Der Raum der Ringe
Als Hauptmann Rickenbacker seine gelbe Schlüsselkarte in den Schlitz seiner Suite steckte, hörte er lauter unerwartete Geräusche: ein Zisch, ein Klapp und das Knistern einer elektrischen Entladung. Er wich von der Tür zurück, als sei sie mit Kryptonit verkleidet (er hielt sich selbst für einen entfernten Verwandten von Superman).
»MR M., nehme ich an«, flüsterte er, denn er war sicher, dass sich sein Feind in der Suite befand und in seinem geliebten Flipperzimmer alle möglichen Fallen aufstellte.
Wenn Hauptmann Rickenbacker hätte sehen können, was auf der anderen Seite der Tür passierte, hätte er ganz bestimmt seine Befürchtungen bestätigt gesehen.
Die Leiter sauste mit erstaunlicher Geschwindigkeit zurück nach oben. Die runde Tür in der Decke klappte zu und die Lichter im Flipperzimmer kehrten zu ihrem Normalzustand zurück. Die Schlüsselkarte von Hauptmann Rickenbacker hatte somit das verborgene Ringzimmer in den abgesicherten Modus befördert.
Verstohlenheit gehörte nicht gerade zu Hauptmann Rickenbackers starken Eigenschaften. Er neigte eher zu kühnen Attacken und Spionage-Aktionen. Und so kam es, dass er die Tür aufstieß und anfing, Bowlingkugeln rasch nacheinander durchs Zimmer zu schmeißen und zu brüllen: »Nimm das! Und das! Und das!«
Leo war alleine in einem Raum auf Stock drei und ein halb, in einer luftdichten Kammer. Kein Geräusch drang zu ihm, weder von unten noch von oben. Sowohl sein geheimes Funkgerät als auch sein Walkie-Talkie hatten kein Signal mehr. Er konnte nicht hören, wie Hauptmann Rickenbacker mit all seiner Superheldenmacht versuchte, MR M. zu verjagen. Das einzige Geräusch, das Leo hören konnte, war das leise Atmen von Betty, das wirklich kaum zu vernehmen war.
»Ich glaube, es ist an der Zeit, die Kiste wieder zu öffnen«, sagte Leo. Betty quakte nicht, schien die Idee jedoch gutzuheißen, und Leo schob den Deckel auf und starrte hinein. Während des Essens hatte er sich überlegt, dass er den Deckel der Kiste auch nach hinten schieben konnte, was er jetzt tat, um ihn bloß nicht zu vergessen, wenn er sich in dem Labyrinth verlor.
»Ich glaube, ich stehe genau hier«, sagte er und stellte die Kiste und den übergroßen Pingpongball neben sich auf den Boden. Er deutete auf einen kleinen runden Fleck auf dem Boden des Modells, während Betty hinter ihm davonwatschelte.
Die Kiste war voll mit bunten Ringen in verschiedenen Größen, genau wie der Raum. Alle Wände im echten Raum waren gleißend weiß, erleuchtet von Milchglasscheiben. Und alle Ringe befanden sich genau dort, wo sie auch in der Kiste waren. Der Vorteil, im Besitz der Kiste zu sein, dachte Leo, war, genau zu wissen, wie er sich durch den komplizierten Irrgarten bewegen musste, der ihn umgab.
Betty quakte von weiter her, als Leo lieb war. Sie war eine mutwillige Zeitgenossin und bekannt dafür, allein loszumarschieren. Er war sicher, dass sie kurz davor war, irgendwie die Tür wieder zu öffnen und die Leiter nochmals in den Raum darunter zu lassen. Doch als er über die Schulter blickte, sah er, dass sie nur eine der weißen Milchglasscheiben anstarrte, auf der sich eine Botschaft herausbildete. Mit drei Schritten durch den einzigen ringlosen Raum in dem Labyrinth kam Leo hinterher und sah ebenfalls zu, wie die Worte erschienen. Es war, als ob jemand hinter der Scheibe saß und mit dem Finger auf das beschlagene Glas schrieb.
Hast du die Kugel mitgebracht?
Lass sie fliegen, lass sie fallen.
MR M.
Etwas fiel aus der Decke und ging haarscharf an Betty vorbei, und ein dunkler Schatten huschte hinter dem Glas herum. Leo fuhr zurück. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er vor etwas im Whippet Hotel Angst.
Er war nicht allein im Raum der Ringe, wie er angenommen hatte. Und was noch beängstigender war: MR M. war kein Hirngespinst, das der Einbildung von irgendjemandem entstammte. Er existierte.
Vielleicht war Hauptmann Rickenbacker ja doch nicht so plemplem.
Leo nahm sich zusammen und hob auf, was aus der Decke gefallen war. Es sah aus, als sei es konstruiert, um zu der Kiste zu passen. Ein Metallbrett, aus dem zwei Griffe hervorragten, wie die Lenker eines Motorrads. Leo nahm die Kiste und stellte sie vorsichtig auf das rechteckige Brett zwischen den Lenkern. Sie passte haargenau darauf. Ein neues Geräusch war hinter ihm zu hören – der Klang von Wind. Als Leo sich umdrehte, hatte sich der riesige violette Pingpongball in die Luft erhoben.
»Ich weiß, was ich machen muss!«, sagte er aufgeregt. »Ich verstehe es!«
Leo befahl Betty, dicht hinter ihm zu bleiben und genau das zu machen, was er machte, und irgendwie wusste er, dass sie ihn verstand. Sie stellte sich hinter ihm auf, während Leo die Griffe an der Kiste umfasste und in das Modell starrte.
»Ich weiß, wie man hier rauskommt, aber es muss ein Trick dabei sein und der hat was mit der Kugel zu tun.«
Als er sich der schwebenden Kugel näherte, spürte er, was er schon erwartet hatte: Ein starker Windkanal aus dem Boden tat sich auf, der den Pingpongball vor sich her blies. Leo drehte den rechten Lenkgriff und sah, wie sich die Kugel tatsächlich vorwärtsbewegte. Wenn er in die andere Richtung drehte, kam der Pingpongball zurück. Er kippte den vorderen Rand der Kiste nach unten, und die Kugel flog abwärts, während der Luftstrom aus dem Boden schwächer wurde. Dann kippte er die Vorderkante der Kiste schneller hoch, als er durfte, und die Kugel stieß an die Decke. Er richtete die Kiste wieder waagrecht aus und die Kugel kam zurück und schwebte genau vor seinen Augen.
»Tja, Betty, ich weiß jetzt, wie man die Kugel durch das Labyrinth steuert. Ich weiß nur nicht, wozu das gut sein soll.«
Leo zuckte die Schultern. Es blieb nichts anderes übrig, als die Kugel zu steuern und ihr zu folgen, also fing er damit an. Es klappte gut. Er wand sich durch einen grünen, einen gelben und dann durch zwei rote Ringe. Hinter ihm hüpfte Betty durch die Ringe. Doch dann kam er an eine Stelle in dem runden Labyrinth, wo er zwischen zwei Ringen wählen musste. Sie befanden sich an der Öffnung, die ihn tiefer in das Labyrinth bringen würde, der Mitte und dem Ende etwas näher. Machte es etwas aus, welchen Ring er wählte? Er glaubte es nicht und steuerte den Pingpongball durch den blauen Ring auf der rechten Seite. Doch als er durch war, füllte sich der Ring mit Nadeln aus Elektrizität und der Pingpongball zerbarst zu Staub.
Leo zuckte zurück, so dass er fast in einen der Ringe fiel, und starrte entsetzt die violetten Stäubchen an, die überall herumwirbelten. Wenn es etwas wie Feenstaub gab, dachte Leo, dann würde der wohl so aussehen. Die elektrische Entladung hatte aus der Kugel einen glitzernden violetten Schleier gemacht, der sich in Leos Wuschelhaar setzte und im Luftstrom tanzte.
Er versuchte, sich zu beruhigen, konnte sich aber kaum vorstellen, was mit ihm selbst passieren würde, wenn er durch den falschen Ring ging. Würde dann auch er zu Staub verpuffen, um niemals wieder aus dem Raum der Ringe zu entkommen?
»Immerhin weiß ich jetzt, wozu die violette Kugel gut war«, sagte er. »Trotzdem ist sie futsch.«
Ihm war klar, wie schnell die Zeit verstrich, was ihn noch unruhiger machte. Er sah auf die Uhr. Er war schon eine Stunde fort. Mrs Sparks würde wütend darüber sein, dass die Enten noch immer im Teich herumschwammen. Dann würde sie bemerken, dass Betty fehlte, und völlig ausrasten. Und sein Vater – was würde er sagen, wenn Leo nicht zu finden war?
Er sah Betty an, als ob sie die Antwort auf alle seine Probleme hätte, doch es stellte sich heraus, dass sie den Schlüssel zu einer anderen Frage hatte. Sie starrte wieder eine der Milchglaswände an, wo eine neue Botschaft auftauchte. Leo trat neben sie. Ein unsichtbarer Finger schrieb sieben Wörter, ehe der Schatten wieder verschwand:
Drehe den Griff dreimal schnell zurück.
Leo war außer sich vor Sorge, aber er konnte jetzt nicht aufgeben. Zum Ersten wusste er nicht, wie er die runde Tür wieder öffnen sollte. Und selbst wenn, dann war da immer noch das Problem Hauptmann Rickenbacker mit seinen fliegenden Bowlingkugeln.
Er drehte den Griff ein Mal, dann noch ein Mal und dann ein drittes Mal zurück. Eine große blaue Kugel, rund und schön, fiel aus der Decke und blieb in dem Windkanal vor den beiden Ringen schweben.
»Wie viele ich davon wohl bekomme?«, sagte Leo ganz aufgeregt zu Betty, weil er eine neue Kugel hatte, doch ihm war klar, dass er jetzt äußerst umsichtig vorgehen musste. Wenn er zu tief in das Labyrinth vorstieß und ihm die Kugeln ausgingen, kam er vielleicht nie wieder heraus. Er würde sich genau merken müssen, welche Ringe ihn zu Feenstaub verwandeln konnten.
Leo drehte den Griff vorwärts und lenkte die blaue Kugel sicher durch die linke Öffnung, dann trat er selbst durch. Betty flatterte ebenfalls vorsichtig durch den Ring und nun landeten sie sicher in der zweiten kreisförmigen Ebene des Labyrinths. Leo betrachtete das Modell in der Kiste und entdeckte viele Öffnungen, die in die nächste innere Ebene führten, aber nur in einer davon war ein Richtungspfeil. Er fasste wieder Mut, und seine Nervosität ließ nach, als er begriff, dass keiner außer ihm das Labyrinth durchmessen und später mal davon berichten konnte.
Während der nächsten zwanzig Minuten ließ Leo auf dem Weg zum Zentrum des Raumes der Ringe vier weitere riesige Pingpongbälle platzen. Er begann schon vorauszusehen, wann sie explodieren würden, und war nicht mehr so nervös, wenn sie es taten. Eine orangefarbene Kugel platzen zu sehen, war besonders schön, denn Orange war seine Lieblingsfarbe.
Da keine Spiegel in dem Labyrinth waren, merkte er es nicht, aber sein Haar sah allmählich wie ein Regenbogen aus. Es war bestäubt mit violetten, grünen, orangefarbenen, gelben und blauen Partikeln, als er schließlich im inneren Kreis des Labyrinths ankam.
Auf dem Weg in diese Kammer hatte er die grüne Kugel platzen lassen, und als er durch die Öffnung ins Zentrum des Labyrinths trat, hatte er das Gefühl, in der Mitte eines Iglus zu stehen. Die Wände waren weiß wie Raureif und perfekt kreisrund und bildeten nach oben eine Kuppel. Hier stand er nun mit seiner Kiste und seiner Ente und überlegte, was er machen sollte, denn der Raum war total leer.
Die Öffnung, die er direkt hinter sich hatte, war auf einmal verschwunden hinter einer gekrümmten Wand, die von oben heruntergeglitten war. Leo war in einer schneeweißen Halbkugel gefangen. Sein Herz ging schneller, als ihm ein fürchterlicher Gedanke kam.
Keiner weiß, dass ich hier bin.
Doch das stimmte nicht ganz. Es gab eine Person, die es wusste, und wer das auch war, er fing an, eine Botschaft an die Kuppeldecke zu schreiben, genau so, wie er die anderen Botschaften auch geschrieben hatte.
»Bist du das, Merganzer?«, fragte Leo, stellte die violette Kiste mit den Lenkgriffen auf den Boden und streckte sich nach der Decke. »Kannst du bitte rauskommen?«
Das war nämlich sein Verdacht gewesen, obwohl er natürlich nicht sicher sein konnte. Er hatte einen gefährlichen Weg zu dem weißen Raum hinter sich, und es war gar nicht typisch für seinen alten Freund, ihn einer Gefahr auszusetzen. Aber wer konnte es sonst sein, der ihm da weiterhalf und die ganze Zeit so tat, als sei er MR M.?
Die Botschaft war kurz, nur drei Worte:
Nimm den Ring.
Zuerst verstand er nicht, denn es gab keine Ringe in dem Raum, die er hätte nehmen können. Doch dann fiel etwas Kleines durch ein Loch in der Decke herab. Leo streckte schnell die Hand aus und fing es auf, ehe es zu Boden fallen konnte.
Auf einmal waren sie von tiefer Stille umgeben. Selbst Betty schien zu verstehen, dass gerade etwas Bedeutendes geschehen war. Leo wusste es auch, doch er sagte nichts. Der Ring, der ihm in die Hand gefallen war, war etwas ganz Besonderes. So besonders, dass er fast in Tränen ausbrach, als er ihn in seine Tasche zu der Armbanduhr seiner Mutter steckte.
»Danke dir, wer du auch sein magst.«
Ohne jegliche Vorwarnung wurde das Loch in der Decke größer und eine blaue Kiste fiel durch. Sie hatte genau die gleiche Form und Größe wie die violette Kiste, die mitten im Raum stand. Leo fing sie auf. Sie war schwerer als die violette Kiste, wenn auch nicht viel. Auf dem Deckel stand eine Botschaft:
Stell mich nicht auf den Kopf. Öffne mich nicht vor dem Morgen.
Wieder war das Symbol von Merganzers Profil auf dem Deckel, genau in der Mitte.
»Ich habe wieder eine Kiste bekommen«, sagte Leo, der stolz war auf das, was er erreicht hatte. »Was hältst du davon, Betty?«
Betty wurde es immer langweiliger und sie bekam immer mehr Hunger. Sie quakte ärgerlich und starrte zu Leo hoch, als wolle sie sagen: Ich hab die Nase voll von Ringen und Räumen und Kisten. Bring mich aufs Dach, sonst knabber ich deine Schuhe an.
»Du hast Recht, wir sind schon ganz schön lange hier drin, was? Aber ich weiß nicht, wie ich rauskomme.«
Leo war ganz versessen darauf, die blaue Kiste zu öffnen, aber das durfte er ja nicht, daher hob er stattdessen die violette Kiste von der Platte mit den Griffen und stellte beide Kisten nebeneinander.
Und dann saß er ungefähr eine Minute davor und wusste nicht so recht, was er tun sollte. Da erschien eine neue Botschaft an der Decke:
Verbinde die Kisten.
Nimm sie hoch.
Wie alle vorherigen Botschaften tauchte auch diese auf, dann erlosch sie langsam und die Scheibe sah wieder beschlagen aus.
Leo brauchte nur einen Moment, um herauszufinden, dass man die blaue Kiste genau in zwei kleine Holzschienen der anderen Kiste schieben konnte, die er bisher nicht weiter beachtet hatte. Die beiden waren jetzt eine Kiste und unzertrennbar, es sei denn, man nahm sie absichtlich wieder auseinander.
Eine letzte Botschaft wurde mit dem Finger auf das Glas geschrieben. Sie machte Leo ziemlich Angst.
Ganz gut festhalten!
Er sah keinen Anlass, sich festzuhalten, daher verunsicherte ihn die Botschaft. Sollte er die Kisten festhalten oder Betty hochnehmen und festhalten oder würde der Boden gleich weg … – dieser dritte Gedanke war der Grund, warum er sich festhalten sollte. Leo fand sich auf einer spiralförmigen Rutsche wieder und überlegte, ob er etwa in eine der Röhren der Doppelhelix geraten war. Die waren jedoch viel zu schmal, wie er wusste. Andererseits war alles so absolut seltsam im Whippet Hotel, dass er nicht mehr wusste, wo oben und wo unten war. Wo immer er sich nun also befand, er stürzte steil nach unten, machte dabei alle paar Sekunden eine scharfe Drehung und konnte die beiden Kisten, die jetzt eine waren, nur mit Mühe festhalten. Er kam in eine grauenvolle Haarnadelkurve, wurde aus der Röhre geworfen und landete mitten auf dem Entenaufzug. Dort machte Leo den Fehler, sich nach dem hohlen Geräusch von der herunterrutschenden Betty umzudrehen, und sie krachte ihm ins Gesicht. Die Federn flogen, während sie versuchte, auf ihren Entenfüßen das Gleichgewicht wiederzufinden. Sie quakte ärgerlich.
Leo klappte die Falltür in der Decke des Entenaufzugs auf, sprang hinein und landete mit einem federnden Plumps. Er holte erst die Kisten und dann die Ente herein und schloss die Tür.
»Jetzt wird’s aber eng hier drin, findest du nicht auch?«, fragte er Betty. Zwei Kisten, ein Junge und eine Ente nahmen ziemlich viel Raum ein, wo es eigentlich keinen gab.
Es gab aber eine Menge auf der Habenseite, während der kleine Aufzug anruckelte und langsam nach unten in die Lobby fuhr. Leo war im Besitz der zweiten von vier Kisten. Er war also halb angekommen, obwohl er keine Ahnung hatte, wo. Er hatte einen besonderen Ring in der Tasche. Und er hatte den Raum der Ringe überstanden.
Gab es auch schlechte Nachrichten?
Das Walkie-Talkie funktionierte wieder und Mrs Sparks keifte hinein.
Bernard Frescobaldi befand sich wieder in dem Hotel gegenüber und starrte auf das riesige, fast leere Grundstück, auf dem das Whippet Hotel stand. Etwas nagte an ihm.
»Milton, bitte einen Cappuccino.«
»Kommt sofort, Sir, kommt sofort.«
Milton begab sich an die ziemlich komplizierte Kaffeemaschine in der Ecke des Zimmers. Sie stammte aus Italien, zusammen mit italienischen Espressobohnen, Espressotassen, Untertassen, Löffeln und einer Kaffeemühle. Es begann zu rattern und zu zischen und das Zimmer füllte sich mit dem Duft nach gutem, starkem Kaffee.
»Da drüben stimmt etwas nicht«, sagte Bernard, als Milton die kleine rote Tasse mit dem Milchschaumhäubchen vor ihn stellte.
»Wie meinen Sie das, Sir?«
Milton kehrte zu der Maschine zurück, um sich ebenfalls eine Tasse zu machen, denn er wusste, dass sein Boss sich für eine Antwort Zeit nehmen würde.
»Jemand arbeitet gegen uns, wenn ich auch nicht sehen kann, wer das ist«, fuhr Bernard fort und starrte immer noch aus dem Fenster, als Milton zurückkehrte.
»Ich glaube, dass Ihr Plan Erfolg hat«, versicherte ihm Milton und nahm vorsichtig einen Schluck aus seiner eigenen Tasse. »Wie soll es denn danebengehen, wenn Sie-wissen-schon-wer sich darum kümmert?«
»Stimmt allerdings. Trotzdem, ich kann nicht anders, ich möchte die Karten zu meinen Gunsten mischen. Lies mir den Reiseeintrag noch mal vor, Milton, ja? Der könnte vielleicht helfen.«
Milton ging an seinen silbernen Aktenkoffer, blätterte den Inhalt durch und fand den fraglichen Bericht. Er trank seinen starken Kaffee, räusperte sich und begann vorzulesen.
Merganzer D. Whippet, Reisenotizen 3
Ich bin mal wieder mit George unterwegs, in der Eisenbahn zwischen New York und der Hauptstadt Washington. George liegt mir ständig in den Ohren, wie viel Geld ich habe und wie schwierig es sein wird, es auszugeben. Ich erinnere ihn erneut daran, dass ich dafür angemessene Pläne habe.
Ich bin nur mit zwei Bahnlinien gefahren, mit derjenigen, die zu dem Internat in Pittsburgh führt, und mit dieser hier. Die eine Eisenbahn liebe ich, die andere verabscheue ich, eine wahre Hassliebe.
Keine Reise war jemals so öde wie die Zugfahrt zum Internat und zurück.
Aber die zweite Linie – der Zug, in dem ich mich jetzt befinde – war für eine kurze Zeitspanne die Zuglinie von meiner Mutter und mir. Aus irgendeinem Grund war sie oft sehr matt, deshalb sagte ich zu ihr, dass wir nicht fahren müssten, aber sie bestand darauf. Da ich erst fünf war, stimmte ich nur zu gerne zu. Wir würden fahren!
Wir nahmen den Zug zum Smithsonian Museum in Washington, und sie zeigte mir unterwegs alle möglichen Dinge, die man vom Zug aus sehen konnte, was mich sehr überraschte. Wann war sie jemals auf Reisen gewesen? In meiner Vorstellung legte sie nur meine Kleider zusammen und machte mir Frühstück. Komisch, dass ich nie gemerkt hatte, wie bemerkenswert sie war, wie viel sie erlebt hatte.
In Bezug auf die Hauptstadt Washington sagte Dad: »Führ ihn in die Münzanstalt, damit er sieht, wie Geld geprägt wird. Davon kann er vielleicht das eine oder andere lernen«, doch meine Mutter hatte andere Vorstellungen. Sie liebte Raketen, Geschichte, Kunst, Musik und vor allem Roboter. Oder war es eher so, dass sie meine Begeisterung für diese Dinge kannte und dass sie mir all das zeigen wollte?
Wie auch immer, ein zweites Mal waren wir nicht dort.
Eine einzige Fahrt mit der schöneren der beiden Bahnlinien war alles, was ich jemals bekam.
Danach war meine Mutter ständig matt. Sie verließ kaum noch das Bett und ich hatte einen schrecklichen Gedanken: Unser einziges großes Abenteuer hatte sie krank gemacht. Ich hatte sie krank gemacht.
M.D.W.
P.S. Ich habe vor, ein Hotel zu bauen, und in dem Hotel soll es ein Eisenbahnzimmer geben. Ich werde wohl niemand in das Zimmer lassen. Zumindest eine Weile nicht.
Bernard schüttelte den Kopf.
Milton zog die Nase kraus. »Ich habe das ganze Haus abgesucht, von oben bis unten. Es gibt kein Eisenbahnzimmer. Oder?«
»Wie auch immer, unser Plan läuft bereits. Von morgen an werden die Dinge interessant.«
Milton trank seinen Kaffee aus.
»Ich kann es kaum erwarten.«