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A uf diesen Moment hatte ich lange warten müssen. Zum zweiten Mal saßen Ayaz und ich uns gegenüber. Für einen Mann in Handschellen, dem ein Strafverfahren wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln drohte, machte er einen auffällig entspannten Eindruck. Fast etwas gelangweilt saß er neben Rechtsanwalt Bollmann und hörte meinen Ausführungen mit einem selbstbewussten Lächeln zu.
»Möchte Ihr Mandant etwas sagen?« Im Sitzungssaal sprachen Oli und ich uns stets förmlich an. Oli neigte sich nach vorn.
»Mein Mandant bestreitet den Vorwurf ganz entschieden. Er wusste nichts von den Betäubungsmitteln in der Reisetasche. Die Tasche lag schon im Auto, als er einstieg. Mein Mandant geht davon aus, dass sein Bekannter Cedric die Tasche ins Auto gelegt hat. Weitere Angaben werden vor Einsicht in die Ermittlungsakte nicht gemacht.« Also war zwischen Cedric und Ayaz abgesprochen, dass Cedric die volle Schuld auf sich nehmen und seinen Boss entlasten sollte.
»Das stimmt mit dem überein, was Cedric in seiner Vernehmung gesagt hat«, erklärte ich. Ayaz’ selbstbewusstes Lächeln verwandelte sich in ein selbstzufriedenes Grinsen. Das Grinsen verschwand jedoch etwa ein bis zwei Sekunden, nachdem ich den vorbereiteten Haftbefehl aus der Akte zog und begann, ihn zu verlesen.
»… wird die Untersuchungshaft angeordnet. Er wird beschuldigt, gemeinsam mit …«
»Haben Sie was an den Ohren?«, brüllte Ayaz.
Es gibt zwei Möglichkeiten, auf einen unverschämten Zwischenruf eines Beschuldigten zu reagieren. Ich entschied mich ausnahmsweise für die andere.
»Wieso?«, fragte ich freundlich und mit einem Blick, den kein Wässerchen trüben konnte.
»Ich habe doch gesagt, ich habe keine Ahnung von dem Zeug gehabt. Und Cedric hat das bestätigt.« Sein Kopf war hochrot.
»Ja, das ist richtig«, sagte ich zustimmend und fügte mit ahnungslosem Gesicht hinzu: »Und?«
»Warum wollen Sie mich dann in Haft nehmen?« Ayaz schnaubte immer noch vor Wut, war mittlerweile aber auch etwas verwirrt.
»Ach so!« Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »Jetzt verstehe ich Sie! Das tut mir leid. Hatte ich Ihnen das Gefühl gegeben, ich würde Ihnen glauben? Das wäre mir reichlich unangenehm.«
Ayaz wusste nicht, was er sagen sollte. Die angenehme Stille nutzte ich, um den Rest des Haftbefehls zu verlesen. Bollmann regte an, den Haftbefehl gegen Kaution außer Vollzug zu setzen. Ich lehnte ab.
»Sie kommen jetzt in die JVA Neustadt«, erklärte ich ihm und unterschrieb das Aufnahmeersuchen. »Ich ordne die strikte Trennung von ihrem … Bekannten an.«
»Mein Mandant hat mich gebeten, Beschwerde gegen den Haftbefehl einzulegen, was ich hiermit tue. Ich bitte, dies zu Protokoll zu nehmen.« Oliver tat seine Pflicht wie immer gewissenhaft.
»Kommt ins Protokoll«, sagte ich und blickte zu Bine hinüber, die, ohne von ihrem Bildschirm aufzusehen, nickte und in ihre Tastatur tippte.
Ayaz stand auf und wurde von Micha aus dem Saal geführt. An der Tür blieb er noch einmal stehen, drehte sich langsam um und sah mich an.
»Wir sehen uns wieder, Herr Buckmann.« Nein, tun wir nicht, aber das weißt du jetzt noch nicht.
»Wenn Sie das sagen«, antwortete ich lächelnd.
Dann verschwanden Micha und Ayaz.
Ich unterschrieb das von Bine ausgedruckte Protokoll und verabschiedete mich.
»Ich bin jetzt weg. Wenn noch irgendetwas sein sollte, ruf mich auf dem Handy an. Duracell ist für Notfälle auch noch im Haus. Wenn du also irgendeine Unterschrift brauchst, weißt du Bescheid.« Es konnte ja immerhin sein, dass ich nicht erreichbar sein würde.
Ich ging ins Büro und schaltete den Computer und meinen Kaffeeautomaten aus. Dann deponierte ich sorgfältig mein Smartphone auf dem Schreibtisch und schlug eine Akte darüber auf, sodass es aussah, als hätte ich das Telefon darunter vergessen.