Kapitel 17

M ika hielt ihr Breitschwert so vor sich, dass die bronzefarbene Schneide das Licht der Nachmittagssonne auffing und reflektierte. Karl für seinen Teil stützte sich lässig auf seinen Hammer und versuchte, nicht direkt in das Licht zu schauen.

So, wie sie ihre Klinge in Position brachte, erkannte er mit nur einem Blick, dass Mika ihr Schwert wie eine Verlängerung ihres Körpers zu gebrauchen wusste – unerschütterlich wie der Rest von ihr. Karl lächelte erwartungsvoll. Das wird mal ein interessanter Kampf.

Sie stürzte so plötzlich auf ihn los wie eine angreifende Schlange und Karl wich gerade noch rechtzeitig zur Seite aus, sodass ihr laut sirrender Schwerthieb nur Luft traf. Sie rollte sich elegant am Boden ab und kam schneller wieder auf die Beine, als er seinen Hammer heben konnte. Schon raste ihre Klinge erneut auf ihn hinab und traf mit dem kreischenden Geräusch von Stahl auf Stahl gegen seinen Hammer, den er schützend vor sich gehoben hatte. Er drückte sie mit Wucht ein wenig zurück und löste dann seinen Hammer aus dem Waffenkontakt, doch das plötzliche Ungleichgewicht ließ sie nicht einmal straucheln.

Dieses Kräftemessen würde er nur gewinnen, wenn er sie nicht an sich heranließ. Er begann also, sie mit erhobenem Hammer zu umkreisen und sie tat es ihm gleich, sodass sie stets denselben Abstand hielten. Wieder geriet Mikas Körper so schnell in Angriffsbewegung, wie ein sich entrollender Schlangenkörper: Sie durchbrach den Kreis und lief geradewegs auf ihn zu.

Karl wich ihrem Schlag aus und sie fuhr schlitternd herum, um den antizipierten Hieb seines Hammers abzublocken, doch Karl spielte mit ihren Erwartungen und schlug statt nach oben nach unten. Er ging leicht in die Hocke – was er im Kampf sonst nie getan hätte – und schwang seinen Hammer nur knapp über dem Boden entlang, wobei er beide Enden festhielt. Er wollte ihr ja schließlich nicht die Knöchel zertrümmern. Wie von ihm geplant stolperte Mika über den Schaft des Hammers und fiel zu Boden, doch sie stand schnell wieder auf, das Schwert im Anschlag.

So ging es weiter. Mikas Agilität ließ einen Angriff auf den anderen folgen und obwohl Karl in puncto Geschwindigkeit klar unterlegen war, brachte er sie das ein oder andere Mal mit taktischen Manövern aus dem Gleichgewicht. Seine jahrzehntelange Erfahrung kam hier zum Tragen, denn er wusste immer ziemlich genau, welchen Schritt sie als Nächstes machen würde.

Auch waren sie beide kampferprobt genug, um ihre allmählich eintretende Müdigkeit zu ignorieren und sie sich nicht anmerken zu lassen.

Schließlich erweichte sich Olaf und klatschte laut in die Hände als Zeichen, der Übungskampf sei beendet.

»Gut, Leute! Ich würde sagen, ihr seid beide gleich stark. Besser, wir hören jetzt auf, ehe einer von euch einen richtigen Treffer landet.« Er sah zu Karl hinunter und grinste. »Und ich gebe zu, dass ich mich geirrt habe. In den Händen eines Rearicks sollte man einen Hammer nicht unterschätzen.«

»Seid ihr beide dann auch mal fertig mit Spielen?«, stichelte Hannah, die mit Ezekiel gerade zu ihnen aufschloss.

Karl stützte sich auf seinen Hammer und gestattete sich endlich, so schwer zu atmen, wie seine Erschöpfung es gebot. Mika sah ebenfalls ermüdet aus, aber nicht annähernd so fertig wie er. Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr, die sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst hatte.

»Ich bin gerade erst richtig warmgeworden.«

»Ich doch auch«, keuchte Karl.

Die anderen lachten herzhaft, während der Rearick grummelnd seinen Hammer zurück an seinen Gürtel schnallte und aus seinem Flachmann trank.

Mika streckte ihm eine Hand entgegen. »Du hast dich gut geschlagen, Rearick.«

Sie spuckte ein wenig Kautabak auf den Boden und Karl fragte sich, ob sie ihn wohl die ganze Zeit über im Mund gehabt hatte. »Ich freue mich, bald an deiner Seite zu kämpfen.«

»Seh isch jenauso, Lady«, gab er zurück und schüttelte ihre Hand. »Hast escht ’ne gruslije Art druff, wie de disch bewegst! Wie ’ne verdammte Königskobra.«

Sie lachte. »Aber du doch auch! Ständig hast du mich auf Abstand gehalten – das hat mich wahnsinnig gemacht! Ich war eindeutig die bessere Kriegerin, aber du hast dir immer wieder einen Vorteil verschafft. Wenn Olaf uns nicht getrennt hätte, könnte ich mir sogar vorstellen, dass dein Hammer das erste Blut verursacht hätte.«

»Jo«, pflichtete Karl ihr bei. »Du bist halt fit wie’n Siebenmeilenstiefel, wat soll isch da machen? Scheint aber ooch bissl so, als hätten die dauernden Kämpfe jegen Dämonenmonster disch abgestumpft.«

Kurz sah er so etwas wie Zorn über ihr Gesicht huschen, ehe es sich in Neugierde verwandelte. »Wie meinst du das? Die Skrims sind stärker als eine ganze Horde von Männern.«

»Jo, dat stimmt. Aber du hast ja grad jesehen, dat weder Schnelligkeit noch Stärke ein schlaues Köpfschen übertrumpfen können. Du hast so viel Zeit damit verbracht, Bestien zu bekämpfen, dat de janz vergessen hast, wie man jegen Menschen kämpft. Deijne Gewandtheit mag ’nen rasenden Höllenhund in die Schranken weisen, aber isch denke mit! Und dat kann für disch fatal sein, so wie de dir anjewöhnt hast zu kämpfen.«

Sie dachte darüber nach und nickte dann. »Eine weise Einsicht. Vielleicht sollte ich mein Trainingsprogramm noch einmal überdenken.«

»Jo«, sagte Karl und zuckte mit den Schultern. »Und isch sollte überhaupt mal wieder mit Training anfangen, wah? Diese alten Knochen sind janz schön außer Form vom janzen Fliegen.«

Ezekiel pochte mit seinem Stab auf den Boden, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

»Wie schön, dass ihr beide Spaß gehabt habt, aber nun wurde wirklich genug gespielt. Wir müssen unsere Energie für das aufsparen, was uns bevorsteht. Der Skrim wird uns alle genug herausfordern. Lasst uns weitergehen.«

»Wir sind nah dran«, informierte ihn Olaf. »Noch ein paar von diesen Hügeln und dann erreichen wir Urai.«

Mika und Olaf gingen voran, nun mit erhöhtem Tempo. Sehnsucht nach ihrer Heimat schien Mika ebenso anzutreiben wie die Sorge um ihr Volk. Die anderen folgten, wobei Hannah das Schlusslicht bildete.

Sie betrachtete beim Gehen das Hügelland ringsum und musste unweigerlich an Parker denken. Was er wohl gerade tat? Kurz keimte in ihr der Wunsch auf, sie hätte ihn doch dieser Gruppe zugeteilt, aber eigentlich wusste sie, dass ihre Entscheidung goldrichtig gewesen war.

Er und Hadley waren genau die Richtigen, um die Leute von New Romanov zu mobilisieren.

Nach etwa einer Stunde erklommen sie den bisher steilsten Hügel und Hannah registrierte, dass Mika förmlich auf die Spitze zulief.

Ehe sie selbst den Gipfel erreichen konnte, hörte Hannah Mikas Schrei – Entsetzen gemischt mit Wut. Sie verfiel ebenfalls in einen Laufschritt und erreichte Mika, die auf der Hügelspitze auf die Knie gesunken war. Obgleich Mikas Reaktion ihr geboten hatte, sich auf das Schlimmste einzustellen, war der Anblick dennoch furchtbar.

Eingebettet zwischen zwei Hügeln lag ein kleines Dorf, das absolut idyllisch ausgesehen hätte, wenn es nicht lichterloh in Flammen gestanden hätte.

»Ich kann es nicht glauben«, knurrte Mika. Olaf legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Das Werk einer Bestie«, sagte Ezekiel leise.

Karl sah mit gerunzelter Stirn auf das verwüstete Dorf. »Ist dat Teijl noch da?«

Ezekiel schüttelte den Kopf. »Nein, dem scheint nicht so zu sein. Aber es gibt dort arme Seelen, die unsere Hilfe brauchen.« Er wandte sich an Hannah und sie nickte.

Ihre Augen begannen, genauso rot zu glühen wie seine. Elektrische Energie erfüllte die Luft und mit einem Krachen und einem grellen Lichtblitz verschwanden die beiden.

Olaf zog Mika auf die Füße und umarmte sie. »Es wird alles gut«, flüsterte er.

Sie schob ihn grob zurück. »Nein, wird es nicht. Heute hat der Tod mein Volk heimgesucht.«

»Ich weiß. Lass uns ihnen helfen.«

Die drei rannten den Hügel hinunter auf die brennende Stadt zu. Je näher sie kamen, desto spürbarer lag die Hitze in der Luft, bis es wirklich unangenehm wurde und der tödliche Gestank nach Verbranntem ihnen in den Nasen schmerzte. Olaf deutete nach links.

»Rearick, du gehst da lang. Hole so viele Leute aus diesen Häusern wie möglich. Mika, du übernimmst die Mitte und ich gehe nach rechts. Bringt die Schwerverletzten zum Marktplatz. Dort wird Ezekiel sich ihrer annehmen.«

»Verstanden!«, rief Karl und steuerte auf das nächstgelegene Haus zu, das bis zum Dachstuhl in Flammen stand.

»Geh«, hörte er noch Olaf zu Mika sagen. »Geh und sieh nach deiner Familie.«

Die Verletzlichkeit, die sie auf dem Hügel gezeigt hatte, war komplett von Mika gewichen und sie war nun wieder ganz die professionelle Kampfmaschine. Ohne ein weiteres Wort rannte sie zielstrebig in die Flammen hinein.

* * *

Olaf verschwendete keine Zeit und rannte auf das brennende Fachwerkhaus zu, das ihm am nächsten war. Einige aufgelöste Menschen stolperten an ihm vorbei, bedeckt mit Dreck und Asche. Als er ein Gesicht erkannte, packte er den Mann kurzentschlossen am Ärmel.

»Sven!«

Das Gesicht des Mannes war voller Ruß, in dem sich Tränenspuren abzeichneten. Blut floss aus einer Wunde auf seiner Stirn. Er kniff die Augen zusammen und erkannte erst nach einigen Sekunden seinen Freund aus New Romanov.

»Olaf?« Sven schüttelte den Kopf und sein gesamter Körper schien mitzuzittern. »Wir haben versucht, das rote Ungeheuer aufzuhalten. Wir haben getan, was wir konnten.«

Olaf zog ihn in eine Umarmung, bis sich das Zittern ein wenig beruhigt hatte. Er kannte Sven, seit der ein kleiner Junge gewesen war, denn seine Eltern hatten Olaf oft in New Romanov besucht.

»Ich weiß. Ihr habt tapfer gekämpft. Aber jetzt, mein Freund, musst du dich konzentrieren. Zwei Heiler sind mit uns gereist. Bitte suche die Leute, die noch die Kraft haben, mitzuhelfen und schafft die Verletzten auf den Marktplatz.«

Sven nickte und obwohl er jetzt reglos dastand, waren seine Augen ganz wild. Olaf konnte nur hoffen, dass er nicht komplett unter Schock stand und dass seine Worte für ihn überhaupt einen Sinn ergaben. Er wies Sven die Richtung und sein alter Freund lief davon – schon nach wenigen Schritten von Rauch und Flammen verschluckt.

Olaf wandte sich wieder dem brennenden Haus zu und rannte zur Tür. Er fasste den Türknauf nur durch den Stoff seines Mantels an und drückte, doch die Tür rührte sich nicht.

»Scheiße. Verbarrikadiert.« Er machte einen Schritt zurück und trat immer wieder gegen die Eichenholztür, ohne Erfolg. Wer auch immer hier zu Hause war, hatte alles getan, um den Skrim in Schach zu halten und war somit zum leichten Opfer für die Flammen geworden.

Olaf gab die Tür auf und rannte einmal um das Haus herum auf der Suche nach einem anderen Eingang.

»Hilfe!«, hörte er eine Stimme aus einem Fenster im zweiten Stock dringen.

Er legte den Kopf in den Nacken und entdeckte ein Mädchen am Fenster stehen, die großen Rehaugen vor Schreck weit aufgerissen.

Frustriert schaute er zurück zur Haustür, deren Unnachgiebigkeit ihn zu verspotten schien. Ergeben sah er wieder zum Fenster hoch und hob seine Arme.

»Spring! Ich werde dich auffangen.«

Das Mädchen schluchzte entsetzt auf und krallte sich am Fensterrahmen fest. Rauch quoll aus ihrem Zimmer hervor und vergiftete mit jeder Sekunde, die sie dort verblieb, ihre Lungen.

Olaf fluchte und klammerte sich kurzentschlossen an der Regenrinne fest, die unter seinem Gewicht zwar besorgniserregend ächzte, jedoch zum Glück nicht brach. Als er ein Fenster im ersten Stock erreicht hatte, zog er sich mit aller Kraft hinauf und landete kopfüber im Raum.

Der Rauch stach ihm hier schmerzhaft in die Augen und in die Nase. Er hörte trappelnde Schritte auf dem Flur und das junge Mädchen kam die Treppe heruntergerannt, auf ihn zu. Anscheinend war er im Schlafzimmer ihrer Eltern gelandet. Schnell nahm Olaf die Bettdecke und drückte sie sich vor Mund und Nase. Dann kniete er sich vor dem Mädchen hin.

»Es wird alles gut«, sagte er sanft. »Aber ich muss wissen, ob noch jemand im Haus ist außer dir.«

Sie nickte ängstlich. »Papa! Unten …«, hustete sie und Tränen kullerten ihre Wangen hinunter. Olaf riss ein Stück von der Bettdecke ab und knotete es ihr am Hinterkopf fest, damit auch sie den giftigen Dunst nicht länger einatmete.

»Dann holen wir gleich deinen Vater.« Er nahm sie hoch, drückte sie behütend an seine Brust und wandte sich der Tür zu. Der untere Teil der Treppe war bereits den Flammen zum Opfer gefallen, auf diesem Wege konnte er also auch nicht ins Erdgeschoss gelangen.

Kurzentschlossen ging er zurück zu dem Fenster, durch das er gekommen war.

»Halt dich gut fest«, bläute er dem kleinen Mädchen ein und sie klammerte sich gehorsam an seinem Hemd fest. »Gut. Jetzt mach die Augen zu.«

Olaf schwang erst das eine Bein aus dem Fenster und dann das andere. Er stieß sich von der Fensterbank ab und hielt das Mädchen weiterhin fest in seinen Armen, während er zu Boden fiel. Sein Rücken und seine Knie schmerzten bei dem Aufprall höllisch, aber er ignorierte es so gut es ging, rollte sich ab und öffnete seine Arme zum Zeichen, dass die Kleine nun ebenfalls loslassen konnte.

Das Mädchen starrte ihn an, die Tränen liefen immer noch über ihre Wangen.

»Du hast mich gerettet«, piepste sie.

Olaf versuchte, nicht vor Schmerz das Gesicht zu verziehen. »Ja.«

Schnell wandten sich ihre Augen wieder dem Haus zu. Olaf wusste, dass ihr Vater so gut wie verloren war, aber er konnte diesen Blick verzweifelter Hoffnung nicht ignorieren. In seinem langen Leben hatte Olaf viele geliebte Menschen sterben sehen. Diesem Mädchen wollte er das nicht zumuten, ohne nicht alles versucht zu haben.

Er deutete auf eine kleine Gruppe von Uraiern. »Schließ dich denen an. Ich gehe deinen Vater retten.«

»Wie?«

»Ich muss mich nur ein bisschen umziehen. Geh schon, los!«

Während sie davonrannte, begann Olafs Körper schon damit zu zucken und sich zu verdrehen. Haare sprossen aus jeder Pore und sein Brüllen erfüllte die giftige Luft.