Der Herbsttag erfüllte alle Erwartungen an das Klischee vom „goldenen Oktober“ und Anne versuchte, ihre abschweifenden Gedanken zu strukturieren, als sie sich in den Verkehr stadtauswärts einreihte. Sie würde Wieland keine weitere Gelegenheit geben, ihre Arbeit anzumahnen. Die Vorstellung des Oberbürgermeister-Kandidaten ging sie am besten gleich an. Sofort nach der Redaktionskonferenz hatte sie mit Matthias Reininger telefoniert und spontan einen Fototermin mit ihm vereinbart. Ihre Anspielung auf die klaren Farben, die das weiche Licht des Herbstes schuf, und die ein Portraitfoto im Garten besonders reizvoll machen würden, hatten ihn überzeugt.
Sie grübelte darüber, welche Motive Wieland umtrieben. Waren es ausschließlich Machtgier und Eitelkeit? Und was war ihr eigener Part in diesem Spiel? Gründete sich ihr angespanntes Verhältnis zu ihrem Redaktionsleiter möglicherweise auf der unbewussten Überzeugung, seine Position besser ausfüllen zu können?
Das Quietschen der Bremsen des roten Honda vor ihr riss sie aus ihren Gedanken. Gerade noch rechtzeitig brachte sie ihren Wagen zum Stehen. Ohne sich um die Ampelschaltung zu kümmern, überquerte ein alter Mann bei Rot den Zebrastreifen. Immerhin waren ihre Reflexe gut ausgebildet, dachte Anne.
Die Straße wurde schmaler, alte Bäume und hohe Mauern säumten sie. Die ganze Umgebung schien zu signalisieren – bitte nicht stören. In dieser Gegend war viel altes Geld unter sich und wollte es auch bleiben. Anne fand einen Parkplatz unter einer alten Platane und wappnete sich, gleich mit einer Sprechanlage diskutieren zu müssen, als sie sich nach einer Kurve vor einem kunstvoll gestalteten und vor allem offenen Gartentor wiederfand.
Ein gepflegter Kiesweg führte zu einem imposanten Backsteingebäude, einem Herrenhaus zweifelsohne. Es schien nach einem Stab von Bediensteten zu verlangen und hatte einen solchen in einer ruhmreichen Vergangenheit fraglos auch beherbergt. Anne fühlte sich seltsam befangen, als sie den Weg hinaufging, der einen gepflegten Park in zwei Hälften teilte und rechnete fast mit einem Butler nebst kleinem Tablett, auf dem sie ihre Visitenkarte zu hinterlegen hatte. Sie erreichte eine von wuchtigen Kübelpflanzen umrahmte Terrasse. Ein voluminöser Wintergarten, dessen seitliche Flügeltüren geöffnet waren, beherbergte Rattanmöbel. Auf dem kleinen Tisch zeugten eine Gießkanne, Gummihandschuhe und ein Küchentuch davon, dass sich hier jemand gärtnerisch betätigt hatte.
Sie wartete eine Weile und begann sich zu fragen, ob sie den Termin richtig genannt oder etwas anderes missverstanden hatte, als eine Frau aus dem Haus trat und sie argwöhnisch musterte. Die Frau war in den Vierzigern, schätzte Anne, konnte aber gut und gern auch jünger sein. Sie trug ein einfaches weißes Männerhemd über ausgebeulten Jeans, die nackten Füße steckten in Birkenstock-Sandalen, das lange blonde Haar war in einem nachlässig geknoteten Dutt aus dem Gesicht genommen, das von kühlen, grauen Augen beherrscht wurde.
„Das Gartentor stand offen“, begann Anne, „und ich …“
„Oh – entschuldigen Sie bitte den unhöflichen Empfang, Sie müssen Anne Michel vom Tagblatt sein, versetzte ihr Gegenüber mit so strahlendem Lächeln, dass sich Anne fragte, ob sie sich den unfreundlichen Blick nur eingebildet hatte.
„Ich bin Irene Reininger, nehmen Sie doch bitte Platz, mein Bruder telefoniert noch.“ Mit einer gewandten Geste nahm sie – inzwischen ganz Gastgeberin – die Gartenutensilien an sich und bedeutete Anne, sich zu setzen. „Trinken Sie einen Tee oder darf ich Ihnen etwas Stärkeres anbieten? Es dauert nur einen Augenblick, ich werde meinem Bruder sagen, dass Sie warten.“
Eine unerwartete Windböe, die an den Bäumen zerrte und die Vorhänge der geöffneten Terrassentür bauschte, trug den Modergeruch des Herbstes zu ihr und trieb einige verfärbte Blätter vor sich her auf die makellose Terrasse. Nach einem Blick auf die Uhr wurde Anne immer unruhiger. Sie zupfte an ihrem Haar, stand auf und setzte sich wieder. Hoffentlich gelang es ihr, noch brauchbare Fotos aufzunehmen, denn schon schoben sich Wolken vor die Sonne.
Sie hörte Türen schlagen und Irene Reininger kam endlich zurück. „Kommen Sie, mein Bruder wartet in seinem Arbeitszimmer“, forderte sie Anne auf und ging mit gemessenen Schritten voraus, Anne hätte sie gerne ein bisschen angetrieben.
Er stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster und wandte sich um, als Anne die Tür schloss. Lediglich ein leichtes Stirnrunzeln und ein fast unmerkliches Zusammenkneifen seiner Augen verriet, dass er sie wahrgenommen hatte.
Sie erkannte ihn sofort. Der geheimnisvolle Fremde von der Ehrung im Rathaus war also Reininger. Anne sah ihn jetzt aus der Nähe und blickte in ein Gesicht, das Michelangelo hätte modelliert haben können. Es war blass unter einer Sonnenbräune, die entweder auf kürzlich verbrachte Ferientage im Süden oder auf regelmäßige Benutzung einer Sonnenbank hinwies. Sein Haarschnitt deutete auf einen Friseur hin, den sich Anne gerne gegönnt hätte.
Anne wurde bewusst, dass sie ihn anstarrte und ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern. Es wurde beherrscht von einem riesigen Mahagonischreibtisch mit einem Ledersessel dahinter. Auf einem kleinen Tisch, um den zwei Sessel gruppiert waren, stand ein Strauß orangeroter Rosen, arrangiert mit dunkelgrünen Blättern und Zweigen roten Feuerdorns. Eine riesige Fensterfront gab den Blick frei auf den Garten, dessen Büsche in leuchtenden Herbstfarben glühten. Eine sensationelle Inszenierung, schoss es Anne durch den Kopf.
Der Mann am Fenster passte perfekt dazu. Geschmeidig kam er näher und ergriff Annes ausgestreckte Hand, während er direkt in ihre Augen schaute. „Mein Name ist Reininger“, stellte er sich vor und Anne antwortete gehorsam: „Anne Michel vom Schweinfurter Tagblatt.“
Die Art, wie er die vor ihm ausgebreitete Zeitung faltete und ihr bedeutete, ihm gegenüber Platz zu nehmen, hatte etwas Zeremonielles. Seine aristokratische Gestik wurde nicht einmal von der Schlinge gemindert, in der er einen bandagierten Arm trug. Er ist nicht übermäßig groß, stellte Anne verwundert fest und gestand sich ein, dass er zu jenen Männern gehörte, die auch die nachteiligste Kulisse zu ihrem Vorteil wandeln konnten.
„Sie sind noch nicht lange beim Schweinfurter Tagblatt?“ Tonfall und Stimme waren viel weniger eine Frage, als eine Feststellung. Anne fühlte sich kritisiert und antwortete verärgert: „Nun – dies ist nicht mein erstes Interview und man sagt mir ein gewisses Geschick im Umgang mit Menschen nach.“
Sein Lächeln kam schnell – zu schnell, um sie von seiner Echtheit zu überzeugen, auch wenn es ihn auf überraschende Weise verjüngte.
„Entschuldigen Sie.“ Reininger strich sich über die Stirn. „Ein Mann in einer so wenig präsentablen Lage“, er zeigte auf seinen bandagierten Arm, „rechnet nicht mit einer jungen und attraktiven Dame.“ Sein Tonfall wurde verhaltener. „Sie sind noch schöner, als ich Sie in Erinnerung hatte.“ Also hatte er sie auch bemerkt beim Empfang im Rathaus. „Wissen Sie, dass Sie Audrey Hepburn ähneln?“, setzte er überraschend hinzu.
„Ein schmeichelhaftes Kompliment, vielen Dank – es war doch ihre Zerbrechlichkeit, die Männer anzog.“ Annes Stimme klang belegt. „Ich hoffe doch sehr, dass Sie nicht gerade diese Eigenschaft mit mir assoziieren.“ Sie legte den kleinen Rekorder, den sie zu solchen Anlässen immer mitnahm, auf den Tisch. „Es stört Sie doch nicht, wenn ich unser Gespräch aufzeichne?“
„Nun – alles im Leben hat seinen Preis“, antwortete er.
„Lernt man diese Lektion im politischen Leben?“, fragte sie provozierend und mit mehr Zuversicht, als sie empfand, aber er ging nicht auf ihre Herausforderung ein, trotz seines angedeuteten Lächelns.
Ohne Zweifel, es gelang Reininger, sie zu verunsichern, wobei sie noch nicht herausgefunden hatte, was ihre Verlegenheit eigentlich auslöste. Der ganze Mann schien bereits jetzt – noch vor seiner Nominierung – die pure Verkörperung von Macht. Die Siegerpose, die er einnahm, auf seinem Stuhl zurückgelehnt mit übereinandergeschlagenen Beinen, zeugte davon ebenso wie sein Geschick, sie dem Gegenlicht auszusetzen. Deshalb konnte sie auch sein unterschwelliges Misstrauen, das der gekonnten Vorstellung von Souveränität so krass widersprach, nicht einordnen.
„Sie haben sicher mit Herrn Wieland gesprochen, sodass Ihnen unsere geplante Serie geläufig sein dürfte“, begann Anne sachlich zu erläutern, um das Chaos ihrer widerstreitenden Gefühle in den Griff zu bekommen. „Wir wollen von jedem Kandidaten der anstehenden Oberbürgermeisterwahl ein kurzes Portrait im Tagblatt bringen – ein kleines Streiflicht, das nicht nur die politischen Ziele der Kandidaten, sondern auch ihre menschliche Seite beleuchten soll.“
„Sie sehen mich hier mehr als menschlich, ein Manifest des Misserfolgs, wenn Sie so wollen. Mein Unfall dürfte doch diesen Aspekt mehr als genügend berücksichtigen“, warf er ihr kurz, fast unwirsch hin, wobei er ein weißes, gestärktes Taschentuch aus der Tasche zog und sich die Stirn abwischte. Anne fragte sich gerade, wann sie zum letzten Mal ein solches Taschentuch gesehen hatte, als er aufstand und mit nervösen Schritten durch den Raum ging.
„Können wir uns darauf einigen, dass ich Ihnen meine Ziele und Vorstellungen kurz erläutere, Sie können mich dann abschließend ja gerne noch fragen, was Ihnen auf der Seele brennt“, verwies er Anne in die Rolle der passiven Zuhörerin. Sie nickte und unterdrückte das Verlangen nach einer Zigarette, das mittlerweile übermächtig zu werden begann.
„Sehen Sie, das Amt eines Oberbürgermeisters bietet eine Fülle von Möglichkeiten und Herausforderungen, die es anzunehmen gilt …“
Dabei nahm er die Zeitung vom Tisch, faltete sie und klatschte zu einem imaginären Rhythmus in seine Hände. „Unsere Stadt braucht neue Ideen – die Abhängigkeit vom Auto hat uns vor noch nicht allzu langer Zeit ein Heer von Arbeitslosen beschert. Auch der Mittelstand ist zu stärken. Wir brauchen innovative Ideen, die hoffentlich neue Arbeitsplätze bringen. Der Wirtschaftsförderung wird somit mein Hauptaugenmerk gelten müssen. Ich habe an eine eigene Stabsstelle gedacht, die ich dafür einrichten werde, sollten erst Partei und dann die Wähler mir das Vertrauen aussprechen …“
Es klopfte und seine Schwester brachte ein Tablett mit einer Kanne und zwei Tassen und stellte sie auf den Tisch.
„Sie haben sich bekanntgemacht?“, fragte er schroff.
„Ja, wir hatten bereits Gelegenheit“, entgegnete Irene Reiniger mit geheimnisvollem Lächeln, während sie formvollendet Kaffee eingoss.
„Sie trinken doch Kaffee?“, fragte er, an Anne gewandt.
„Ja, gerne, ohne Milch und Zucker“, antwortete sie artig, worauf er ihr mit einer fast intimen Geste die Tasse reichte. Seine Schwester entfernte sich auf Zehenspitzen und schloss leise die Tür.
„Darf ich Ihnen ein paar persönliche Fragen stellen“, nutzte Anne die unerwartete Nähe, die mit dem gemeinsamen Kaffee entstanden war. „Ihre politischen Ziele werden plastischer für unsere Leser und Ihre potenziellen Wähler, mit dem Menschen, der dahintersteht.“
„Fragen Sie, fragen Sie!“, entgegnete er jovial, wobei er mit einer schnellen Bewegung seinen Kaffee umrührte, „solange nicht etwa meine sexuellen Neigungen Gegenstand Ihres Interesses sind.“ Sein Lachen klang künstlich und Anne fühlte sich einmal mehr mit der Widersprüchlichkeit seines Wesens konfrontiert.
„Sie sind Jurist, soweit ich informiert bin und – verzeihen Sie meine Offenheit – die Menschen fragen sich, welche Ambitionen Sie bewogen haben, für das Amt des Oberbürgermeisters zu kandidieren, nachdem Sie augenscheinlich die Übernahme der doch florierenden Firma Ihres Vaters nach dessen Tod nicht reizen konnte …“
„Und deren Verkauf mir das Leben eines reichen Privatiers ermöglicht“, beendete er ihren Satz sarkastisch.
„Das ist es nicht.“ Anne verwünschte sich und ihre Impulsivität, die sie veranlasst hatte, gerade die Frage zu stellen, die ihn jetzt sicher wieder in sein Schneckenhaus zurücktreiben würde. In dem Bemühen um Schadensbegrenzung fügte sie hinzu: „Aber es gibt schon einige Spekulationen und ich denke, man kann ihnen mit einem offenen Wort die Spitze nehmen. Der Betrieb wurde doch auch vergrößert nach der Übernahme durch den Chemiekonzern …“
„Sie müssen sich nicht entschuldigen, ich bin Ihnen dankbar für diese Frage. Der Erhalt oder besser noch die Schaffung von Arbeitsplätzen war beispielsweise eine sehr wichtige Vertragsklausel beim Verkauf. Was allerdings die Gründe dafür angeht, verzeihen Sie, aber die waren sehr persönlich, und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie diese auch als solche respektierten.“ Seine Stimme hatte einen harschen Unterton.
Ärgerlich wechselte Anne das Thema. „Ihr Interesse am Amt des Oberbürgermeisters kam überraschend“, sagte sie, „zumal doch der bisherige Stellvertreter als der Hoffnungsträger Ihrer Partei und als der Favorit des scheidenden Oberbürgermeisters gehandelt wurde – können Sie dazu etwas sagen?“
Sie stand auf und ging zum Fenster, langsam hatte sie es satt, dass ihr die Sonne ins Gesicht schien. Sofort bemerkte er ihren Stimmungsumschwung. Langsam ging er auf sie zu und ergriff mit einem warmen Lächeln ihre Hand. Anne konnte nicht umhin, seine feinen Antennen zu bewundern. Er war offenbar sensibel und ein Meister der Zwischentöne.
„Setzen Sie sich bitte wieder und seien Sie mir nicht böse – ich bin gewöhnlich nicht so ruppig“, begann er und in Anne schmolz jeder Widerstand angesichts seiner Nähe und seiner einschmeichelnden Stimme. Es war eindeutig besser, darauf nichts zu sagen, wahrscheinlich würde nur ein Krächzen herauskommen. Er schien auch gar keine Antwort erwartet zu haben, denn er fuhr leise fort: „Sie erinnern mich an frische Wäsche, die in der Sonne trocknet – und die Politik ist ein so schmutziges Geschäft. Ich denke, Sie wollen sich mit dem Procedere einer Nominierung sicher nicht belasten.“
„Wir sollten zum Zweck ihres Besuches kommen.“ Abrupt ließ er Annes Hand los. „Sie wollten mich doch fotografieren, obgleich, ich gestehe es ungern“, dabei stahl sich ein fast kokettes Lächeln durch sein Stirnrunzeln und entlarvte die Heuchelei, „ich mich dabei nicht unbedingt wohlfühle.“
„Ein Zustand des Ausgeliefertseins, nicht wahr, das Ergebnis nicht selbst bestimmen können, ist es das?“, fragte Anne und stellte fest, dass sie ihn offenbar verblüfft hatte. Seine Miene verschloss sich, er stand wortlos auf, rückte den Knoten seiner Krawatte gerade und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihm zu folgen.
„Gehen wir in den Garten“, meinte er, vielleicht lässt sich ein passender Hintergrund finden.“
„Eher ein würdiger Rahmen, meinen Sie nicht?“, konterte Anne, „aber ich muss Sie warnen, das Auge einer Kamera ist unbestechlich und der Reiz gefärbter Büsche schmälert auf einem Zeitungsfoto eher den Gesamteindruck. Am besten wirken Kontrast und Klarheit.“ Was tat sie da, fragte sie sich. Wollte sie wirklich mit diesem Mann flirten?
Er ging voraus über ein paar kleine Stufen aus Naturstein, die zu einem Gartenteich führten und so aussahen, als lägen sie seit Jahrhunderten hier verwachsen. Bei ihren Worten hielt er unvermittelt inne. Galant reichte er ihr die Hand über die Stufen und hielt sie auch noch fest, als Anne sie längst überwunden hatte und nun direkt vor ihm stand.
Sein Blick schien sich in ihre Seele brennen zu wollen, als er raunte: „Klarheit, ja, aber nicht im Sinne harten Kontrasts, Klarheit und Frische kann ich erkennen, wenn ich Sie sehe.“ Seine Stimme klang eindringlich, als er ganz nahe an ihrem Ohr fragte: „Merken Sie auch, was mit uns geschieht?“
Anne sollte sich später immer wieder fragen, ob es diese schlichte Frage war, die ihr buchstäblich den Boden unter den Füssen wegzog oder der unerwartet feste Druck seiner Hand, als er ihr über die Stufen half. Sie hätte nicht zurückweichen können und wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. Sein Kuss, entschlossen und bestimmt, nahm ihr jede Möglichkeit einer echten oder auch nur gespielten Gegenwehr.
Es war eine einzelne Rose, die ihren Blick auf sich zog und es ihr ermöglichte, sich aus dem Bannkreis des Mannes zu befreien, eine Rose so vollkommen, wie sie noch keine gesehen zu haben glaubte. Ihre äußeren Blütenblätter schienen aus matt glänzendem, altrosa Taft gemacht und ihre dunklere Innenknospe aus Samt. Eigentlich war sie erst die Verheißung der Rose, die sie werden würde. Anne ging zwei Schritte, bückte sich und sog ihren Duft ein. Wann hatte sie überhaupt zum letzten Mal an einer richtig duftenden Rose gerochen?
„Sie ist wunderschön.“ Ihr Blick suchte Matthias Reininger. Er stand unbeweglich da und beobachtete sie ernst. Nichts verriet, dass er ihre Bemerkung gehört hatte. Anne wandte sich ab. „Danke für das Gespräch“, murmelte sie und sah im Weggehen, dass am Fenster, das auf den Garten hinausging, rasch ein Vorhang zugezogen wurde. Wie lange hatte Irene Reininger sie beide wohl schon beobachtet?
Als sie schon im Wagen saß, fiel ihr auf, dass sie ihn gar nicht fotografiert hatte.