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Ein Lieferwagen mit offener Ladefläche blockierte den Eingang zum Petit Café. Unwiderruflich füllte sich der Hohlraum des Wagens mit Kübelpflanzen, Rankgittern, Stühlen und Tischen. Ohne sein verspieltes Sommer-Beiwerk empfand Phil den Marktplatz als kalt und abweisend und ein deutlicher Anflug von Herbst-Blues drängte sich in sein Bewusstsein. Rasch ließ er den Platz hinter sich und setzte sich mit dem Rücken zur Straße in das Café, dessen heimelige Atmosphäre ihn, wie so oft, versöhnte.

Die Einfälle zu den besten Reportagen seiner Laufbahn hatten hier Gestalt angenommen. Sich hier mit Wolfgang Bauer zu verabreden, erschien ihm fast wie ein Frevel, andererseits gewährleistete das Bistro sozusagen ein Heimspiel. Er hatte keine Ahnung, was Wolfgang von ihm wollte.

Die Bedienung war neu: groß und schlank, langes, schwarzes Haar und tragisch umrandete Augen, die Lippen grellrot. Alles an ihr war etwas zu viel, zu stark geschminkt, das T-Shirt zu knapp, die Hose zu eng. So offensichtliche Einladungen machten Phil misstrauisch, er hatte zu oft festgestellt, dass weniger hielten als sie versprachen. Ihre blasierte Miene stand in krassem Gegensatz zu ihrem Üußeren. Unsicherheit, die mit diesem ‚Zuviel‘ kaschiert werden muss, entschied er. Er bestellte eine Latte Macchiato und fügte, als sie verständnislos die Karte zu Rate zog, „Espresso mit Milch“ hinzu. Sie würde es schon noch lernen. Ein Pulk Schulmädchen stürmte ins Café, zu erkennen an ihrer Einheitsuniform: Jeans mit Designerlabel und an ihrer ebenso uniformen Sprache und am jugendlichen Selbstverständnis, mit dem sie mehrere Tische belagerten, überzeugt davon, das ganze Restaurant habe nur auf ihren Auftritt gewartet, ja die ganze Weltkugel drehe sich ausschließlich für sie.

In ihrem Kielwasser erschien auch Wolfgang, in seiner Miene die gleiche Gewissheit, die im Direktvergleich mit der unschuldigen Frische der Jugend aufgesetzt wirkte. Er nickte einem Paar in der Ecke zu, während er seine Jacke an die Garderobe hängte und ließ seinen Blick über die Gäste schweifen, doch keiner brachte ihm die gebührende Aufmerksamkeit entgegen.

„Ich bin leider aufgehalten worden“, kommentierte er seine Verspätung.

„Verschone mich bitte damit, warum und von wem“, entgegnete Phil mit einem amüsierten Lachen, das der Bemerkung die Schärfe nahm, die er gerne hineingelegt hätte. „Komm lieber zur Sache – was ist denn so wichtig, das wir nicht in der Redaktion besprechen könnten? Und höre auf, mit der Bedienung zu flirten, sie ist neu hier, vermutlich ist dein Ruhm noch nicht zu ihr gedrungen.“

„Neid ist die schönste Form der Anerkennung“, konterte Wolfgang und Phil fragte sich nicht zum ersten Mal, woher sein Kollege diese Selbstgefälligkeit nahm. „Tja, also, die Sache von heute Morgen“, begann Wolfgang schließlich mit konspirativer Betonung. „Diese Graffitischmiererei zieht unheilvolle Kreise.“

„Welche Kreise?“, fragte Phil und griff sich eines der in einem Glas angebotenen Grissini. „Hat die Polizei etwa ein Komplott aufgedeckt mit dem Oberbürgermeister als Anführer?“ Er zupfte das Papier von dem Salzgebäck und faltete es winzig klein zusammen.

„Spotte nur!“ Wolfgang zeigte sich weitgehend unbeeindruckt von Phils Desinteresse. „Wieland hat ein paar ganz unangenehme Theorien mit der Polizei besprochen, in denen du eine ziemlich zentrale Rolle spielst.“

„Und wie hast du davon erfahren?“, fragte Phil, „ich gehe nicht davon aus, dass du an Türen lauschst.“

„Das musste ich auch nicht, der Kommissar stellte mir nur ein paar dezidierte Fragen über dich und deinen journalistischen Umgang. Von linken Randgruppen, die mit der Spraydose umherlaufen, war die Rede.“

Phil runzelte die Stirn und räusperte sich ärgerlich. „Du konntest ihm da sicher weiterhelfen, oder irre ich mich?“

„Sei kein Idiot“, lenkte Wolfgang ein und beugte sich näher zu Phil, „wir sitzen doch im gleichen Boot, und wie ich die Fragen des Kommissars verstanden habe, meint Wieland offenbar, die Schmiererei sei gegen ihn persönlich gerichtet. Und, seien wir doch mal ehrlich“, entspannt lehnte er sich zurück, „Wieland hat ja nun nicht mehr den besten Stand bei unserem Verleger und sicher kein Interesse daran, dass sein mehr als fragwürdiger Umgang mit den Altlasten auf dem Gelände der Chemiefabrik jetzt aufs Tapet kommt.“

Wolfgang hatte seine Stimme gesenkt und Phil musste sich anstrengen, ihn zu verstehen. „Das Ganze war aber auch ein Paradefall von Tatsachen unter den Teppich kehren – und wer hat sich damals am lautesten aufgeregt?“

Phil nickte bestätigend. Gar nicht so weit hergeholt, dachte er. Schließlich hatte er aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und Wieland gefragt, ob er vielleicht bei den Reiningers auf einer geheimen Gehaltsliste stehe.

„Du wolltest mich also warnen, vielen Dank.“ Phil musste sich sehr beherrschen, um nicht noch sarkastischer zu werden.

„Gereizte Stiere treten um sich“, entgegnete Wolfgang. „Du bist nicht allein betroffen.“ Er stand auf, holte sich ein Päckchen Zigaretten am Automaten und klopfte damit – wohl um die Spannung zu steigern – auf den Tisch. „Wenn Wieland von sich ablenken will, wird er uns alle unter die Lupe nehmen.“

„Da hast du ja wenig zu befürchten“, konnte sich Phil nicht verkneifen, „windschnittig, wie deine Berichte sind.“

„Jedenfalls wäre Wieland besser beraten gewesen, die Serie über die Oberbürgermeisterkandidaten mir zu überlassen als dieser Gans von Anne Michel“, zischte Wolfgang.

„Sie ist immerhin die Einzige von uns, der ein Preis zugesprochen wurde“, erwiderte Phil, wohl wissend, dass er damit Öl ins Feuer goss.

„Für eine schwachsinnige Kurzgeschichte, deren journalistischer Wert bei Null liegt“, gab Wolfgang zurück. „Aber das ist nicht das Thema. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie auch eine ganz heiße Kandidatin auf Wielands Liste ist, bist du es …“ Er richtete seinen Zeigefinger auf Phils Brust. „… der mit seiner Story über die verkohlte Leiche schon wieder in ein Wespennest sticht …“

„Was hat denn die mit der Schmiererei zu tun?“ Phil gab sich inzwischen keine Mühe mehr, seine Verärgerung zu verbergen. Wolfgang hatte wohl wieder in seinen Notizen gestöbert.

Offensichtlich hatte Wolfgang genau auf dieses Stichwort gewartet. „Wusstest du nicht, dass dieser Ludwig Moreno ein ganz spezieller Intimfeind der Reiningers ist, das heißt, früher einmal waren sie dick befreundet. Dass diese Verbindung in Feindschaft umschlug, hat mit den Hinterlassenschaften zu tun, über die Wieland nicht berichten wollte. Der alte Reininger hat die Morenos mit einem Baugrundstück übers Ohr gehauen. Das ist sogar dir neu, oder?“

Wolfgangs triumphierendes Lächeln, während er aufstand, einen Geldschein auf den Tisch legte und ging, brachte Phil zum Kochen. Welcher Teufel hatte ihn geritten, sich überhaupt auf ein Gespräch mit diesem Intriganten einzulassen? Vor allem, welches Spiel spielte Wolfgang? Die Graffiti-Schmiererei konnte doch nur sekundäre Bedeutung haben. Er würde die Augen offenhalten müssen. Bisher hatte er Wolfgang nicht ganz ernst genommen, seine Geltungssucht als Produkt massiver Komplexe abgetan. Jetzt war er sich seiner Einschätzung nicht mehr ganz so sicher.