Die Idee, ein Buch über die Schweiz und den Sklavenhandel zu schreiben, mag auf den ersten Blick unsinnig erscheinen. Alle wissen doch, dass die Schweiz nie eine Sklavenhandelsflotte oder Kolonien mit Zuckerplantagen in der Karibik oder auf dem amerikanischen Kontinent besessen hat. Zudem wurde die Schweiz zu einem Zeitpunkt Bundesstaat, als der transatlantische Sklavenhandel mit Schwarzen und die Sklaverei in Europa und Amerika kurz vor der Abschaffung standen. Folglich kann sich die Schweiz als Staat von dieser Frage in keiner Weise betroffen fühlen.
Trotzdem nimmt die offizielle Schweiz heute Stellung zu diesen Themen. Im März 2001 veröffentlichte die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus ein Memorandum, in dem sie erklärte, dass «die Schweiz den Sklavenhandel, die Sklaverei und den Kolonialismus als historische Manifestationen, die […] einem die betroffenen Menschen und Völker zutiefst verletzenden und schädigenden rassischen Menschenbild angehören, verurteilen kann und muss». Die Kommission ist zudem der Ansicht, dass «die vergangenen, bis heute nachwirkenden Folgen dieser historischen Ereignisse und insbesondere ihr Anteil am wirtschaftlichen Entwicklungsrückstand der betroffenen Länder und an der verzögerten politischen und sozialen Umstrukturierung anerkannt werden müssen». Aus diesem Grund unterstützt sie «das Prinzip einer Wiedergutmachung […], bekräftigt aber die ihrer Ansicht nach vorrangige Bedeutung einer öffentlichen moralischen Anerkennung des durch Sklavenhandel, Sklaverei und Kolonialismus verursachten Unrechts durch die Schweiz».
Wenige Monate später unterzeichnete die Schweiz die Erklärung von Durban zum Abschluss der dritten Weltkonferenz gegen Rassismus, die im September 2001 in Südafrika stattfand. Hier zwei interessante Ausschnitte aus diesem Text, auf den sich die Schweiz und die anderen 162 an der Konferenz teilnehmenden Ländern geeinigt hatten. In Paragraph 13 heisst es: «Wir erkennen […] ferner an, dass Sklaverei und Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind.» In Paragraph 158 (des Aktionsprogramms) hält die Konferenz fest, «dass diese historischen Ungerechtigkeiten unleugbar zu Armut, Unterentwicklung, Marginalisierung, sozialer Ausgrenzung, wirtschaftlicher Ungleichheit, Instabilität und Unsicherheit beigetragen haben, wovon viele Menschen in verschiedenen Teilen der Welt betroffen sind […]. Die Konferenz erkennt die Notwendigkeit an, im Rahmen einer neuen […] Partnerschaft Programme für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung dieser [afrikanischen, vom Sklavenhandel betroffenen] Gesellschaften und der Diaspora […] auszuarbeiten […].»
Der beschlossene Wortlaut lässt, wie man sieht, die Tür offen für ein öffentliches Schuldbekenntnis und stellt Möglichkeiten einer verstärkten Entwicklungshilfe, einer besseren Eingliederung in die westlichen Märkte und der Schuldenstreichung, wenn auch keine Wiedergutmachung in Aussicht. Die westlichen Staaten und mit ihnen die Schweiz scheinen bereit, das Unrecht anzuerkennen, das dem afrikanischen Kontinent angetan wurde, und Formen der Wiedergutmachung für die Vergangenheit zu erwägen, sind aber nicht besonders erpicht darauf, mit ihrem Reuebekenntnis rechtlichen Schritten Vorschub zu leisten. «Wir sind bereit, uns unserer Vergangenheit zu stellen, doch das Ziel von Durban ist nicht, Experten- und Juristenkammern zusätzliche Fälle aufzuhalsen, indem wir sie beauftragen, die durch Kolonisierung und Handel verursachten Schäden zu beziffern», meinte etwa Charles Josselin, der nach Südafrika entsandte französische Minister für Entwicklungszusammenarbeit.
Der Vertreter der Schweiz in Durban, Jean-Daniel Vigny, betonte in Reaktion auf die Entschädigungsforderungen, die von afrikanischer Seite an Länder gestellt werden, die vom Handel mit Schwarzen profitiert haben, eine solche Forderung stelle für die Schweiz kein besonderes Problem dar, da «wir mit Sklaverei, dem Sklavenhandel und dem Kolonialismus nichts zu tun haben». Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus liess im März 2002 an einer nationalen Konferenz zum Thema «Die Schatten der Vergangenheit und die Last der Bilder. Rassismus gegen Schwarze in der Schweiz» ähnliche Töne vernehmen. Sie verurteilte den Sklavenhandel und unterstützte das Prinzip der Entschädigung, betonte bei dieser Gelegenheit aber, dass «die Schweiz keine Kolonialmacht war und sich auch nicht an der Sklaverei in Afrika beteiligt hat».
Anfang 2003 forderten verschiedene Politikerinnen und Politiker, die Zweifel an der historischen Haltbarkeit dieser Erklärungen hegten, den Nationalrat und mehrere kantonale Parlamente und Regierungen, namentlich in Basel, Bern, Zürich, St.Gallen und Appenzell, um nur die Deutschschweizer Kantone zu nennen, dazu auf, Forschungen über die Rolle der Schweiz und/oder der Schweizer im Sklavenhandel anzustellen und zu fördern. Diesen Interpellationen und schriftlichen Anfragen lag eine vom unabhängigen Forscher und Kabarettisten Hans Fässler koordinierte Aktion zugrunde. Fässler hatte im Rahmen der Zweihundertjahrfeiern des Beitritts St.Gallens zur Eidgenossenschaft ein Stück präsentiert, das von der Beteiligung eines Schweizer Söldners an der Niederschlagung des Sklavenaufstands von Haiti 1803 handelt. Wie Fässler betont, sei er bei der Vorbereitung dieses Stücks auf die zahlreichen Verbindungen der Schweiz zur Sklaverei aufmerksam geworden. Das habe ihn zu dieser Initiative bewogen, die von verschiedenen Abgeordneten aufgegriffen wurde.
Es lohnt sich, die Antworten der angesprochenen Kantons- und Bundesbehörden (siehe Anhang) genauer anzusehen. Alle bekräftigen zuerst, dass sie die Durban-Erklärung unterstützen. Mehrere begrüssen die Forderung, Forschungsarbeiten über die Beteiligung der Schweiz am Sklavenhandel durchzuführen, und bekunden teilweise sogar ihre Bereitschaft, entsprechende Studienprojekte zu diesem Thema zu unterstützen. Niemand ist jedoch der Ansicht, es sei Aufgabe des Staates, selbst eigene Studien in Auftrag zu geben. In Beantwortung einer schriftlichen Anfrage des sozialdemokratischen Abgeordneten Jean Guignard von November 2003 rechtfertigt der Staatsrat des Kantons Waadt, warum er sich in dieser Frage nicht engagieren wird: «Im Gegensatz zu anderen Themen (nachrichtenlose Vermögen, Sterilisierung von geistig Behinderten), zu denen er [der Staatsrat] Studien in Auftrag gegeben hatte, scheint in diesem Fall eine direkte Verantwortung der Behörden […] nicht vorzuliegen. Eine solche Verantwortung liegt allerdings für Familien und Personen mit Waadtländer Herkunft oder damaligem Wohnsitz in der Waadt vor, deren Reichtum auf dem Sklavenhandel und seinen Nebenerzeugnissen beruhen dürfte.»
Auf der Grundlage dieser Unterscheidung erklärt der Staatsrat des Kantons Waadt, er hoffe aber, «dass durch Forschungen die Fakten ans Licht kommen und das genaue Ausmass der Beteiligung von Schweizern am Sklavenhandel festgestellt wird, dass er aber keine Verantwortung für die Taten von Familien übernehmen kann, die ausschliesslich ihren eigenen Interessen gemäss gehandelt haben». Daher könne er «nur befürworten, wenn auf nationaler Ebene unter Leitung mehrerer Universitäten gemeinsame Forschungen durchgeführt würden, die der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziere».
Die Regierung des Kantons Waadt betont nebenbei die Schwierigkeit dieser Aufgabe: «Obwohl die schweizerische Beteiligung am transatlantischen Handel unbestritten ist, müssen Ausmass, Formen und Dauer dieser Beteiligung erst untersucht werden. Die von Schweizer Kaufleuten benutzten Finanzierungsformen und Geldkreisläufe sind bisher wenig bekannt. Von historischer Seite wurden über den schweizerischen Kapitalismus im Ausland, der sich entlang protestantischer Beziehungsnetze und der Ausbreitung des Sklavenhandels entfaltete, bisher nur bruchstückhafte, isolierte Informationen vorgelegt. […] Das Fehlen neuerer, systematischer Studien erklärt sich weitgehend aus der Schwierigkeit, in der Schweiz direkte Quellen über den Sklavenhandel finden […] zu können. Da die Regierungen der Schweizer Kantone an der Politik des Sklavenhandels und der Sklaverei nicht beteiligt waren, fehlen in den offiziellen Dokumenten entsprechende Hinweise. Von seltenen Ausnahmen abgesehen, befinden sich die Archivunterlagen, mit anderen Worten, noch in privaten Händen und sind damit nicht zugänglich. Um in den im Ausland aufbewahrten Archiven auf Spuren von Schweizern zu stossen, sind umfangreiche Sichtungsarbeiten erforderlich, deren Ergebnisse oft vom Zufall abhängen und angesichts der vagen, oberflächlichen Informationen oft enttäuschend sind.» (Vgl. auch Anhang)
Die Antwort der waadtländischen Regierung erinnert an die etwas knapper gehaltene Antwort des Bundesrats einige Wochen zuvor (am 16. Juni 2003) an die St.Galler Abgeordnete der Grünen, Pia Hollenstein (vgl. Anhang). Darin heisst es, dass «verschiedene Schweizer Bürger mehr oder weniger stark am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt [waren], was der Bundesrat aus heutiger Perspektive zutiefst bedauert». Der Bundesrat erklärt sich bereit, die politisch notwendige Aufarbeitung der Vergangenheit zu unterstützen, und erinnert daran, dass «für die Aufarbeitung die üblichen Instrumente der Wissenschafts- und Forschungsförderung zur Verfügung [stehen]».
Aus den bisherigen Ausführungen folgt, dass sich der Schleier über der schweizerischen Beteiligung am Sklavenhandel erst seit kurzer Zeit langsam lüftet. Bisher hielten sich alle im Wesentlichen an die offizielle Version, es habe keine Schweizer Beteiligung am Sklavenhandel oder an der Sklaverei gegeben. Die Antworten auf neuere Interpellationen bringen drei interessante Aspekte zum Vorschein. Zwar wird die Schweizer Beteiligung an der Versklavung der Schwarzen anerkannt, doch es wird deutlich zwischen Bundesstaat und Kantonsregierungen auf der einen sowie Einzelpersonen und Privatfirmen auf der anderen Seite unterschieden. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung wird klar die Ansicht vertreten, die offizielle Schweiz trage keine Verantwortung. Seit diese Fragen öffentlich diskutiert werden, ist deutlich geworden, wie unvollständig unsere Kenntnisse über ein historisches Thema sind, das kaum behandelt wurde, da es heikel, aber auch schwer zugänglich ist.
Die vorliegende Arbeit erhebt den Anspruch, diese Lücke zumindest teilweise zu schliessen und damit einer Frage, mit der sich bisher vor allem Politikerinnen und Journalisten befasst haben, mehr Substanz zu verleihen. Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert und verfolgt zwei Ziele: In einem ersten Schritt wird die Beteiligung von Schweizer Händlern, Handelshäusern und Finanzkreisen untersucht. Danach befassen wir uns mit den Beziehungen zwischen der Schweiz und dem System der Sklavenplantagen in Amerika. Zuletzt erfassen und untersuchen wir die Bewegungen und Vereine, die sich in der Schweiz für das Verbot der Sklaverei eingesetzt haben.
Zu diesen drei Arten von Bezug der Schweiz zur Sklaverei liegt eine Fachliteratur vor, die nicht nur veraltet und dürftig, sondern auch schwer zugänglich ist, da sie über Zeitschriften und Studien verstreut ist, die nur einer Hand voll lokaler Spezialisten bekannt sind. Das erste Ziel unserer Arbeit war daher, dieses verstreute Material zusammenzutragen und eine Bestandesaufnahme der Thematik vorzunehmen. Allein der Anspruch, das lückenhafte Material aufzuarbeiten, um es einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, ist bereits ein schwieriges Vorhaben. Damit wollten wir uns aber nicht begnügen. Unser zweites Ziel bestand darin, diese Unterlagen durch neue Beiträge zu vervollständigen, die im Rahmen einer im November 2003 an der Universität Lausanne organisierten wissenschaftlichen Tagung geprüft und präzisiert werden konnten. Um uns nicht mit einer reinen Bestandesaufnahme zu begnügen, die nur Unterlagen aus zweiter Hand untersucht, mussten wir archivarische Quellen erschliessen, von denen insbesondere das Bundesarchiv in Bern, die kantonalen Archive, das Wirtschaftsarchiv in Basel und die Archive der französischen Sklavereihäfen zu nennen sind.
Wie gut unser Vorhaben geglückt ist, mögen die Leserinnen und Leser beurteilen; das vorliegende Material ist jedenfalls reichhaltig: Es wird präzise gezeigt, in welcher Form Schweizer am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt waren. Zum Ausmass dieser Beteiligung wird eine konkrete Schätzung vorgelegt. Ihre Besonderheiten werden in einer vergleichenden Darstellung herausgearbeitet. Schliesslich wird versucht, in Fallstudien zu beurteilen, inwieweit die Aktivitäten Profite einbrachten.
Zudem werden der Lebenslauf und das Schicksal der Schweizer, die auf verschiedene Weise mit den schwarzen Sklaven in Amerika und Afrika in Berührung gekommen sind, nachgezeichnet. Anhand zahlreicher Beispiele wird ihre Einstellung zu Sklavenarbeiterinnen und -arbeitern sowie zum System der Sklaverei beleuchtet. Ein einziges Mal bezieht der Bundesrat in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts Stellung zum Sklavenbesitz von Schweizern, die sich in der Neuen Welt niedergelassen haben. Dieses Dokument wird interpretiert und zeitlich situiert. Inhaltlich erinnert die Stellungnahme des Bundesrates an die Meinung, die Alexis de Tocqueville 1848 aus Anlass der Abschaffung der Sklaverei durch Frankreich formuliert: «Wenn den Negern auch das Recht auf Freiheit zusteht, ist dennoch unbestritten, dass die Kolonisten das Recht haben, durch die Freiheit der Neger nicht ruiniert zu werden.» (Tocqueville 1962, S. 94) Die Forderung an die zur Sklaverei gezwungenen Schwarzen Entschädigungszahlungen zu leisten, stösst heute auf wenig Zustimmung; im Falle der um ihren Sklavenbesitz gebrachten Plantagenbesitzer wurde das dazumal als selbstverständlich angesehen.
Schliesslich können durch eine sorgfältige Untersuchung der Bewegung gegen Sklaverei und Sklavenhandel in der Schweiz deren genaue zeitliche Situierung, die Motivation ihrer Mitglieder, ihre Einbindung in ein internationales Netzwerk, die von ihnen vertretenen Werthaltungen und die politischen oder sozialen Strömungen und Ideologien, aus denen sie hervorgegangen ist, dargestellt werden.
Das Besondere an unserer Arbeit ist, dass die Gesamtheit dieser Verbindungen der Schweiz zur Versklavung der Schwarzen in den Blick genommen wird, indem Vergangenheit und Gegenwart aufeinander bezogen werden. Die Abfassung dieser Studie fiel erfreulicherweise mit dem von den Vereinten Nationen beschlossenen Internationalen Jahr zum Gedenken an den Kampf gegen die Sklaverei und an ihre Abschaffung zusammen, das unter Federführung der Unesco begangen wurde. Die Eröffnungsfeier fand in Cape Coast (Ghana) an der afrikanischen Küste, einer Drehscheibe des transatlantischen Sklavenhandels im 18. Jahrhundert, statt. An diesem Ort, der heute zum Welterbe der Unesco zählt, war von der Schwedischen Afrikagesellschaft eine Festung errichtet worden. Der erste Europäer, der sie 1652 leitete, der Basler Isaak Miville, war vermutlich als erster Schweizer am Sklavenhandel beteiligt.
Zum Schluss noch eine Bemerkung: Während der Arbeit an diesem Buch haben wir keinerlei finanzielle Unterstützung von irgendeiner öffentlichen oder privaten Stelle erhalten. Es ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von zwei Mitarbeitern und einer Mitarbeiterin des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Lausanne, die uns in ein fruchtbares, befriedigendes wissenschaftliches Abenteuer geführt hat. Möge es bei den Leserinnen und Lesern auf dasselbe Interesse stossen wie bei den Verfassern und der Verfasserin.
Folgenden Personen, die einzelne Kapitel oder das gesamte Manuskript gelesen haben, möchten wir unseren Dank aussprechen: Frédérique Beauvois, Sandra Bott, Catherine Chène, Alain Clavien, Matthieu Leimgruber, Claude Lützelschwab, Olivier Pétré-Grenouilleau, Frédéric Sardet und Laurent Tissot.
Verschiedene Textteile konnten an Konferenzen in Basel, Lausanne und Lorient vorgestellt werden. Wir danken den Teilnehmern und Teilnehmerinnen für alle Rückmeldungen, die wir bei dieser Gelegenheit erhalten haben. Unser Dank gilt schliesslich auch den Archivaren und Archivarinnen in Frankreich und der Schweiz, die uns in unserer Forschungsarbeit beratend zur Seite standen und ohne deren wertvolle Hilfe das Buch nicht hätte entstehen können.