„Na, Versammlung aufgelöst?“ Vor ihrem Schreibtisch lehnte Kurt in verschraubter Pose, und blätterte in einem von Annes Manuskripten.
Anne erkannte ihren noch nicht fertiggestellten Bericht über Matthias Reininger und spürte Verärgerung. „Sensible Wahrnehmung“, kommentierte er und so sehr sie sich normalerweise von Kurts Interesse geschmeichelt fühlte, empfand sie seine Bewertung ihrer Arbeit und sein ungerührtes Auftreten heute als Grenzverletzung.
„Gib das her, es ist noch nicht abgeschlossen“, fauchte sie und zog ihm die Textseiten weg.
„Ich wollte nicht in deine Privatsphäre eindringen.“ Kurt hob beschwichtigend die Hände, aber Anne sah ihm an, dass es rein rhetorisch gemeint war.
„Warum, um Himmels willen, sagt denn Wolfgang nicht endlich einmal jemand, dass er besser beim ‚Goldenen Blatt‘ aufgehoben wäre“, lenkte Anne ein und stellte im gleichen Atemzug fest, warum es so beliebt war, über andere zu lästern. Es erlaubte auf die eleganteste Art von sich selber abzulenken und gleichzeitig Spannung zu erzeugen.
Aber Kurt ging nicht darauf ein. „Ich habe einen Überfall auf dich vor, Anne – könntest du vielleicht einen Termin für mich übernehmen?“, fragte er einschmeichelnd, während er verlegen seine Nase rieb.
„Ich?“, antwortete sie ungläubig.
„Ja – mir fällt niemand anderer ein, der die Herbstaufführung des Liederkranzes mit mehr Feingefühl rezensieren könnte als du. Er fuhr sich durchs Haar. „Sie sind wirklich gut unter ihrem neuen Dirigenten und ich würde mir das Konzert ja selbst gerne anhören, aber ich muss etwas Dringendes erledigen.“ Etwas an seiner Feststellung ließ bei Anne Alarmglocken schrillen. Hatte die Dringlichkeit vielleicht etwas mit Irene zu tun?
„Was ist mit Christian?“, antwortete sie ausweichend.
Kurt räusperte sich. „Tja, das war mir – ehrlich gesagt – auch ein bisschen suspekt, dass er Schweinfurts Kultur mir überlassen und stattdessen die Fraktionssitzung unserer staatstragenden Partei auf sich nehmen will. Aber wie auch immer, ich habe es ihm versprochen und jetzt ist mir etwas dazwischengekommen.“
Anne runzelte die Stirn – ein schaler Beigeschmack wollte nicht weichen.
„Und warum fragt er mich nicht gleich selbst – da hatte er doch früher auch nie Skrupel?“, sagte sie argwöhnisch.
„Vielleicht traut er sich nicht“, antwortete Kurt. „Dein Beitrag in der Süddeutschen hat inzwischen die Runde gemacht.“ Und als sie mit dem Kopf schüttelte, fügte er hinzu: „Werde dir deines eigenen Wertes endlich bewusst und starre nicht auf Wieland wie das Kaninchen auf die Schlange.“
Anne lachte. „Das ist leichter gesagt als getan.“