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I ch hasse Beerdigungen. Fast ebenso sehr wie Hochzeiten. Wenigstens gibt es bei Begräbnissen keine albernen Spiele. Auf dem Weg zum Friedhof musste ich feststellen, dass ein schwarzer Anzug bei über dreißig Grad ein unangemessenes Kleidungsstück ist. Ich ging an der Leichenhalle vorbei auf den östlichen Teil des Areals zu, wo sich die neuesten Ruhestätten befanden.

Der kurze Leichenzug war bereits am Grab angekommen. Die Sargträger, der Pfarrer, zwei Leute aus der Gemeinde und – ich musste lächeln – Kriminalhauptkommissar Nick Hiller. Er hatte auf einen Anzug verzichtet und trug ein dunkles Poloshirt und Jeans. Kluge Entscheidung. Ich stellte mich neben ihn an das offene Grab, hinter dem ein schmuckloses Holzkreuz stand. Name, Geburtstag, Todestag. Mehr nicht. Nick blickte kurz zu mir rüber und nickte lächelnd. Er hatte Fredi bestimmt zwei Dutzend Mal festgenommen. Übrigens meistens im Winter.

Der Pfarrer sagte ein paar nette Worte, der schlichte Sarg wurde in das Grab hinabgelassen, und die Offiziellen entfernten sich. Ich stand schweigend neben Nick. Dann legte jemand die Hand auf meine Schulter. Ich blickte mich um. Hinter mir standen Nussbaum und Bollmann, der Staatsanwalt und der Verteidiger. Damit waren wir komplett.

»Nicht mal seine Ex-Frau ist da«, bemerkte Uli leise.

»Die beiden hatten seit der Trennung keinen Kontakt mehr«, flüsterte Nick. »Hat er mir mal erzählt.«

»Irgendwie traurig«, sagte ich. »Niemand, der trauert.«

»Außer uns«, fügte Oliver hinzu.

Wir standen noch einige Minuten schweigend an Fredis letzter Ruhestätte. Dann gingen wir Richtung Ausgang.

»Eine Überdosis?«, fragte ich Nick. Er schüttelte den Kopf.

»Glaube ich nicht. Schlecht gestreckter Stoff. Wahrscheinlich ein Pflanzenschutzmittel.«

»Schweinerei«, fluchte Uli.

Ich blickte Nick fragend an. »Woher weißt du das?«

»Unser Landeskriminalamt war schnell. Dr. Streicher mit seinem Chemiebaukasten hat uns besucht.« Nick grinste. Dann machte er eine Pause und fügte mit besorgter Stimme hinzu: »Fredi ist der dritte tote Junkie innerhalb eines Monats.«

Schweigend gingen wir weiter Richtung Ausgang. Neben einem kleinen Grab blieb ich kurz stehen. Der abgebrochene Zweig einer Zypresse war auf den Grabstein gefallen. Ich trat einen Schritt näher und entfernte ihn. Nick runzelte die Stirn und musterte Namen und Geburtsdatum auf dem schwarzen Marmor.

»Svenja Pjalski, Gott! Sie war erst acht Jahre alte. Eine Verwandte?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

Wir setzten unseren Weg fort und erreichten den Parkplatz am Südeingang des Friedhofs. Er war fast leer. Nur unsere vier Autos standen verteilt im Schatten der wenigen Bäume. Oliver und Uli verabschiedeten sich. Ich zog das Jackett aus und nahm den Autoschlüssel aus der Innentasche.

»Bist du an der Sache dran?«, fragte ich Nick.

Der schüttelte den Kopf. »Es ist eine Mordkommission mit drei Beamten eingerichtet worden. Die Leitung hat Hauptkommissarin Blume.«

»Bist du nicht in der Mordkommission? Mit deiner Erfahrung in der Drogenszene?«

Nick schnaubte. »Nein, nur Berater. Du weißt doch, ich bearbeite nur noch Betrug.«

Nick war als Drogenfahnder gut, sogar sehr gut. Zu gut. Das war ihm vor ein paar Jahren zum Verhängnis geworden als das Innenministerium vollmundig verkündet hatte, das Drogenproblem sei landesweit auf dem Rückmarsch. Wohnungseinbruch sei die neue Kriminalität. Doch gerade als die Politik präzise entschieden hatte, wo die Verbrecher nun arbeiteten, ließ Nick einen großen Rauschgiftring auffliegen, den es eigentlich gar nicht mehr hätte geben sollen. Doch die Dealer hatten sich nicht an die Anweisung des Ministers gehalten. Und Nick war so unverschämt gewesen, das auch noch offenzulegen. Um solche Peinlichkeiten zukünftig zu verhindern, wurde Nick kurzerhand zum Betrugsdezernat versetzt. Seitdem hatte er einen sehr viel ruhigeren Job. Als Drogenfahnder war Nick oft nächtelang nicht nach Hause gekommen, weil er Verdächtige observierte, Einsätze plante und Zugriffe koordinierte. Beim Betrugsdezernat verliefen die Ermittlungen deutlich entspannter. Das kam Nicks Ehe zugute. Das kam Nicks Schlaf zugute. Und das kam Nicks Hobbys zugute. Und trotzdem hasste er es. Nick war ein Bulle, wie er im Buche stand. Eine ruhige Kugel zu schieben lag ihm noch nie. Wäre Nick Hiller Innenminister, dann würde es auf unseren Straßen sehr viel besser aussehen.

»Und was meinst du, Nick? Besteht ein Zusammenhang zwischen den drei Toten?«

Der Hauptkommissar nickte ernst.

»Das Heroin kam vermutlich immer aus derselben Quelle. Bei den beiden ersten Toten war der Stoff in rotem Zellophan eingepackt. Dasselbe Papier haben meine Kollegen neben Fredis Leiche gefunden.«

Nicks Handy klingelte. Er nahm es aus der Hosentasche und nahm den Anruf entgegen.

»Hiller, was gibt es … wieso ich … ja, ja, ja … bin auf dem Weg. Er soll warten.« Mit gereiztem Gesichtsausdruck stopfte er das Handy zurück in die Hosentasche.

»Alles in Ordnung, Nick?«

»Wir haben einen neuen Praktikanten. Der Chef will, dass ich mich um ihn kümmere. Auch noch Babysitter spielen. Mit mir kann man das ja machen. Entschuldige, Siggi, ich muss los.«

Nick wollte in sein Auto einsteigen. Ich griff ihn bei der Schulter.

»Nick, auch wenn du jetzt nur noch Betrug kannst, hör dich doch mal bei deinen alten Quellen um, woher das Zeug kommt.« Er blickte mich fragend an, also fügte ich hinzu: »Es interessiert mich persönlich.«

Nick zuckte mit den Schultern, brummte ein »Für dich doch immer, Euer Ehren« und stieg in sein Auto.