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Für die großen Kisten verbaute er 32 Bretter, für die kleinen 22. In jeder Ecke befand sich eine dreieckige Leiste. Jedes Brett wurde mit je einem Nagel am Ende befestigt. 64 Nägel für die großen, 44 für die kleinen Kisten.

Die Nagelpistole funktionierte mit Druckluft. Ein Insasse aus der Abteilung B, Mitglied eines Motorradclubs, der acht Jahre wegen Gewalt und Drogen einsaß, hatte Blix die Handhabung gezeigt. Gleich am ersten Tag in der Tischlerwerkstatt hatte er Blix aus seinem struppigen Bart angegrinst und als Warnung den Daumen mit der kraterähnlichen Narbe hochgestreckt, durch den er sich in einer unaufmerksamen Sekunde einen Nagel geschossen hatte.

Die Nägel wurden im Hunderterpack eingesetzt und verkeilten sich genauso gern wie die Klammern eines Tackers.

Es hatte Blix überrascht, dass die Insassen zu allen möglichen Werkzeugen Zugang hatten. Er hatte mal einen Fall gehabt, in dem ein Geldeintreiber einen Mann mit einem Stift durch jede Hand an einen Tisch genagelt hatte. Der Arme hatte sieben Stunden festgesessen, bis ein Kumpel mit dem geschuldeten Geld gekommen war. Hier drinnen war es aber nicht anders als vor der Mauer: Obwohl in der Werkstatt ein Haufen Gewaltverbrecher versammelt waren, gingen sie nicht ohne Grund aufeinander los.

Valdemar Hjorth war nach der Mittagspause in die Werkstatt gebracht worden. Alle Insassen hatten Beschäftigungs- oder Arbeitspflicht. Dafür bekamen sie Geld, mit dem sie im Gefängniskiosk einkaufen konnten. 74 Kronen am Tag. Blix hatte gehofft, dass Hjorth einen der Softwarekurse belegen oder an einem der anderen Arbeitsplätze unterkommen würde, aber jetzt stand er am anderen Ende der Werkstatt und zimmerte Mülltonnenunterstände.

Blix hatte gerade eine fertige Kiste abgestellt und fing eine neue an. Der dritte Nagel traf auf einen Ast und spaltete das Brett der Länge nach. Er warf die Teile auf einen Haufen, zog den Nagel mit einer Zange heraus und fing noch mal von vorne an.

Einer der Aufseher kam zu ihm und sagte etwas.

Blix nahm die Ohrschützer ab und ließ sie um den Hals hängen.

»Sie haben Besuch«, sagte der Aufseher.

Die Uhr an der Wand zeigte kurz vor halb zwei.

Der Kompressor surrte und stieß Luft aus, als er die Nagelpistole weglegte. Blix klopfte sich die Kleider ab, zog die Arbeitshandschuhe aus und hängte die Ohrschützer an ihren Platz.

Gard Fosse erwartete ihn im Besuchsraum. Er stand auf, als Blix hereingeführt wurde. Beide blieben stehen, bis die Tür hinter ihnen abgeschlossen wurde.

Blix zog einen Stuhl vom Tisch und setzte sich.

»Wie geht es dir?«, fragte Fosse und sah auf die Wunde auf Blix’ Wange.

»Du warst doch erst vor zwei Tagen hier«, antwortete Blix. »Unverändert.«

Fosse nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz und räusperte sich.

»Hast du über das nachgedacht, worüber wir gesprochen haben?«

Blix fummelte einen Holzsplitter aus dem Ärmel seines Hemdes.

»Hast du keinen Bericht bekommen?«, fragte er. »Die Therapiemaßnahme war ein Schuss in den Ofen.«

Ein kleines Lächeln zuckte in Fosses Mundwinkel, wie immer, wenn er verlegen war.

»Es war ein Versuch, euch ins Gespräch zu bringen«, sagte er.

Die Idee war kaum auf Fosses Mist gewachsen, sie sah eher nach Wibe oder einem der jüngeren Ermittler aus.

»Wir haben einen weiteren Termin um zwei Uhr«, sagte er. »Ich bezweifle, dass es was bringt.«

Gard Fosse beugte sich vor, als wollte er Blix etwas Vertrauliches erzählen.

»Er ist hier«, sagte er.

»Wer?«, fragte Blix. »Der Deutsche?«

Fosse nickte, holte eine Plastikmappe hervor und legte ein Foto auf den Tisch. Blix erkannte den Ort. Oslo Hauptbahnhof. Auch er hatte schon häufiger Bilder aus der Überwachungsanlage angefordert und wusste, wo die Kameras installiert waren.

Das Foto war im Bereich des Ausgangs aufgenommen worden. Es zeigte sechs Personen. Zwei Teenagerinnen, einen rothaarigen Mann mit einem Gitarrenkoffer, eine Frau mit einem Kind an der Hand und einen Mann mit dunkler Schirmmütze mit rotem Emblem. Er hatte den Kopf so weit gesenkt, dass nur Mund und Kinn zu sehen waren.

»Der Mann mit dem Cap«, sagte Fosse.

Blix wollte einwenden, dass das irgendwer sein könnte, verkniff sich aber den Kommentar. Fosse war noch nicht fertig. Er legte ein zweites Foto auf den Tisch. Ein Mann mit Baseballcap betankte einen älteren Golf. Gleiches Cap, gleiche Jacke, gleiche Hose.

Derselbe Mann.

»Das haben wir aus Deutschland bekommen«, erklärte Fosse. »Das ist das Auto seiner Mutter. Er hat in Flensburg getankt. Bar bezahlt. Zehn Minuten später wurde das Kennzeichen am Grenzübergang nach Dänemark registriert. Jetzt ist er hier.«

»Und am Montag wird Jarl Inge Ree entlassen«, sagte Blix.

»Ich habe seine Zelle durchsucht«, fügte er hinzu.

Fosse schob die Bilder zurück in die Mappe.

»Wir auch«, sagte er. »Nicolai Wibe war am Mittwoch dort.«

Blix seufzte. Natürlich hatten sie das getan. Im Geheimen.

»Das hättest du mir ruhig sagen können«, sagte er. »Das war nicht ganz risikofrei.«

Fosse zuckte wieder mit dem einen Mundwinkel und lächelte ihn entschuldigend an.

Blix schielte zu der Mappe mit den Fotos von Walter Kroos.

»Wollt ihr öffentlich machen, dass er in Norwegen ist?«, fragte er.

Fosse schüttelte den Kopf.

»Noch nicht«, antwortete er.

»Emma Ramm arbeitet daran«, sagte Blix.

»Ich weiß. Sie hat mich gestern angerufen. Es war nicht allzu schwer zu erraten, woher sie ihre Informationen hatte.«

Blix sah keinen Grund zu leugnen.

»Sie ist vermutlich nach Osen gefahren«, sagte er.

»Osen«, wiederholte Fosse. »Warum?«

»Mathematik und Statistik«, antwortete Blix. »Jarl Inge Ree ist dort aufgewachsen. Walter Kroos hat über zehn Jahre gesessen. Wenn ihre Wege sich irgendwann gekreuzt haben, dann mit größter Wahrscheinlichkeit dort.«

Fosse sah nachdenklich aus.

»Hast du Leute dort oben?«, fragte Blix.

»Noch halten wir den Ball flach«, antwortete Fosse.

»Trotzdem solltet ihr wenigstens mit der Polizei vor Ort sprechen«, schlug Blix vor.

Fosse sah nicht so aus, als wäre er auf Ermittlungsvorschläge scharf. Er nahm die Fotomappe vom Tisch und steckte sie zurück in die Tasche.

»Ich habe mit der Gefängnisleitung abgesprochen, dass deine Telefonzeit nicht mehr begrenzt ist«, sagte er. »Du kannst, wann immer du willst, nach draußen telefonieren oder Gespräche entgegennehmen – von wem auch immer.«

Er erhob sich und blieb kurz stehen, ehe er hinzufügte:

»Ruf mich an, sobald du irgendetwas von Jarl Inge Ree erfährst oder von Emma Ramm.«

Blix antwortete nicht und signalisierte mit keinem Wort und keiner Geste, was er dachte.

Fosse drückte die Ruftaste auf der Gegensprechanlage und teilte mit, dass der Besuch beendet sei.

»Komme«, rauschte es aus dem Lautsprecher.

»Habt ihr was aus dem Handy rausgekriegt?«, fragte Blix.

Fosse verstand offensichtlich nicht, was er meinte. Blix war selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie Rees Handy gefunden, es aber in seinem Versteck belassen hatten, um Ree abhören zu können.

»Ihr habt es nicht gefunden?«, fragte er. »In der Sockenschublade?«

Fosse setzte sich wieder. Blix erzählte ihm von dem einfachen Handy und nannte ihm die eine Kontaktnummer, die er sich gemerkt hatte. Er wiederholte sie zweimal, damit Fosse sie aufschreiben konnte.

»Danke«, sagte er.

Vor der Tür klirrten Schlüssel.

»Wir brauchen deine weitere Unterstützung, um das hier zu lösen«, sagte Fosse. »Es wird etwas passieren.«

Er stand erneut auf.

»Ruf mich an, wenn du was Neues hast.«