Theodor Bump und der lästige Roboter
Als Leo schließlich in der Lobby ankam, war das Hotel schon auf Nacht eingestellt. Remi war in einem der großen Sessel eingeschlafen, während seine Mutter leise die Messinggeländer abstaubte. Mrs Sparks war nirgends zu sehen. Sie lief wohl im Hotel Amok, auf der Suche nach Leo.
Er schob die beiden Kisten unter den nächstbesten zugeschnittenen grünen Busch (er hatte die Form eines Kaninchens) und ging zurück, um den Entenaufzug wieder zum Dach hochzuschicken. Betty saß zu einer Kugel zusammengerollt darin, was ganz untypisch für sie war.
»Geht es dir gut? Du musst doch hungrig sein.«
Leo hatte ein schlechtes Gewissen. Er liebte Tiere und jetzt hatte er Betty ein ganz anstrengendes Abenteuer zugemutet. Das arme Ding konnte kaum die Augen offen halten.
»Ich schicke dich jetzt zum Dach hoch«, flüsterte Leo. »Im Teich findest du was zu fressen.«
Er schloss den Entenaufzug und drückte auf den Aufwärts-Knopf.
»Wo bist du gewesen? Alle haben nach dir gesucht!«
Remi war aufgewacht und kam im matten Licht der Lobby auf Zehenspitzen angeschlichen, so dass Leo zu Tode erschrak.
»Schleich dich nie wieder so an!«
»Entschuldige, eine dumme Angewohnheit. Ich schleiche mich gerne an.«
Remis dunkler Haarschopf war zerzaust vom Schlafen und er hatte seine kleine Kinderfliege gelockert.
»Ich muss gleich gehen«, sagte er, »aber morgen früh bin ich zurück. Kann ich das Funkgerät behalten?«
»Aber sicher«, sagte Leo. »Du bist doch schließlich mein Partner!«
Leo mochte Remi immer mehr, aber wichtiger war, dass er seine Hilfe brauchte, um alle Kisten zu finden und aus dieser Sache, die da am Laufen war, schlau zu werden.
»Ich könnte mich von der Tür wegstehlen, wenn du willst«, bot ihm Remi an.
»Wie denn?«, fragte Leo, denn er ging davon aus, dass der böse Blick von Mrs Sparks den ganzen Tag auf der Tür ruhte.
»Mrs Sparks muss morgen Nachmittag Besorgungen machen und meine Mom vertritt sie am Empfangstresen. Sie hat gesagt, dass sie auch ein Auge auf die Tür hat, damit ich mich umsehen kann, wenn ich will, solange ich nicht nach Muffins suche. Sind da oben Muffins?«
Remi sah neugierig zur Decke und leckte sich die Lippen.
»Du warst noch nie oben?«, fragte Leo. Er konnte sich so frei im Hotel bewegen, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, andere hätten dieses Privileg nicht.
»Machst du Witze? Ich bin doch den ersten Tag hier und habe jede wache Minute damit verbracht, an der langweiligen Tür zu stehen. Es ist die reinste Folter.«
Remi blickte erneut zur Decke.
»Wie viele Muffins gibt es da oben?«
»Vergiss die Muffins, Remi. Wir haben Wichtigeres zu tun. Im Augenblick muss ich die Kisten in den Keller verfrachten, ohne dass Mrs Sparks was sieht.«
»Kisten?« Remi hatte ja nur die violette Kiste gesehen.
Leo ärgerte sich – er hatte sich verraten.
»Du hast noch eine Kiste gefunden! Sagenhaft!« Remi sah sich in der Lobby um und suchte die versteckten Kisten. »Die sind wohl wichtig, was? Die erste hat Merganzers Kopf auf dem Deckel und so. Warte mal … Du hast gesagt, in der violetten Kiste wäre Entenfutter.«
»Da hab ich dich ja kaum gekannt«, sagte Leo. »Ich musste einfach irgendwas erfinden. Hätte ja sein können, dass du für Mrs Sparks arbeitest.«
»Machst du Witze? Die lässt mich ja nicht mal aufs Klo, wenn ich muss.«
Aber Remi war nicht beleidigt. Er verstand gut, dass man mindesten sechs oder sieben Stunden brauchte, um eine vertrauensvolle Freundschaft aufzubauen.
»Und was ist dann in den Kisten?«, fragte er.
Ehe Leo antworten konnte, hallte eine Stimme mit starkem spanischem Akzent durch die Lobby.
»Remilio? Zeit zu gehen, Schätzchen.«
»Mom! Bitte nenn mich nicht so. Das ist so peinlich.«
»Leo?«, sagte Pilar, als sie die beiden beim Entenaufzug entdeckte. »Verschwinde lieber im Keller, ehe Mrs Sparks dich findet. Die muss sich erst mal wieder beruhigen.«
Leo befürchtete schon, dass Remis Mutter gleich die Kisten sehen würde, die unter dem Kaninchenbusch steckten, stattdessen war es Remi, der sie entdeckte. Leo konnte es an seinen aufgerissenen Augen sehen.
»Und du, kleiner hombre?«, sagte Pilar und legte einen Arm um ihren Sohn. »Wir gehen lieber mal nach Hause. Du hast morgen einen langen Tag an der Tür vor dir.«
Remi stöhnte verzweifelt auf beim Gedanken daran, den ganzen Tag unter Mrs Sparks’ Augen an der Tür stehen zu müssen, doch als ihm einfiel, was seine Mutter angekündigt hatte, wurde er etwas fröhlicher.
»Ich führe ihn morgen Nachmittag herum«, sagte Leo, der Remis Gedanken las. »Ich kenn das Whippet in- und auswendig.«
Pilar freute sich, dass sich ihr Sohn mit Leo angefreundet hatte, denn sie hatte Leo immer vergöttert. Und Leo mochte sie auch. Sie hatte ihn vor Mrs Sparks schon oft gedeckt.
»Aber nicht ins Kuchenzimmer, okay?«, sagte sie scherzhaft und zerzauste Remi die Haare.
»Aber sicher«, sagte Leo.
»Ja, ja, verbündet euch ruhig gegen mich.« Remi lächelte. »Wenn es hier ein Kuchenzimmer gibt, dann finde ich es.«
Remi und seine Mutter gingen und Leo packte die Kisten und machte sich in den Keller auf. Als er auf der untersten Stufe angekommen war und die knarrende Tür aufmachte, sah er verstohlen hinein. Hoffentlich war sein Vater nicht da und trank Eistee und schmökerte in den alten Ausgaben der New York Times, die in drei hohen Stapeln neben seinem Bett standen.
»Dad, bist du da?«, flüsterte Leo. Der Keller war nicht riesig, aber total vollgestellt. Rohre, Kisten, die Schaltanlage, der Boiler, die Waschmaschine, die Wäscheleine und noch vieles mehr.
Es kam keine Antwort, daher schlich Leo hinein, nahm die Kisten auseinander und versteckte sie unter seiner Liege. Erleichtert atmete er auf. Wenigstens waren sie sicher, auch wenn er Ärger bekommen würde, weil er mehrere Stunden verschollen gewesen war.
Leo hörte die Klospülung aus dem kleinen Badezimmer hinten in der Ecke und merkte, dass er doch nicht allein war. Ihm blieben jedoch ein paar Sekunden, die gerade reichten, um etwas auf das Kopfkissen seines Vaters zu legen.
»Ich dachte doch, dass ich dich reinkommen gehört habe«, sagte Leos Dad. Clarence Fillmore war zwar ein großer Kerl, aber eher der Typ Teddybär, kein Brummbär. Er brachte es nicht übers Herz, mit Leo zu schimpfen, nur weil er verschwunden war.
»Hör mal«, sagte er und setzte sich, »du wirst jetzt älter. Wenn du mal Zeit für dich brauchst, ist das in Ordnung. Lass mich einfach nur wissen, wo du bist, damit ich mir keine Sorgen mache, dass du vielleicht in den Fahrstuhlschacht gefallen bist.«
»Tut mir leid, Dad«, sagte Leo. »Kommt nicht wieder vor.«
»Und ich habe die Enten für dich aufs Dach gebracht. Du weißt ja, wie sich Mrs Sparks aufführt, wenn wir sie zu lange im Garten lassen.«
»Danke, Dad.«
Obwohl er noch jung war, wusste Leo, dass sein Vater ein gebrochener, trauriger Mann war – zumindest ein bisschen. Das hatte Gründe, an die Leo nicht gerne dachte, aber eines wusste er sicher: Er konnte seinen Vater nicht anlügen, denn er liebte ihn zu sehr. Er würde keine ausgeklügelte Geschichte erfinden, wo er gesteckt hatte, die sein Vater womöglich noch glauben würde.
»Na, dann viel Glück, wenn sich der Zorn von Mrs Sparks über dir entlädt«, sagte Mr Fillmore. »Davor kann ich dich nicht retten.«
Leo hielt den Atem an. Gespannt wartete er darauf, dass sein Vater die Entdeckung machte. Hatte er das Richtige getan?
»Was ist das?«, sagte der große Mann, als er den Ring auf seinem Kopfkissen sah. Er nahm ihn hoch. Im gleichen Moment wusste Leo, dass er das Richtige gemacht hatte.
»Ich habe ihn für dich gefunden«, sagte Leo, was stimmte.
Leos Dad sagte nichts. Er starrte den Ring an, während er sich auf seine Liege fallen ließ und sich ausstreckte. Er hielt den Ring ins Licht.
»Ich weiß nicht, wie du das angestellt hast, aber vielen Dank.«
Dann sahen sie sich an und lächelten schmerzlich. Der Ring war lange Zeit verschwunden gewesen, aber nun war er wieder da.
Er hatte Leos Mutter gehört.
Leo stand am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang auf und ging direkt aufs Dach. Er war zu nervös, um in Anwesenheit seines schnarchenden Vaters in die blaue Kiste zu gucken, aber er wusste ja, dass der Keller am späteren Vormittag leer sein würde und er sie dann ungestört untersuchen konnte. Leo brachte die Enten nach unten und durch die Lobby, alle brav im Gänsemarsch, hinaus zur Tür und in den weitläufigen Garten. Es wurde ein kurzer Spaziergang, teils, weil er wusste, dass Mrs Sparks bald eintreffen würde, aber auch, weil Betty üble Laune hatte.
»Dir fehlt Merganzer, stimmt’s?«, fragte Leo, aber sie sah ihn nicht mal an. Leo brachte die Enten sicher aufs Dach zurück und ging wieder in den Keller, in der Absicht, den Kaffee für seinen Vater zu machen.
»Wie wäre es heute Morgen mit dem großen Frühstück?«, fragte Mr Fillmore. »Ich habe das Gefühl, dass wir es brauchen könnten.«
Leo wollte etwas einwenden, denn es bedeutete, dass er auf Mrs Sparks stoßen würde. Doch dann sagte er sich, a) dass er ihr nicht auf ewig aus dem Weg gehen konnte, b) dass man einem Frühstück im Whippet schlecht widerstehen konnte und c) dass es ein gutes Zeichen war, dass sein Vater mit allen anderen frühstücken wollte. Er hatte sich immer mehr abgesondert, sich in den Wartungstunnel verkrochen und den Kontakt mit fast allen vermieden.
Das Frühstück im Whippet wurde aus dem Restaurant geliefert und wie ein richtiges Familienfrühstück im Puzzle-Zimmer serviert. Das Puzzle-Zimmer lag neben der Lobby, gegenüber vom Entenaufzug. Es war die einzige Mahlzeit, bei der alle Gäste und Angestellten zusammen essen konnten. Leo war den Tag über oft so beschäftigt, dass er das Mittagessen ganz ausfallen ließ und erst spät ein Abendessen hinunterschlang, daher war das große Frühstück ein Muss, wenn sich die Gelegenheit dazu bot.
»Leo Fillmore«, sagte Mrs Sparks, als er das Puzzle-Zimmer betrat. »Setz dich hier zu mir.«
Leo sah Remi an, der aus Angst um seinen Freund aschfahl geworden war, aber sie konnten beide nichts tun.
»Reichen Sie mal die Kartoffelpuffer rüber«, sagte LillyAnn Pompadore. Leo setzte sich.
Mrs Sparks schwieg, während sich Leo den Teller mit Eiern, Speck und Heidelbeeren volllud. Sie hatte eine halbe Grapefruit und zwei Vitaminpillen auf dem Teller, was Leo ganz furchtbar traurig fand angesichts der reichlichen Auswahl, die sie hatte.
»Du weißt, dass ich das Sagen habe, solange Mr Whippet fort ist«, sagte sie so leise, dass es nur Leo hören konnte, während sich die anderen Gäste und Angestellten unterhielten und lachten.
»Das weiß ich, ja«, sagte Leo und versuchte, so zerknirscht wie möglich auszusehen, denn er wusste, dass Mrs Sparks das gefallen würde.
»Ich könnte einen neuen Hausmeister oder Wartungstechniker einstellen. Wie wäre das wohl?«
Leo sah Mrs Sparks voller Angst an. Was würde das bedeuten, wenn man sie vor die Tür setzen würde? Er würde es sich nie verzeihen, wenn sein Vater aus dem Whippet geworfen würde.
»Altes raus, Neues rein. Das hat doch was, findest du nicht?«
Leo dachte nicht daran, um Gnade zu winseln oder Versprechungen zu machen. Solche Taktiken durchschaute Mrs Sparks. Er nahm einen Bissen Speck und kaute still darauf herum, während ihre Stimme lauter wurde, so dass alle es hören konnten.
»Mr Bump hat wieder Ärger mit den Robotern«, verkündete sie. »Ich will, dass du dich sofort dort einfindest, sobald du deinen Teller mit dem ekligen Fraß leer hast.«
»Jawohl, Ma’am«, sagte Leo.
»Und bringe ihm etwas Frühstück hinauf.«
Leo nickte.
Remi, der Roboter liebte, meldete sich zu Wort.
»Da oben hat’s Roboter?«, fragte er vorsichtig, nahm einen Schluck Milch und wartete auf die Antwort.
»Ja«, sagte Mrs Sparks. Als sie fortfuhr, fixierte sie Pilar mit einem Blick. »Es hat Roboter da oben. Aber die kriegst du noch nicht so schnell zu sehen.«
Ihr strafender Blick schien zweierlei bedeuten zu können. Entweder glaubte Mrs Sparks, Pilar habe ihrem Sohn einen schlechten Sprachstil beigebracht, oder sie vermittelte dem Zimmermädchen eine verschlüsselte Botschaft: Lass deinen kleinen Bengel nicht aus der Lobby, solange ich fort bin, sonst passiert was.
Leo ließ den Blick über die Frühstückstafel gleiten und sah, dass alle außer Mr Bump und Mr Yancey anwesend waren. Sein Vater war da. Er trug den Ring an einer Kette um den Hals, was Leo ungeheuer freute. Mrs Pompadore hatte Hainy im Arm, fütterte ihn mit Wurststückchen und sabbelte auf Mrs Yancey, die Frau des Ölmoguls, ein. Die kleine Göre, Jane Yancey, stopfte mit Furcht erregender Geschicklichkeit weiß bepuderte Donuts in sich hinein. Und Mr Phipps stand bei Hauptmann Rickenbacker, trank Kaffee und starrte auf das Puzzle.
Das Puzzle war von ungewöhnlichen Ausmaßen: Es bestand aus achthunderttausend Teilen, die in pyramidenförmigen Stapeln auf dem längsten Tisch im Hotel lagen (er war genauso lang wie acht Billardtische, um genau zu sein).
»Das wird ja allmählich«, sagte Hauptmann Rickenbacker und starrte auf den langen Tisch.
Dem konnte Mr Phipps nicht ganz zustimmen angesichts der hohen Stapel und dem geringen Fortschritt des Puzzles während der Zeit, die er hier im Hotel lebte, nämlich seit vielen Jahren.
»Ich hatte gehofft, dass es schon weiter ist«, sagte er. »Aber der Rand sieht ganz nett aus.«
Er war es gewesen, der mit Merganzers Hilfe vor einem Jahr den Rand des Puzzles geschlossen hatte. Danach hatte Merganzer dem alten Gärtner ein Geheimnis verraten.
»Es sind zweihundertzwanzig Enten in dem Puzzle abgebildet. Und ein Teich. Und ich bin auch drauf.« Er hatte Mr Phipps so fest auf den Rücken geklopft, dass diesem fast die Sommersprossen aus dem gegerbten alten Gesicht gefallen wären, und hinzugesetzt: »Das sollte Sie in die richtige Richtung führen!«
Mr Phipps liebte Merganzer, gab sich in Bezug auf das Puzzle jedoch keinen Illusionen hin. Mit oder ohne Hinweise – das Puzzle würde nie vollendet werden. Es war einfach zu groß und zu schwierig.
»Enten, sagen Sie?«, fragte Hauptmann Rickenbacker, denn Mr Phipps war das Geheimnis entschlüpft.
»Enten.«
»Sieht das hier wie eine Ente aus?«, fragte der Hauptmann und hielt ein gelbes Puzzleteil hoch.
Mr Phipps sagte, er glaube schon, dann ging er ans andere Ende des Tisches und überließ es Hauptmann Rickenbacker, allein weiterzupuzzeln.
»Warum sie ihre Zeit mit dem albernen Ding verschwenden, ist mir schleierhaft«, sagte Mrs Sparks und sah die beiden Männer fassungslos an.
»Das ist so eine Art Zen«, erklärte Clarence Fillmore. »Wie Meditation oder ein Steingarten.«
»Was um Himmels Willen meinen Sie?« Mrs Sparks hatte keinen Sinn für jegliche Art von Esoterik. Sie beugte sich über den Tisch, reckte den Kopf und starrte Leos Vater an, wobei ihre Bienenkorbfrisur dem Stapel Pfannkuchen gefährlich nahe kam.
»Ich glaube nicht, dass es darum geht, das Puzzle fertigzustellen«, sagte Mr Fillmore.
Mrs Sparks blieb völlig unbeeindruckt. »Ich hätte große Lust, dem ganzen Mist mit Pilars Staubsauger zu Leibe zu rücken und den Tisch als Kaminholz zu verfeuern.«
Da keiner mehr auf Leo achtete, stand er rasch auf, packte einen Teller mit Frühstückssachen voll und sah Remi an, als wolle er sagen: Lass dein Funkgerät an, ich melde mich.
Remi konnte nur daran denken, dass er den ganzen Vormittag an der todlangweiligen Tür würde stehen müssen und von Robotern und Muffins träumen konnte.
Wenn doch nur schon Nachmittag wäre!
»Bist du allein?«
Die Stimme kam aus dem Zimmer von Theodor Bump im vierten Stock.
»Ja«, sagte Leo.
»Reich mir mein Frühstück«, sagte Mr Bump und streckte den Arm durch den schmalen Türschlitz. Leo gab ihm den Teller in die Hand, die Tür ging ein Stückchen weiter auf, dann war der Arm mit dem Teller verschwunden. Einen Augenblick später flog die Tür auf und Theodor Bump packte Leo am Arm. Er zerrte ihn ins Zimmer und schlug die Tür hinter ihnen zu.
»Man kann nicht vorsichtig genug sein, findest du nicht auch?«, fragte er Leo.
»Doch«, stimmte der ihm zu. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass kurze, zustimmende Antworten im Whippet Hotel meistens am sichersten waren.
Die Suite war fantastisch, daran bestand kein Zweifel. Wenn der exzentrische Gast, Theodor Bump, nicht darin gewohnt hätte, hätte sich Leo gerne häufiger dort aufgehalten. Er war schließlich ein kleiner Junge und kleine Jungen lieben Roboter.
Theodor Bump ging an seinen Schreibtisch, setzte sich und tippte etwas in seinen Computer, während er einen Muffin verschlang. Ein vertrautes Hämmern drang aus einem Zimmer dahinter, was Leo aber erst mal überhörte.
»Ich bin mitten an einer Sache, verstehst du. Du musst dich allein um das Problem kümmern.«
»Okay«, sagte Leo.
Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob die Gerüchte stimmten – keiner wusste es genau. Sein Vater behauptete (genau wie Pilar, die die Suite ab und zu putzte), dass Mr Bump Schriftsteller war. Das war an sich nicht so ungewöhnlich. Aber was er schrieb und wie viel – das ließ die Gerüchteküche brodeln. Es hieß, dass Theodor Bump drei Romane pro Monat unter nicht weniger als neun Pseudonymen schrieb. Pilar ging sogar so weit zu behaupten, es handle sich nicht um irgendwelche Namen, sondern um berühmte Romane und berühmte Namen. Ihrer Version nach hatte Mr Bump ungefähr die Hälfte aller erfolgreichen Bücher geschrieben, die auf dem Markt waren.
Leo sah Mr Bump noch einen Augenblick zu, wie er mit Lichtgeschwindigkeit tippte, bis sich der Mann in seinem abgetragenen blauen Morgenrock umdrehte und den Jungen anstarrte. Seine grauen Haare klebten ihm seitlich am Kopf, als sei er vom Bett direkt an den Computer gegangen.
»Ich habe es nicht gern, wenn man mir beim Arbeiten zusieht. Also bitte!«, sagte er.
»Na klar«, erwiderte Leo. Als sich Theodor Bump wieder dem Bildschirm zuwandte, beugte sich Leo hinter ihm etwas näher und versuchte zu entziffern, was der Mann schrieb. Er glaubte einen unheimlich berühmten Namen zu lesen, war sich aber nicht ganz sicher.
Er ließ Theodor Bump allein und folgte dem Hämmern am anderen Ende der Suite. Es wimmelte nur so von Robotern. Einige davon waren klein und stapelten sich auf Tischen und Regalbrettern. Andere waren einen halben bis einen Meter groß und standen nutzlos auf dem Boden herum. Mr Bump hatte sie alle ausgeschaltet, weil sie zu viel Lärm machten.
Es gab noch größere Roboter, einige größer als Leo, und die meisten hatten ihren eigenen Kopf. Einer machte das Bett, ein anderer saugte Staub, ein weiterer staubte alle anderen Roboter ab und einer teilte kleine Mahlzeiten aus. Ihnen erlaubte Mr Bump zu arbeiten, solange sie ihn nicht störten. Merganzer hatte sie alle selbst programmiert und sie persönlich in Topform gehalten. Er hatte das Roboterzimmer fast jeden Tag aufgesucht, um nach ihnen zu sehen, ehe er verschwunden war.
Leo kam an einem großen, ausgepolsterten Raum vorbei, wo die richtig großen Roboter standen. Es gab drei davon – Klink, Klank und Klonk –, alle über drei Meter groß. Er war versucht, sie anzuwerfen und zuzusehen, wie sie gegeneinander kämpften, was höchst unterhaltsam war. Aber das machte unglaublichen Krach und dann würde sich Theodor Bump bestimmt bei Mrs Sparks über ihn beschweren. Trotzdem, es war schwierig, sie dort stehen zu sehen, mit gesenkten Köpfen, die stumm zu Boden starrten, und sie nicht einzuschalten. Er gelobte, bald wiederzukommen, wenn Mr Bump einen Spaziergang unternahm, und zuzusehen, wie sie sich balgten. Vielleicht würde er sogar Remi mitbringen.
Seit Merganzers Abwesenheit bereitete besonders ein Roboter Mr Bump große Probleme. Er hieß Blop. Und Blop war dazu da, »Gesellschaft zu leisten und Konversation zu machen«, was bedeutete, dass er programmiert war, sich mit den jeweiligen Bewohnern zu unterhalten, damit die sich wohlfühlten. Das Pech für Blop war nur, dass Theodor Bump niemals Lust hatte, sich zu unterhalten. Er war sogar so eigenbrötlerisch, dass es Blops Schaltkreis anstachelte. Je weniger Theodor redete, desto größer war Blops Impuls zu reden. Manchmal laberte er stundenlang über irgendetwas, worüber kein Mensch reden wollte. Aus einem interessanten Gesprächspartner war ein lästiger Schwätzer geworden.
Leo ging zur Tür des Badezimmers, wo das laute Geräusch herkam. Er öffnete die Tür und da war Blop. Er stand in der Badewanne und knallte seinen Kopf immer wieder an den Beckenrand. Blop war ein kleiner Roboter, ungefähr so groß wie ein Kakaobecher. Er war fast ganz silbern, hatte große grüne Augen, und sein Metallmund sah aus, als sei er aus verschiedenen Münzen gemacht.
Als Blop sah, dass Leo ins Badezimmer getreten war, rollte er begeistert auf seinen Rädern hin und her.
»Mr Bump, sind Sie das?«
»Nein, ich bin’s, Leo.«
Leo ging in die Hocke, legte die Arme auf den Badewannenrand und das Kinn auf die Hände und blickte Blop an. Eines war ihm sofort klar, als er den glänzenden silbernen Roboter in der Wanne ansah: Mr Bump war kein gewalttätiger Mensch, sonst hätte er Blop schon lange genommen und aus dem Fenster geworfen.
»Ach Blop«, sagte Leo. »Du musst wirklich aufhören, Mr Bump zu stören. Du weißt doch, wie er sich aufregt.«
»Sehr angenehm, Sie zu sehen, Sir«, sagte Blop mit seiner piepsigen, blechernen Stimme. »Sie sehen ausgezeichnet aus wie immer. Tipptopp.«
Das Problem mit Blop – abgesehen davon, dass er einfach nicht zu reden aufhörte – war, dass er ein hinterhältiger kleiner Roboter war.
»Können Sie mich bitte aus der Wanne heben?«, bat er. »Ich muss Arbeit erledigen.«
»Du weißt, dass er nicht mit dir reden will«, sagte Leo. Es war, als ob man auf ein unvernünftiges Kind einredete, das wusste er, aber er musste es versuchen.
»Er wird es sich schon noch anders überlegen«, sagte Blop. »Ich versuche es mal mit Shakespeare.«
»Ich könnte dich einfach hier drin lassen, bis deine Batterien leer sind«, sagte Leo drohend.
»Oh, das willst du nicht wirklich versuchen. Dann geht nämlich meine Sirene los.«
Merganzer hatte Blop mit einer schrecklichen Sirene ausgestattet, die durch das gesamte Gebäude drang, sobald seine Batterien nur noch fünf Prozent voll waren. Es war erst ein Mal passiert und Mrs Sparks war fast verrückt geworden und hatte noch tagelang jeden angeschrieen. Selbst Merganzer hatte gesagt, dass so ein Vorfall um jeden Preis verhindert werden müsste.
»Abgesehen davon«, fuhr Blop fort, »werde ich von Solarenergie angetrieben, wie du weißt, und zwar sehr erfolgreich. Du müsstest mich drei Tage, zwei Stunden, zwölf Minuten und neun Sekunden hier in der Wanne lassen, bis der Alarm losgeht.«
Blop fing über Solarenergie und andere alternative Energieformen zu sabbeln an und berichtete, dass Merganzer ernstlich überlegt habe, Windturbinen auf dem Dach anzubringen, dass er sich jedoch um die Enten sorgte … und so weiter und so weiter, bis Leo gute Lust hatte, ihn zu lassen, wo er war, und einfach die Tür zu schließen.
Stattdessen hob er ihn heraus und steckte ihn in seine Werkzeugtasche.
»Könnte ich jetzt Mr Bump sehen?«, fragte Blop. »Ich würde gerne mit den Sonetten anfangen, ich bin überzeugt, sie gefallen ihm.«
Leo hütete sich, auf ein Gespräch mit Blop einzugehen, wenn es nicht wirklich nötig war. Er marschierte durch die Räume, bis er an der Tür der Suite ankam.
»Ich gehe mit ihm spazieren«, sagte er zu Mr Bump.
»Bring ihn erst wieder zurück, wenn Freitag ist. Jeder Tag früher wäre eine Enttäuschung.«
Theodor Bump sah gar nicht von seinem Computer auf. Er tippte mit einer Hand weiter und reichte Leo mit der anderen den leeren Frühstücksteller.
Draußen auf dem Gang ließ Leo Blop reden, so viel er wollte. Es würde den ganzen Tag dauern, bis ihm die Worte ausgingen, worauf Mr Bump angespielt hatte. Blop war auf rund zehntausend Wörter am Tag eingestellt, danach ließ er rasch nach. Dann rollte er in eine Ecke und murmelte still vor sich hin, als würde er Roboterträume träumen und leise im Schlaf sprechen. Bis Freitag waren es noch drei Tage, daher musste Leo den Roboter mindestens dreißigtausend Wörter quasseln lassen.
Er hatte schon eine Idee, wir er diese Aufgabe bewältigen würde, ohne den kleinen Roboter den ganzen Tag mitzuschleppen, und darüber dachte er gerade nach, als sein Walkie-Talkie ansprang.
»Leo, in den Keller, und zwar dalli.«
Es war sein Vater, der sich in letzter Zeit eigentlich selten über irgendwas aufregte.
»Wie ich sehe, hast du einen Philips Akkuschrauber in der Tasche«, sagte Blop, der sich durch die Tasche gewühlt hatte. Und dann ließ er einen Wortschwall über den Ursprung aller möglichen Werkzeuge los, während Leo über die Wartungstreppe in den Keller rannte.