Die Nachricht, dass Walter Kroos in Norwegen gesehen worden und in Osen, dem Ort, den er zuletzt in Norwegen besucht hatte, eine Frau verschwunden war, brachte auch noch die letzten Medien dazu, sich auf den Fall zu stürzen. Zufrieden stellte Emma fest, dass die Konkurrenten noch immer news.no zitierten, auch wenn sie wusste, dass es so nicht bleiben würde.
Vorläufig hatte sie drei große Vorteile auf ihrer Seite. Es war Samstag, was bedeutete, dass die Redaktionen eventuell keinen Zugriff auf ihre festen Kriminalreporter hatten und stattdessen unerfahrene Freelancer schicken mussten. Des Weiteren war sie jetzt schon eine Weile in Osen und hatte Quellen aufgetan, die ihr noch nützlich sein konnten. Sollte Rita Alvberg gefunden werden, würde Markus Hadeland ihr das sofort schreiben.
Gegen drei Uhr nachmittags, als Emma gerade in der Hütte war, um ein paar Knäckebrote mit Streichkäse zu essen, kam eine SMS von ihm.
Sie beginnen jetzt, nach ihr zu tauchen.
Emma zog sich eine Jacke über und ging zum See hinunter. Einige Presseleute hatten sich dort bereits versammelt, darunter ein Kamerateam von NRK.
Arvid Borvik stand mit einigen Leuten der Suchmannschaft zusammen und sah zu, wie die Taucher sich vorbereiteten. Sie waren zu dritt. Zwei starteten von Land aus, während der dritte an der Spitze des Stegs in das schwarze, kalte Wasser glitt. Emma machte ein paar Fotos mit ihrem Handy. Borvik telefonierte. Wenn er fertig war, wollte sie versuchen, einen Kommentar von ihm zu bekommen.
Markus stand etwas entfernt von den anderen. Sie ging zu ihm und bedankte sich für die Nachricht.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte sie mit einem Blick auf seine Füße. Es gluckerte in seinen Wanderschuhen.
»An manchen Stellen ist es hier ziemlich sumpfig«, sagte er grinsend. »Eine davon hab ich erwischt.« Er schüttelte den Kopf. »Amateur«, fügte er hinzu.
»Sie sollten nach Hause gehen und sich umziehen«, sagte sie.
»Das werde ich auch. Ich wollte vorher nur sehen … wie das hier läuft.«
»Das kann aber dauern.«
»Ich weiß. Aber ich will … dabei sein.«
Sie blieben stehen und beobachteten die Taucher. Der Gedanke daran, dass dort draußen eine Leiche im Wasser liegen konnte, ließ Emma frösteln.
»Ich habe gestern mit dem Vater von Jarl Inge gesprochen. Er hat mir gesagt, dass Sie mal mit Samantha verheiratet waren?«, sagte sie und ließ es wie eine Frage klingen.
»Ja«, antwortete Markus. »Das war ich wohl.« Er schlug den Blick nieder. »Aber irgendwie hat es nie ein richtiges Wir gegeben, weshalb wir uns dann …«
Er versuchte zu lächeln.
»Wie lange waren Sie verheiratet, wenn ich fragen darf?«
Er neigte den Kopf erst zur linken, dann zur rechten Schulter. Es knackte.
»Zwei Jahre und sieben Monate«, sagte er. »Unser Interesse für die Musik hatten wir gemeinsam, aber eigentlich war es von Anfang an verkorkst. Sie und Jarl Inge waren über die Jahre immer wieder zusammen, das war so eine ewige On-off-Geschichte, und ich glaube, irgendwann war sie das leid. Und ich … ich habe dann wohl versucht, die Krümel aufzulesen, aber … wie gesagt, das lief auch nicht so gut.«
Ein melancholischer Schleier legte sich über seine Augen.
»Ich könnte viel über diese Zeit sagen«, fuhr er fort. »Ich weiß aber nicht, ob ich das will.«
»Dafür habe ich vollstes Verständnis«, sagte Emma.
»Samantha hatte ja einige Probleme… Angst und …« Er hielt inne, als würde ihm gerade bewusst werden, dass er zu viel redete.
»Denken Sie … an die Vergewaltigung?«
Er zögerte etwas, dann nickte er langsam.
»Ich habe gehört, dass die Tat von einem Sommergast begangen worden sein soll«, sagte Emma. »Einem Deutschen?«
Markus zögerte wieder.
»Stimmt das nicht?«
Er blieb stumm.
»Es gab Gerüchte«, sagte er. »Aber ein Tourist war das nicht.«
Emma runzelte die Stirn.
»Wer war es dann?«
Markus knetete seine Finger.
»Das … spielt keine Rolle. Außerdem ist er längst tot.«
Er sah über das Wasser.
»Tot?«
»Ja …« Er wechselte abrupt das Thema. »Ich sollte jetzt wirklich nach Hause und mich umziehen«, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln. »So langsam wird mir kalt.«