P arker saß daneben und hörte mit einem Ohr zu, während Ezekiel Laurel die Grundlagen der Sturmmagie erklärte. Schon wieder standen der alte Mann und die Druidin Rücken an Rücken, schließlich durften sie die Wolken-Tarnung um ihr Schiff nicht auffliegen lassen. Er erklärte ihr, dass Sturmmagie eine Art Zwischenstufe zwischen physischer und Naturmagie darstellte, sich aber Naturmagiern natürlicher erschließe.
Laurel sah man ihre Müdigkeit eindeutig an, auch wenn ihre Augen noch hellgrün leuchteten. Sie und Ezekiel hatten in der letzten Nacht nur wenige Stunden Schlaf bekommen, als Gregory das Schiff auf einem geschützten Hang gelandet hatte. Nun aber befanden sie sich wieder in Alarmbereitschaft und warteten hoch in der Luft auf Hannahs Meldung.
»Ach, keine Ahnung«, schnaubte Laurel gerade. »Das können wirklich nur die stärksten Druiden und im Vergleich zu denen bin ich nur eine Anfängerin.«
»Es ist weniger eine Frage des natürlichen Talents als vielmehr eine Fleiß-Angelegenheit.«
»Ah ja, danke«, sagte sie und lachte gutmütig, wie es ihre Art war. »Hey, Zeke …«
»Ezekiel«, korrigierte er sie.
»Schau mal! Wenn ich mich richtig anstrenge, kann ich diese Wolke wie dein Gesicht aussehen lassen, mit weißem Rauschebart und allem.«
Ezekiel schüttelte pikiert den Kopf. »Warum genau noch mal habe ich eine Druidin ins Team aufgenommen?«
»Weil ich so fleißig bin«, stichelte sie fröhlich.
»Konzentriere dich einfach, Kind.«
Parker richtete seine Aufmerksamkeit auf Hadley, der ein paar Meter entfernt an der Reling lehnte. Er grinste wie so oft, aber seine weiß glühenden Augen hatten einen besorgten Ausdruck.
»Was ist los?«, rief er dem Mystischen zu.
Das weiße Glühen seiner Augen verblasste zusammen mit seinem Lächeln und er runzelte die Stirn. »Hannah. Die Mission ist aus dem Ruder gelaufen. Mal wieder. Sie braucht uns.«
Sofort stieß Parker einen lauten Pfiff aus und Sal kam über das Deck gepoltert.
»Wir müssen unserem Mädchen helfen«, informierte ihn Parker, setzte sich zwischen die Rückenstacheln des Drachens und hielt sich an den Halsstacheln fest. Ohne weitere Umschweife erhob sich der Drache in die Luft, doch sie hörten einen Protestschrei hinter sich.
»Nicht ohne mich!«, rief Aysa. Sie stieß sich mit dem Fuß von der Reling ab und schaffte es mit Parkers Hilfe, auf den Rücken des Drachens zu klettern. Sie hatte wirklich Mumm, das musste man ihr lassen.
»Halt dich fest!«, rief Parker durch das laute Pfeifen des Windes. »Ist nicht wie auf ’nem Pferd zu reiten.«
Sie schlang ihre langen Arme um seinen Oberkörper. »Konzentrier du dich aufs Lenken! Ich komme schon klar.«
Parker lächelte und klopfte Sal sanft gegen den Hals. Der Drache verfiel in einen rasanten Sturzflug, der ihnen die Ohren knacken ließ und ehe sie sich versahen, hatten sie die dichte Wolkendecke durchbrochen und schossen auf das Chaos unter ihnen zu.
* * *
Hannah wand sich jenen Männern zu, die gerade aus dem Wald aufgetaucht waren. Sie waren angesichts ihrer neuen Vorliebe für die Naturmagie ein leichtes Ziel, also fokussierte sie die schwelende Energie in ihren Adern, legte ihre freie Hand auf den Boden und schickte eine stumme Bitte an die äußerste Baumreihe des Waldes. Die Bäume zögerten, fassten jedoch einen Entschluss zu Hannahs Gunsten und beugten sich zu den bewaffneten Männern hinunter. Ehe die auch nur bemerkten, was passierte, wurden sie auch schon von hervorschnellenden Ästen und Wurzeln gepackt, eingewickelt und ins Dickicht gezogen.
Ihre Schreie hallten furchtbar wider, bis sie plötzlich verstummten. Diejenigen, die von den Bäumen verschont geblieben waren, sahen sich nun zögerlich um. Hannah verschwendete keine Zeit und schleuderte den Feuerball, der noch immer in ihrer Handfläche tanzte, vor ihnen auf die Wiese, die sofort lichterloh in unnatürlich hohen Flammen aufging. So zwang sie die Wachen zurück in Richtung der mörderischen Bäume.
Diese Männer waren nun vorerst beschäftigt, also wandte sie sich wieder den Dutzenden von Kämpfern zu, die aus der Kaserne geströmt waren.
»Ich kann das den ganzen Tag machen«, zischte sie, obwohl das eine glatte Lüge war. Die Macht ihres Naturzaubers forderte schon jetzt ihren Tribut. Aber sie musste ja nur lange genug kämpfen, bis der Rest des Teams auftauchte.
Sie zog also ihren Dolch und starrte die unzähligen Wachen an – in der Hoffnung, dass einige vor ihr fliehen würden. Doch sie blieben stehen und funkelten sie feindselig an. Einige spannten Pfeile auf ihre Bögen und zielten direkt auf sie.
»Bereit!«, brüllte jemand, der wohl einen Kommandantenrang innehatte.
Sie warf ihren Dolch und lenkte ihn mit Magie so durch die Luft, dass er sich geradewegs in die Kehle dieses Typen bohrte und in die Brust seines Nebenmannes, ehe die Waffe in der Luft einen Bogen beschrieb wie ein Bumerang und zu ihr zurückkehrte.
»Anvisieren!«, brüllte nun ein anderer.
»Ach, kommt schon!«, nörgelte sie. »Das war erschreckend! Die Hälfte von euch sollte sich längst in die Hose machen.«
»Feueeeer!!«
Nur Sekundenbruchteile, ehe sie die Sehnen ihrer Bögen losschnellen ließen, erhob sich ein Brausen wie von einem Tornado und die Männer schauten erschrocken gen Himmel.
»Na endlich«, murmelte Hannah erleichtert.
Sal kam von oben herabgestürzt und schlug noch im Gleitflug mit seinen Pranken nach den Köpfen der Bogenschützen. Der Drache flog eine elegante Schleife und dann direkt auf Hannah zu, sodass sie nun die beiden Gestalten auf seinem Rücken erkennen konnte: Parker und Aysa. Sal verlangsamte seinen Flügelschlag so sehr, dass die beiden abspringen und schlitternd neben Hannah auf dem Boden landen konnten, ehe er weiterflog.
Mit einem Brüllen stürzte sich Sal in die Menge und packte zwei Soldaten mit seinen Pranken, die laut kreischten, während er sie hoch in die Luft beförderte und dann fallen ließ.
»Hey, Babe«, sagte Parker grinsend und zog den Magitech-Speer aus dem Gurt an seinem Rücken. Hannah legte missbilligend den Kopf schief.
»Babe? Danke, nein. Keine Kosenamen, ja? Das ist Regel Nummer Eins.«
»Meinetwegen, aber du weißt ja, wie gut ich mich an Regeln halte.«
»Ihr zwei seid so süß«, spottete Aysa wenig begeistert, »aber können wir uns jetzt mal konzentrieren?«
Ihre entschlossene Miene erinnerte Hannah schlagartig daran, dass es hier nicht nur darum ging, einen Haufen Drecksäcke zu erledigen, sondern auch darum, unschuldige Leben zu retten. Und Aysa sollte ihre Rache bekommen für das, was ihr damals widerfahren war.
»Du hast recht«, befand Hannah ernst. Aysa nickte ihr zu und zog ihre Bolas aus der Schlaufe an ihrem Gürtel. Parker schwenkte seinen Speer in Angriffsposition.
»Für den Boulevard!«, rief Parker.
Gleichzeitig rief Aysa: »Für Baseek!«
»Für die Gerechtigkeit!« Auf Hannahs Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Zeigen wir ihnen, was die Bitch-und-Bastard-Brigade drauf hat!«
* * *
Die drei setzten zum Sprint an und stürzten sich auf die überwältigende Zahl von Wachleuten. Parker wusste, dass die Chancen schlecht standen gegen diese Armee von Sklaventreibern. Doch an der Seite von Hannah zu kämpfen, verlieh ihm ein Selbstvertrauen, dessen Ausmaße ihn selbst überraschten – und dabei war er schon von Haus aus nicht gerade bescheiden.
Er schleuderte seinen Speer gekonnt umher, in einem immer wiederkehrendem Kreis, der alle Angreifer in seinem Umfeld zurücktaumeln ließ. Als er sie ein wenig von sich weggetrieben hatte, eröffnete er das Magitech-Feuer auf sie und sah zufrieden, wie er einen nach dem anderen tödlich verbrannte. Auch Hannah legte derweil ein Sperrfeuer hin, jedoch mit echten Flammen, die auf ihren Handflächen tanzten und sich durch die Rüstungen der Wachen hindurch fraßen.
Sie war jetzt mitten im Getümmel und so waren die Bögen der Wachleute nutzlos geworden. Eilig tauschten sie sie gegen Kurzschwerter und Knüppel ein.
Parker visierte einen besonders hochgewachsenen Mann an und schoss, doch noch während das bläuliche Energiegeschoss durch die Luft zuckte, fiel der Kerl der Länge nach um, sodass der Bursche neben ihm verschmort wurde.
»Hey, der gehörte mir!«, protestierte Parker.
»Ihr Arcadianer seid aber auch ein gieriger Haufen«, rief Aysa und hielt sich mit den umherpeitschenden Steinen ihrer Bolas gleich fünf Angreifer gleichzeitig vom Leib. »Was ’ne Schande, dass ihr auch noch so langsam seid!«
Parker grinste. »Manchmal ist langsam und gründlich besser als schnell und schlampig!«
Er sprengte eine Gruppe von Männern mit einer Salve Energieschüssen in die Luft und stürzte sich tiefer hinein ins Chaos der Schlacht. Dabei wirbelte er seinen Speer umher wie einen Schlagstock, zerschmetterte Schädel und Rüstungen und ließ keinen Angreifer allzu nahe an sich herankommen, nur um dann im richtigen Moment zuzuschlagen.
Ein großer, breitschultriger Wachmann mit dichtem Bart kam brüllend geradewegs auf ihn zu gerannt und schlug Parkers Speerspitze mit seinem groben Schild beiseite. Doch auf diese Möglichkeit war Parker vorbereitet. Er wirbelte herum, nutzte den Schwung seines Speers und ging so tief in die Knie, wie er konnte, als der Mann mit seinem Schwert nach ihm schlug.
Die Klinge sauste unerledigter Dinge über Parkers Kopf hinweg, doch der Wachmann konnte seinen Schwung nicht mehr stoppen und stolperte über den langen Schaft von Parkers Speer. Er schlug hart auf dem Boden auf und Parker versetzte ihm den tödlichen Schlag in den Rücken, ohne zu zögern. Er gestattete sich ein stolzes Grinsen und hätte sich fast gewünscht, dass Hannah in diesem Moment zu ihm herübergesehen hätte. Was sie natürlich nicht tat. Sie fegte wie ein tödlicher Wirbelwind aus Feuer und Zorn über die Scharen ihrer Angreifer hinweg und wie er so zu ihr hinübersah, befand er, dass er viel stolzer auf sie war als auf sich selbst.
Ganze Gruppen von schwerbewaffneten Wachen flogen wie Marionetten, deren Fäden durchschnitten wurden, durch die Luft und Fontänen von Blut begleiteten den Schwung von Hannahs Klinge. Ob sie wohl selbst bemerkte, wie flüssig sie zwischen Nahkampftechniken, Feuerbällen, Eisspeeren und Illusionen hin und her wechselte?
Sal tauchte immer wieder vom Himmel herab und schnappte sich ein paar schreiende Männer, die er dann aus schwindelerregender Höhe fallen ließ. Sein triumphales Brüllen klang verdächtig einem Lachen ähnlich.
Aysa hielt sich ebenfalls wacker, auch wenn sie es vorzog, die Männer einen nach dem anderen zu erledigen. Ihre Bolas wirbelten so schnell umher, dass man sie nur richtig sehen konnte, wenn sie auf die Handgelenke, Kiefer und Schädel ihrer Angreifer prallten.
Parker war so sehr damit beschäftigt, den anderen beim Kämpfen zuzusehen, dass er beinahe ein weiteres Kontingent von Wachen übersehen hätte, das gerade aus der Kaserne gestürmt kam, um sich dem Kampf anzuschließen. Er zählte schnell durch und befand, dass dies ihre Gewinnchancen nicht gerade in die Höhe schießen ließ.
»Äh, Leute? Haben wir einen Plan?«, rief er und schoss eilig auf die dazukommenden Wachen, während er sich seitlich auf Hannah zubewegte.
In diesem Moment fuhr ein ohrenbetäubendes Donnern durch die Luft und über ihnen kam die Ungesetzliche in Sicht. Sie blieb in einem eleganten Manöver wenige Meter über dem Boden auf der Stelle schweben, sodass Laurel, Karl und Ezekiel herunterspringen konnten, ehe Gregory das Schiff wieder in die Höhe steuerte.
»Wat is los, Mädschen?«, rief Karl, der freudig seinen Hammer schwang. »Hast dir wohl jedacht: Jeteilter Spaß is doppelter Spaß, wah?«
»Keine Sorge, es sind auf jeden Fall genug für alle da«, gab Hannah lässig zurück, doch der wilde Ausdruck wich nicht aus ihren rot glühenden Augen. »Hört mal! Meint ihr, ihr werdet mit denen ohne mich fertig? Es gibt da etwas, um das ich mich kümmern muss.«
Zeke hob seinen Stab hoch und zuckende Blitze stoben vom Himmel herab, die ein Dutzend Wachen auf der Stelle töteten. Donner erschütterte den Boden und Parker sah pointiert zwischen Hannah und ihrem Mentor hin und her. »Ich denke, das soll wohl Ja heißen.«
»Gut!«, rief Hannah. »Aysa, du kommst mit mir. Ihr anderen: Macht ihnen die Hölle heiß!«
* * *
Es dauerte wieder einen Moment, ehe sich ihre Augen an die Dunkelheit der Tunnel gewöhnt hatten, aber Hannah wagte es nicht, ihre Schritte zu verlangsamen. Sie rannte so schnell sie konnte, mit Aysa an ihrer Seite.
»Was machen wir hier?«, fragte die junge Baseeki.
»Wir müssen die Arbeiter hier rauschaffen. Ich weiß nicht, was die Wachen ihnen antun werden, wenn sie kapieren, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen können.«
Kaum hatte sie das gesagt, hallte ein dröhnendes Geräusch durch die Mine, das Steinbrocken von der Decke rieseln ließ.
»Dann sollten wir uns besser beeilen«, befand Aysa und beschleunigte ihr Tempo, »denn mit dem Rest des Teams da draußen müssen die Wachen schon bald kapieren, dass ihr Schicksal besiegelt ist. Das Donnern eben war bestimmt schon wieder Ezekiel.«
»Na ja, Karl war’s jedenfalls nicht! So starke Blähungen hat er nicht.«
Sie liefen noch ein gutes Stück weiter in die Dunkelheit hinein, dann hielt Hannah eine Hand hoch und blieb wie angewurzelt stehen. Vor ihnen machte der Schacht eine Biegung und dahinter war das unschöne Geräusch von Stahl auf Stein zu hören.
»Gut, hör mir zu. Wir töten die Wachen und sprengen die Ketten. Dann verschwinden wir.«
Aysa hob einen großen Stein vom Boden auf und wog ihn mit Expertise in ihrer großen Hand ab. »Dann lass uns loslegen.«
Hannah nickte und trat um die Ecke. Das Knallen einer Peitsche mischte sich zu den Geräuschen der Spitzhacken.
»Arbeitet weiter, ihr Scheißer!«, brüllte der Aufseher und ließ die bereits blutigen Riemen seiner Peitsche weiter durch die Luft knallen, wobei alle Arbeiter einen Schlag abbekamen. Er war definitiv der bulligste Typ hier, mit Glatze und einer auffallend platten Nase. Ungefähr zwölf andere Wachen standen um ihn herum.
»Ich weiß nicht, was da draußen für ein Scharmützel ausgebrochen ist und es ist mir auch egal! Wir werden unsere Quote heute nicht unterschreiten! Legt euch ins Zeug.«
Seine Peitsche traf den alten Mann, der schon beim Mittagessen schikaniert worden war. Hannah wollte drauflos stürmen, aber Aysa hielt sie am Ärmel zurück, wie Polly es zuvor getan hatte. »Warte. Der gehört mir.«
»Du kennst ihn?«
Aysa nickte grimmig. »Meinetwegen ist seine Nase so, wie sie ist. Er war da in der Nacht, als ich entführt wurde.«
»Verstehe.« Hannah legte dem Mädchen eine Hand auf die Schulter. »Ich übernehme die anderen. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.«
Hannah legte ihre Handflächen zusammen und ließ, während sie sie wieder auseinanderzog, einen langen Eisspeer zwischen ihnen entstehen. Sie trat aus den Schatten heraus und schleuderte den Speer auf einen der Wachmänner. Das angespitzte Eis bohrte sich durch seine Magendecke hindurch und trat auf der anderen Seite unter einem Schwall dunklen Blutes wieder aus. Seine Kameraden sahen heillos verwirrt drein und entdeckten Hannah zu spät, die mit glühenden Augen auf sie zu rannte.
»Steht doch nicht so dumm rum!«, schrie der Glatzkopf, der immer noch die Gefangenen mit der Peitsche in Schach hielt. »Tötet sie.«
Fünf Wachen stürzten Hannah entgegen und der Kerl, der sie zuerst erreichte, schwang sein Schwert dermaßen schlampig, dass sie ihm problemlos ausweichen und ihren Dolch in seine Achselhöhle bohren konnte. Sie zog die Klinge wieder heraus und schleuderte den vor Schmerz schreienden Mann mit magisch verstärkter Kraft auf seine Kameraden zu, die prompt von ihm zu Boden geworfen und gehörig von seinem Blut bespritzt wurden.
Die nächsten zwei Angreifer waren vorsichtiger und arbeiteten zusammen. Sie umkreisten Hannah, die einen Feuerball in der einen und ihren Dolch in der anderen Hand hielt.
»Kämpfen wir jetzt oder wollt ihr Feiglinge noch den ganzen Tag lang um mich herumtanzen?«
Sie griffen mit lauten Kampfschreien an und ihre Klingen trafen Hannah am Bauch und am Rücken, doch nur Sekunden später löste sie sich vor ihren Augen in Luft auf. Die Klingen der Wachen glitten weiter und durchbohrten den Körper des jeweils anderen.
»Reingelegt«, frohlockte Hannah, die hinter einem Stützpfosten hervorgeschlendert kam und sich die Hände rieb. Die Wachen, die von ihrem Kameraden zu Boden geworfen worden waren, hatten sich mittlerweile aufgerappelt und stapften auf sie zu. Doch bevor Hannah auch nur einen von ihnen erledigen konnte, erschütterte ein weiteres, lautes Grollen den Tunnel und ein gewaltiger Felsbrocken brach aus der Höhlendecke und krachte herunter. Einer der Angreifer wurde von den Brocken am Kopf getroffen und gänzlich unter ihnen begraben. Auch Hannah wich nicht schnell genug aus und bekam die ganze Wucht des Brockens auf ihrem Bein zu spüren. Es gab ein hässliches Geräusch von brechenden Knochen.
»Verdammt!«, fluchte sie und versuchte eilig, ihr Bein unter dem Geröll herauszuziehen. Doch der Felsbrocken war massiv und schwer, außerdem durchströmte heller, heißer Schmerz ihr Bein, wenn sie es auch nur um Zentimeter zu bewegen versuchte.
»Das werde ich genießen«, verkündete der verbliebene Wachmann, der sich ihr nun näherte und seine Klinge hob. Hannah fokussierte das letzte bisschen Energie, das ihr geblieben war und bereitete sich darauf vor, den Schlag abzufangen.
Doch er kam nie.
Stattdessen bohrte sich von hinten eine Spitzhacke in den Schädel des Mannes.
Als er zu Boden fiel, konnte Hannah hinter ihm Polly erkennen, die triumphierend ihre Hacke schulterte.
»Du hattest recht, Liebes«, seufzte die Alte. »Sie drücken uns tatsächlich tagtäglich Waffen in die Hand.«
»Ich war noch nie so froh, dass mir jemand aufmerksam zugehört hat«, keuchte Hannah und zog eine Grimasse, als erneut stechende Schmerzen ihren Unterschenkel hochschossen. »Ich habe deinen Ratschlag, mich nicht einzumischen, ja nicht gerade befolgt.«
»Der Ratschlag war Mist«, lachte die Alte. »Und jetzt lass uns dein Bein freilegen.«
Auf Pollys Wink hin kam ein Dutzend anderer Arbeiter herbei und half dabei, den Stein an manchen Stellen zu zerschlagen und anschließend ein wenig anzuheben, sodass sie Hannahs Bein darunter wegziehen konnten.
»Danke«, keuchte Hannah und bemerkte, dass der junge Mann, mit dem sie sich vorhin beim Kampf ums Mittagessen angelegt hatte, ihr nun umsichtig beim Aufstehen half. Besorgt sah sie sich nach Aysa um, doch die tauchte mit einem breiten Grinsen neben ihr auf, mit Blutflecken auf ihrer Hand.
»Ist alles gut gegangen bei dir?«, erkundigte sich Hannah.
»Ist nie besser gelaufen!«, war ihre beschwingte Antwort. »Jetzt, wo Schritt Eins abgeschlossen ist, schlage ich vor, wir gehen zu Schritt Zwei über und verschwinden.«