D as Leben im nördlichen Teil Archangelsks hatte Kir zu einem ruhigen, ernsten Mann geformt. Bis zur Geburt seiner Tochter war er Wachmann in New Romanow gewesen, doch der Eintritt neuen Lebens in sein Umfeld hatte in ihm den Wunsch geweckt, eben jenes Umfeld zu ändern und einen Neuanfang im ruhigen Dorf Urai zu wagen. Diese Gemeinschaft war sogar noch älter als New Romanov, welches in erster Linie aus militärischen Gründen erbaut worden war, um Lilith vor äußeren Bedrohungen zu schützen.
Und obgleich ihm das Leben im Norden die gewünschte Zeit und den Freiraum geboten hatte, um seine Tochter großzuziehen, war so kurz nach dem Wahnsinn auch das Leben hier kein Kinderspiel gewesen. Vermutlich war seine Tochter deshalb zu einer derart kompetenten Kriegerin herangewachsen.
Wie Mika nun so neben ihrem Vater saß, kam sie Hannah vor wie die marmorne Statue einer stoischen Schutzgöttin. Sie hatte seine hohen Wangenknochen geerbt, die vollen Lippen und die strahlenden, eisblauen Augen.
Hannah kaute bedächtig auf ihrem Rührei mit Speck herum und begegnete dem ernsten Blick von Mikas Vater, der sie allesamt einer strengen Musterung unterzog. Die anderen redeten ununterbrochen auf ihn ein, aber Hannah war damit beschäftigt, jene Hintergrundgeschichte, die man ihr vor wenigen Minuten erzählt hatte, gedanklich auf den hier sitzenden Mann zu übertragen.
»Irth an Hannah.« Karl wedelte mit seiner stummelfingrigen Hand vor Hannahs Gesicht herum. »Träumste oder wat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Würde mir doch im Traum nicht einfallen. Ich denke nur nach.« Erstmals richtete sie das Wort direkt an Kir. »Was kannst du mir über den Skrim erzählen?«
Kir lächelte schmal. »Nun, er war verdammt erschreckend. Das Ding war riesig, rot und fürs Kämpfen geschaffen. Auffällig war, dass es nicht gekämpft hat . Nicht wirklich. Es ist durch unsere Stadt gewalzt und hat auf seinem Weg sämtliche Häuser zerstört, aber es schien ganz, als kümmere es sich gar nicht um uns. Als wären wir lediglich Ameisen auf seinem Spaziergang. Unsere Waffen prallten einfach an ihm ab. Derart hilflos habe ich mich noch nie gefühlt.«
»Tjoa … Scheiße«, fluchte Karl.
»Was ist mit seinen Bewegungsmustern?«, überlegte Olaf. »Irgendetwas Auffälliges?«
Kir wollte sich ein wenig aufrechter hinsetzen, zuckte aber vor Schmerz zusammen.
»Er hat sich extrem langsam bewegt, fast schon schwerfällig. Aber ich hatte durchaus das Gefühl, dass er sich schnell hätte bewegen können, wenn er gewollt hätte. Das sagte mir sein Körperbau. Wie ich schon erwähnte, schien er nicht sonderlich an uns interessiert zu sein, aber ich würde dem Biest verdammt gern noch einmal gegenüberstehen. Mit Leuten wie euch an meiner Seite würde er einfach Notiz von mir nehmen müssen .«
Kir stand in Schonhaltung auf, sehr zu Mikas Missbilligung, die ihm eine Hand hinhielt, die er widerwillig zur Stabilisierung ergriff. Mit der anderen Hand tätschelte er das Breitschwert an seinem Gürtel.
»Papa, das kann nicht dein Ernst sein. Du musst erst mal wieder gesund werden. Der Skrim hat dir schlimmere Wunden verpasst, als dass Ezekiel sie alle heilen könnte.«
Ezekiel nickte. »Manche Wunden brauchen einfach Zeit, aber du wirst wieder gesund.«
»Verdammt. Es geht mir schon jetzt wieder gut, Ezekiel.«
Der alte Zauberer nickte nachsichtig angesichts solcher Sturheit. Er wusste, dass er diesen Kampf nicht gewinnen würde, doch Mika war nicht willens, so schnell klein beizugeben.
»Papa, ich liebe dich – trotz deines Dickkopfs! Aber du musst hier bleiben. Nicht nur, weil du wieder zu Kräften kommen musst, sondern weil Urai das ohne deine Hilfe und Anleitung nicht schaffen wird. Die Menschen sind entmutigt und traumatisiert. Sie brauchen dich als ihren Anführer.«
Kir schaute zu Boden und wieder zu seiner Tochter.
»Wann bist du derart weise geworden?«
Sie lächelte. »Mit acht oder neun Jahren, glaube ich. Aber ich bin froh, dass du es endlich einsiehst. Bleib bei Mama und unseren Leuten. Ein Teil von dir wird mich auf jedem Schritt dieser Jagd begleiten und sich an diesem Skrim rächen.
Er nickte. »Gut. Aber reist lieber schnell ab, ehe ich es mir anders überlege.«
Gestützt von Mika folgte er ihnen aus dem Zelt hinaus und sah sich auf den immer noch rauchenden Straßen um. »Wir haben einen harten Schlag erlitten, aber wenn ihr nicht gewesen wärt, wäre all das hier ausgelöscht.«
»Tja, das ist unser Ding«, antwortete Hannah. »Du hättest an unserer Stelle dasselbe getan.«
»Das hoffe ich doch sehr. Vielleicht kann ich mich eines Tages dafür revanchieren.«
Hannah schnallte sich ihren Rucksack um und die anderen taten es ihr nach. Mit letzten Abschiedsgrüßen an Kir machten sie sich auf in Richtung der Bezum Mesto.
* * *
»Verdammisch!«, brüllte Karl in den Nebel hinein, der sie dick und milchig zu allen Seiten einhüllte.
Er war nun bereits zum dritten Mal bis zu den Schultern im Sumpf versunken, seit sie das Marschland am Rande der Bezum Mesto zu durchqueren begonnen hatten. Nach etwa anderthalb Stunden Fußmarsch von Urai aus hatte sie der Nebel eingeschlossen, der bis dahin feste Feldboden unter ihren Füßen war schlammig und unzuverlässig geworden. Kein Wort der Warnung vonseiten Mikas oder Olafs hätte sie auf diese Tortur vorbereiten können.
Seit Stunden nun kämpften sie sich durch die Marsch. Olaf stapfte voraus und geriet immer wieder außer Sichtweite, weil er den Fußabdrücken des Skrims zu konzentriert folgte. Immer, wenn seine große Statur sich wieder gegen den Nebel abzeichnete, atmete Karl erleichtert auf. Mittlerweile war der Boden derart wasserdurchtränkt, dass selbst Olaf die Spuren nicht mehr erkennen konnte.
Hannah und Mika stützten einander und zogen dann mit vereinten Kräften Karl aus dem Morast. Sie setzten ihn auf einer kleinen Insel aus Moos und Wurzeln ab, die zumindest halbwegs festen Boden versprach.
Karl versuchte vergeblich, sich den Matsch von der Lederhose zu streichen.
»Danke eusch! Isch möschte diesen Tag offiziell als den Letzten markieren, an dem Karl aus den Heights jemals ’nen Fuß in ’nen jottverlassenen Sumpf jesetzt hat.«
»Verstehe«, stichelte Hannah. »Wenn du schon bis zu den Nippeln im Dreck steckst, dann in fester Erde mit Edelsteinen, hm?«
Karl zuckte nicht einmal mit den Mundwinkeln. »Dat sind keijne Lebensbedingungen für ’nen Rearick, sach isch dir! Hätten die Jötter jewollt, dat wa im Matsch rumlaufen, hätten se uns Kiemen gegeben oder …«
»Oder aber sie hätten euch ein wenig größer gemacht«, kommentierte Mika feixend.
Karl funkelte sie zornig an, woraufhin sie lässig ihren Trinkschlauch entkorkte und ihn ihm als Friedensangebot hinhielt. Karl leerte ihn in nur einem Zug fast vollständig.
»Jo, dat is schon besser. Danke, Mika. Bist eine von den Juten.«
Er trank erneut und die beiden Frauen setzten sich zu ihm auf die Wurzeln, um ihre Beine ein wenig auszuruhen.
»Seht euch den an«, kicherte Hannah und deutete auf Sal, der durch den Schlamm auf sie zu trottete. Er war bislang von Insel zu Insel gehüpft – stets darauf bedacht, seine Pranken nicht in die flüssigeren Matschstellen zu setzen. Bei besonders großen Abständen spannte er im Sprung seine Flügel ein wenig und glitt auf die nächste feste Stelle am Boden zu. Allmählich holte er sie ein und ließ sich neben Hannah nieder.
Sie kraulte seinen Hals. »Du weißt aber schon noch, dass du in deinem früheren Leben eine Eidechse warst, oder?«
Er stieß sie mit seiner Schnauze an, sodass sie fast im Matsch landete. »Hey! Ich verarsche dich doch nur, Monsterchen!«
»Still«, zischte Ezekiel, der vor ihnen aus dem Nebel trat. »Gelächter ist gut für die Seele, aber es zieht auch Rücklinge an. Bleibt auf der Hut, sonst wird ein wenig Schmutzwasser die geringste unserer Sorgen sein. Kir hatte recht, als er uns sagte, die Bewohner des Sumpfes seien an ihre Umgebung ebenso evolutionär angepasst wie Karl an das Leben in Bergstollen.«
Alle wurden still und lauschten angestrengt auf das platschende Geräusch von Schritten, die aus dem Nebel auf sie zukamen.
»Du musstest es ja heraufbeschwören, hm, Zeke?«, kommentierte Hannah trocken.
Sie konnten nicht erkennen, wer oder was da auf sie zukam, aber sie standen auf und erhoben ihre Waffen – gewappnet für das Schlimmste.
Ein lautes Platschen durchbrach die unheimliche Stille, gefolgt von Paddelgeräuschen und leisem Brummen. Mika atmete hörbar aus.
»Keine Sorge. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nur ein riesiger Killer-Bär ist.«
»Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal freuen würde, jemanden das sagen zu hören«, meinte Hannah, die immer noch ihren Dolch vor sich ausgestreckt hielt.
Tatsächlich glitt Olafs riesiger, pelziger Körper beinahe mühelos durch den Matsch wie durch Wasser.
»Niedlich, oder?«, fragte Mika.
»Wenn das dein Ding ist.« Hannah zuckte grinsend mit den Schultern. »Ich bevorzuge leicht weniger haarige Männer.«
Mika lehnte sich auf ihr Schwert. »Na ja. Parker ist ja auch gerade mal …«
»Jenug von dem Männergerede jetz«, schnaubte Karl.
Der riesige Bär kletterte aus dem tiefen Matsch und schüttelte sein rötlich-braunes Fell aus, wobei er die ganze Gruppe mit dreckigem Wasser bespritzte. Karl fluchte und wischte sich das Gesicht ab, aber er wandte seinen Blick nicht von Olaf ab. Die Verwandlung faszinierte ihn immer noch. Mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu beobachtete er, wie der Körper seines neuen Gefährten spastisch zuckte, das Fell verlor und allmählich ein wenig schrumpfte.
»Parker ist auf jeden Fall ein gutes Stück weniger behaart als dein Mann«, informierte Hannah Mika, die schmunzelnd zurückgab: »Wer ist das nicht?«
Sie legte dem nunmehr nackten Olaf seinen Mantel um die Schultern und er sah grinsend zu ihr hinunter. »Ich sehe nichts Falsches daran, wenn ein Mann auch wie ein Mann aussieht.«
Mika fuhr mit den Fingern durch das dichte Haar auf seiner durchtrainierten Brust.
»Genau das habe ich ihr auch schon gesagt, aber es scheint fast so, als wäre es in Arcadia Mode, dass Männer kahl wie Knaben aussehen sollen.«
»Ist es doch gar nicht …«, setzte Hannah an, ehe Ezekiel sie unterbrach.
»Genug!« Er pochte mit seinem Stab auf den weichen Boden, was sehr zu seiner Enttäuschung nicht das erwartete Pochen erzeugte. »Olaf, hast du die Spur aufnehmen können?«
Der Werbär schüttelte den Kopf.
»Keine Chance. Es war auf jeden Fall hier, aber dann ist das Ding einmal, vielleicht zweimal zurückgegangen und ich habe seine Fährte im Sumpf verloren. Verdammt schwierig, in dieser wässrigen Einöde eine Spur zu finden. Aber ich habe einen Haufen Leichenreste auf einer Insel gefunden, also war es definitiv hier.«
Ezekiel nickte und blickte zum Himmel. »Sal würde hier auch nicht viel nützen«, überlegte er und veranlasste so den Drachen dazu, indigniert zu knurren. »Wegen des Nebels, selbstverständlich. Du würdest das Biest aus der Luft nicht sehen können. Wenn ich nur …«
Seine Augen blitzten rot auf und er hob seine Arme. Eine sanfte Brise kam auf, die sich unter seiner Anleitung verdichtete und den Nebel um sie herum aufwirbelte. Das Pfeifen des Windes wurde plötzlich von einem anderen, nur allzu vertrauten Geräusch begleitet – dem Zischen einer Bogensehne und dem Surren eines Pfeils, der durch die Luft flog. Ezekiel, dessen Augen immer noch rot glühten, fuhr herum und hob seine linke Hand.
Hannah beobachtete staunend, wie ihr Mentor den heranzischenden Pfeil nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht mit der bloßen Hand aus der Luft fing.
»Scheiße«, murmelten sie und Karl unisono.
»Runter!«, rief Ezekiel und sie duckten sich gerade noch rechtzeitig, ehe ein Pfeilhagel durch den Nebel zischte.
Hannah fokussierte ihre Magie und hielte ihre Hände in die ungefähre Richtung ihrer Angreifer. Die scharfen Pfeile prallten an ihrem leuchtend blauen Schutzschild ab und versanken im Matsch.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte sie Ezekiel, der grinsend auf sie hinuntersah.
»Nicht schlecht, oder?«, meinte er stolz. »Wenn man etwas mit aetherischer Energie abfeuern kann, sollte man damit auch etwas fangen können, meinst du nicht auch?«
»Für Theorieunterricht haben wir später noch Zeit.« Sie zeigte auf eine Horde von Rücklingen, deren halb gebückte Gestalten allmählich aus dem Nebel hervorkamen und sie schreiend angriffen. »Im Moment ist eher Praxis angesagt!«
Noch immer war der Nebel ein Stück weit gelichtet durch Ezekiels Sturmmagie, also konnten sie zumindest sehen, wie ihre Angreifer auf sie zuliefen. Manche sprangen von Insel zu Insel, während andere ungerührt durch das Moor auf sie zu wateten.
»Ich bin dran!«, rief Hannah und richtete ihre Hände auf den Schlamm. Ein zuckender Energiestrom schoss aus ihren Handflächen und traf auf den Matsch, der sich prompt in festes Eis verwandelte und einige Rücklinge gnadenlos einschloss. Ihre Schmerzens- und Wutschreie erfüllten die Luft.
»Mensch, Hannah! Dat verdammte Eis hätt isch vorhin janz jut gebrauchen können!«, schimpfte Karl.
»Aber wo wäre dann der Spaß gewesen?«
Karl fluchte und schüttelte den Kopf. Er zog seinen Hammer und stapfte zuversichtlich über dem gefrorenen Untergrund auf jene Rücklinge zu, die dort feststeckten, um sie von ihrem Leid zu erlösen. Hannah drehte sich um, wollte nach Zeke sehen, aber dieser war verschwunden. Sie hörte ein lautes Knacken , fuhr herum und sah ihn inmitten der übrig gebliebenen Rücklinge auftauchen. Offenbar war er es leid, defensiv zu kämpfen.
Sogar durch den sich allmählich wieder verdichtenden Nebel hindurch konnte Hannah das Glühen seines Stabes sehen, den er durch die Luft wirbelte. Sie glaubte sogar, den Boden unter sich vibrieren zu spüren, als Zeke einen Kampfschrei ausstieß.
Mika und Olaf zogen beide ihre Schwerter und machten sich das Chaos zunutze, das Karl mit seinem Hammer anrichtete. Die Präzision ihres Angriffs war vollkommen und die Rücklinge fielen in Scharen.
Hannah beobachtete den ungleichen Kampf grinsend und beschloss, selbst in die Offensive zu gehen. Sie machte einen Schritt nach vorne, fuhr aber erschrocken zusammen, als eine kränkliche, kalte Hand plötzlich aus dem gefrorenen Matsch schoss und sie am Knöchel packte.
Der Rückling zog sich aus dem Schlamm und Hannah versuchte fluchend, ihn abzuschütteln. Sie beschwor in ihrer Handfläche einen Feuerball herauf, doch, bevor sie ihn auf den Angreifer losschleudern konnte, packten sie ebenso kalte Arme von hinten. Einer von den Mistkerlen musste ihrem Frost entkommen sein.
Hannah schlug wild um sich, doch der Griff des Rücklings um ihre Arme war wie eingerostet und verrutschte nicht mal ein wenig. Der andere Rückling, der sich allmählich auf die Insel gezogen hatte, kam mit gezogener Klinge und mordlüsternem Blick auf sie zu.
Doch er erreichte sie nicht.
Mit einem durchdringenden Brüllen landete Sal geradewegs auf dem Rückling und seine mächtigen Kiefer knirschten. Hannah hörte Knochen brechen und Fleisch reißen.
Sie nutzte den Moment und stieß einen Ellbogen gegen den Brustkorb des Rücklings, der sie immer noch umklammert hielt. Endlich lockerte sich sein Griff zumindest so weit, dass sie seine Handgelenke zu fassen bekam. Sie stemmte sich mit ihrem gesamten Körpergewicht dagegen und brachte ihren Angreifer so aus dem Gleichgewicht.
Er taumelte und sie fuhr herum und rammte ihm einen Speer aus Eis in die Brust. Der Rückling sackte röchelnd zu Boden, wo sich sein Blut mit dem schmutzigen Wasser vermischte.
Sal baute sich an ihrer Seite auf und gemeinsam stellten sie sich den verbleibenden zehn Rücklingen. Die Augen dieser Kreaturen glühten rot, aber längst nicht so tiefrot wie Hannahs.
Mit einem Lächeln zog sie ihren Dolch und machte sich an die Arbeit.
* * *
Mika hob ihr Schwert, um den letzten Rückling zu erledigen. Das Ding krümmte sich bereits vor Schmerzen, weil es einen Schnitt quer über die Bauchdecke kassiert hatte. Blut sickerte durch seine Finger, während er versuchte, seine Eingeweide an Ort und Stelle zu halten.
»Fahr zur Hölle, wo du hingehörst«, knurrte Mika und wollte ihr Schwert mitten in sein Gesicht stoßen, aber Olaf packte sie am Handgelenk. Verwirrt sah sie zu ihm hoch.
»Warum?«
»Er könnte einen gewissen Wert für uns haben.« Er musterte den leidenden Rückling, dessen wilde Augen ihn förmlich herausforderten, es zu beenden. Olaf kniete sich hin und zog einen Dolch aus seinem Gürtel, dann fuhr er nur wenige Zentimeter über der Haut des Rücklings über dessen Kehle. »Du weißt, wo das Monster hin ist, nicht wahr?«
Ein panisches Nicken bestätigte Olafs Verdacht. Der Angriff der Rücklinge war kein Zufall gewesen. Sie hatten ebenfalls mit dem Teufel aus dem Jenseits gekämpft und nur wenige von ihnen hatten es lebend überstanden.
Er übte ein wenig Druck auf die Spitze der Klinge aus und ein Blutstropfen trat aus der kleinen Schnittwunde hervor. »Sag uns, wo es hingegangen ist.«
Der Rückling stieß ein grässliches Lachen aus, wobei er mit seinem eigenen Blut gurgelte, das zwischen seinen braunen Zähnen hervorquoll. »Fick dich!«, röchelte er.
»Mannomann, et kann tatsäschlisch spreschen!«, bemerkte Karl. »Da haben wa aber einen von den Schlaueren erwischt, wah?«
Ezekiel kam zu ihnen herüber. »Es wäre ein großer Fehler, anzunehmen, sie seien dumm.« Er schüttelte den Kopf. »Sie können so klug sein wie du und ich. Manche sogar schlauer, zumindest im Kampf. Aber sie sind immer noch teilweise wahnsinnig, wie die Lykanthropen – Überbleibsel des Wahnsinns, gefangen zwischen zwei Geisteszuständen.« Er musterte Olaf. »Finden wir heraus, wie klug dieser hier ist.«
Olaf verstand die indirekte Ansage. Er drückte sein Knie gegen die Brust des Rücklings und verstärkte den Druck seiner Klinge.
»Sehe ich so aus, als würde ich das hier lebend überstehen, Magier?«, keuchte der Rückling, seine blutunterlaufenen Augen auf Ezekiel gerichtet. Er fletschte an Olaf gewandt die Zähne. »Sag deiner Schlampe hier, er soll es gefälligst beenden.«
Hannah trat von hinten an Ezekiel heran. »Darf ich mit Mentalmagie in seinen Kopf? Ich kann herausfinden, was wir brauchen.«
Ezekiel fuhr entsetzt zu ihr herum. »Zum Teufel nein , Hannah! Lasse dich niemals auf den Unverstand dieser Kreaturen ein. Die Folgen können katastrophal sein.«
Sie nickte langsam, fast peinlich berührt, dass sie gefragt hatte. »Was machen wir dann?«
»Ein Katz-und-Maus-Spiel.« Ezekiel wandte sich wieder Olaf zu. »Drück das Messer tiefer rein, alter Freund.«
Der Rückling fauchte schmerzerfüllt und biss die Zähne zusammen, während Olaf das Messer strategisch über seine Kehle zog – ein tödlicher Schnitt.
Ezekiel kniete sich neben den Rückling und Olaf hob das Messer an, damit sein Freund seine Hände auf die blutende Kehle des Rücklings legen konnte. Unter Ezekiels Einfluss verheilte der Schnitt und die Kreatur fluchte leidend.
»Verflucht seist du, Zauberer!«, zischte er.
»Sag uns, was wir wissen wollen und ich gestalte dein Ableben friedlich und schmerzlos. Oder wir können den ganzen Tag so weitermachen. Ich habe keine Freude daran, aber ich werde tun, was nötig ist.«
Der Rückling spuckte ihm Blut ins Gesicht, doch Ezekiel wischte es seelenruhig ab.
Seine Augen glühten rot auf und er hielt seine Handflächen über das Gesicht seines Opfers. Hannah konnte spüren, welche Hitze von seinen Händen ausging.
»Letzte Chance«, sagte Ezekiel seelenruhig.
»Fahr zur Hölle!«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Ich werde dir einen Vorgeschmack auf die Hölle geben.«
Er legte seine Hände auf die Brust des Rücklings, was der abscheulichen Kreatur schrille Schreie und Flüche entlockte. Ezekiel zog sich zurück und beobachtete, wie sich die Kreatur schmerzerfüllt im Schlamm suhlte. Doch noch immer verweigerte er jegliche Auskunft. Erneut wandte Ezekiel genug Heilenergie an, um den Rückling am Leben zu erhalten.
Nach mehreren, solchen Runden redete der Rückling schließlich schneller als Aysa an einem langweiligen Tag an Bord der Ungesetzlichen .
»Mach, dass er aufhört!«, flehte er Hannah an. »Ich gebe euch, was ihr wollt.«
Sie legte Ezekiel eine Hand auf die Schulter und er ließ vom Rückling ab.
»Sprich oder er wird noch ein paar Stunden genauso weitermachen«, prophezeite Hannah düster. Der Rückling knurrte.
»Ihr seid verdammte Narren, ihr alle! Wer will schon so ’n Biest finden?! Lasst es doch weglaufen. Lasst es töten. Lasst es zerstören.« Er blickte in Richtung Norden. »Es ist da lang gelaufen. Wenn ihr so lebensmüde seid, ihm zu folgen, dann lasst euch doch von ihm fressen!«
»Erzähl mir mehr von dem Monster.« Hannah blickte ungnädig auf den Rückling herab, dessen Gesicht mittlerweile blassgrün war. Sie hatte beinahe Mitleid mit ihm, obwohl sie wusste, was seine Art unschuldigen Menschen überall in der Welt anzutun pflegte.
Er lachte wieder und gurgelte sein eigenes Blut. »Da gibt’s nichts zu erzählen. Das Viech ist unschlagbar. Wenn ihr tut, was ich gemacht habe, könntet ihr überleben.«
»Und was hast du getan?«
Der Rückling neigte den Kopf und grinste widerlich.
»Bin weggelaufen.« Und mit diesen Worten schwand das Leben aus seinen rötlichen Augen.
Hannah stand entschlossen auf. »Dann eben nach Norden.«
»Mädschen, wechlaufen is vielleischt jar nit so verkehrt.«
Sie sah Karl böse an. »Die Bitch-und-Bastard-Brigade rennt der Gefahr höchstens entgegen , nicht davon weg .«
Er grinste müde und hob seinen Hammer. »Verdammt jute Antwort. Isch weiß schon, warum isch dir bis hierhin jefolgt bin. Weiter geht’s.«