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D a ist sich der Herr Oberstaatsanwalt wohl zu fein für, wie? War ja nur ein alter Junkie! Lohnt sich nicht, die Akte aufzuschlagen« Mit hochrotem Kopf schimpfte ich in den Hörer meines Bürotelefons.

»Jetzt reg dich wieder ab, Siggi«, sagte eine tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung, die Oberstaatsanwalt Dr. Jakob Leiser gehörte. Der Chef des Drogendezernats war einer meiner dicksten Freunde. Und das nicht nur im übertragenen Sinn. Jakob hatte optisch eine gewisse Ähnlichkeit mit Bud Spencer. Nur der Bart fehlte. Seine imposante Statur war durchaus vorteilhaft für einen Staatsanwalt. Jakob machte – noch dazu mit schwarzer Robe – schon allein aufgrund seiner körperlichen Erscheinung erheblichen Eindruck auf einen Angeklagten. Seine tiefe und leicht rauchige Stimme tat das Übrige. In seinem Job war Jakob ein Ass. Hatte er sich einmal in einem Fall festgebissen, war ein Stemmeisen notwendig, um ihn davon loszubekommen. Oder ein Vorgesetzter. Jakobs Obrigkeitshörigkeit ist mir immer wieder unheimlich. Aber das tat unserer Freundschaft trotz einiger handfester Diskussionen keinen Abbruch. Wir kannten uns seit fast zwanzig Jahren.

»Ich habe doch nur gesagt, dass es momentan schwierig ist«, fuhr Jakob fort. »Mir fehlen die Leute. Du weißt doch, wie es bei uns aussieht. Christine ist zum Ministerium abgezogen worden, um dort Klausuren für Examenskandidaten zu erstellen. Anja ist im Mutterschutz und Frau Heuser dauerkrank. Wir sind nur noch zu dritt.«

Bei der Staatsanwaltschaft war die Personaldecke ebenso löcherig wie bei den meisten Gerichten. Das wusste ich nur allzu gut. Eine Folge davon ist, dass viele Verfahren nicht bearbeitet werden können. Zum Teil liegen Akten jahrelang herum und werden höchstens einmal vom einen Büro ins andere getragen, ohne jemals aufgeschlagen zu werden. Geschweige denn gelesen oder bearbeitet. Staatsanwälten bleibt oft gar nichts anderes übrig, als eine Auswahl zu treffen. Auf diese Weise wird aus der Strafverfolgung ein Glücksspiel. Tausende Straftaten bleiben folgenlos. Mit meinem Anruf wollte ich nun dem Glück ein wenig nachhelfen.

»Weiß ich doch alles, Jakob«, begann ich, dieses Mal in einem etwas ruhigeren Tonfall. »Ich bitte dich nur: Schau dir die Akte an. Wenn Nicks Vermutung stimmt …«

»Tut sie doch immer«, unterbrach mich der Staatsanwalt. Jakob kannte Hauptkommissar Hiller noch länger als mich. Die beiden hatten gemeinsam schon so einige Dealer »eingetütet«. Auch Özman Yildiz ging auf ihr gemeinsames Konto.

»Ja. Ist gut. Ich schau es mir an, Siggi.«

»Danke dir! Grüß Hannah von mir.«

»Komm doch mal wieder zum Abendessen zu uns!«

»Gern.« Ich machte eine kurze Pause. »Aber dieses Mal gibst du mir auch was ab, oder?«

Ein tiefes und lautes Gelächter schallte durch den Hörer des Telefons. »Kann ich nicht garantieren, Euer Ehren.«