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Etwas stimmte nicht. Das hatte Blix bereits beim Betreten des Hauses geahnt. Jetzt sah er es in Samantha Kasins Augen.

Noch ehe er etwas sagen konnte, hörte er von irgendwo im Haus einen dumpfen Laut.

»Sind noch andere Personen im Haus?«, fragte er.

Samantha antwortete nicht.

»Ich kümmere mich um Jarl Inge«, sagte sie, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Danke für die Hilfe.«

Wieder waren Geräusche zu hören. Der Lärm kam von unten. Etwas, das wie ein erstickter Schrei klang, drang zu ihnen durch.

Blix sah Samantha fragend an.

»Was war das?«

Statt zu antworten, wich sie an die Anrichte zurück, senkte den Kopf und starrte ihn durch die ins Gesicht gefallenen Haare an.

Blix ging auf den Flur und öffnete die nächste Tür, hinter der eine Treppe in den Keller führte. In dem Moment riss Samantha ein Messer von der Magnethalterung und stürmte auf ihn zu. Blix wich zur Seite aus, und Samantha wirbelte herum und wedelte mit dem Messer in der Hand vor sich herum. Blix stolperte rückwärts ins Wohnzimmer. Bei ihrer nächsten Attacke packte er ihr Handgelenk und versuchte, ihr das Messer aus der Hand zu schütteln.

Samantha trat zu und traf ihn im Schritt. Blix krümmte sich zusammen. Sie riss ihren Arm los, schrie und stieß erneut das Messer in seine Richtung. Dieses Mal traf sie seinen Oberarm. Blix wich zurück und fasste sich an die brennende Wunde.

Samantha trieb Blix mit dem vor sich ausgestreckten Messer weiter nach hinten. Er duckte sich hinter einen Sessel und schob das Möbelstück zwischen sich und Samantha.

»Walter!«, rief sie und sah Hilfe suchend über die Schulter hinter sich.

Blix packte die Armlehnen des Sessels, zog ihn etwas zu sich heran, stemmte sich dann mit den Füßen ab und stieß ihn in Samanthas Richtung. Der harte Stoß ließ sie nach hinten taumeln, sie ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Blix kippte den Sessel mit einem gezielten Tritt nach vorn. Von der Lehne getroffen, stürzte sie schreiend zu Boden. Sie drehte sich herum, um den Sturz abzufangen, schlug dabei aber mit der Stirn auf die Tischkante. Ihr Körper sackte zu Boden. Samantha blieb reglos liegen, das Messer rutschte ihr aus den Fingern.

Blix nahm sich nicht die Zeit, nach ihr zu sehen. Er stürzte zurück auf den Flur und stürmte die Kellertreppe nach unten.

Eine Tür am hinteren Ende des Kellers stand offen. Der Raum war das pure Chaos. Zwei Menschen rangen am Boden miteinander. Emma lag unten, sie schlug mit den Armen um sich und strampelte mit den Beinen. Walter Kroos presste sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie und drückte ihr den Hals zu.

Blix trat ihm gegen die Hüfte. Walter kippte zur Seite, ließ aber nicht los. Er zog Emma wie ein Schutzschild mit dem Rücken zu Blix über sich.

Blix hob das Bein an und trat mit voller Wucht auf Kroos Knie. Sein Schmerzensschrei hallte zwischen den Wänden wider. Emmas Bewegungen wurden schlaffer. Blix packte ihre Schultern, trat Kroos ins Gesicht und zog Emma mit aller Kraft zu sich. Sie taumelten nach hinten und landeten auf dem Rücken.

Emma schnappte nach Luft. Walter spuckte Blut und versuchte sich aufzurappeln, konnte aber nur auf einem Bein stehen. Blix sprang auf und packte das Erstbeste, was er in die Finger bekam – einen Topf. Er schwang ihn am Stiel herum und traf Walter an der Hand. Mit dem nächsten Schlag zielte Blix auf Walters Kopf, streifte ihn aber nur.

Walter wich zurück, riss die Arme über den Kopf und rief:

»Bitte! Stopp!«

Blix legte seine Finger fester um den Topfstiel, blieb aber stehen. Hinter ihm hustete Emma. Ihr Hals kratzte bei jedem Atemzug.

Walter sagte etwas auf Deutsch, das Blix nicht verstand.

»Hinlegen!«, rief Blix auf Englisch und zeigte mit der freien Hand auf den Boden. Walter kniete sich mit erhobenen Händen hin, stützte sich dann mit einer Hand ab und legte sich flach auf den Bauch. Blix stellte den Topf ab, trat vor, drückte ein Knie in Walters Nacken und zog seine Hände auf den Rücken.

Dann drehte Blix sich zu Emma um.

»Bist du okay?«

Sie hatte die Knie an die Brust gezogen und eine Hand an ihren Hals gelegt.

»Ja«, antwortete sie heiser.

»Ich brauche etwas, um ihn zu fesseln«, sagte Blix und sah sich um.

Emma rappelte sich auf.

»Ich hole Klebeband«, sagte sie und stützte sich an den Türrahmen.

»Nein, bleib hier«, sagte Blix scharf. »Samantha ist da oben.«

Er streckte sich nach ein paar Kabeln aus, die auf dem Boden lagen. Nutzte eines davon, um einen Knoten um Walters Handgelenke zu machen, und schnürte beide Hände zusammen. Die Beine sicherte er auf dieselbe Weise.

»Wo ist dein Handy?«, fragte er schließlich.

»Kaputt«, sagte Emma. »Aber was … was …«

Es war keine Zeit für Erklärungen. Blix nahm ihren Arm und führte sie aus dem Kellerraum. Am Fuß der Treppe hielt er lauschend inne.

Von draußen waren Geräusche zu hören.

»Bleib hier«, sagte Blix zu Emma und lief die Treppe hoch.

Als er oben ankam, flog die Haustür auf. Ein Mann in Polizeiuniform zog seine Waffe, als er Blix sah. Ebenso der Beamte hinter ihm.

Blix hob die Hände über den Kopf und verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse.

»Das ist Blix«, rief jemand.

Ein Mann in Zivil mit einer Polizeimarke um den Hals schob sich nach vorn.

Nicolai Wibe.

»Ich habe Walter Kroos gesichert«, orientierte Blix ihn, ohne die Hände nach unten zu nehmen. »Er liegt im Keller, dritte Tür rechts.«

Er trat einen Schritt zur Seite. Die Polizisten rückten vor, ohne die Waffen wegzustecken.

»Emma Ramm ist da unten«, rief er ihnen nach.

Eine Bewegung im Wohnzimmer ließ ihn in die andere Richtung blicken. Samantha war aufgestanden und stützte sich an den Tisch. Sie blutete aus einer Wunde am Kopf und wirkte benebelt.

»Sie hat ihn versteckt«, sagte Blix.

Zwei Polizisten erhielten den Befehl, sich um sie zu kümmern. Blix ließ die Hände sinken und informierte sie, dass Jarl Inge Ree bewusstlos auf dem Sofa lag.

Wibe sah sichtlich verunsichert aus, was er sagen sollte.

»Du blutest«, stellte er fest.

»Halb so wild«, antwortete Blix.

Ein untersetzter Mann schien das Kommando zu haben. Er streckte den Arm aus und begrüßte Blix.

»Arvid Borvik«, sagte er. »Die Sanitäter sind unterwegs.«

Hinter ihnen kam Emma langsam die Kellertreppe hoch. Sie blieb neben Blix stehen, legte eine Hand auf seine Schulter.

»Gard Fosse hat angerufen«, erklärte Wibe. »Er hat mit Merete gesprochen.«

Blix nickte.

»Er hat befürchtet, dass du dich in Schwierigkeiten gebracht hast«, fuhr Wibe fort. »Eine Streife hat Meretes Wagen hier entdeckt.«

Blix wollte alles erklären, schluckte es aber herunter. Jetzt brauchte Emma erst einmal frische Luft. Gemeinsam gingen sie nach draußen. Der Wind blies ihnen kalten Regen ins Gesicht.

Draußen blinkten Blaulichter. Die Beamten hatten Platz für den Rettungswagen gelassen. Eine Frau in rot-grüner reflektierender Jacke kam auf Emma zu, legte ihr eine Decke um die Schultern und führte sie zum Rettungswagen.

Blix warf einen Blick auf die Uhr und überschlug alles im Kopf. Wenn er sofort losfuhr, konnte er es noch rechtzeitig zurück ins Gefängnis schaffen, dachte er und setzte sich zu ihr.