Kapitel 7

D as gewaltige, rote Monstrum lag reglos am Boden, umringt von Hannahs Team. Keiner von ihnen hatte jemals zuvor etwas Vergleichbares gesehen. Diese trockene, rissige Haut, aus der an der Stirn die riesigen Hörner heraustraten … Es sah es aus wie eine Höllengestalt aus alten Schreckgeschichten.

»Scheiße , ausnahmsweise bin isch ma völlisch sprachlos«, schnaubte Karl, während er das beinahe schwarze Blut und die widerliche Hirnmasse von seinem Hammer schlug und ihn anschließend abwischte. »Ich meine, wir haben’s dem Mistviech janz schön schwer jemacht und et hat einfach weiter jekämpft! Frage misch, ob’s noch mehr von denen jibt. Isch denk, wir sollten …«

»Sieht so Sprachlosigkeit aus, wo du herkommst?«, fragte Aysa feixend. »Denn in Baseek bedeutet es, nicht zu sprechen, kleiner Mann.«

Karl errötete leicht unter seinem Bart. »Vorsischt, Mädschen.«

»Sonst was?«, stichelte sie. »Willst du nochmal meine Bolas gegen den Arsch kriegen oder was?« Er stieß ein schnaubendes Lachen aus.

Ezekiel und Laurel wandten sich als Erste von der Kreatur ab und gingen auf den Bären zu, der immer noch bewusstlos unter Schutt begraben an einer Straßenkreuzung lag.

Hannah wusste um die Verbindung, die Laurel und die anderen Druiden zu den Tieren Irths pflegten. Sie hatte bei mehreren Gelegenheiten beobachtet, wie ihre Freundin mit Tieren kommunizierte und sie um Hilfe bat. Jetzt trauerte sie sicher um den gefallenen Bären. Hannah legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Tut mir leid …«

»So ist es nicht«, widersprach Laurel nachdenklich. »Ich weiß nicht, was zum Teufel das Ding ist, aber es ist definitiv kein Bär.« Ihre Augen blitzten grün auf. »Es lebt noch, aber ich kann keinen Tierzauber wirken. Es ist anders als alle Tiere, denen ich bisher begegnet bin.«

Hannah sah von dem gewaltigen Braunbären zu dem noch gewaltigeren Höllenmonster. Eigentlich überraschte es sie nicht, dass Laurels Magie hier nicht wie gewohnt wirkte – sie alle befanden sich hier in unbekanntem Terrain. Hier schienen die Dinge einfach anders zu funktionieren.

»Sein Name ist Olaf«, erklärte ihnen Ezekiel. »Und ich glaube, er wird wieder gesund werden. Konzentriert euch aber lieber, nur für den Fall.«

Hannah kraulte geistesabwesend Sal, der neben sie getreten war. Sie hatte schon mehrmals Magie an ihm angewandt und ihn verwandelt, doch sie fürchtete den Tag, an dem er in einem Gefecht ernsthaft verletzt wurde. Denn sie wusste nicht, ob ihre mageren Heilkünste, die geradeso bei Menschen wirkten, für ihr Monsterchen ausreichen würden. Bei einem so bulligen Bären war sie sich auch nicht sicher.

Sie machte einen Schritt auf den Bären zu, um einen genaueren Blick auf seine Wunden zu werfen. Plötzlich zuckte an einem pelzigen Hinterbein ein Muskel und der ganze Bärenkörper geriet in Bewegung.

»Mist!«, rief sie verschreckt und wich zurück. Die anderen folgten ihrem Beispiel.

Langsam, ganz langsam wandelte sich das Zucken zu zusammenhängenden Bewegungen und mit einem tiefen Röhren hob der Bär seinen Kopf gen Himmel, die dunklen Augen vor Schmerz weit aufgerissen. Hannahs Kinnlade klappte herunter, als sie beobachtete, wie sich die Gliedmaßen des Bären verdrehten und schrumpften. Es war Magie, wie sie sie nur einmal zuvor gesehen hatte: Bei der Verwandlung Sals.

Der dunkle Pelz schien sich in die Haut der Kreatur zurückzuziehen, während die Gliedmaßen immer weiter schrumpften. Einige Sekunden später lag dort zwischen den Ziegeltrümmern ein nackter Mann.

Ezekiel eilte an seine Seite und ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. Er bettete seinen mit zerzaustem, dunklem Haar bedeckten Kopf auf seinen Schoß. »Ich bin’s, Olaf. Ich bin hier. Ich bin zurückgekehrt.«

Die Augenlider des Mannes flatterten und öffneten sich einen Spaltbreit. Der Anflug eines Lächelns umspielte sein kantiges Gesicht. »Ezekiel«, stöhnte er mit tiefer, rauer Stimme. »Es wird auch verdammt noch mal Zeit.«

Der alte Magier lachte traurig und nickte. »Du hast deinen Charme also nicht verloren, alter Freund.«

»Du dafür deine Pünktlichkeit«, röchelte Olaf.

Die Gruppe versammelte sich nun um sie, denn jeder wollte herausfinden, was zur Hölle es mit diesem Formwandler auf sich hatte.

»Die hatte ich doch noch nie«, entgegnete Ezekiel grinsend, »aber dafür bin ich ganz nützlich.« Seine Augen blitzten rot auf und er legte seine linke Hand auf Olafs Brust. Mit der rechten hielt er den Hinterkopf seines alten Freundes und so ließ er seine Kraft in ihn hineinströmen, bis sich die offenen Schnittwunden allmählich schlossen und etwas Leben in Olafs Gesicht zurückkehrte.

»Nützlich fürwahr, du alter Bastard«, bestätigte Olaf mit ein wenig festerer Stimme und stützte sich auf seine Ellbogen. »Reich mir mal ’nen Mantel, ja? Ich muss mich doch ein wenig anständig deinen Begleitern präsentieren.«

»Als wären ein paar Genitalien das Schlimmste, was wir innerhalb der letzten Stunde zu Gesicht bekommen haben«, schnaubte Aysa. Ezekiel lachte, zog aber seinen Mantel aus und deckte seinen Freund damit zu. Nachdem er Olaf jedes Teammitglied vorgestellt hatte, fragte der Meistermagier ernst: »Wie steht es um sie?«

Olaf legte den Kopf schief. »Es geht … für den Moment. Aber wir müssen schnell handeln. Hoffentlich erweist du dich noch in anderen Bereichen als nützlich.«

Ezekiel lächelte. »Ich habe die beste Verstärkung mitgebracht, die Irth zu bieten hat. Ich denke, wir werden gut zurechtkommen.«

»Und kann uns mal jemand erklären, was zum Teufel hier überhaupt los ist?«, fragte Laurel mit verschränkten Armen. Auch die anderen hatten schätzungsweise tausend Fragen über das Monster, New Romanov, Lilith und Olaf, die nun allesamt aus ihnen hervorsprudelten.

Ezekiel hob beschwichtigend die Hände. »Genug. Für all diese Fragen wird noch Zeit sein«, versprach er und brachte sie damit zum Verstummen.

Olaf stand auf und zog den Mantel fester um sich. »Ist schon gut. Ich nehme an, deine Freunde aus dem Arcadia-Tal haben noch nie ein Werwesen gesehen, nicht wahr?«

»Ach du Scheiße«, stieß Laurel aus. »Du bist nicht etwa …«

Karl lachte. »Wat haste denn sonst jedacht, Mädschen?«

Die Druidin starrte Olaf mit neuem Interesse an, ausnahmsweise einmal sprachlos.

Hadley feixte. »Ich persönlich dachte ja, es sei eine Art Illusion – oder aber, dass Laurel uns mit irgendeinem Kräuterzeug high gemacht hat. Wie sonst ließe sich erklären, dass wir gerade ein Wesen bekämpft haben, das meinen grausamsten Albträumen entstiegen zu sein scheint?«

»Glaub mir, dieser Albtraum ist so real, wie er nur sein kann. Aber ich werde euch alles erklären, während ich euch herumführe«, versicherte Olaf ihnen. Er musterte Ezekiel. »Aber dich wird sie sofort sehen wollen.«

Ezekiel lächelte unter seinem Rauschebart. »Du hast recht, mein Freund. Wir werden später noch viel Zeit haben, uns gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen, aber jetzt werde ich erst einmal mit ihr reden.«

Während Ezekiel davonging, als würde er die Stadt immer noch wie seine Westentasche kennen, wandte sich Olaf an Hannah und die anderen. »Lust auf eine Tour?«

* * *

Hannah und ihr Team folgten Olaf die Straße herunter.

»Wie ihr vielleicht schon wisst, nennt sich diese Stadt New Romanov«, erklärte er und machte eine raumgreifende Armbewegung, welche wohl die unzähligen, staubigen Ruinen umfassen sollte. »Die Unordnung müsst ihr entschuldigen – wir haben nicht gerade Besuch erwartet.«

»Wir?«, hakte Hannah nach. Sie musste für jeden von Olafs Schritten zwei Schritte machen, denn er war auch als Mensch über zwei Meter groß und hatte entsprechend lange Beine.

»Ja«, bestätigte er. »Ich, das Orakel … äh. Mein Volk.«

Er nickte einer nicht gerade kleinen Gruppe von Menschen zu, die gerade um eine Straßenecke bogen und ihnen nun aufgeregt entgegenrannten. Eine große Frau mit starken Armmuskeln und auffallend schönem Gesicht führte sie an. Sie machte ganz den Eindruck, als könnte sie Olaf selbst in Bärenform niederdrücken und dafür mochte Hannah sie sofort.

»Olaf«, rief die Frau. »Der Skrim? Ist er tot?«

»Ja, Mika. Wir sind in Sicherheit, dank unserer neuen Freunde.«

Sie wandte sich Hannah und den anderen zu und musterte sie scharf.

»Sie sehen … seltsam aus.«

Karl verschränkte die Arme. »Na hömma! Verzeihung, dat isch nöscht wie ’ne verdammte Prinzessin aussehe! Isch dachte, wir sind hier, um zu kämpfen und nöscht, um ’nen Schönheitswettbewerb zu jewinnen!«

Aysa sah ebenfalls ein wenig angriffslustig drein. »Außerdem: Wen nennst du hier seltsam? Du bist hier diejenige mit den winzig kleinen Händen.«

Laurel lachte und legte den beiden ihre Arme um die Schultern. »Bitte entschuldige die beiden Griesgrame hier … Mika, richtig?«

Olaf lächelte. »Mika hat einfach eine sehr direkte Art. Aber ich versichere euch: Sie und wir alle sind überaus froh, dass ihr hierhergekommen seid. Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass ihr hungrig seid und eine kleine Erfrischung gebrauchen könntet. Magst du ihnen den Weg zeigen, Mika?«

Karls Stirnrunzeln verschwand sofort. »Erfrischungen! Na dann kann isch misch kaum noch zurückhalten!«

Mika warf Olaf einen vorwurfsvollen Blick zu, gab aber nach. »Fein, ich werde euch ein paar Getränke bringen. Aber das nächste Mal verstecke ich mich nicht mit den Kindern im Berg, während du die eigentliche Arbeit machst, Olaf.«

Sie führte den Rest des Teams weiter in die Stadt hinein, aber Hannah und Parker blieben bei Olaf zurück.

»Diese Mika«, setzte Parker an. »Ist sie wie du?«

»Du meinst ein Werwesen?«, fragte Olaf. »Nein. Aber sie ist mehr als wehrhaft in einem Kampf. Sie schmollt nur, weil ich ihr aufgetragen habe, auf die Stadtbewohner aufzupassen.«

Hannah sah eine Chance, mehr zu erfahren, als Ezekiel ihnen zu sagen bereit war.

»Dieses rote Monster. Hattet ihr mit so einer Kreatur schon einmal Probleme?«

Der große Mann nickte ernst. »Andauernd und schon seit Jahren. Wir nennen sie Skrims und sie sind fürwahr bösartige Kreaturen. Sie kommen hierher, um alles zu zerstören und zu verschlingen, was ihnen unter die Klauen kommt. Schon seit knapp einem halben Jahrhundert halten mein Volk und ich sie auf Abstand. Aber das hat auch einigen Tribut gefordert. Dies«, er deutete wieder umher, »war einst ein Ort großer Pracht – damals, als mein Vater Boris das Sagen hatte. Jeder Mann und jede Frau hier konnte kämpfen, aber sie wussten auch, sich zu vergnügen. Mein Vater führte uns durch die großen Kriege und das Zeitalter des Wahnsinns. Aber die Skrim haben von meiner Heimat nur eine Hülle ihres früheren Glanzes gelassen …«

Während er sie die Straße entlangführte, bemerkte Hannah, dass es durchaus möglich war, hier zu leben. In dem Stadtteil, zu dem Olaf sie geführt hatte, überwogen die instandgehaltenen und bewohnten Häuser eindeutig jene, die Ruinen glichen.

Der Aufbau der Stadt erschloss sich Hannah noch überhaupt nicht. Die Straßen bildeten kein geometrisches Gitter wie in Arcadia, welches so eindeutig in vier Viertel geteilt war. Auch die Häuser sahen dermaßen unterschiedlich aus, dass es den Anschein machte, sie seien aus unterschiedlichen Teilen der Welt hierher verpflanzt worden: Manche Gebäude bestanden fast vollständig aus Metall, andere aus Holz oder Backsteinen.

Es gab auch Hinweise auf eine seltsame Technologie, die sie nicht verstand. Große Stahlvorrichtungen, die wie Waffen aussahen, Girlanden von Glühbirnen, die zwischen den Häusern gespannt waren. Es sah ganz anders aus als Magitech und Hannah beschloss, Gregory später einmal darauf anzusprechen, weil sie seine Meinung in dieser Sache brennend interessierte.

Wie sie sich so umsah, konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Ort einmal wirklich schön gewesen war.

Sie bogen um eine Ecke und sahen am Ende der Straße die ehemals sicherlich pompöse Außenmauer, die nunmehr in Trümmern dalag.

»Was sind die Skrim? Woher kommen sie?«, fragte Hannah. »Ich habe schon viele verrückte Dinge gesehen, aber so etwas noch nie.«

»Ich bin sicher, das Orakel wird dir genauere Informationen geben können, als ich«, antwortete Olaf. »Aber ich kann dir genau sagen, woher sie kommen. Aus der Hölle. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass sie dort bleiben

Hannah und Parker tauschten einen pointierten Blick.

»Entschuldigt mich«, sagte Olaf, »aber ich muss die Tour an dieser Stelle beenden. Ich sollte nach dem Außenposten sehen, der nach den Kreaturen Ausschau hält und uns warnt, wann immer eine naht. Ich hoffe, er ist unversehrt geblieben. Eure Freunde findet ihr in dem großen Gebäude dort.« Er zeigte auf das höchste Gebäude im Zentrum der Stadt, das in früheren Zeiten vielleicht mal ein Palast oder ein Rathaus gewesen war. »Das ist mein Zuhause und ihr könnt dort so lange bleiben, wie ihr wollt.«

Damit legte er Ezekiels Mantel ab und Hannah war viel zu fasziniert von der neuerlichen Verwandlung seines Körpers in den eines Bären, als dass sie aus Höflichkeit den Blick abgewendet hätte. Nun wieder zottig und prankenbewehrt, setzte Olaf zu einem Sprint in Richtung der zerstörten Stadtmauer an. Parker räusperte sich, um Hannahs Aufmerksamkeit zurückzugewinnen.

»Hast ganz schön gestarrt«, stichelte er mit hochgezogener Augenbraue.

»Was denn? Das war … beeindruckend.«

»Hm, klar. Wenn man auf haarige Ärsche steht.«

»Komm mir nicht auf die Tour, Parker«, sagte sie streng und fügte in gespielt mitleidigem Tonfall hinzu: »Ist der kleine Baby-Parker etwa eifersüchtig?«

Er schnaubte. »Ich bitte dich! Auf einen Bärenmann? Natürlich nicht. Ich finde nur, als Anführerin unseres Teams könntest du ein wenig mehr Taktgefühl zeigen, das ist alles.«

Sie grinste wissend und schlug ihm hart gegen den Arm.

»Au«, maulte er. »Wofür war das

»Um dich zu erinnern, dass ich deine Anführerin bin und deshalb auch verdammt noch mal tun kann, was mir gefällt.« Dann gab sie ihm einen flüchtigen Kuss. »Entspann dich! Ich fühle mich ohnehin eher zu blassen Bohnenstangen hingezogen. Jetzt komm. Ich habe einen Mordskohldampf.«

* * *

Die Sonne war hinter den Bergen untergegangen und das warme Laternenlicht aus dem Inneren von Olafs Haus schien auf die Stufen der Veranda. Das uralte, große Gebäude ein Haus zu nennen, war schon sehr optimistisch, denn die Last der Jahre und ständigen Angriffe war ihm eindeutig anzusehen. Es war vielmehr eine Festung als alles andere und obwohl neben Olaf noch weitere Familien hier wohnten, war immer noch Platz für Hannahs Leute.

Sie aßen sich satt, wuschen sich und saßen in einer Art Salon beisammen. Niemand sprach es aus, doch sie warteten auf Ezekiels Rückkehr, der sich gehörig Zeit ließ. Nachdem Mika ihnen alles gezeigt hatte, war sie wieder gegangen und auch die anderen Bewohner des Hauses ließen ihnen ihren Freiraum. Als Ezekiel um Mitternacht immer noch nicht aufgetaucht war, hatte sich der Großteil des Teams ohnehin schon schlafen gelegt. Nur Hannah und Parker waren noch wach und saßen auf der Veranda.

»Schöne Nacht«, fand Parker. Die Frühlingsluft war angenehm warm, sodass sie ihre Mäntel ablegen und als Sitzdecke benutzen konnten. Sie betrachteten die Ruinen der Stadt und den schmalen Streifen der dahinter liegenden Wälder und Felder, den man von hier aus sehen konnte. Es war so still, als wären sie die letzten Menschen in ganz Irth.

»Ja. Fast perfekt«, meinte Hannah leicht melancholisch und nahm einen Schluck Bier. »Wenn wir nicht gerade gegen ein riesiges Höllenmonster gekämpft hätten, würde ich behaupten, wir seien im Paradies angekommen. Zeke meint, es könnte bald überall auf der Welt so aussehen wie hier. Das mag ich mir gar nicht vorstellen.«

Parker nippte an seinem eigenen Glas. »Aber er glaubt auch, dass die ganze Welt zum Besseren gewandelt werden kann. Zu einem wahrhaftigen Paradies auf Erden. Glaubst du das auch?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich versuche es zumindest. Verdammt, vor einem Jahr wollte ich einfach nur aus dem Boulevard raus, mit dir und Will. Die Dinge sind jetzt anders.«

»Größer«, warf Parker ein.

»Genau. Damals wäre ich schon glücklich gewesen, wenn ich es diesen Adelsbastarden und der Kapitolgarde hätte heimzahlen können. Aber diese Welt ist so viel größer als Arcadia.«

Sie saßen eine Weile lang schweigend und aneinander gelehnt da – die Tragweite ihrer Mission überdenkend. Doch so oft Parker sich die möglichen Risiken auch vorhielt, änderte dies nichts an der Tatsache, dass er Hannah mit seinem Leben – und der Zukunft Arcadias – vertraute. Er hoffte nur inständig, dass er seine Heimatstadt eines Tages wiedersehen würde.

Seine Vorstellung davon, wie er und Hannah Arcadia gemeinsam wieder aufbauen würden, wurde jäh von dem Gedanken an das Skrim-Monster von heute Nachmittag unterbrochen.

»Deshalb sind wir hier«, sinnierte er und zog sie ein wenig enger an sich. »Weil wir auf das Gesamtbild schauen. Wären wir in Arcadia geblieben, hätten wir vielleicht kurzfristig etwas aufbauen können, aber …«

»Die Skrims …«, murmelte Hannah.

»Genau. Schlimmstenfalls wären die in ein paar Jahren auch in Arcadia aufgetaucht. Aber es geht hier nicht nur darum, einen Haufen Monster auszuradieren. Ezekiel hat uns hierher gebracht, weil er dabei Hilfe braucht, etwas aufzubauen, das größer ist als wir – sogar größer als Arcadia. Wenn er recht hat, könnten wir vielleicht etwas wirklich Dauerhaftes schaffen.«

Hannah wandte ihren Blick gen Himmel. »Glaubst du, dass sie dort oben war?«

»Die Queen Bitch? Bethany Anne in den Sternen?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe schon immer mehr daran geglaubt als du, das weißt du doch. Und Ezekiel …«

»… hat eigentlich immer recht, hm?« Sie legte ihre Hand in seine und drückte sie sanft. »Aber warum hat sie uns verlassen?«

Er schnaubte. »Ist vielleicht hart, aber du musst davon ausgehen, dass die Arcadianer gerade genau dasselbe über dich und diese Mission sagen. Vielleicht gab es für sie eine Aufgabe von größerem Ausmaß. Vor einem Jahr dachten wir noch, die Welt würde sich um den Boulevard drehen und jetzt sind wir hier. Wir sehen vielleicht mehr Puzzleteile, aber noch lange nicht das Gesamtbild. Schließlich heißt Glauben auch Vertrauen – darauf, dass etwas trotzdem valide ist, auch wenn es unseren Horizont für den Moment übersteigt. Klingt vielleicht kitschig, aber ein Teil von mir glaubt fest daran, dass sie da draußen ist und uns beschützt, sogar jetzt noch.«

Hannah hielt inne und er genoss für den Moment, dass er sie mit seinen philosophischen Gedanken ein wenig beeindruckt hatte. »Ich wusste nicht, dass …«

»Was denn?«

»Dass du tatsächlich ein Gehirn hast«, stichelte sie und zwinkerte zu ihm hoch.

»Ach, fick dich.«

»Nicht mehr heute Abend!« Sie lachten beide.

»Parker …«

»Ja?«

Hannah gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. »Ich bin froh, dass du hier bei mir bist. Ich glaube nicht, dass ich das ohne dich durchziehen könnte.«

»Ja, ich auch«, flüsterte er und ein verspieltes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Ich glaube auch nicht, dass du das ohne mich könntest.«