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Es rumpelte und klirrte, als die Flaschen gegeneinanderstießen. Eine nach der anderen ließ Xaver über das Gitter rollen. Schon wieder musste er den Kühlschrank auffüllen. Es war Samstagabend, da war der Durst der Leute nach kühlem Bier schwer zu stillen – egal, ob es draußen Minusgrade hatte.
Schließlich erhob er sich und warf die Tür schwungvoll zu. Er rieb sich die Oberarme. Obwohl er einen Hoodie trug, fröstelte er. Nun ja, egal. Er schnappte sich den leeren Bierkasten und trug ihn wieder ins Lager.
Zurück im Verkaufsraum wehte ihm der nächste kalte Luftzug ins Gesicht. Schnell begab er sich also hinter den Tresen, denn dort war es zumindest ein bisschen wärmer.
Über Erika konnte man sagen, was man wollte. Sie war die beste Chefin der Welt. Keiner der Prinzen, wie sie ihre Jungs so gerne nannte, hätte dies bestritten. Aber sie hatte eben auch ihre Macken. Eine davon war die Sache mit der Tür. Es war verboten, sie auch nur für einen Moment zu schließen, und keiner der Jungs hätte es gewagt, sich dieser Anweisung zu widersetzen.
„Eine offene Tür sieht doch viel einladender aus“, begründete sie es. „Wisst ihr, an ‘ner geschlossenen Tür watscheln die Leute vorbei wie die Enten. Dann laufen sie rüber zu Yilmaz und die alte Erika macht kein Geschäft. Das wollen wir doch nicht, oder?“
Tja, Nordpol-Temperaturen im Laden waren zwar auch nicht einladend, aber gewissermaßen hatte sie natürlich auch
recht. Der Späti war nicht der Einzige im Kiez. Warum also nicht in die psychologische Trickkiste greifen?
Xaver drehte den Heizstrahler eine Stufe höher und setzte sich auf den Hocker hinter dem Tresen. Gerade waren keine Kunden da, also hatte er Zeit, seinen Blick ausführlich durch den Laden schweifen zu lassen.
Von draußen zog nicht bloß die eisige Luft herein, sondern auch das Brummen der Motoren. Eine Kolonne schob sich im Schritttempo an der Tür vorbei. Bremslichter leuchteten auf und vom nachtschwarzen Himmel kam eine undefinierbare Mischung aus Regen und Schnee.
Plötzlich donnerte es und alles im Laden vibrierte. Die Flaschen klirrten.
Oben auf der Hochtrasse war also gerade ein Zug in den Bahnhof eingefahren. Das bedeutete: Gleich würden die Leute herunten aus den Bahnhofsausgängen strömen und ein paar von ihnen würden bestimmt den Laden ansteuern.
So geschah es auch.
Vier Kerle kamen durch die Tür. Sie waren auffällig edel gekleidet. Mit Wintermänteln aus Schurwolle oder Kaschmir, dazu dunkle Stoffhosen und polierte Herrenschuhe. Allesamt trugen sie akkurat gestutzte Dreitagesbärte, so als würden sie ein- und denselben Barber aufsuchen – einen der sein Handwerk exzellent beherrschte.
Hätte Xaver sich in einem schlechten Gangsterfilm befunden, wäre es nicht auszuschließen gewesen, dass das Quartett nun Kalaschnikows unter ihren Mänteln hervorgezaubert und alles kurz- und kleingeballert hätte. Ja, sie sahen wirklich aus wie eine Mafia-Truppe.
Es war aber bloß ein wilder Gedanke. Er schob ihn rasch beiseite. Erika wurde ja nicht erpresst. Jedenfalls wusste er nichts dergleichen. Und wenn es wirklich so war, wollte er es lieber nicht wissen. Bei den vier Typen handelte es sich
wirklich bloß um Kunden, denn ihr Interesse galt vielmehr dem Bierkühlschrank als einem Blutbad.
Einer nahm nun vier Flaschen an sich und steuerte damit den Tresen an.
„Die hier“, sagte er. „Und davon nehme ich auch noch einen.“ Er wies auf das Regal in Xavers Rücken.
Xaver beachtete die Geste nicht, denn sein Blick war starr auf den Kerl gerichtet. Genau genommen auf sein Gesicht. Hohe Wangenknochen, azurblaue Augen mit grünen Sprenkeln und dazu ein attraktiv geformtes Kinn, das von dem Bart umrahmt wurde.
Er trug eine Wollmütze, unter der eine blonde Strähne hervorlugte.
Meine Güte, sah dieser Typ heiß aus …
„Noch eine Packung … Kaugummis bitte“, sagte er nun und wies erneut auf das Regal.
„Ach so, jaja …“ Xaver riss sich zusammen. Himmel, hatte er den Kunden gerade angestarrt, als wäre er eine mysteriöse Erscheinung? Er straffte sich und nickte. „Klar! Welche Sorte denn? Orbit, Airwaves … ähm, Hubba Bubba?“
Ein Schmunzeln ging durch das Gesicht des Fremden. Ein ungemein sympathisches Schmunzeln.
Da kribbelte es tief in Xavers Magengrube. Ein Gefühl, das sich in Windeseile ausbreitete. Neuerlich musste er dagegen ankämpfen. Mein Gott, was war denn nur los mit ihm?
„Blaue Airwaves … bitte.“
Er nickte. Anstatt ins Kaugummiregal zu greifen, gab er sich aber den Gedanken hin, die gerade durch seinen Kopf rasten.
Kaugummis wurden in der Regel gekaut, um Mundgeruch zu bekämpfen. Bei dem Kerl, der auf der anderen Seite des Tresens stand, konnte er sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieses Problem bestand. Ehrlich gestanden hätte er sich gerne selbst davon überzeugt, indem er ihn …
Er scheuchte den Gedanken aus seinem Kopf. Keine Ahnung, was gerade geschah. Er war doch sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Meine Güte!
Um den Verkaufsvorgang endlich weiterzuführen, griff er nun ins Regal und legte eine Packung blaue Airwaves zu den Bierflaschen.
Obwohl es eigentlich die Aufgabe der Kasse gewesen wäre, fing er an, alles im Kopf zusammenzurechnen. „Zehn Euro dreißi… ähm, nee … zehn Euro sechzig, bitte.“
Ein einnehmendes Lächeln kam über den Tresen. Der Fremde nahm sein Portemonnaie und legte einen Zehn- und einen Fünf-Euro-Schein ab. Für eine Millisekunde kam es zu einer Berührung. Ein Kitzeln schoss von Xavers Finger direkt in die Nervenbahnen. Leise schnappte er nach Luft.
„Stimmt so“, sagte der Kunde und schob die Kaugummipackung in seine Manteltasche. Die Bierflaschen nahm er an sich und verteilte sie an seine Begleiter.
Schließlich verließ das Quartett den Laden. Der Blonde ging als letzter und Xaver blickte ihm lange nach. Selbst durch den Spalt zwischen Kühlschrank und dem Regal mit dem Knabberzeug, hinter dem sich das Fenster befand, erhaschte er noch einen Blick.
Das Kribbeln wollte nicht aufhören. Es dauerte eine ganze Weile, bis es so weit nachgelassen hatte, dass er wieder normale Gedanken fassen konnte.
Draußen zischelten Fahrradreifen über den Bürgersteig. Es folgte ein Klackern und Klimpern an der Stange des Verkehrsschilds, das sich direkt neben der Tür befand.
Es konnte sich nur um Aaron handeln, der zur Nachtschicht eingeteilt war und seinen Dienst gleich antreten würde. Ein Moment verging, dann erschien aber Jonte in der Tür, der ebenfalls im Späti arbeitete und gleichzeitig Xavers Mitbewohner war.
Jonte war ein Friesenjunge, dem es am Meer zu langweilig geworden war. Ein Typ, der stets gute Laune verbreitete. Er hatte gewelltes, brünettes Haar und ein Gesicht voller Sommersprossen.
Genau in dieses Gesicht guckte Xaver nun. „Hab ich etwa im Dienstplan falsch geguckt? Ich meinte, Aaron macht heute die Nachtschicht.“
„Ist schon richtig“, sagte Jonte und grinste. Als er gerade weiterreden wollte, quietschte hinter ihm eine Fahrradbremse.
Jetzt war es Aaron. Sein Hinterreifen rutschte auf dem matschigen Bürgersteig weg. Gerade noch fing er sich ab und brachte es irgendwie zustande, dieses Bremsmanöver unfallfrei zu überstehen. Er lehnte das Fahrrad an die Hausmauer und kam stolpernd in den Laden.
„Was für ‘n Auftritt“, sagte Jonte und wieder grinste er.
„Leute, ich bin verwirrt“, meinte Xaver. „Wer ist nun meine Ablöse?“
„Ich! Ich hab Nachtschicht“, betonte Aaron.
„Ja, ich war bloß zufällig in der Gegend“, erklärte Jonte. „Xaver, ich komm dich abholen! Sag, wollen wir ein wenig rumlaufen?“
Da musste Xaver nicht überlegen. Es war Samstagnacht und er hatte noch keine Pläne. Außerdem gab es nichts Cooleres, als sich mit Jonte durch die Stadt treiben zu lassen. Mit ihm landete er immer an den kuriosesten Orten und sie stellten die verrücktesten Dinge an.
„Okay“, meinte er also. „Ich mach nur schnell die Übergabe mit Aaron, dann können wir los.“
„Klasse!“ Jonte lehnte sich in den Türrahmen und wartete.
Aaron war inzwischen hinter den Tresen gekommen und zog seinen Anorak aus.
Sie glichen den Kassenstand ab. Ansonsten gab es nichts mitzuteilen. Die Dienstübergabe war also schnell erledigt.
„Tja, dann hab eine ruhige Nacht“, sagte Xaver.
„Ja, hoffen wir es.“ Aaron nickte und seine hellblonden Locken flogen dabei nur so durch die Luft.
Aaron war das Küken der Truppe. Gerade einmal achtzehn Jahre alt und zart gebaut. Er entsprach genau dem Klischee eines süßen Twinks. Knackarsch und dazu ein freches Grinsen, das jeden schwulen Kerl auf unanständige Gedanken brachte.
Gerade in einer Stadt wie Berlin wirkte sich dies äußerst positiv aufs Geschäft aus – das wusste Erika und das freute sie.
Nun verabschiedeten sie sich und zogen los. Jonte schob sein Fahrrad und Xaver ging neben ihm her. Sie passierten den U-Bahnhof Prinzenstraße, bei dem es sich um einen über die Straße gebauten Glaskasten handelte. Danach bewegten sie sich zum Park am Gleisdreieck. Ein konkretes Ziel hatten sie nicht. Das war ja das Schöne daran, wenn sie sich durch die Stadt treiben ließen.
Sie erreichten den Park. Eine weitläufige Anlage, die im Sommer super dazu geeignet war, wenn man stundenlang in der Sonne chillen oder nachts mit einem Bier in der Wiese zusammensitzen wollte. Es war ein Ort, an dem sich coole Leute trafen.
Jetzt war dies freilich nicht der Fall. Es war eisig kalt, trist und grau. Eine trübe Dezembernacht eben. Aber auch die hatte in dem Park ihren Reiz.
Kahle Bäume wurden vom Mond angeschienen und warfen lange Schatten auf die Gehwege. Weiter hinten war im Lichtkegel einer Laterne ein einsamer Spaziergänger mit Hund zu sehen. Es knirschte unter ihren Sohlen, denn der Boden war gefroren. Xaver kam kurz ins Rutschen, schnell fing er sich aber wieder ab.
„Oh, hoppla!“ Jonte grinste.
„Wohin wollen wir?“, fragte Xaver.
Jonte überlegte. Sein Atem wurde in Form von Wölkchen sichtbar, die aus seinem Mund kamen. „Hm, keine Ahnung …“
Also gingen sie weiter. Irgendwann kamen sie zu einem Areal, das von einem provisorisch errichteten Zaun umgeben war. Ein Weihnachtsbaumhändler hatte hier seinen Verkaufsbereich eingerichtet. Die zusammengezurrten Bäume bildeten mehrere Haufen. Dazwischen befand sich ein Holzhüttchen und daneben eines dieser trichterförmigen Geräte, die Weihnachtsbaumhändler zum Verpacken der Bäume nutzten.
Jonte ließ seinen Blick über das verlassene Areal schweifen. Er blickte Xaver an und sein Gesichtsausdruck sagte, dass er gerade etwas ausheckte.
„Ähm, was hast du vor?“
„Holen wir uns einen?“
„Wie bitte?“
„Wir könnten uns einen Baum für die Wohnung holen. Warum nicht? Ein bisschen Weihnachtsstimmung schadet nicht, würde ich meinen.“
„Du willst einen Baum klauen
?“
„He, so ein Ding kostet ein Vermögen“, verteidigte er seinen Plan. „Kaufen ist nicht drin! Oder hast du etwa im Lotto gewonnen?“ Er stieß Xaver amüsiert von der Seite an.
„Nee, hab ich nicht – und genau deshalb werde ich auch keinen Weihnachtsbaum in der Wohnung haben.“
Gut, es gab auch noch andere Gründe, warum ihm ein solches Ding gestohlen bleiben konnte, doch die musste er nun wirklich nicht breittreten.
Jonte ging ohnehin nicht darauf ein. Er ließ sein Fahrrad fallen, schritt auf den Zaun zu und blickte durch eine Masche. „Doch“, sagte er entschlossen. „Wir holen uns einen, ja?“
Er war eben ein Typ, der nicht nur das Leben locker nahm, sondern auch die Gesetze entsprechend auslegte. Xaver war
diesbezüglich zwar anders gestrickt, ganz uninteressant fand er die Idee trotzdem nicht.
„Also, wollen wir es wagen?“, fing Jonte erneut damit an.
„Nee“, antwortete er.
Nicht, dass er plötzlich Schiss bekommen hätte. Vielmehr hatte es mit der Tatsache zu tun, dass es sich bei den Dingern um Weihnachts
bäume handelte. Dass die Feiertage nahten, bedrückte ihn ohnehin schon seit einiger Zeit – und mit jedem Tag wurde es nur noch schlimmer.
Wollte Jonte den geklauten Baum dann tatsächlich in der Bude aufstellen? Nadelduft und Weihnachtskitsch in den eigenen vier Wänden? Davor gruselte es ihn. Das Ding würde ihn nur noch öfter an Weihnachten erinnern, als er ohnehin schon daran denken musste. Das durfte er nicht zulassen!
So gut wir alle Leute, die er kannte, hatten vor, Berlin über die Feiertage zu verlassen. Bei ihnen standen Familienbesuche an, ob in Friesland, wie in Jontes Fall, oder im Sauerland, wie bei Sina.
Letztes Jahr war es genauso gewesen. Auch damals hatte er Heiligabend allein in Berlin verbracht.
Deshalb freute er sich momentan auf nichts sehnlicher als auf den 27. Dezember, denn dann würde die Scheißweihnachtszeit endlich vorbeisein.
„Nun aber los“, drängte Jonte. Von ihm kam ein auffordernder Blick und ein schiefes Grinsen legte sich auf seinen Mund. „Wer klettert rüber und wer steht Schmiere?“
„Ähm … hm, hm.“ Xaver zuckte überfordert mit den Schultern.
„Na gut, ich mach’s“, bestimmte Jonte. Er setzte einen Fuß in eine Zaunmasche und fragte: „Ist die Luft rein?“
Xaver guckte in alle Richtungen. Auf den beleuchteten Wegen war keine Menschenseele zu sehen. Dahinter herrschte Dunkelheit, zudem war gerade Nebel aufgezogen, wodurch die
Umgebung ohnehin wie eine graue Suppe aussah. „Ich sehe niemanden“, murmelte er.
„Okay, dann klettere ich mal rüber.“ Jonte taxierte die Oberkante des Zauns an und griff in die Maschen. Er hatte einen drahtigen Körperbau. Fluchs auf die andere Seite klettern, einen Baum über den Zaun heben und wieder zurückklettern, sollte für ihn also kein Problem darstellen.
Danach würden sie das Ding aber auch noch unbemerkt aus dem Park schaffen müssen – und dann in die WG. Xaver stieß zischend Luft aus. Na super, das konnte ja noch heiter werden.
„Halt! Stopp!“, rief er im nächsten Moment. „Dort hinten hat sich gerade etwas bewegt!“
Er kniff die Augen zusammen und machte in einiger Entfernung tatsächlich zwei Silhouetten aus. Vielleicht handelte es sich um harmlose Spaziergänger, vielleicht aber auch um Streifenpolizisten. Er konnte es nicht genau sagen. „Ich glaube, da ist jemand“, meinte er nur.
Jonte zog seinen Fuß aus der Drahtschlaufe.
„Hm, hm.“ Er zuckte mit den Schultern. Stumm kamen sie überein, dass ihre Idee vielleicht doch nicht die Klügste war. Jonte seufzte. „Gut, ziehen wir weiter.“
Er nahm sein Fahrrad und sie setzten sich in Bewegung.
Sie verließen den Park auf der Schöneberger Seite und gingen weiter in Richtung Nollendorfplatz. Ein konkretes Ziel hatten sie nicht. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – trieb es sie in den schwulen Kiez, in dem sie schon so viele Nächte verbracht hatten.
In der Fuggerstraße hatte ein neuer Club namens Funky
eröffnet. Er war groß auf Instagram beworben worden. Xaver waren immer wieder Fotos davon in seinem Feed angezeigt worden. Nun sah er den Club zum ersten Mal in natura.
Schon von der Weite war eine Menschenschlange zu sehen. Lauter Typen. Zu zweit, in Grüppchen oder allein standen sie an.
Manche trugen ganz normale Ausgehklamotten, es waren aber auch welche in Fetisch unterwegs – die einen in Ledersachen, andere fröstelten in Sportswear vor sich hin. In Anbetracht der vorherrschenden Wetterverhältnisse waren Fußballerhöschen freilich eine recht luftige Bekleidung.
Ein extravagantes Gebilde aus Neonröhren warf ein violettes Licht auf den Bürgersteig. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, hörte man die Bässe wummern.
Xaver suchte sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein geeignetes Plätzchen und lehnte sich an die Hausmauer. Mit verschränkten Armen beobachtete er die Leute. Noch wusste er nicht so recht, ob er Bock darauf hatte, sich das Funky
mal von innen anzugucken.
Auf einmal durchzuckte es ihn heiß.
Zwischen den Leder- und Sportswear-Typen hatte er gerade ein Grüppchen erblickt, das klamottentechnisch stark aus der Reihe fiel. Vier Typen in edlen Wollmänteln, mit blitzblank polierten Herrenschuhen und akkurat gestutzten Bärten.
– Auch der Blonde war dabei.
Gerade trat er einen Schritt zur Seite und drehte sich einmal rundherum, so als würde er jemanden suchen.
Xaver hielt seinen Blick fest auf ihn gerichtet.
Dies blieb nicht unbemerkt. Der Fremde hielt inne und ein schmales Lächeln ging durch sein Gesicht. War Xaver vorhin im Späti auf merkwürdige Art und Weise nervös geworden, als er ihm gegenübergestanden war, so erging es ihm nun anders. Entweder lag es daran, dass gut zehn Meter zwischen ihnen lagen, oder er hatte sich in der Zwischenzeit schlichtweg daran gewöhnt, dass er den Kerl rattenscharf fand – und war nicht mehr so überrumpelt.
Ihre Blicke verharrten aufeinander. Xaver lächelte nicht, sondern bemühte sich um einen coolen, aber trotzdem
einladenden Gesichtsausdruck. Keine einfache Übung, die ihm aber einigermaßen gelang. Jedenfalls sagte ihm das sein Gefühl.
Wieder kitzelte es in seinem Bauch. War das nicht merkwürdig? Normalerweise müsste es doch in seinem Schwanz kitzeln, oder in seinen Eiern, wenn er einen geilen Typen angaffte – aber doch nicht in seinem Bauch, oder?
Das Lächeln des Blonden verfestigte sich. Es vergingen Sekunden, die sich höllisch aufregend anfühlten.
Es war schon ein interessanter Zufall, oder? Nun war er dem Fremden zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden begegnet – und das an zwei Orten der Stadt, die doch ein gutes Stück auseinanderlagen. Wie oft kam so etwas schon vor?
Plötzlich fasste er einen Entschluss und stieß Jonte von der Seite an. „Sag, wollen wir rein ins Funky
?“, fragte er.
„Nee, ist mir zu teuer“ kam es umgehend zurück. „Bald ist Weihnachten, da ist meine Knete noch knapper bemessen als sonst“, erklärte er. „Einen Clubbesuch hatte ich wirklich nicht eingeplant.“
„Ich auch nicht“, gab Xaver zurück und behielt den Blonden stets im Blick. „Trotzdem hätte ich nun Bock darauf. – Ja, absolut …“
„Sorry, ich bin raus“, bekräftigte Jonte mit einer abwehrenden Geste. „Aber hey, wenn du rein willst, lass dich von mir nicht abhalten. Ich werde aber nicht mitkommen, aber du bist ja schon ein großer Junge, hm?“ Er grinste. „Ich gucke mal, wohin es mich heute Nacht noch treibt … vielleicht laufe ich aber auch bloß nach Hause und gehe pennen.“
„Hm, hm, jaja, pennen ist ‘ne großartige Sache“, kam es aus Xavers Mund. Es fiel ihm selbst auf, wie geistesabwesend seine Worte klangen.
Die Gruppe mit dem Blonden erreichte gerade den Türsteher und wurde einer kritischen Musterung unterzogen. Schließlich wurde ihnen die Tür geöffnet, die Bässe wummerten
heraus und sie durften eintreten. Erst als der Blonde verschwunden war, löste sich sein Blick von dem Geschehen.
„Okay, ja, ich geh rein!“, teilte er Jonte mit.
„Ist gut, Mann!“
Sie verabschiedeten sich mit einem Faustcheck. Dann nahm Jonte sein Rad und schob es die Straße hinauf, während sich Xaver in die Warteschlange einreihte.