Zehntausend Büroklammern
Im Wartungstunnel im zweiten Stock holte Leo auf dem Weg in den Keller einen Pappkarton mit ein paar alten Lumpen. Zur Übergabe machte er einen Umweg über die Lobby.
»Das meinst du doch nicht ernst«, sagte Remi und starrte in den Karton. »Das kannst du nicht ernst meinen.«
»Doch, doch«, sagte Leo. Blop war in dem Karton und starrte ganz ungewöhnlich schweigsam zu Remi hinauf.
»Du bist der allerbeste Freund!«, sagte Remi. Auf einmal machte es ihm nichts mehr aus, den ganzen Tag an der langweiligen Eingangstür zu stehen. Er hatte einen Roboter zum Gefährten.
»Lass ihn einfach reden und halte dich von Mrs Sparks fern«, befahl ihm Leo. Mrs Sparks kannte die Prozedur zwar, trotzdem änderte das nichts an ihrem Ärger über das endlose Geschwätz von Blop. Sie würde ihn in Ruhe lassen, solange Remi den Roboter draußen behielt wie ein Haustier, das noch nicht stubenrein war.
»Der beste Tag in meinem ganzen Leben!«, sagte Remi. Sie standen direkt vor der Tür beieinander. Remi hatte den Karton auf ein Fenstersims neben dem Eingang gestellt.
»Lass dein Funkgerät an«, sagte Leo und machte sich wieder zum Keller auf. »Falls ich dich brauche.«
»Darauf kannst du wetten, Partner«, sagte Remi.
Blop hatte angefangen, über die Bedeutung von Freundschaft in allen Schattierungen zu dozieren, aber kaum hatte Remi Partner gesagt, machte der Roboter ein paar Geräusche – ein Bliep, ein Zingg, ein Sirrr – und sah Remi an.
»Was hältst du von Batman und Robin?«
Remi fing Feuer wie eine Neujahrsrakete.
»Er hat mich was gefragt!«
Leo war schon in der Lobby. Sein Walkie-Talkie summte vor Notrufen.
»Gewöhn dich dran.«
Als Leo den Keller betrat, hatte er den Eindruck, dass die Polizei, die Feuerwehr und der Gesundheitsdienst alle gleichzeitig eingetroffen waren. An der Wand blinkten und drehten sich die Knöpfe in allen Farben, die Sirene heulte und eine rote Papierschlange strömte aus Daisys Maul wie ein endloser Kassenbon im Supermarkt.
»Leo!«, schrie Clarence Fillmore. »Das Hotel ist krank!«
Erst kam Leo dieser Ausdruck seltsam vor, doch je länger er auf die Schaltzentrale starrte, desto mehr musste er seinem Vater Recht geben: Das Whippet Hotel hatte sich einen ganz schlimmen Virus eingefangen.
»Was sollen wir machen?«, schrie er durch den Lärm der Sirene.
»Wir müssen allen einschärfen, nicht mehr an ihren Reißleinen zu ziehen«, sagte Clarence Fillmore und schüttelte fassungslos den Kopf. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
In jedem Gästezimmer des Hotels hing eine rote Kugel an einer roten Schnur. Bei der Kugel war ein roter Knopf in die Wand eingelassen. Um den Notruf zu betätigen, musste der Gast die Kugel nehmen und ziehen und gleichzeitig auf den roten Knopf drücken. Die Schnur und der Knopf waren so weit voneinander entfernt (und die Schnur hing hoch genug), dass Kinder keinen Unsinn anstellen konnten. Wenn man die Schaltzentrale betrachtete, zogen offenbar alle Gäste des Hotels gleichzeitig und immer wieder an den Reißleinen und drückten auf die roten Knöpfe in ihren Zimmern.
Leo überfiel der Gedanke, dass Mrs Sparks diesen Vorfall benutzen konnte, um seinen Vater zu feuern. Sie würde einfach behaupten, er sei daran schuld, dass das Hotel kaputtging.
»Du übernimmst Mrs Pompadore – du kannst mit ihr umgehen – und ich kümmere mich um Hauptmann Rickenbacker. Lass uns bei den beiden anfangen.«
Als Erstes mussten sie die Sirene abstellen, was bedeutete, dass sie zumindest einen Gast überzeugen mussten, nicht mehr an der Reißleine zu ziehen.
Die Schaltzentrale hatte ein altmodisch wirkendes Feld mit Rufknöpfen in der Mitte unter Daisys Kopf. Clarence Fillmore drückte den Knopf für LillyAnn Pompadores Zimmer und Leo den für Hauptmann Rickenbacker. Sie hofften, die beiden an die Sprechanlage zu locken, damit sie aufhörten, an der Reißleine zu ziehen.
Zum Glück hörte die Sirene im Heizraum des Kellers auf zu heulen, denn beide Gäste nahmen den Ruf sofort an. Ihre Stimmen klangen krächzend und schienen weit entfernt zu sein.
»Der Flipperautomat dreht durch!«, schrie Hauptmann Rickenbacker. »Er versucht mich umzubringen!«
»ÜBERSCHWEMMUNG! HAINY KANN NICHT SCHWIMMEN!«, waren Mrs Pompadores einzige Worte, allerdings mit einer Lautstärke, dass beide Fillmores zurückfuhren, als hätte sie ein starker Windstoß erfasst.
»Wenigstens hat mal die Sirene aufgehört«, sagte Leo, doch kaum waren die Worte draußen, da setzte sie wieder ein.
»Du hast uns verhext«, sagte sein Vater mit einem Blick auf die verrückt blinkenden Lämpchen der Schaltzentrale.
Eine Viertelstunde später hatten Leo und Clarence Fillmore alle beruhigt. Die Schaltzentrale blinkte immer noch rot, aber zumindest konnten sie sich die Schadensmeldungen in Ruhe ansehen.
- Wasserschäden in mindestens drei Zimmern. (Was Leo zu Recht mit dem Leck an der Wasserpumpe des Teichs auf dem Dach in Verbindung brachte).
- Klimaanlage außer Betrieb in vier Zimmern. (Es war erst mitten am Vormittag und die Temperatur ging schon auf dreißig Grad zu. Wenn sie im Kuchenzimmer über dreißig stieg, würde es ein Unglück mit dem Zuckerguss geben, das nur schwer zu beheben wäre.)
- Elektrische Kurzschlüsse im Flipperzimmer und im Roboterzimmer. (Klink, Klank und Klonk hatten eine Riesenschlägerei vom Zaun gebrochen, die Mr Bump aus dem Hotel und mitsamt seinem Laptop in ein Café zu vertreiben drohte.)
- Im gesamten Hotel kein heißes Wasser. (Was bedeutete, dass der Boiler den Geist aufgegeben haben musste).
»Erst die Lecks, dann alles andere«, sagte Leos Vater und starrte die Tickerstreifen an. Wie sollten sie das alles jemals schaffen?!
Leo wollte seinem Vater gerade Mut machen – sie würden alles hinkriegen, da war er sicher –, als die Tür zum Keller aufging und sich der Schatten von Mrs Sparks’ bedrohlichem Bienenkorb hereinbeugte.
»Sie bewegen sich auf dünnem Eis, Mr Fillmore. Ich hoffe für Sie, dass Sie alles in den Griff bekommen.«
»Aber natürlich, Mrs Sparks. Leo und ich kriegen das hin. Keine Sorge.«
»Warum tröstet mich das nicht?«, sagte sie und warf einen Blick auf die Pritschen der Fillmores, als könne sie sich gar nicht vorstellen, unter so primitiven Bedingungen zu wohnen. Sie knallte die Tür zu, und Leo hörte, wie ihre Stöckelschuhe über die Betonstufen zur Lobby klackerten.
»Ich repariere die Wasserpumpe und du wischst die Zimmer auf«, sagte Clarence Fillmore.
»Dann nehme ich den Entenaufzug zum Wartungstunnel in vier und kümmer mich um den Sicherungskasten. Es ist der für die Roboter und die Flippersuite.«
»Perfekt! In einer Stunde treffen wir uns hier, um den Boiler zu reparieren.«
Leo und Clarence füllten ihre Werkzeuggürtel und -taschen mit allem, was sie möglicherweise brauchen konnten, dann rief Leo Pilar über die Wartungsleitung und bat sie, die Nass-Trocken-Sauger auf allen Stockwerken anzustellen sowie die Wischmopps bereitzuhalten.
Die Sirenen setzten wieder mit ihrem Geheule ein und Stimmen drangen ins Untergeschoss.
»Nichts wie raus hier, ehe sie durchdreht!«, witzelte Clarence und er und Leo verschwanden, um die Schäden auf den verschiedenen Stockwerken zu beheben.
Bei der ganzen Aufregung war es Leo nicht möglich gewesen, in die blaue Kiste zu schauen, was ihn fast verrückt machte, so gespannt war er. Er wusste, dass sie ihn zu einem neuen geheimen Ort im Hotel führen würde, aber er konnte ja nicht auf die Suche gehen, solange das Whippet um sein Leben kämpfte. Noch nie hatte das Hotel so viel Pech auf einmal gehabt, aber andererseits hatte Merganzer D. Whippet ja auch ständig an irgendeinem Teil des Gebäudes herumgebastelt. Hundert und ein Tag ohne ihn machten sich jetzt vielleicht in dem schrulligsten Hotel von New York bemerkbar.
»He, Leo!«
Remi meldete sich auf dem Funkgerät, als Leo den Wartungstunnel betrat und die Leiter zu einem der Putzräume hinaufzuklettern begann.
»Ich bin gerade ziemlich beschäftigt, Remi«, sagte Leo und versuchte, einhändig die Leiter hochzuklettern, während er mit der anderen das Funkgerät hielt.
»Blop hat was von den Wasserschäden mitgekriegt und macht sich Sorgen um die anderen Roboter«, berichtete Remi. »Er knallt seinen Kopf dauernd an den Pappkarton.«
Leo verdrehte die Augen. »Er ist ein hinterhältiger Bursche; lass dich nicht von ihm austricksen. Er versucht nur, in sein Zimmer zurückzukommen, damit er Mr Bump auf die Nerven gehen kann. Versuch mal, mit ihm über Rennautos zu reden. Das gefällt ihm.«
Leo wünschte, Remi würde ihn in Ruhe lassen, damit er sich auf die Erledigung seiner Aufgaben konzentrieren konnte.
»Er sagt, wenn der Boiler kein heißes Wasser mehr rauslässt, bedeutet das gewöhnlich, dass demnächst ein Dichtungsring platzt. Wäre das nicht cool?«
Leo ging ein Licht auf, und er merkte, dass Blop Recht haben könnte. Der Boiler würde womöglich Wasser verlieren, viel sogar. Er stand im Untergeschoss, genau wie die blaue Kiste.
»Remi, hör genau zu«, sagte Leo und sprang im Siebten von der Leiter. »Du musst etwas für mich tun, aber es bedeutet, dass du die Eingangstür verlässt. Geht das?«
Leo ging den Tunnel entlang zu einer verborgenen Tür, die auf den Hotelflur führte, und machte sich zum Putzraum auf, wo Pilar mit dem Nass-Trocken-Sauger auf ihn wartete.
»Na klar kann ich helfen! Mrs Sparks hat ihre Besorgungen zwar abgesagt, aber jetzt rennt sie überall im Haus herum, deshalb kann ich mich bestimmt wegschleichen. Angeblich geht das Hotel vor die Hunde. Ich bin ihr geringstes Problem.«
»Unter meinem Bett im Keller stehen zwei Kisten.«
»Die geheimen Kisten«, sagte Remi mit besonderer Betonung auf ‘geheimen’.
»Genau, die.« Leo musste den Kopf schütteln. »Hol die blaue und stell sie zur Sicherheit in den Entenaufzug. Da geht sonst keiner rein.«
»Ich und Bloppy sind schon unterwegs. Ist praktisch schon erledigt!«
Pilar schob ihren Putzwagen bereits aus der Putzkammer, als Leo um die Ecke kam.
»Was ist los mit dem Whippet?«, fragte sie und ihre dunklen braunen Augen sahen besorgt aus.
»Ich weiß nicht. Es ist anscheinend angeschlagen«, antwortete Leo.
»Oder traurig«, sagte Pilar. »Ich glaube, es vermisst Mr Whippet.«
Dazu konnte Leo nichts sagen, aber es stand fest, dass das Hotel tief in der Patsche saß.
Leo war auf dem Weg zu Mrs Pompadores Suite, als das Funkgerät wieder losging.
»Er geht in die Luft!«, hörte er Remi schreien, gefolgt von Blop, der Überlebenstechniken für den Überflutungsfall aufsagte. »Der riesige schwarze Boiler bebt und spotzt – ich glaube, er fängt jeden Moment an, Bolzen zu schießen und das ganze Untergeschoss mit Wasser zu fluten! Ich muss Blop rausbringen – sein Schaltkreis brennt durch, wenn er nass wird!«
Blop fing an zu widersprechen und behauptete, er sei ein guter Schwimmer, was natürlich totaler Blödsinn war.
»Hast du die Kisten?«, fragte Leo.
»Mit wem redest du?«, wollte Mrs Pompadore wissen und Leo schaltete das Funkgerät schnell ab und stopfte es in seinen Overall. Sie sah ihn an, als habe er etwas zu verbergen.
»Nur langweilige Technikauskünfte, Mrs Pompadore. Ich hab das hier in null Komma nichts aufgewischt«, sagte er in dem Versuch, das Thema zu wechseln. Hainy knurrte und wollte auf den Boden gesetzt werden. Das Wasser stand höchstens zwei Zentimeter hoch, und zwar nur im Badezimmer, doch Mrs Pompadore wollte das arme Ding nicht hinunterlassen. »Ist doch irgendwie komisch, finden Sie nicht?«, fuhr Leo fort und versuchte, die Stimmung etwas zu lockern, während ihn Mrs Pompadore streng ansah. »Wo das hier doch das Zimmer der Teiche und Höhlen ist, meine ich.«
»Ich finde das gar nicht komisch«, antwortete sie. »Wasser gehört ins Becken, ins Klo und in Teiche. Nicht auf meinen Badezimmerboden.«
»Stimmt, Ma’am«, sagte Leo.
»Als Nächstes willst du mir wohl einreden, ich sollte Fledermäuse in meinem Haar landen lassen, weil es hier im Zimmer Höhlen gibt.«
»Nein, Ma’am«, sagte Leo, obwohl er tatsächlich fand, dass ihre Bemerkung irgendwie ganz logisch klang.
Mrs Pompadore zog sich zurück, und Hainy bellte ungefähr tausendmal, während Leo mit dem Nass-Trocken-Gerät zugange war. Er wusste, dass er eigentlich seinen Vater anrufen und in den Keller schicken sollte, falls der Boiler ihre Räume überschwemmte, aber Leo wollte erst wissen, ob Remi die blaue Kiste vorher in Sicherheit gebracht hatte. Als er mit dem Aufwischen fertig war, räumte er den Nass-Trocken-Sauger fort, überprüfte den Sicherungskasten im vierten Stock und raste die Treppe zum Keller hinunter. Doch ehe er dort ankam, rief ihn sein Vater über das Walkie-Talkie an.
»Komm besser mal runter ins Untergeschoss«, sagte Clarence Fillmore. »Hier unten ist was Merkwürdiges, über das ich mit dir reden muss.«
O-oh. Leo war sicher, dass sein Vater auf Remi und die Kisten gestoßen war und dass sein unglaubliches Abenteuer in den geheimen Zimmern des Hotels ein für alle Mal beendet war. Er versuchte ununterbrochen, Remi anzufunken, bekam aber keine Antwort. Als er die Tür zum Keller erreichte, lauschte er vorsichtig und hoffte, weder die Sirene noch plätscherndes Wasser zu hören.
»He, Dad«, sagte er und trat ein. Der Boiler war in der dunkelsten Ecke des Kellers und stand auf einem riesigen Betonsockel. Er hatte ein Abflussventil, das unterirdisch Wasser in das Abwassersystem leitete, und Mr Fillmore kauerte bei dem Loch und sah zu, wie das Wasser abfloss.
Von der blauen Kiste war nichts zu sehen. Nur die violette war da. Vielleicht hatte sie sein Vater doch nicht entdeckt.
»Komm her«, sagte Clarence Fillmore. »Das musst du dir ansehen.«
Leo ging langsam durch den Raum und bückte sich etwas, als er an seiner Liege vorbeikam, um darunterzuschauen. Es war zu dunkel im Keller, um sicher zu sein, aber er vermutete mal, dass die blaue Kiste fort war.
»Was ist denn, Dad?«
Mr Fillmore richtete eine Taschenlampe auf das abfließende Wasser, das dampfte, so heiß war es. Er zog eine dreißig Zentimeter lange magnetische Röhre aus seiner Werkzeugtasche, mit der er gewöhnlich Bolzen und Nägel einsammelte, die in unerreichbare Winkel gefallen waren, und hielt sie in das Wasser.
»Sind das …?«, fing Leo an, beendete seine Frage jedoch nicht.
»Genau, Büroklammern. Tonnenweise.«
Der Magnet zog ganze Trauben von den Metallklammern an, die aus dem Boiler strömten.
»Ich wette, es sind sogar Zehntausende«, sagte Mr Fillmore, während sie dem knirschenden Geräusch zuhörten, das die Büroklammern im Boiler machten
»Aber wie kann das sein?«, fragte Leo.
Eine Weile lang sagte keiner von ihnen etwas, denn beide wussten die Antwort. Es gab nur einen Grund, warum so etwas passieren konnte. Und es gab noch viele weitere Hinweise, die die Vermutung der beiden bestätigten.
Jemand versuchte, das Whippet Hotel zu sabotieren.
»Das war unsere Kontaktperson«, sagte Milton und legte den Hörer auf. »Sie haben die Dinge in Gang gesetzt.«
»Und die Konkurrenz? Was ist damit?«, fragte Bernard. Er schien besorgt. Er war sich der Kontrolle über das Whippet so sicher gewesen, doch mit jedem weiteren Tag wurde er unsicherer. Seine Pläne liefen so präzise ab, wie er gehofft hatte, und doch hatte er Zweifel.
Milton blickte ernst durch das Tor in die weitläufigen Gartenanlagen des Whippet.
»Wir müssen umsichtig auswählen, wenn wir vorhaben, unsere Feinde zu schlagen.«
»Stimmt«, sagte Bernard Frescobaldi. »Bringen Sie mich noch mal in den Park. Ich möchte mich ein letztes Mal umsehen.«
»In Ordnung, Sir.«
Bernard hatte gerade einen weiteren höchst vertraulichen Tagebucheintrag von Merganzer D. Whippet gelesen, diesmal über den Central Park, und er hielt es für das Beste, sich sofort dorthin zu begeben und nach etwas zu suchen, was ihm vielleicht entgangen war. So viele Hinweise, so viel, was man bedenken musste. Und so viel, das auf dem Spiel stand. Er durfte nicht den winzigsten Hinweis unbeachtet lassen.
»Ist das Central Park-Zimmer im Whippet nicht ein Wunder?«, fragte er und überflog die Worte noch einmal. »Herrlich.«
»Finde ich auch«, stimmte ihm Milton zu.
Als sie auf der Westseite des Central Park anhielten, stieg Bernard aus der schwarzen Limousine und machte sich allein auf den Weg. Er hatte den Tagebucheintrag dabei. Nach einem kurzen Gang setzte er sich auf eine Bank und las ihn nochmals durch.
Merganzer D. Whippet, Eintrag neunzehn
Mutter hatte eines Tages einen unerwarteten Energieschub. Sie nahm mich mit ins »Metropolitan Museum«, weil dort, wie sie sagte, die sehr ungewöhnliche Ausstellung eines Künstlers zu sehen war. Sie war überzeugt, dass ich fasziniert sein würde. Womit sie auch nur allzu Recht hatte.
Joseph Cornell machte die fantastischsten Bilderkästen, die ich je gesehen hatte. Ich mochte Kunst schon immer, aber das hier war etwas Neues. Ich hatte einen Blick für 3-D-Objekte, und als ich die Bilderkästen sah, die mit Schnickschnack und Wörtern und Farben gefüllt waren, war ich sprachlos. Da wusste ich, dass ich eines Tages ebenfalls aufwendig ausgedachte Kästen machen würde.
Meine Mutter wurde müde, doch ich wollte nicht gehen, ehe ich jeden einzelnen Kasten gesehen hatte.
Danach brauchte sie frische Luft, daher gingen wir im Central Park spazieren, redeten über Cornell und Züge und Roboter und alles Mögliche. Wir machten Rast, setzten uns unter den Turm von »Belvedere Castle« und verspeisten eine Tüte leckerer Donuts.
»Liebst du solche Sachen wirklich?«, fragte ich sie, denn tief im Inneren hatte ich den Verdacht, dass sie von den Dingen sprach, die mir gefielen, nicht ihr selbst.
»Ich liebe Ådich, Merganzer, und das ist das einzig Entscheidende.«
Damals wie auch heute noch finde ich, dass es die perfekteste Antwort der Welt war.
Es war das letzte Mal, dass wir zusammen spazieren gingen, dort im Park. Danach hat sie die Wohnung in der Fifth Avenue nie mehr verlassen.
M.D.W.