Walter wusch sich mit der Seife die Finger, dann spülte er seine Hände ab. Samantha hatte ihm ein Handtuch bereitgelegt und eine Zahnbürste in ihr Glas gesteckt.
Er fragte sich, ob er sie benutzen sollte. Seine Zähne waren rot vom Wein. Die Lippen trocken, aufgesprungen. Er befeuchtete einen Finger und strich darüber.
So hätte es sein können, dachte er. Ein Abend vor dem Fernseher, zusammen mit einer Frau. Rotwein. Wenn sein Leben eine andere Richtung genommen und er seinen Vater nicht getötet hätte. Aber er musste sein Schicksal akzeptieren, das Beste daraus machen. Und heute hatte er einen weiteren Abend mit Samantha in Freiheit erlebt. Was wollte er mehr?
Als Walter zurückkam, saß sie noch immer auf dem Sofa, vor sich das Weinglas. Sie hatte ihnen beiden nachgeschenkt.
Walter setzte sich.
Der Fernseher lief. Brian Johnson, der Sänger von AC/DC, interviewte Mark Knopfler über sein Leben und seine Karriere. Samantha nahm ihr Glas, trank aber nicht. Sie starrte auf den Fernseher, es sah aber nicht so aus, als hörte sie zu.
»Bist du nervös?«, fragte er.
»Ein bisschen schon.«
Der Versuch zu lächeln misslang.
»Es wird schon klappen«, sagte Walter. »Der Plan ist gut.«
Samantha schien nicht überzeugt zu sein.
»Da kann einiges schiefgehen.«
Walter wusste nicht, was er dazu sagen sollte.
»Wann fährst du?«, wollte er wissen.
»Gegen acht, denke ich. Du musst nicht mit mir aufstehen.«
Er lachte.
»Die Frage ist wohl eher, ob ich überhaupt schlafen gehe.«
Sie musste lächeln. Und dieses Mal war ihr Lächeln echt. Trotzdem wirkte sie besorgter, als Walter sie bisher kannte.
Mark Knopfler spielte einen bekannten Song an. Brian Johnson bewegte rhythmisch den Kopf.
»Und du bist gar nicht nervös?«, fragte sie.
Walter spürte in sich hinein.
»Das ist schon speziell, ich meine, das macht man ja nicht jeden Tag, das ist klar«, sagte er. »Aber nein, nervös bin ich nicht.«
»Weil du es schon einmal getan hast?«
»Na ja, so etwas habe ich noch nicht gemacht.«
»Nein, aber … du weißt doch, was ich meine.«
»Wie du schon gesagt hast, ein gewisses Restrisiko besteht immer.«
Beide ließen schweigend die Gedanken schweifen. Walter dachte an die Dunkelheit draußen. An die Nacht, die vor ihnen lag. Vielleicht sollte er etwas essen.
Samantha drehte sich unvermittelt zu ihm um.
»Wie alt warst du eigentlich, als ihr 2004 hier Urlaub gemacht habt?«
Walter zog die Stirn in Falten. »Sechzehn.«
»Du … hattest da vorher noch nie jemanden geküsst, oder?«
Walter schüttelte den Kopf, lächelte bei der Erinnerung.
»Hast du danach andere als mich geküsst?«
»Ja, klar.«
»Wirklich?«
Ihr Blick war unangenehm bohrend. Walter wurde warm.
»Nein«, sagte er schließlich. »Nicht wirklich.«
Sie nahm ihre Augen nicht von ihm. Aber statt etwas zu sagen, nahm sie seine linke Hand.
»Dann … hast du auch nie Sex gehabt?«
Die Frage brachte ihn aus der Fassung.
Über dieses Thema war in Billwerder so viel geredet worden. »Wie hieß die erste Frau, mit der du geschlafen hast?« Walter hatte Samanthas Namen genannt, von ihr erzählt, von ihr geträumt und sich nichts mehr gewünscht, als dass seine Worte wahr gewesen wären.
Er hatte Sven, Patrick und den anderen keine Details erzählt, weil er nicht gewusst hatte, was er sagen sollte. Weil er nicht verraten wollte, dass er gar nicht wusste, wovon er redete. Vermutlich hatten sie ihre Vermutungen, was wusste er denn schon.
Samantha streichelte ihm über den Handrücken. Die Berührung setzte seinen ganzen Körper unter Strom. Bevor er begriff, was passierte, saß sie rittlings auf seinem Schoß. Walter wusste nicht, was er mit seinen Händen machen oder wohin er den Blick richten sollte. Ihre Brüste waren direkt vor ihm.
Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und beugte sich nach unten.
Dann küsste sie ihn.
Sanft, zärtlich.
Genau wie damals, vor so vielen Jahren. Er war schlagartig zurück am Steg. Die Sonne schien, und es war warm.
Samantha fuhr mit ihrer Zungenspitze über Walters trockene Lippen. Ihr Atem ging schwerer, schneller. Sie schob sich dichter an ihn heran und drückte sich fester auf seinen Unterleib. Als sie ihren Kopf zurückzog und ihre Hände sich an seinem Gürtel zu schaffen machten, holte Walter tief Luft und sagte:
»Okay. Jetzt bin ich nervös.«
Samantha lachte und machte weiter.