Kapitel 4

»Voller Erfolg auf der ganzen Linie! Sam Springfield war begeistert von uns – und ich von Lilly. Sie ist top. Und gemeinsam sind wir ein Dream-Team.« Nora strahlte Jim an. »Wollen wir den Sieg in der Tavern mit einem Glas Wein feiern? Laurie hat pochierten Lachs auf die Karte gesetzt. Wir machen es uns an einem Tisch gemütlich und verbringen einen richtig schönen Abend.«

»Wie ich hörte, ist Lilly in gleichem Maß von dir angetan.« Jim nahm die Lesebrille ab und legte sie auf den Couchtisch. »Ich habe gekocht. Es wäre schade um die Lasagne – Gemüselasagne mit Vollkornteigblättern. Davor bin ich mit den Hunden spazieren gegangen. Die Wäsche ist im Trockner und das Geschirr im Spüler. Oh, auf Netflix läuft eine neue skandinavische Krimiserie. Ich habe mir zwei Folgen angesehen.«

Nora zog die Brauen hoch. »Vorschlag: Ich laufe zurück in den Flur und wiederhole den Gang ins Wohnzimmer. Du verhältst dich anschließend nicht wie ein frustrierter Hausmann, und ich zügle meine Freude. Die scheint dir mehr zu missfallen als die Arbeit selbst. In Ordnung?«

»Lass den Sarkasmus. Das ist lächerlich.«

»Wenn ich auf diese Weise empfangen werde, fällt es mir schwer, anders zu reagieren.« Langsam hatte Nora genug. Sie wusste, dass Jims Nörgeleien der Angst vor einem zweiten Herzinfarkt entsprangen. Deshalb hatte sie viele Ermahnungen und Tadel kommentarlos hingenommen. Seit der Mehrarbeit in der Agentur war er jedoch dauernd missgestimmt. Kaum noch wechselten sie ein liebevolles Wort oder unterhielten sich über neutrale Themen. Nora gab gern zu, dass ihr die Aufgaben bei Lilly einen enormen Auftrieb gaben und dem Ego guttaten, nichtsdestoweniger würde sie unverzüglich zurückschrauben, sobald sich die Situation normalisiert hatte. Genau das war der springende Punkt. Jim vertraute ihr nicht. In seinem Verständnis hatte sie Blut geleckt und würde nicht eher ruhen, bis die Arbeit sie wieder voll einnahm. So kann es nicht weitergehen. Es ist Zeit, die Angelegenheit offen anzusprechen.

Nora setzte sich und ergriff Jims Hand. »Wir schlittern geradewegs in eine Krise. Sind deine Gefühle für mich vergangen, ist die Lösung einfach. Andernfalls wird es kompliziert. Dann müssen wir nämlich gemeinsam einen Weg aus der Misere finden. Der momentane Zustand ist unerträglich und zermürbt uns beide.«

»Ich weiß«, entgegnete Jim. »Ich liebe dich über alles, daran hat sich nichts geändert. Gegen deine Handlungen komme ich aber nicht an. Sie rufen in mir eine Unruhe hervor, die in den letzten beiden Wochen zur Wut angewachsen ist. Versteh endlich, was du mit deinem Körper anstellst. Du spielst russisches Roulette.«

»Diese Wut, von der du sprichst, macht dich zu einem anderen Menschen, Jim. Mir fehlen deine Fröhlichkeit und dein feiner Wortwitz. Wärme und Empathie sind nicht mehr vorhanden.« Nora stöhnte auf. »Auf Anhieb könnte ich dir zwanzig Dinge nennen, die plötzlich verschwunden sind.«

»Es gibt für dich also nichts mehr, das es sich zu lieben lohnt. Willst du darauf hinaus?«

»Nein! Ich liebe dich ungebrochen.« Nora lehnte sich zurück. Eine Weile lang schwieg sie. »Fehlende Liebe und Mangel an echten Gefühlen sind nicht unser Problem. Nun, das bringt uns einen Schritt weiter.«

»Danach treten wir allerdings auf der Stelle.«

Nora nickte. »Da hast du wohl recht. Solange Lilly und Pam in derartigen Schwierigkeiten stecken, werde ich meine Arbeitsintensität beibehalten. Es erübrigt sich, dir zu erläutern, welches Ausmaß das Chaos angenommen hat.«

»Weil es zwei Baustellen zu betreuen gibt: Pam und Lilly, Laurie und Tom«, antwortete Jim prompt. »Ich habe mehrfach betont, dass ein System notwendig wäre. Jeder reagiert, von Agieren kann keine Rede sein. Der vergangene Dienstag war das beste Beispiel: Pam glaubte, Monique passe am Nachmittag auf die Mädchen auf. Laurie war sicher, dass sie bei ihr babysittet. Tatsächlich musste Monique um fünf Uhr wegen einer Zwischenprüfung in der Schule sein. Im Endeffekt spielte Elisabeth mit Samara und Amira, ich saß bei Benji, damit du zur Ruhe kommst.«

Wenn er wüsste, wie oft ähnliche Irrtümer bereits passiert sind, dachte Nora. Prinzipiell war sie selbstverständlich Jims Meinung. Sämtliche Termine zu organisieren, benötigte jedoch nicht nur einen freien Kopf, sondern auch viel Zeit – beides war aktuell Mangelware. »Ach, das ist unglücklich gelaufen. Pam hatte Monique falsch verstanden. Sie und Lilly haben es doppelt schwer. Auf ihnen lastet zusätzlich die Sorge um Samara. Im Augenblick leben sie in der ständigen Angst vor einem neuen Anfall. Hast du eine Ahnung, welche Belastung das darstellt?«

Jim fixierte Nora. »O ja, die habe ich.«

Schon wieder steckten sie fest. Gegenwärtig verlief jedes Gespräch nach dem gleichen Schema: Sie begannen zu diskutieren, es folgten klare Aussagen, und die Fronten verhärteten sich. Sie kamen einfach auf keinen grünen Zweig. »Was tun wir nun?«, fragte Nora.

»Weder du noch ich weichen von unserem Standpunkt ab, also sind uns einstweilen die Hände gebunden. Warten wir, bis sich die allgemeine Lage entspannt hat. Dann entscheiden wir, was zu tun ist. Zwischenzeitlich hoffe ich auf ein kleines Wunder.«

Noras Blick schwenkte zum Fenster. Die dicken Schneeflocken blieben sogar auf der Glasscheibe kleben. Sie sahen aus wie winzige weiße Wollknäuel. Weihnachten stand vor der Tür, und eigentlich sollten sie fröhlich sein, Geschenke einkaufen, das Haus dekorieren und Punsch trinken. Ja, ein kleines Wunder wäre fantastisch und würde nicht bloß Jim und mir guttun.