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W arum nicht?« Ich starrte auf mein Glas. Hatte ich die Frage wirklich laut ausgesprochen?
»Warum was nicht?«, fragte Nick zurück und blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Warum kann ich ihn nicht ermorden?« Ich machte eine Pause und grinste. »Wäre doch für einen guten Zweck.«
Nick lachte. Dann tat er so, als würde er ernsthaft über meine Frage nachdenken.
»Mal sehen. Also zunächst einmal hättest du einen Menschen auf dem Gewissen.«
»Schon. Aber keinen besonders netten Menschen.« Treffer. Nick überlegte weiter. Ihn schien die Diskussion offensichtlich zu erheitern. Der Alkohol zeigte auch bei ihm Wirkung.
»Zugegeben. Aber auch für die Ermordung eines weniger netten Menschen würde man dich lebenslang einsperren.«
Da hatte Nick leider recht. Ein Mord kann sehr unangenehme Konsequenzen haben. Ich meine für den Täter. Selbst dann, wenn das Opfer nicht sehr nett gewesen ist. Unsere Rechtsordnung macht da leider keine Ausnahmen. Nun hält sich zwar sehr hartnäckig die Ansicht, deutsche Gefängnisse seien vergleichbar mit der Aida. Trotzdem möchte ich da nicht hin. Also ins Gefängnis. Auf die Aida auch nicht. Nick fühlte sich durch mein Schweigen ermutigt, seine Argumentation weiterzuführen.
»Und davon abgesehen, Siggi, ist es auch gar nicht so einfach, einen Menschen zu ermorden. Schon gar nicht einen Menschen, der wie Ayaz gut bewacht wird, zu Gewalt neigt und selten unbewaffnet ist.«
Auch dieser Punkt ging zweifellos an Nick. Was geeignete Mordwerkzeuge betrifft, war ich als Richter ohnehin schlecht ausgestattet. Ein Arzt kann die Giftspritze benutzen, ein Metzger das Fleischermesser und ein Gärtner die Heckenschere. Aber ein Richter? In Amerika hat er wenigstens so einen kleinen, hübschen Holzhammer. Wobei ich bezweifle, dass damit tatsächlich ein Schädel eingeschlagen werden kann. Auf meinem Schreibtisch finden sich lediglich Kugelschreiber und Papier. Und diese Werkzeuge eignen sich leider nur sehr eingeschränkt dazu, einen Menschen auf direktem Weg ins Jenseits zu befördern. Schon gar nicht einen wehrhaften Menschen wie Ayaz. Ich bin nicht John Wick.
Der Hauptkommissar hatte sich warmgeredet und holte jetzt zum vernichtenden Schlag aus.
»Ach, und bevor ich es vergesse, Siggi: Du bist ein Richter! Richter morden grundsätzlich nicht.«
Nick trank mit triumphierendem Gesicht sein Glas aus, stellte es auf den Tisch und erhob sich. Dann klopfte er mir auf die Schulter. »Gute Nacht, Euer Ehren.« Leicht schwankend ging er zur Wohnungstür, drehte sich noch einmal um und blickte mich an. Dann zog er die Tür hinter sich ins Schloss.
Ich saß weiterhin auf dem bequemen Sessel im Wohnzimmer, die Füße auf den niedrigen Couchtisch gelegt, und starrte vor mich hin. »Richter morden grundsätzlich nicht«, wiederholte ich leise und bedächtig. »Grundsätzlich nicht.«