Der Grabstein war schlichter, als er ihn sich vorgestellt hatte. Ein grauer Granitstein mit polierter Front, schwarze Lackbuchstaben. Innig geliebt .
Blix hatte Merete alle Entscheidungen überlassen. Im Nachhinein hatte er gedacht, dass der Text vielleicht so auf dem Stein hätte platziert werden können, dass auch noch Platz für seinen Namen wäre, wenn es irgendwann so weit war. Im Gegensatz zu Merete konnte er sich nicht vorstellen, noch mal einen anderen Menschen zu finden, mit dem er den Rest seines Lebens teilen wollte. Und wenn er hier einen Platz bekäme, müssten weder er noch Iselin allein liegen.
Merete steckte die Blumen in eine Grabvase, die sie in die Erde drückte. Blix bückte sich und sammelte ein paar herbstgelbe Blätter von den roten Heidepflanzen. Als er sich wieder aufrichtete, legte Merete einen Arm um ihn. Er lehnte sich an sie.
Er konnte die Tränen nicht mehr lange zurückhalten.
»Ich bin fast jeden Tag hier gewesen«, sagte sie, ehe ihre Stimme brach.
Blix schluckte.
Ihm hatte vor diesem Tag gegraut. Aus Angst vor seiner Reaktion. Weil sich die Trauer, die Sehnsucht, der Verlust womöglich noch stärker in ihn einbrannten, wenn er den Namen seiner Tochter auf einem Grabstein las. Er hatte Angst, vollständig zusammenzubrechen und nicht mehr auf die Beine zu kommen.
Iselin war tot.
Fort.
Für immer.
Blix unterdrückte ein Schluchzen.
Er vermisste ihre Stimme. Ihr Lachen. Die Gewissheit, sie einfach anrufen zu können oder sie ihn. Die Freude, wenn er ihren Namen auf dem Display sah. Ihre Telefonate waren nie lang gewesen. Sie telefonierten beide nicht gern. Meist waren es nur kurze Nachrichten. Fragen. Niemals ausufernde Antworten.
Er vermisste es, sich erzählen zu lassen, was sie gerade machte oder vorhatte. Wen sie kennengelernt hatte, was sie auf der Polizeihochschule lernte. Welche Pläne sie schmiedete, was ihre Träume waren. Es war einfach unbegreiflich, dass sie ihm nie wieder antworten würde.
In seine Trauer mischte sich Wut. Ein glühender, geballter Zorn auf den Mann, der Iselin aus ihrem Leben gerissen hatte. Aber das Gefühl, das Nahrung bekam, als er jetzt zum ersten Mal seit ihrem Tod vor ihrem Grab stand, war der Hass, den Blix sich selbst gegenüber empfand.
Er hatte es nicht geschafft, sie zu retten.
Dabei hatte er ihr von Kindesbeinen an versprochen, immer auf sie aufzupassen. Sie zu beschützen.
Das war seine eigentliche Berufung gewesen. Die wichtigste.
Er hatte versagt.
Und das würde er sich niemals vergeben können.
Sie wurden beide nass vom Regen. Merete schüttelte sich. Blix wollte nicht derjenige sein, der als Erster vorschlug zu gehen. Er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, zog seinen Arm etwas von ihrem Rücken zu sich.
»Möchtest du ein bisschen Zeit allein mit ihr?«, fragte Merete. »Ich kann ja jederzeit wiederkommen.«
Er schüttelte den Kopf.
Merete drehte sich als Erste um. Blix’ Beine wollten nicht recht gehorchen. Sie stützte ihn die ersten Schritte zurück zum Auto.