tante Sophie, Ferdinandine, Ludowine und Anna vor dem Eingang, der von einer Galerie überdacht war. Die Großmutter trug ein dunkles Kleid und blickte mit ihren kugelrunden lieben Augen aus einer Rüschenhaube, deren kleinteilig sich ringelnde Rüschen und Spitzen übergangslos in den kleinteilig sich rüschenden Spitzenkragen hinweinwuchsen, sodass sie an eine voll erblühte Rose erinnerte. Die Tanten hatten straffe Frisuren, glatte Haarflächen rechts und links des Mittelscheitels, aus denen sich kein einziges Haar zu lösen wagte. Oben auf den Hinterköpfen saßen Zopfkronen und hinter den Ohren waren zwei oder drei Haarsträhnen mit dem Lockenholz zu Spiralfedern dressiert worden. Ludowine, obwohl erst zweiundzwanzig, trug zusätzlich noch eine Haube wie ihre Großmutter.

Ein Knecht und die beiden Kammermädchen liefen gebückt

»Wir warten seit vorgestern. Wo seid ihr denn so lange gewesen? Und wie ihr ausseht. Man könnte denken, ihr seid zu Fuß gekommen.«

Annette fiel ihr um den Hals.

»Der Weg, Großmutter«, sagte Jenny. »Es war einfach kein Durchkommen. Wir mussten zweimal mehr Quartier nehmen, in Rhietberg und in so einem kleinen Dorf, wo wir nicht einmal ein Frühstück bekommen haben. Und der Moritz ist beinahe im Matsch versunken.«

»Na, nun seid ihr ja da. Lasst euch ansehen, Mädchen – ihr seid ja ganz bleich. Schnell, kommt herein. Sophie hat für euch das blaue Zimmer vorbereiten lassen.«

Tante Sophie, patent und resolut, trug ein mehr praktisches als hübsches Kattunkleid. Da kaum noch zu erwarten war, dass sie einmal heiraten würde, hatte man ihr nach und nach die Haushaltsführung des gesamten Gutes übertragen. Sie küsste beide Nichten auf die Wangen.

»Na, nun kommt schon herein. Wir können uns doch auch alle im Trockenen begrüßen.«

Beim Küssen sah Annette den winzigen Fächer aus Falten in Sophies Augenwinkeln. Die Arme, sie war einmal hübsch gewesen, aber nun wurde sie alt, bald dreißig war sie. Zusammen mit den anderen Tanten ging man ins Entree, wo das Familienhaupt, der alte Freiherr von Haxthausen, am brennenden Kamin saß, um seine gichtkranken Knochen zu wärmen. Er war ein Mann von über achtzig Jahren mit einem winzigen zähen Körper. Auf dem Kopf hatte er eine gepuderte Perücke und er trug einen blauen Rock mit großen Knöpfen und dazu seidene

»Immer neue Katastrophen«, murrte er, als ihm von der nassen Reise berichtet wurde. »Mal regnet es, mal hagelt es, Vögel fallen einfach vom Himmel. Das ist der Untergang. Keine Lebensordnung! Wir haben mehr Kartoffeln ausgesetzt, als wir einfahren werden. Falls wir überhaupt etwas einfahren.«

Er zog ein riesiges Taschentuch hervor und schnäuzte seine Raubritternase. Auch die Physiognomie des alten Freiherrn schien noch ins 18.Jahrhundert zu gehören.

»Jetzt lass die Kinder erst mal ankommen«, sagte die Großmutter. Sie nahm am Tisch in der Nähe des Großvaters Platz. Alle setzten sich. Der Tisch war blank geputzt, dennoch krochen einige Fliegen darauf herum.

»Erzählt, wie geht es auf Hülshoff. Sind alle gesund? Ich habe gehört, in Münster sei Typhus ausgebrochen.«

»Es gibt tatsächlich einige Fälle«, sagte Jenny, »deswegen hat Mutter uns auch verboten, weiter bei der Armenspeisung zu helfen. Und weil es Plünderungen gegeben hat. Zwei Bäckerläden. Mutter findet es jetzt zu gefährlich in Münster.«

»Das kommt davon, wenn man die Leute verzieht«, sagte der Großvater, »all diese Hilfsvereine – und irgendwann denken die Bettler dann, es stünde ihnen zu. Und dann hat man die Bescherung.«

Er beugte sich vor und zerdrückte mit der Lichtputze eine bereits halb tote Fliege, die sich auf dem Rücken drehte. Aber gleich daneben landeten schon wieder zwei neue.

»Oh, wenn du die Armen in Münster gesehen hättest«, sagte Jenny, »kleine Kinder dabei und Mütter, und sie wissen einfach nicht wohin. Niemand gibt ihnen Arbeit …«

»Hier ist es auch schlimm«, sagte Sophie, »fast wie vor vier Jahren, als die Soldaten aus Russland zurückkamen. Vielleicht sogar noch schlimmer.«

Annette stützte die Ellbogen auf.

»Auf dem Weg hierher haben wir halb verhungerte Menschen gesehen.«

»Seit wann kannst du irgendetwas sehen?«, fragte Anna.

»Anna! Also wirklich!«, sagte die Großmutter zu ihrer jüngsten Tochter.

»Ist doch wahr«, sagte Anna und schob die hübsche kleine Unterlippe vor.

Ludowine sah von ihrem Strickstrumpf auf. Ständig hatte sie eine Handarbeit vor sich, strickte, nähte oder klöppelte etwas besonders Raffiniertes und Schwieriges, an das sich sonst niemand herantraute. Nadeln und Fäden legte sie nur aus der Hand, wenn sie in der Bibel las, um sich zu einem besseren Menschen zu machen.

»Ist August denn gar nicht da?«, fragte Jenny.

»Nein. August kommt diesen Sommer womöglich gar nicht mehr. Das Wetter ist ja auch sehr schlecht. Und dann schreibt er davon, dass er ein Buch herausgeben will.«

»Ein Buch? Was denn für ein Buch?«

Der Großvater erhob sich knöchern, um einen Scheit in den Kamin zu werfen.

»Jetzt muss man schon im Sommer brennen. Was kommt wohl als Nächstes?«

»Und weil die Preußische Regierung unserer guten Äbtissin das Verwaltungsrecht über das Stiftsvermögen entziehen will!«

Ludowine war Stiftsdame in Geseke, was ein kleines Pfründeneinkommen ohne die lästige Residenzpflicht bedeutete. Aufnahme fanden nur Damen, die einen sechzehnahnigen Adelsnachweis erbringen konnten.

»Ich überlege, ob ich deswegen an den König schreiben soll.«

»Bete lieber«, seufzte die Großmutter, »was habe ich gebetet seit dem letzten Jahr. Was habe ich gebetet! So haben die schlimmen Gewitter zumindest unsere Ländereien verschont.«

Der alte Haxthausen sah auf, als wollte er etwas sagen, brummte dann aber bloß unverständlich in sich hinein. Die Gewitter hatten die Haxthausen’schen Ländereien seit jeher verschont. Der Bökerberg lenkte sie in eine andere Richtung. Seit Menschengedenken hatte kein Hagel die Ernte je zerstört. Außerdem gab es bei so viel Regen ohnehin kaum Ernte. Die Kartoffeln waren verfault und die Kornfelder gar nicht erst gereift. Doch seine Gemahlin war sehr fromm und wurde von den Bauern dafür beinahe wie eine Heilige verehrt. Es schickte sich nicht, ihr in dieser Sache über den Mund zu fahren.

Ferdinandine schenkte Kaffee aus einer riesigen Kanne ein und reichte jedem dazu ein Glas Wasser. Sie war schon sechsunddreißig. Außerdem wurde sie dick, das ohnehin runde Kinn begann sich zu verdoppeln, aber das machte nichts, da sie bereits verheiratet gewesen war. Ihr Ehegatte, der Freiherr von Heereman-Zuydtwyck, war bereits fünf Jahre nach der Hochzeit verstorben und hatte ihr unter anderem ein Palais in Köln und ein riesiges altes Haus direkt am Rhein neben dem Bayenturm hinterlassen. Trotzdem wohnte Ferdinandine mit ihren beiden Kindern und dem Erzieher Ballhaus lieber in Abbenburg oder

»Wenn ihr Mädchen fertig seid, dann sucht ihr am besten schon einmal kleines Gepäck für morgen zusammen«, sagte die Großmutter. »Morgen früh geht es nach Abbenburg.«

»Gleich morgen schon?«, fragte Jenny verzagt.

Annette ließ das Messer sinken und starrte auf die Tischplatte.

»Wie gut, dass Nette das Reisen so liebt«, sagte Anna. Das war ein Familienwitz. Annette schwärmte ständig vom Reisen. Frei sein, einfach losziehen! Afrika! Asien! Die Sehnsuchtsziele konnten gar nicht fern und Furcht einflößend genug sein. Doch sowie auch nur der kleinste Ausflug anstand, meldete sich prompt irgendeines ihrer Gebrechen. Schon beim Kofferpacken stellten sich die ersten Kopfschmerzen und ein Gefühl der Beklemmung ein. Die Intensität ihrer Leiden verdoppelte sich noch, wenn sie die Kutsche bestieg. Was zuvor ein dumpfer, geringer Druck in der Seite gewesen war, wurde zum heftigen Reißen, und das unangenehme Pochen in den Schläfen verwandelte sich in das Klopfen eines Berghammers, mit dem ein durchgedrehter Gnom in ihrem Schädel fuhrwerkte.

»Natürlich«, sagte die Großmutter, »ihr wisst doch, wie gekränkt der Fritz ist, wenn er erfährt, dass ihr hier wart und nicht sofort zu ihm herübergekommen seid. Anna und Ludowine werden euch begleiten.«

 

Bis zum Gut Abbenburg war es keine Stunde Weges. Man hätte zu Fuß gehen können, wenn die Sonne geschienen hätte. Aber der Himmel am nächsten Morgen war schmutzig grau, und der Wind blies feuchtkalt und winselte im Kutschenfenster. Kaum

 

Onkel Fritz gehörte zu den älteren Verwandten. Er war bereits vierzig und seinem jüngeren Bruder Werner wie aus dem Gesicht geschnitten beziehungsweise der ihm. Dieselbe gerade, etwas lange Nase, die vollen Wangen mit den Grübchen neben dem Mund, die großen Ohren und wachen Augen. Nur dass von Fritz im Gegensatz zum zappeligen Werner stets Ruhe und Behaglichkeit ausgingen. Als ehemaliger Domherr von Corvey hatte Friedrich von Haxthausen nach der Säkularisation zwar seine Stellung verloren, bezog aber immer noch ein angenehmes Auskommen. Entsprechend gut gelaunt führte er auf Abbenburg eine Junggesellenwirtschaft, in die ihm niemand hineinredete.

Die Pfeife in der Hand, dicke Qualmwolken ausstoßend, kam er ihnen völlig unbekümmert um den Regen entgegen. Onkel Fritz rauchte von morgens bis abends, geradezu unmenschlich viel. Alle seine Besucher litten darunter, auch die, die selber rauchten. Wenn möglich, versuchten seine Gäste es zu vermeiden, sich mit ihm im Haus aufzuhalten. Selbst im Herbst wich man lieber in den Park aus, in dem es deswegen lauter hübsche kleine Aufenthaltsorte gab: einen Sitzplatz an einem Springbrunnen, Blumenterrassen oder einen steinernen Tisch unter einer Linde mit Bänken drum herum. Bei diesem Wetter blieb Annette, Jenny, Anna und Ludowine allerdings nichts anderes übrig, als dem qualmenden Onkel und Bruder in das mit lauter Familienbildern, Uhren, Waffen und unzähligen Kästen und Raritäten vollgestopfte Haus zu folgen.

Wie Nebelschwaden stand der Rauch zwischen den altertümlichen Möbeln. Da saßen sie nun auf einem interessant beschnitzten Sofa, begutachteten die neuesten Exemplare in

Hätte!

Hätte, hätte, Epaulette!

Nun kam die Edelsteinsammlung dran, und es war kein Ende in Sicht, denn neben dem Sammeln von Gemmen und Edelsteinen pflegte Onkel Fritz auch noch die ehrwürdige Numismatik. Das »Münzkabinett«, ein polierter Holzkasten mit drei Schubladen, in denen altdeutsche Geldstücke aufbewahrt wurden, stand schon auf dem Tisch bereit. Überhaupt sammelte er alles, was sein Herz erfreute, auch die Dinge der Natur, seltsam verdrehte Äste, Vogeleier, Käfer und was immer er auf seinen Jagdausflügen fand, das sich irgendwie konservieren ließ. Sophie, die hin und wieder zum Aufräumen herüberkam, versuchte vergeblich, eine Ordnung hineinzubringen. Und alles, alles wollte bewundert werden.

Eine Fliege taumelte über den Tisch. Selbst den Fliegen, die hier in großer Zahl den Dauerregen auszusitzen versuchten,

»Habt ihr eigentlich schon das neue Prunkstück in meiner Waffensammlung bewundert?«, fragte er die Nichten. »Das haben die Mädchen mir zum Vierzigsten geschenkt.«

Er reichte ihnen die Fliegenklatsche. Zwei runde Lederstücke waren aneinandergesteppt und mit einer kleinen Schraube und blauem Band am Stiel eines Kochlöffels befestigt. Beide Seiten waren bestickt. Sieben auf einen Schlag, stand auf der einen Seite, auf der anderen: Zwei Fliegen mit einem Klapp. Eine blutige Arbeit musste das gewesen sein, die dünne Nadel immer wieder durch das Leder zu ziehen, all die vielen Buchstaben, und dann noch auf jeder Seite die aus Goldfäden gemachten Fliegen, insgesamt neun. Bestimmt war das Ludowine gewesen.

Jenny nickte anerkennend.

»Ein wunderschönes Geschenk für einen passionierten Fliegenjäger«, sagte Annette.

»Nicht wahr«, sagte Fritz, nahm die Patsche wieder in die Hand und setzte den Fliegen nach, als wären sie edelstes Wild.

»Ich kann mich mit allem Recht einen glücklichen Mann nennen. Jetzt muss nur noch das Wetter besser werden, damit man auch wieder Größeres jagen kann.«

»Mutter sagt, es liegt daran, dass die Menschen nicht mehr regelmäßig zur Kirche gehen«, berichtete Ludowine.

»Das ist gut möglich«, sagte Onkel Fritz, »ganz bestimmt sogar. Es könnte aber auch ein wenig an den Sonnenflecken liegen. So viele Sonnenflecken soll es schon lange nicht mehr gegeben haben. Und da kommt dann wohl keine Wärme mehr durch, auch wenn der Herrgott uns gar nicht böse ist.«

»Fritz, du lästerst«, sagte Ludowine und funkelte ihn unter ihrer Schute hervor an. »Dabei ist es mir ernst.«