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D er schwarze BMW schaltete die Scheinwerfer aus und legte die letzten hundert Meter auf dem vom Mondlicht schwach beleuchteten Feldweg zurück. Am Ende eines langen Weizenfeldes hielt er an. Der Fahrer schaltete den Motor aus und öffnete die Tür. Langsam stieg Cedric, Ayaz’ Problembeseitiger, aus und blickte sich um. Sein Chef hatte den Treffpunkt sehr gut ausgewählt. Auf drei Seiten lagen weite Weizenfelder, die es unmöglich machten, sich dem Ort unbemerkt zu nähern. Cedric beugte sich in den Wagen hinein. »Alles klar.«

Die Beifahrertür wurde aufgestoßen, und Ayaz stieg aus. Er trug eine dunkle Chino, ein schwarzes T-Shirt und eine leichte schwarze Lederjacke. Er blieb an der geöffneten Tür stehen. Aus der Innentasche der Jacke holte er ein goldenes Zigarettenetui hervor und ein dazu passendes Feuerzeug. Langsam zündete er sich eine Zigarette an. Ayaz nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch durch die Nase aus.

»Passt mir nicht.«

Cedric blickte seinen Chef an. »Was meinst du?«

»Dass ich hier bin.« Ayaz machte eine Pause. »Aber ich traue dem Holländer nicht.«

»Meinst du, der versucht, uns abzuziehen?«

Ayaz lachte verächtlich und klopfte gegen seine rechte Hüfte. Dort steckte eine geladene Neun-Millimeter-Beretta.

»Das kann er ja mal versuchen.« Er nahm einen weiteren tiefen Zug aus der Zigarette.

»Ich meinte eher die Bullen.«

»Ich dachte, die hätte der Anwalt kaltgestellt?«

Ayaz grinste. »Hat er ja auch. Oder besser: Sein alter Freund hat.« Dann sah er Cedric mit einem stechenden Blick an. »Aber es gibt immer wieder Bullen, die nicht wissen, wann Schluss ist. Und Richter. Die muss man anders kaltstellen. Hörst du, Cedric?«

Cedric wurde verlegen.

»Ja, Boss. Ich höre dich. Das haben wir ja auch versucht …«

»Nicht versuchen. Tun!«, unterbrach ihn Ayaz rau.

»Ja, Boss.« Cedric wagte nicht zu widersprechen.

In der Ferne konnten sie die Scheinwerfer eines Autos erkennen, das auf den Feldweg einbog.

»Da ist der Holländer.«

Noch etwa zweihundert Schritte war das Fahrzeug entfernt, als es die Scheinwerfer ausschaltete. So, wie es Cedric vor einigen Minuten ebenfalls getan hatte. Der glänzende Lack der Motorhaube spiegelte leicht das Mondlicht wider, ansonsten war es dunkel. Noch hundert Schritte lagen zwischen ihnen. Ayaz blickte sich erneut um. Irgendetwas gefiel ihm nicht. Noch zwanzig Schritte. Der Wagen stoppte. Unwillkürlich wanderten die Fingerspitzen von Ayaz’ Hand an den Griff seiner Beretta. Mit der linken Hand schnippte er die Zigarette weg. Ayaz hielt den Atem an, als sich die Beifahrertür des anderen Fahrzeugs öffnete und eine dunkle Gestalt ausstieg.

»Bist du es, Ayaz?«, hörte er die vertraute Stimme des Holländers. Ayaz entspannte sich und hob die rechte Hand von der Waffe weg zum Gruß.

»Ja. Hast du mein Zeug?«

»Hast du das Geld?«

»Zeig erst mal, was du hast!«

Der Holländer griff in den Innenraum des Pkw und holte eine Sporttasche hervor. Anschließend ging er langsam auf den BMW zu und stellte sie auf die Motorhaube des Fahrzeugs. Ayaz trat näher, und der Holländer öffnete den Reißverschluss.

»Bitte, überzeug dich.«

Ayaz holte einen Einweghandschuh aus seiner Hosentasche, streifte ihn über und nahm ein Plastikbeutelchen aus der Reisetasche, in dem sich grau-grünliche Knospen befanden. Er öffnete den Beutel und roch daran. Dann nahm er ein paar Krümel und zerrieb sie zwischen den Fingern. Ayaz verschloss den Beutel und legte ihn zurück, ergriff einen anderen und wiederholte die Prozedur.

»Mmh. Ist gut. Wie viel?«, fragte Ayaz und zog den Handschuh aus.

»Zehn«, sagte der Holländer.

»Nee. Acht«, antwortete Ayaz.

»Komm, Ayaz. Das ist gutes Zeug. Und das weißt du. Also gut. Neun.«

»Achteinhalb.«

»Ist gut«, nickte der Holländer.

Ayaz fasste in die Innentasche seiner Jacke und holte ein Bündel Fünfhunderter hervor. Er zählte siebzehn Scheine ab und drückte sie dem Holländer in die Hand.

»Fahrt ihr zuerst. Beim nächsten Mal kommt einer meiner Leute.«

Der Holländer nickte und stieg wieder in sein Fahrzeug. Der Fahrer wendete, und der Pkw entfernte sich. Bald schon war er in der Dunkelheit kaum noch zu erkennen. Die Motorengeräusche wurden immer leiser. Kurze Zeit später war es wieder still.

Ayaz verschloss die Reisetasche und verstaute sie im Fußraum vor dem Beifahrersitz. Dann nahm er seine Beretta, zog den Einweghandschuh darüber und versteckte sie unter einem großen Stein am Wegrand.

»Handeltreiben mit Waffen gibt fünf Jahre. Ohne nur eins«, erklärte er Cedric. »Hat der Anwalt mir gesagt.« Cedric würde die Pistole am nächsten Tag abholen.

Ayaz und Cedric stiegen in den BMW und fuhren los. Sie fuhren denselben Feldweg entlang, den sie gekommen waren. Schließlich kamen sie an ein langes Maisfeld und bogen auf eine kleine einspurige Straße ein. Kaum waren sie um die Kurve gefahren, entdeckten sie auf der linken Seite das Fahrzeug des Holländers. Es stand an der Seite und hatte die Motorhaube geöffnet. Über der Motorhaube lehnten zwei Personen.

»Dieser Idiot«, schnauzte Ayaz. »Ausgerechnet hier. Halt mal an, Cedric.«

Cedric hielt mit dem BMW hinter dem dunklen Fahrzeug. Ayaz stieg aus.

»Können wir dir helfen?«

In dem Moment leuchteten von drei Seiten mobile Strahler auf.

»Polizei. Keine Bewegung!«, brüllte Nick und kam mit gezogener Waffe aus dem Maisfeld. In Begleitung eines Dutzend weiterer Beamten. Auch die beiden Gestalten an der Motorhaube hatten sich umgedreht und gingen mit gezogenen Pistolen auf Ayaz und Cedric zu. Eine der beiden Beamten war Hauptkommissarin Blume. Vom Holländer fehlte jede Spur.

Blume zerrte Cedric aus dem Fahrzeug, der laut fluchte. »Verdammt. Nimm die Finger von mir, du Schl…« Er musste feststellen, dass es äußert schwer ist, die Buchstaben »ampe« auszusprechen, wenn man ein Grasbüschel zwischen den Zähnen hat, in das die Hauptkommissarin seinen Kopf drückte, unmittelbar nachdem sie ihn gekonnt zu Boden gebracht hatte.

»Was wolltest du sagen?«, fragte sie Cedric, während sie ihm routiniert Handschellen anlegte, erhielt aber keine Antwort.

Nick näherte sich Ayaz, während er von zwei Kollegen gesichert wurde.

»Nimm ganz langsam die Hände hoch, Ercan. Ich weiß, dass du eine Waffe trägst.«

»Irrtum, Herr Kommissar«, erwiderte Ayaz lächelnd und hob die Hände. »Ich bin ein friedlicher Mensch. Ich trage keine Waffe.«

Ayaz erging es nicht besser als Cedric. Nachdem auch ihm Handschellen angelegt worden waren, stellte man die beiden wieder auf die Beine. Etwa dreißig Sekunden später hielten vier Polizeifahrzeuge auf der kleinen Straße.

»Der Holländer?«, wollte Ayaz wissen.

»Ist schon auf dem Weg zum Polizeigewahrsam. Er war so freundlich, uns seinen Wagen zu leihen.« Nick lächelte zufrieden und steckte seine Schusswaffe zurück ins Holster. »Wollen doch mal sehen, was ihr Schönes mitgebracht habt.«

Nick ging zur Beifahrertür des BMW und leuchtete mit einer Taschenlampe in den Wagen.

»Ah, was haben wir denn da?« Nick streifte sich einen Einweghandschuh über und holte die Sporttasche heraus. Vorsichtig öffnete er den Reißverschluss und roch. »Etwa ein Kilogramm Gras«, rief er den umstehenden Beamten zu.

»Habt ihr seine Waffe?«

»Fehlanzeige. Keine Schusswaffe«, sagte Kommissarin Blume, die Ayaz durchsucht hatte.

Nick und seine Kollegen kontrollierten den BMW gründlich, doch ohne Ergebnis. Außer ein paar Zigarettenschachteln, dem Verbandskasten und ein paar Werkzeugen fanden sie nichts. Nick fluchte leise. Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hatte nur eine Mindeststrafe von einem Jahr. Mit Waffe wären es mindestens fünf Jahre gewesen. Hatte Ayaz überhaupt eine Waffe bei der Übergabe mit sich geführt, dann hatte er sie gut versteckt, und es würde Hunderte Beamten brauchen, um sie zu finden. Und Zeit. Sehr viel Zeit. Zeit und Leute, die Nick nicht hatte.