28
Ö zman Yildiz lag auf dem Bett in seiner Zelle, die Hände hinter dem Kopf auf dem Kissen verschränkt, und hatte die Augen geschlossen. Um diese Tageszeit ruhte er sich für gewöhnlich aus. Sah man davon ab, dass der Raum nur zehn Quadratmeter groß war, bot er doch einen gewissen Luxus, den man in einer Gefängniszelle üblicherweise vermisste. Doch Yildiz hatte ausreichend Geld und Einfluss, um sich auch hier recht komfortabel einzurichten. Ein nagelneuer Ultra-HD -4K-Flatscreen beträchtlicher Größe nebst Playstation 5, Stereoanlage und Designerlampe hatten ihren Platz gefunden. Und in dem kleinen Badezimmer mit Dusche und Toilette standen ein sündhaft teures Duschgel sowie Shampoo, Deo und weitere Pflegeprodukte von einer namhaften Marke.
Es klopfte an die Zellentür. »Was ist?«, brummte Yildiz ungehalten.
»Entschuldigen Sie die Störung, Herr Yildiz«, antwortete ein junger Schließer. Auch beim Gefängnispersonal wusste man, dass Yildiz sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauern genügend Einfluss hatte, um einem respektlosen Menschen das Leben so richtig zu vermiesen. »Ein Hauptkommissar will Sie sprechen.«
»Is’ gut«, brummte Yildiz, erhob sich mit beindruckender Schnelligkeit von seinem Bett und streckte sich. Trotz der weiten Anstaltskleidung konnte man gleich erkennen, dass Yildiz einiges an Muskelmasse mit sich herumschleppte. Obwohl er nur knapp einen Meter fünfundsiebzig groß war, wog er über hundert Kilo. Yildiz ging zur Zellentür.
»Nun mach schon auf, Mann«, herrschte Yildiz den Schließer an.
»Äh … ja … sofort. Entschuldigung«, antwortete dieser verunsichert und schloss die Tür auf. Yildiz folgte dem Schließer den langen Gang hinunter bis in den Besuchertrakt, in dem auch die Besprechungszellen untergebracht waren. Der Schließer führte Yildiz zu Besprechungsraum II und schloss die schwere Eisentür auf. Jede Zelle hatte zwei Türen. Eine öffnete Richtung Zellentrakt und eine Richtung Besucherbereich. Als der Schließer die Tür aufzog, saß in dem Raum an einem Tisch aus Metall, an dem zwei Stühle gleichen Materials standen, bereits Kriminalhauptkommissar Nick Hiller.
»Hallo, Özman. Schön, dass du zu Hause bist.«
»Herr Kommissar. Wie geht es Ihnen?«, antwortete Yildiz. »Noch immer beim Betrugsdezernat?«
»Momentan habe ich da Pause. Etwas Abwechslung tut ja so gut. Das wirst du auch bald merken. So in etwa sieben Jahren. Setz dich doch. Oder hast du noch was vor?«
Yildiz ging betont langsam zu dem Stuhl auf seiner Seite des Tisches und nahm lässig Platz.
»Was wollen Sie von mir?«
»Nur ein bisschen reden, Özman. Nur ein bisschen reden.«
»Und worüber?«
»Oh, ich darf mir was aussuchen? Na gut. Dann wähle ich das Thema ›Drogen‹. Es geht um deine alte Organisation, Özman. Wie ich höre, hat Ayaz jetzt deinen Platz eingenommen.«
Yildiz verzog keine Miene.
»Ich nehme an, er hat alles so belassen, wie du es damals aufgebaut hattest«, fuhr der Kommissar fort. »Kontaktleute, Lieferwege, Umschlagplätze. War ja alles in bester Ordnung.«
Nicht die kleinste Regung konnte man auf dem Gesicht des Bandenchefs erkennen.
»Wenn du uns ein wenig erhellen könntest, dann würden wir auch was für dich tun. Gelockerte Haftbedingungen. Vorzeitige Entlassung nach Zwei-Drittel-Verbüßung. Wäre das was für dich?«
Nick schwieg und blickte Yildiz in die Augen. Eine halbe Minute war es still in dem kargen Raum. Nur die Geräusche vom Hof drangen durch das schmale Fenster. Ein paar Häftlinge spielten dort offensichtlich Basketball.
»Herr Kommissar«, sagte Yildiz schließlich. »Aufgrund eines Verrates sitze ich hier im Knast. Wissen Sie, was ich mit Verrätern mache?« Er blickte den Kommissar mit seinem stechenden Blick an.
»Ich bin neugierig. Sagst du es mir?«, fragte Hiller unbeeindruckt.
»Ich führe mit ihnen ein intensives Gespräch und überzeuge sie davon, das Atmen dauerhaft einzustellen.«
»Klingt aber gar nicht gesund.«
»Eben. Und weil ich sehr auf meine Gesundheit achte, werde ich niemals jemanden verraten.« Yildiz’ Ton ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass jeder weitere Versuch sinnlos sein würde.
»Aber, Herr Kommissar, wenn Sie sich mal etwas nebenbei verdienen möchten, sagen wir fünfzigtausend Euro, müssen Sie mir nur den Namen von dem Schwein nennen, dem ich den Robinson Club hier zu verdanken habe.«
»Fünfzigtausend Euro? Ich weiß nicht. Das beult die Brieftasche zu sehr aus. Ist unschön. Aber es wundert mich, dass du den Namen immer noch nicht rausgefunden hast.«
Yildiz blickte den Kommissar mit zusammengekniffenen Augen an.
»Wieso?«
Nick lächelte geradezu väterlich milde.
»Du bist doch ein helles Kerlchen, Özman. Wer profitiert denn am meisten von deinem Knastaufenthalt? Das wäre die Frage, die ich mir einmal stellen würde. Und dann würde ich überlegen, ob ich nicht doch das großzügige Angebot von dem netten Herrn Hauptkommissar annehme.«
In Yildiz’ Kopf arbeitete es. Das konnte man förmlich hören.
»Das Gespräch ist beendet«, sagte Yildiz schließlich mit versteinerter Miene, stand auf und trat an die Tür zum Zellentrakt. Mit der flachen Hand klopfte er kräftig dagegen, der Schließer öffnete die Tür, ließ Yildiz heraus und schloss sie wieder. Nick hörte, wie sich die Schritte der beiden Männer entfernten, und lächelte zufrieden. Nicht ganz das Ergebnis, das er sich erhofft hatte, aber immerhin ein Ergebnis.
Kaum hatte der junge Schließer die Zellentür wieder hinter Yildiz verriegelt, nahm dieser ein Buch aus seinem Regal und holte aus dem präparierten Buchrücken ein Handy hervor. Es stellt nicht wirklich ein Problem dar, im Knast an ein Smartphone heranzukommen. Einige Anwälte lassen sich gegen eine entsprechende Gebühr auch gern als Paketzusteller beauftragen. Yildiz gab eine Nummer ein und wartete. Nach einem kurzen Augenblick hörte er ein »Hallo?« aus dem Lautsprecher des Handys.
»Ich bin es. Du musst sofort hierherkommen. Hörst du: sofort!«, sagte Yildiz. Sein Gesprächspartner schien anderer Ansicht zu sein.
»Pass auf, du Arschloch! Entweder du kommst in einer Stunde hierher, oder ich rufe jemanden an, der in zehn Minuten bei dir ist. Hast du das kapiert?«
Yildiz’ schnörkellose Argumentation schien überzeugend zu wirken.
»Gut. Und kein Wort zu Ayaz. Hast du verstanden? Kein Wort!«
Yildiz beendete das Gespräch und löschte die angerufene Nummer. Dann schaltete er das Handy aus und verstaute es wieder im Rücken des Buches, das er zurück in das kleine Regal stellte.