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C hantal stand im Badezimmer ihrer Wohnung. Genauer gesagt im Badezimmer der Wohnung, die Ayaz für sie angemietet hatte. Sie betrachtete sich im Spiegel. Müde sah sie aus und verweint. Chantal holte tief Luft und blickte ihrem Spiegelbild in die Augen. »Du schaffst das!« Ihre Stimme zitterte. Chantal schluckte. Dann wiederholte sie: »Du schaffst das!« Jetzt klangen die Worte schon sicherer. Fast überzeugend. Und noch einmal. »Du schaffst das!« Chantal nickte ihrem Spiegelbild zu und ging in die Diele. Schon vor drei Stunden war sie aufgestanden, hatte geduscht, sich angezogen und geschminkt. Erst schien das Wochenende gar nicht enden zu wollen, dann war die Nacht auf Montag doch sehr kurz und unruhig gewesen. Geschlafen hatte Chantal kaum. Nervös war sie und unsicher, hatte Angst. Sie wusste, wie brutal Ercan sein konnte. Wie kalt. Wie berechnend. Doch der Hauptkommissar hatte ihr endlich einen Ausweg gezeigt. Eine Chance, von Ercan wegzukommen. Und er hatte gesagt, dass ihr die Staatsanwaltschaft helfen werde. Und Richter Buckmann. Diesen Namen kannte sie von Ayaz und seinen Leuten. Viele hatten Respekt vor ihm, weil er sie schon eingesperrt hatte. Es klingelte an der Wohnungstür. War es tatsächlich schon so spät? Sie schien die Zeit völlig aus dem Blick verloren zu haben. Der Hauptkommissar hatte gesagt, dass er sie um Viertel nach neun abholen und zum Gericht bringen werde. Es klingelte erneut. »Einen Moment, Herr Hiller«, rief Chantal. »Ich komme gleich!« Chantal ging in den Flur und glitt in ihre dunklen Ballerinas. Dann nahm sie die Handtasche vom Kleiderhaken und hängte sie über ihre Schulter. Es klingelte erneut und klopfte an der Tür. »Komme schon!« Chantal griff nach Portemonnaie und Handy auf der Kommode. Mit der freien Hand drehte sie den Schlüssel um, schob den Riegel zurück und öffnete die Tür – eine Stunde zu früh.