K arl schnaubte. »So, Kinnas! Isch bin ausjeruht und bereit, ein paar Ärsche zu versohlen! Sind wa schon da?«
Aysa, Laurel und Hadley sahen ihn amüsiert an, schüttelten jedoch mit den Köpfen. Seit Tagen flogen sie gen Nordosten und hier war der Himmel so dicht von Wolken bedeckt, dass sie nicht einmal Irth unter sich vorbeigleiten sehen konnten und ihnen jegliches Zeitgefühl abhanden ging. Fast waren sie schon wieder bereit für eine Auszeit, um sich die Beine zu vertreten, aber mit Blick darauf, zu welchen Komplikationen ein solcher Abstecher das letzte Mal geführt hatte, entschied sich Hannah dagegen. Sie mussten Lilith jetzt zu Hilfe eilen – egal, ob Karl einen Lagerkoller bekam oder nicht.
»Ich sollte dir das Meditieren beibringen«, schlug Hadley dem Rearick vor.
»Au ja, tolle Idee! Gleisch nachdem isch dir beigebracht habe, wie man Goldlöckschen am besten abrasiert«, grunzte Karl. »Auf jeht’s, Schönling!« Er machte Anstalten, sein Jagdmesser zu ziehen, doch Hadley blieb lässig an die Reling gelehnt.
»Ich habe das ungute Gefühl, mich zu wiederholen: Ich bin eher Liebhaber als Kämpfer.« Er strich sich betont langsam die welligen, blonden Haare aus der Stirn. »Und meine Haarpracht möchte ich gerne behalten, vielen Dank auch. Du kannst ja eine der Damen fragen, ob sie sich auf ein Messergefecht mit eventuellem Haarschnitt als Nebenprodukt einlassen wollen.«
»Wen nennst du hier eine Dame?«, murrte Aysa, die schon ihre Bolas gezückt hatte. »Aber wenn dir dermaßen langweilig ist, Karl, kann ich bestimmt Abhilfe schaffen.«
Karl hielt beide Hände hoch. »Isch weiß nöscht, Mädchen. Klar haste Feuer in dir, aber isch kämpfe aus Prinzip nöscht gegen …« Sein Blick fiel auf ihren rechten Armstumpf.
»Krüppel? Ich sag dir mal was, alter Mann: du brauchst kein Mitleid mit mir zu haben. Ich habe das verdammte Ding selbst abgeschnitten, als ich acht war. In dem Alter hast du noch am Daumen genuckelt, könnte ich mir vorstellen!«
Er lachte tief. »Dat hört sisch doch jut an! Dann zeig ma, wat de druff hast!«
Er nahm den Hammer von seinem Gürtel und ging in Angriffsstellung auf Aysa zu. Sie bewegte sich leichtfüßig zur Seite und begann, ihn zu umkreisen. Sie ging ein wenig gebückt, war aber trotzdem größer als der Rearick.
Aysa ließ ihre Bolas in einem schnellen Kreisel durch die Luft zischen. »Bist du sicher, dass du nicht zu deinem Bier zurückkuschen willst, Kurzer?«
»Hey!«, protestierte Laurel. »Das ist mein Text!«
Aysa warf ihr über die Schulter einen Blick zu und grinste. »Tja, ich habe von der Besten gelernt.«
Gerade, als sie sich wieder umdrehte, holte Karl zum Schlag aus und sein Kriegshammer fuhr von oben auf sie herab. Sie wich schnell aus, kam hinter ihm schlitternd zum Stehen und ließ ihre Bolas gegen seinen Hintern knallen.
»Scheiße «, rief er und rieb sich die Pobacken. Hadley und Laurel lachten herzhaft bei dem Anblick und Aysas Grinsen wurde breiter.
»Komm schon, Rearick! Du bist doch angeblich ein legendärer Kämpfer. Ich bin nur ein unschuldiges Kind.«
»Kla, Mädschen! Du bist so unschuldig wie isch jut jelaunt!«
Er kam wieder auf sie zu, mit erhobenem Hammer. Aber sein Angriff war zu langsam und offenbarte eine Schwachstelle in seiner Deckung. Erneut sprang Aysa zur Seite und nutzte diese Verwundbarkeit aus, indem sie ihre Bolas in Richtung seines Kopfes schwang.
Karl bekam die Schnur, an welcher die Bolasteine befestigt waren, im Schwung zu fassen und zog daran, sodass Aysa ins Wanken geriet. Karl duckte sich und brachte sie mit einem Griff nach ihrem Knöchel zu Fall. Sie landete hart auf den Holzdielen.
»Mist«, grummelte sie und setzte sich mit einer Grimasse wieder auf. Karl reichte ihr lächelnd die Hand und half ihr auf die Füße. »Isch sach dir wat: du bist ’n Naturtalent, Kindschen! Im Ernst. Aber wat du an Schnellischkeit und Schneid druff hast, fehlt dir an Erfahrung. Und Erfahrung jewinnt immer . Aber wenn de mit mir weitertrainierst, kann isch disch auf alle möglischen Kampfmanöver vorbereiten, die dir da draußen begegnen werden.«
Sie nickte eifrig. »Bin dabei! Aber wird es jedes Mal damit enden, dass ich auf die Schnauze falle?«
Er lachte dröhnend. »Jo, wahrscheinlich! Bis de lernst, nöscht erst zu fallen. Willste es noch ma versuchen?«
Die beiden kämpften noch eine halbe Stunde lang ohne Waffen. Karl zeigte ihr, wie sie ihre Kraft und Reichweite noch mehr zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Dann demonstrierte er ihr die Schwachstellen, die damit einhergingen und wie sich diese vermeiden ließen. Natürlich zeichnete sich jede neuerliche Lektion in Form eines blauen Flecks auf Aysas Beinen und Armen ab, aber sie blieb frohen Mutes und war begierig, dazuzulernen.
»Wow!«, rief Laurel, als die Baseeki gerade mal wieder nach einer besonders schmerzhaften Lektion rücklings auf dem Boden landete.
»Isch weiß, isch weiß«, sagte Karl beschwichtigend. »Aber et is der beste Weg für sie, zu lernen.« Er wandte sich der Druidin zu, aber die sah weder ihn noch den Kampf an. Ihre Augen waren über die Reling hinaus gerichtet, in die Ferne, wo sich die dichte Wolkendecke allmählich lichtete.
Alle anderen folgten ihrem staunenden Blick und entdeckten, das in einiger Entfernung eine Stadt aus dem wolkigen Dunst auftauchte – oder vielmehr eine Stadtruine. Sie war jedoch schätzungsweise von der Größe Arcadias und stand auf felsigem Hochland. Jenseits der zerbröckelten Stadtmauern erstreckte sich flacheres Ackerland, das ebenso verwüstet und verlassen dalag, wie die eingefallenen Häuserruinen. Der Anblick erinnerte Hannah ungut an den Boulevard nach Adriens Angriff.
»Scheiße«, flüsterte der sonst so eloquente Hadley zur Verwunderung seiner Freunde. »Verzeihung. Ist mir so rausgerutscht.«
»Hast ja recht«, murmelte Parker bedrückt.
Hannah stand zwischen den beiden und blickte angestrengt auf die Ruinen hinab auf der Suche nach Lebenszeichen. Schließlich wandte sie sich an Hadley. »Kannst du …«
»Ich bin schon dabei«, versicherte er ihr, wobei seine Augen weiß aufglühten. Doch nach wenigen Sekunden verblasste das magische Leuchten wieder und er schaute verwirrt drein.
»Da ist eine große Gruppe von Menschen, aber sie fühlen sich alle sehr weit weg an. Als ob sie unter der Erde wären. Ich kann dort eine Präsenz wahrnehmen, die für mich überhaupt keinen Sinn ergibt. Sie ist mächtig, aber von einer Art statischem Rauschen umgeben.«
»Jo, dat kenn’ isch! So ab dem sechsten Bier fühl isch misch jenau so!«, steuerte Karl bei, doch Hadleys Miene blieb unverändert ernst.
»Keine Ahnung, was es …«
»Es ist Lilith«, warf Ezekiel ein, der unbemerkt von hinten an sie herangetreten war.
Sie drehten sich zu ihm um, verwundert über sein plötzliches Auftauchen. Seit ihrem Aufbruch in Baseek hatten sie ihn nur während der Mission bei den Jannas-Mienen zu Gesicht bekommen – vorher und hinterher hatte er sich in seine Kajüte zurückgezogen.
War er ihnen in Baseek verjüngt und erfrischt vorgekommen, trug sein Gesicht nun wieder die Zeichen tiefer Erschöpfung.
»Zeke …«, setzte Hannah an, aber er unterbrach sie.
»Dies ist New Romanov – der Sitz des Orakels. Mein Zuhause.« Sein Blick nahm einen Anflug von Verzweiflung an, als er auf die Stadt hinunter blickte. »Bei den Göttern, was ist hier geschehen?«
Viele im Team hielten Ezekiel für einen Mann, der aus Arcadia stammte, aber dem war nicht so. Er und seine Eltern hatten auf der Flucht gelebt, waren vor dem Wahnsinn von Ort zu Ort geflohen, bis sie in jener Stadt, deren Ruinen nun unter ihnen hinwegglitten, Zuflucht gefunden hatten. Hier war er aufgewachsen und hatte die magischen Künste erlernt, ehe er sich auf den Weg ins heutige Arcadia-Tal gemacht und Arcadia überhaupt erst gegründet hatte. Dort waren ihm nur wenige, ruhige Jahre vergönnt gewesen, ehe Lilith ihn hierher zurückgerufen hatte.
Hannah erkannte, dass New Romanov für Ezekiel einem Zuhause am nächsten kam und nun lag es in Trümmern da.
Ein lautes Geräusch ertönte tief unter ihnen. Selbst aus dieser Entfernung war es unüberhörbar. Hannah beugte sich über die Reling auf der Suche nach der Geräuschquelle, konnte aber nicht viel erkennen. Ihre mystische Magie verriet ihr vage, dass sich in der Tiefe etwas bewegte. Etwas Gewaltiges.
»Wir müssen da runter«, ordnete Ezekiel an. »Aber seid gewarnt. Ihr werdet gleich gegen eine Kreatur kämpfen, wie ihr sie noch nie zuvor gesehen habt.«
»Das habe ich auch gedacht, als ich mit Karl gekämpft hab«, merkte Aysa an, doch der Meistermagier war nicht zu Scherzen aufgelegt und ignorierte ihren Einwurf. Er schickte eine mentale Nachricht an Gregory, dass er innerhalb der Stadttore einen Ort zum Landen finden müsse. Der Kampf um New Romanov stand bevor.
* * *
Alle Teammitglieder lehnten sich über die Reling und beobachteten, wie sie immer tiefer auf die Stadt heruntersanken und langsam Details an den zerfallenen Gebäuden sichtbar wurden. Doch auffälliger als die Aussicht war immer noch der Lärm, das laute Krachen und Brüllen, das in einer furchtbaren Kakophonie von den Steinmauern widerhallte.
Hannah hielt sich die Ohren zu. »Das klingt ja, als würden zwei Magitech-Maschinen Liebe machen. Aber eher so ein Hass-Fick.«
»Wie poetisch«, gab Parker zurück und deutete auf eine Stelle, die wohl einmal eine Straßenkreuzung gewesen war. Dort wurden sie endlich der Quelle des Lärms ansichtig: Es war eine Kreatur von gut sechs Metern, die gegen die Häuserwände krachte und große Krater hinterließ. Sie hatte eine vage menschliche Form, doch ihre rissige Haut war leuchtend rot und auf ihrem Schädel prangten zwei massive Ziegenhörner. Ihr Maul mit den spitzen Säbelzähnen war ebenfalls alles andere als menschlich.
»Wat zur Hölle«, flüsterte Karl.
»Passt ganz gut«, stellte Parker fest, der von diesem Anblick dermaßen überfordert war, dass er gar nicht anders konnte, als hinzustarren. Er spürte förmlich, wie sich jeder Muskel seines Körpers in grausiger Erwartung anspannte.
Aysa stieß einen Pfiff aus. »Wer oder was ist diesem Wolfsviech auf den Schwanz getreten, dass es so ausrastet?« Alle starrten sie an und sie zuckte mit den Schultern. »Seht es euch an! Sieht doch aus wie ein Wolf mit Hörnern oder nicht? Und es sieht aus, als würde es gegen irgendetwas kämpfen.«
Bevor einer der anderen ihr antworten konnte, öffnete die Bestie ihr Maul und stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus, von dem Parker hätte schwören können, dass es die Holzplanken der Ungesetzlichen erzitterten ließ.
»Scheiße . Ich glaube, das werden wir gleich herausfinden«, grunzte Karl.
Eine zweite Kreatur entstieg den Ruinen und stürzte sich mit gefletschten Zähnen auf das feuerrote Ungetüm. Aber der Feind war bereit und schlug mit seinen langen Krallen tiefe, blutende Wunden in das pelzige Tier.
»Das ist ein verdammter Bär «, rief Laurel.
»Das ist Olaf«, informierte sie Ezekiel mit stählernem Blick. »Er braucht uns.«
»Was zum …«, setzte Hannah an, aber ihr Mentor unterbrach sie mit flammend roten Augen. »Ich werde später alles erklären.« Und dann verschwand er.
»Verdammter Magier«, schimpfte Hannah. Sie steckte sich zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus, aber Sal lief schon längst über das Deck auf sie zu, als habe er ihren stummen Ruf bereits vernommen. Sie sprang auf seinen Rücken, ehe er sich von den Holzplanken abdrückte und mit mächtigen Flügelschlägen in die Luft stieg.
»Lasst euch nicht zu viel Zeit!«, rief sie den anderen zu. »Ich prügele mich solange mal mit diesem geilen … äh … Bock.«
Sal setzte zum Sturzflug an und raste mit ihr auf die Ruinen hinab.
* * *
Graue Steingebäude zischten zu beiden Seiten an ihnen vorbei, aber Hannah schenkte ihnen gar keine Beachtung. Sie konzentrierte sich ganz und gar auf das rote Riesenmonster – und auf den alten Mann, der ihm allein gegenüberstand.
Sie hatte Ezekiel dutzende Male kämpfen sehen und wusste, dass er sehr wohl selbst auf sich aufpassen konnte. Aber im Vergleich zu einem so furchtbaren Koloss sah er dennoch klein und schutzbedürftig aus.
Ezekiel verschwendete keine Zeit. Er hielt seinen Stab in die Höhe und erzeugte in seiner freien Hand einen großen Feuerball, der immer heller und heller strahlte.
Das Monster stieß ein höllisches Brüllen aus und trampelte auf ihn zu, aber Ezekiel wich keinen Schritt zurück. Als die meterlangen Krallen ihn schon fast erreicht hatten, schwang der Magier seinen Stab nach vorne und katapultierte seinen glühenden Feuerball mitten gegen die Brust des Ungeheuers. Es stank fürchterlich, als die rote Haut des Biestes in Flammen aufging. Es taumelte zurück und brachte in diesem Zuge mehrere Gebäude zum Einsturz.
»Ja!«, jubelte Hannah und stieß ihre Faust in die Luft. »Nimm das, du dämonisches Stück Scheiße!«
Aber ihr Triumph war nur von kurzer Dauer, denn sobald sich der Staub gelegt hatte, erhob sich die Bestie und schlug die Flammen auf ihrer Brust mit ihren Pranken aus. Teile ihrer Haut waren verkohlt und glühten noch nach, aber es sah so aus, als hätte Ezekiels Angriff nicht viel Schaden angerichtet.
»Ach, scheiße«, fluchte Hannah. »Was auf dieser Welt überlebt denn bitte so einen Angriff?«
Das Monster umfasste mit seiner Pranke eine riesige Betonplatte und schleuderte sie auf den alten Zauberer, der seine Hand hob und die Platte in tausend, kleine Steinsplitter zerbrach. Das Monster riss ganze Hauswände aus den umstehenden Gebäuden und warf sie eine nach der anderen auf Ezekiel, der jeden Angriff erfolgreich abblockte. Schließlich schleuderte die Kreatur einen rohen Felsbrocken auf ihn zu und Ezekiel musste nicht einmal zaubern, sondern duckte sich unter dem Geschoss hindurch. Doch von ihrer Position aus konnte Hannah sehen, dass er gar nicht das Ziel des Angriffs gewesen war.
Die hohe Backsteinmauer hinter ihm brach durch den Aufprall des Felsbrockens in sich zusammen und Ezekiel hob gerade noch rechtzeitig die Hände, um sich mit einem Schild vor den herabregnenden Ziegelsteinen zu schützen. Hannah bedeutete Sal, näher heranzufliegen.
Die Kreatur trampelte auf den Backsteinhaufen zu, unter dem Ezekiel begraben lag, doch Sal flog einen provokativen Kreis um den Kopf der Bestie und brüllte sie herausfordernd an. Ehe Hannah ihn zurückhalten konnte, ließ Sal seine Hörner gegen die des Monsters prallen und ihr Gegner sank erneut taumelnd in eine Häuserruine. Hannah hielt sich angestrengt an Sals Rückenstacheln fest und verwandt ihre gesamte Energie darauf, nicht herunterzufallen.
»Verdammt noch mal, Sal!«, schrie sie und der Drache zog sich zumindest genügend zurück, um eine weite Schleife zu fliegen – bereit für einen weiteren Angriff. Ihr liebenswertes, geschupptes Monsterchen hatte sich während der letzten Monate in eine Kampfmaschine verwandelt.
Er senkte den Kopf – bereit, einen erneuten Kopfschlag von der Kreatur zu kassieren und ihn mit seinen Hörnern abzuwehren, doch die Kreatur schien annähernd intelligent zu sein, denn sie beging denselben Fehler nicht zweimal. Stattdessen schlug sie mit ihren Krallen nach ihm und Sal geriet ins Trudeln, sodass Hannah sich erneut festklammern musste. Sie verloren an Höhe und landeten mitten in einer Häuserruine.
»Heilige Scheiße«, rief Hannah aus, während sie sich mühsam aufsetzte. Staub wirbelte so dicht auf, dass sie sich die Augen reiben musste, aber abgesehen von ein paar Blutergüssen schien sie unversehrt geblieben zu sein. Sofort drehte sie sich um und wollte Sal untersuchen, aber der war schon wieder auf den Beinen. Er machte einen wackeligen Schritt und stolperte fast. Er schüttelte den Kopf und sah ziemlich benommen aus.
Das markerschütternde Brüllen des Biestes ließ sie beide hochfahren. Die Kreatur hatte sie entdeckt und stapfte mit gebleckten Lefzen quer über die Straße auf sie zu. Es senkte den Kopf, die Hörner auf sie gerichtet und nahm Fahrt auf in dem Bestreben, sie zu zermalmen.
Sal war binnen Sekunden an Hannahs Seite und sie hob beide Hände, um einen Schildzauber heraufzubeschwören. Doch das war gar nicht nötig, denn ein riesiger Stein flog von einer anderen Straßenecke aus gegen den Schädel des Ungetüms und brachte es jaulend zum Anhalten. Es folgte ein gleißend heller Schuss bläulicher Energie, der ebenfalls ins Gesicht traf. Das Monster wollte brüllen, kam aber nicht dazu, weil ein Stein nach dem anderen – abwechselnd mit Magitech-Schüssen – auf es herabregneten. Die Kreatur wich ein wenig zurück und auf einen großen, alten Baum zu, der hinter ihr plötzlich zum Leben erwachte und seine Äste mit grober Gewalt um sie wickelte.
»Wird verdammt noch mal Zeit«, rief Hannah, während sie Parker, Aysa und Laurel bei der Arbeit beobachtete.
»Jo, Mädschen«, ertönte Karls schroffe Stimme hinter ihr. »Nischt jeder hat ’nen Drachen, wah? Der Rest von uns musste warten, bis unser Nerd dat Schiff zum Absturz jebracht hatte.«
»Ich bin nicht abgestürzt«, korrigierte ihn Gregory empört, der schnell an Hannahs Seite eilte, um ihre Verletzungen zu untersuchen. »Ich bin nur ein bisschen schneller gelandet als sonst.«
»Ich unterbreche euer herzerwärmendes Geplänkel ja nur äußerst ungerne«, meinte Hadley, »aber unsere Freunde könnten da draußen etwas Hilfe gebrauchen.«
Gregory half Hannah auf die Beine, aber, bevor sie einen Befehl geben konnte, hatte Karl schon seinen Hammer erhoben und stürmte geradewegs auf die Kreatur zu, die immer noch brüllend gegen den Griff des Baums ankämpfte. Obwohl Karl im Größenverhältnis zu dem Monster ungefähr so wirkte, wie eine Ameise, die auf einen Vogel losstürmt, stieß er einen donnernden Kampfschrei aus.
»Karl, warte!«, rief Hannah, aber es war zu spät.
Das Biest zerfetzte mit seinen Krallen die Äste, die es hielten und riss vor Wut den gesamten Baum aus dem Boden. Mit einer gewaltigen Bewegung schleuderte es den entwurzelten Baum direkt auf den Rearick zu, der gerade noch rechtzeitig zur Seite rollen konnte. Doch der Rearick blieb nicht auf Abstand, sondern lief weiter auf das Monstrum zu, sodass die Kreatur die Pranke hob – bereit, ihn zu zerquetschten. Doch Hannah war zur Stelle.
Sie fokussierte ihre Energie in ihren Handflächen und hielt sie ausgestreckt vor sich, sodass ein gleißend heller Lichtstrahl aus ihnen hervorschoss und die Pranke des Monsters traf, das schmerzerfüllt aufjaulte.
Sal stürmte herbei, spannte in einem niedrigen Segelflug seine Flügel und packte Karl mit seinen Krallen, um den Rearick aus der Gefahrenzone zu bringen.
»Laurel!«, rief Hannah. »Ich habe eine Idee. Kannst du es solange beschäftigen? Ich brauche nur eine Minute.«
Die Druidin sah zu dem Monster auf und zuckte mit den Schultern. »Devin und ich können dir sogar zwei Minuten verschaffen.«
»Das sind meine Mädchen.« Hannah grinste. »Ich würde ja sagen, du sollst vorsichtig sein, aber das wären verschwendete Worte. Aysa und Parker: Gebt ihr Deckung.«
Die drei liefen geschlossen auf das Monstrum zu. Während Parker und Aysa es mit Energieschüssen und Steinen ablenkten, pirschte sich Laurel nahe an seine Pranken heran und wich geschickt den langen Krallen aus. Sie tauchte sogar zwischen den massigen, roten Beinen hindurch, lief im Kreis um das Monster herum und rammte ihre Seilklinge alle paar Meter in die entblößten Beinmuskeln, sodass das Biest vollends überfordert und gleichzeitig rasend wütend wurde.
Hannah konnte es von ihrem Standort aus nicht wirklich sehen, war sich aber sicher, dass Devin ebenfalls Bisse verteilte, die das Biest weiter anstacheln und verwirren sollten. Mittlerweile schlug es nur noch desorientiert um sich, in der Hoffnung, einen seiner vielen Angreifer zu treffen. Doch Devin und Laurel waren zu flink und Aysa und Parker befanden sich in ausreichendem Abstand.
Hannah vertraute ihrem Team. Sie schloss ihre Augen und konzentrierte ihren Geist, ihre magische Energie, bis sie die Antwort bekam, die sie hören wollte.
Ja, ja, ich komme ja schon raus. Ich wische mir nur den Staub ab.
Hannah lächelte, dann rief sie: »Laurel, geh da weg!«
Die Druidin war irgendwie auf den buckligen Rücken des Monsters gelangt und hing nun provokant an seinen Hörnern. Das Untier bäumte sich auf und rannte gegen mehrere Hauswände in dem Bestreben, sie loszuwerden, doch es erwischte sie nie. Als sie Hannahs Ruf vernahm, ließ sich die Druidin mit einem eleganten Salto zu Boden fallen, rollte sich ab und hob im Laufen ihren Arm, damit Devin darauf landen konnte. Die Kreatur brüllte ihr hinterher und wollte die Verfolgung aufnehmen, aber der Boden unter ihren Füßen hatte sich durch Zauberhand aufgeweicht und hielt ihre massigen Füße bis zu den Knöcheln umklammert wie Moorschlamm.
Hannah wandte sich um und sah Ezekiel dem Backsteinhaufen entsteigen, seinen Stab im Kreis bewegend, als würde er in einem Topf rühren.
Die Kreatur erschütterte die Erde und riss einen ihrer Füße gewaltsam nach oben, aber dafür sank ihr anderes Bein nur noch tiefer ab.
Laurel hob ihre Hände und ließ Wurzeln aus der Erde sprießen, die sich die bulligen Beine und Arme hinaufwanden, bis sie den Hals der Kreatur umschlangen. Das Monstrum riss daran und bäumte sich auf, doch für jede zerstörte Wurzel wuchsen drei weitere nach.
»Karl?«, rief Hannah. »Es ist Zeit, dieses Mistviech zu erledigen.«
Sal kam mit Karl auf dem Rücken im Gleitflug herangestürzt. Der Rearick schwang seinen Hammer mit beiden Händen und Hannah ließ ein wenig ihrer Magie in die Waffe strömen, sodass das schimmernde Metall in Flammen aufging.
Die Kreatur blickte auf, die Füße immer noch im Boden versunken und bis zur Kehle in Wurzeln verheddert. Es brüllte trotzig, verzweifelt, doch Karls Hammerschlag war unausweichlich.
Er ließ den Kriegshammer mit aller Macht gegen den Schädel der Bestie krachen, sodass dieser glatt entzwei barst und das Monstrum leblos zu Boden sank.