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Die Fallen

Die ersten Sterne waren bereits am Himmel zu sehen, als Tom und Elenna die hügeligen Ausläufer des Gebirges erreichten. In der Ferne konnte Tom die Dächer der Stadt Colton erkennen. Dünne Rauchfahnen kräuselten sich sanft in der Abendluft.

Tom nahm die Karte zu Hilfe und fand einen schmalen Pfad, der durch die Hügel und dann hoch in die Berge führte. Genau zu der Stelle, an der auf der Karte der Baum des Seins eingezeichnet war. Elenna ritt voran. Vorsichtig setzten die Pferde ihre Hufe auf die Steine.

Je höher sie kamen, desto steiler wurde der Pfad. Auf der einen Seite ging es senkrecht nach unten. Im Dunkeln sah Tom scharfe Felsen und er hörte das leise Rauschen eines Flusses in der Tiefe.

Immer wieder sah Tom zum Himmel hoch und hielt Ausschau nach dem fliegenden Piratenschiff. Ständig erwartete er, das Schiff zu erblicken, das Knattern der Segel zu hören, das Knarzen der Balken und Sanpaos Stimme, die Befehle schrie. Aber nichts durchbrach die dünne Wolkendecke, die über dem dunkler werdenden Himmel lag.

„Ich darf nicht zu zuversichtlich sein“, dachte Tom. „Sanpao ist hinterhältig. Er hat bestimmt einen fiesen Plan geschmiedet.“

Er grübelte darüber nach, was sich der Piratenkönig ausgedacht haben mochte, als Elenna plötzlich warnend aufschrie. Blizzard ging auf die Hinterbeine und kam dem steilen Abhang gefährlich nah. Elenna klammerte sich am Sattel fest und lenkte die Stute zurück in Sicherheit.

Erschrocken durch Blizzards plötzliche Bewegung, ging auch Storm auf die Hinterbeine. Ein wirbelnder Huf schrammte über einen hervorstehenden Fels und Funken stoben auf. Tom lehnte sich vor und streichelte den Hals des Hengsts. „Ruhig, ganz ruhig.“

Zu seiner Erleichterung beruhigte Storm sich schnell und Elenna konnte auch Blizzard besänftigen. Die Stute stand still. Schweiß breitete sich auf ihrem glänzenden weißen Fell aus.

„Was ist passiert?“, fragte Tom. Er versuchte, an Elenna vorbei nach vorn zu schauen.

„Sie hat etwas entdeckt“, erklärte Elenna. „Da, auf dem Weg!“

Tom lenkte Storm näher zu Blizzard. Auf dem Weg vor ihnen lagen rostige Eisenstücke mit scharfen Zacken. In der Dämmerung waren sie kaum zu erkennen.

„Tierfallen“, sagte Tom und klopfte der Stute den Hals. „Gut aufgepasst, Blizzard!“

Er stieg ab, um die Fallen genauer zu untersuchen. Die Metallzähne waren sehr spitz.

„Sie sind mit Ketten in den Fels geschraubt“, rief Tom Elenna zu. „Wir können sie nicht bewegen.“

Tom brach einen Ast von einem dürren Busch ab, der in einer Felsspalte wuchs, und stocherte damit vorsichtig in der ersten Falle. Die Falle klappte laut schnappend zu und zerbrach den Ast in winzige Splitter. Tom schauderte. „Das hätte Storms oder Blizzards Bein sein können“, dachte er.

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„Da kommen die Pferde nie im Leben durch“, sagte er zu Elenna, als er zurück in den Sattel stieg. „Wir müssen uns einen anderen Weg suchen.“

Elenna nickte. „Bis wir einen neuen Weg gefunden haben, wird es schon fast Nacht sein“, sagte sie. „Und zu dunkel, um noch weiter durch diese gefährlichen Berge zu reiten.“

Tom packte verärgert Storms Zügel. „Sanpao ist nicht dumm“, schimpfte er. „Er muss ein paar Männer hergeschickt haben, um die Fallen zu legen. Sie sollen uns aufhalten, während er einen Plan schmiedet, wie er mit seinem Schiff auf dem Berg landen kann.“

„Und das bedeutet, dass hier irgendwo Piraten sind“, meinte Elenna, während sie vorsichtig den Pfad zurückritten, den sie gekommen waren.

„Ich weiß“, erwiderte Tom und sah sich um. „Wir suchen uns besser ein Versteck und gehen morgen früh weiter.“

„Aber was ist mit den Piraten?“, fragte Elenna. „Wie sollen wir schlafen, wenn im Dunkeln irgendwo ein Trupp Piraten lauert?“

Tom wusste, dass seine Freundin recht hatte. Er runzelte die Stirn und lenkte Storm den Pfad entlang. Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.

„Ich habe eine Idee“, sagte er.

„Oh?“ Elenna machte ein neugieriges Gesicht. „Was sollen wir also machen?“

„Warte es ab“, antwortete Tom. „Ich brauche ein Stück Papier, um eine Karte zu zeichnen, und dein Jagdmesser.“