Francesca war zu Bryn in den Jeep gestiegen. Die Luft flimmerte über der glühenden roten Erde. Die ersten Trommeln waren zu hören. Ihre dumpfen Töne hallten von den fernen Bergen wider. Andere Trommeln kamen dazu und nahmen den Rhythmus auf. Tharum, tharum … es war ein primitives, erregendes Konzert.
Die Eingeborenen teilten sich über Meilen hinweg ihre Botschaften mit. Durch Bryns Ankunft waren die Vorahnungen bestätigt worden. Der „Eiserne Mann“ lebte nicht mehr. Die Nachricht war jetzt offiziell und wurde über die Ranch und das umliegende Land verbreitet.
„Nellie sorgt sich um mich“, sagte Francesca. „Ich wette, sie hat dich mit Warnungen überhäuft.“
„Dein Wohl liegt ihr und ihren Freunden sehr am Herzen.“ Bryn sah Francesca von der Seite an. Sie hatte ihren Hut abgenommen und auf den Rücksitz geworfen, sodass er ihr zartes, feines Gesicht ungehindert betrachten konnte. Sie erschien ihm weit schöner als ihre Cousine. Ihr dicker Zopf war unten mit einem elastischen Band und oben mit einem violetten Seidentuch zusammengehalten, das ihren Augen – so unglaublich es auch erschien – einen veilchenblauen Schimmer verlieh. „Du hast dich wunderbar für sie eingesetzt … noch dazu aus den lautersten Motiven.“
„Das versteht sich von selbst.“ Francesca tat das Lob mit einer Handbewegung ab. „Muss man Nellies Warnungen ernst nehmen?“
„Da es um dein Wohl und deine Sicherheit geht …“
„Wer könnte mir etwas anhaben? Ich bin für niemanden wichtig … am wenigsten war ich es für den armen Grandpa. Möge seine gequälte Seele endlich Frieden finden. Ich weiß, dass er nicht frei von Selbstvorwürfen war.“
Sie haben nicht viel bewirkt, dachte Bryn erbittert, ging aber nicht weiter darauf ein. „Du bist eine Forsyth“, erinnerte er Francesca. „Ganz bestimmt hat dich dein Großvater in seinem Testament großzügig bedacht. Schließlich hatte er genug zu vererben. Er war vielfacher Milliardär.“
„Was für eine Verantwortung!“ Francesca sagte das mit spürbarer Anteilnahme. „Zu viel Geld ist ein Fluch. Männer, die ein riesiges Vermögen anhäufen, werden zum Problem für ihre Erben.“
Bei den letzten Worten dachte sie an ihren Onkel Charles, was Bryn offenbar auch tat. „Es gibt ein altes chinesisches Sprichwort … vielleicht stammt es auch aus Persien. ‚Je größer das Dach ist, desto mehr Schnee sammelt sich darauf.‘ Der arme Charles hat schwere Zeiten hinter sich. Francis hat ihn von früh auf schlecht behandelt, weil er seinen Maßstäben nicht entsprach.“
„Das war grausam von ihm“, stellte Francesca seufzend fest. Lag hier die Ursache dafür, dass Charles seine einzige Tochter wie eine Prinzessin verwöhnt hatte?
„Allerdings. Dein Vater war viel begabter, aber er wollte sich nicht einfügen. Dabei half ihm sein starker Charakter. Charles hat sich nach Kräften bemüht, leider fehlt ihm der Wille, die Position des Chefs einzunehmen. Er wird nur wegen seines Namens respektiert.“
„Die Forsyths haben sich viele Feinde gemacht“, gab Francesca zu, denn sie hatte selbst zu diesen gehört. „Neid ist dabei nicht der einzige Grund. Die Macallans sind auch reich und dabei hoch geachtet. Sir Theodore wurde geradezu verehrt.“
„Er war ein großer Menschenfreund“, bestätigte Bryn, der ungeheuer stolz auf seinen Großvater war.
„Und ein bedeutender Mann“, setzte Francesca hinzu. „Sein Leben war von keiner dunklen Wolke überschattet. Ich habe nie begriffen, was Grandpa deiner Familie nach Sir Theodores Tod angetan hat. Niemand spricht darüber.“
„Das werde ich auch nicht tun“, erklärte Bryn ernst. „Es wäre der schlechteste Zeitpunkt.“
„Natürlich“, lenkte Francesca sofort ein. „Aber die Sache beschäftigt dich noch?“
„Und wie.“ Er warf ihr einen raschen Blick zu. „Du könntest zum Beispiel zu den Feinden gehören.“
Francesca sah angespannt aus dem Fenster. Wie wunderbar der Regen die Wüste zum Leben erweckt hatte! „Du weißt, das stimmt nicht.“ Sie liebte ihn grenzenlos und würde es immer tun.
Bryn lachte kurz auf. „Du bist allerdings keine typische Forsyth.“ Sie erinnerte ihn mehr an einen Engel unter Dämonen.
„Hasst du uns?“ Die Frage kostete Francesca einige Überwindung, wenngleich sie berechtigt war. Lady Antonia hatte Sir Francis zutiefst verachtet. Dafür musste es einen Grund geben.
Ein Schatten glitt über Bryns Gesicht. „Das könnte ich niemals, Francey. Wie kommst du nur auf die Idee?“
„Man kann niemanden hassen, dessen halbe Seele man besitzt“, gab sie zu. Für sie selbst änderte sich alles, sobald sie mit Bryn zusammen war. Sie lebte intensiver und empfand eine prickelnde Spannung, die Leib und Seele erfasste.
Bryn sah sie überrascht an. „Glaubst du immer noch daran?“
„Ohne dich wäre ich jetzt nicht hier“, antwortete sie und seufzte leise. „Deshalb will ich, dass wir Freunde sind.“
„Nun, das sind wir“, versicherte er mit ironischem Unterton. „Ich möchte, dass du mir etwas versprichst, Francey.“
„Wenn ich kann …“
„Du musst“, bekräftigte er und wich einem roten Felsblock aus, der wie ein vorzeitliches Ungeheuer zwischen den dichten goldgelben Grasähren lauerte. „Wenn du dich unsicher fühlst oder dir wegen etwas Sorgen machst, bin ich immer für dich da. Wirst du daran denken?“
„Das verspreche ich.“
„Wirklich?“
„Wirklich. Ich breche nie ein Versprechen. Es ist für mich wie ein Schwur.“
„Das wollen wir mit einem Händedruck besiegeln.“ Bryn trat auf die Bremse und hielt im Schatten einiger Akazien, die sich reich mit süß duftenden Rispen geschmückt hatten. „Gib mir deine Hand.“
Francescas Herz begann heftig zu klopfen. „Einverstanden“, sagte sie und reichte ihm die Hand. Ob ihr Gesicht ihren inneren Aufruhr verriet? Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben. Sie fürchtete Bryn Macallan und die Macht, die er über sie besaß. Das ging so weit, dass sie Angst hatte, mit ihm allein zu sein, obwohl sie sich manchmal stundenlang nach ihm sehnte.
Bryn ergriff ihre Finger – nicht sanft, sondern fest, als wollte er ihr dadurch klarmachen, wie ernst er ihr Einverständnis nahm. Für Francesca war es eine verwirrend intime Berührung. Ihr Blut pulsierte schneller, gleichzeitig empfand sie eine süße Schwäche. Für wenige atemberaubende Momente überließ sie sich ihrem Verlangen und ihren Wünschen. Sie liebte Bryn Macallan. Das war nie anders gewesen. Er bildete den Mittelpunkt ihres Lebens. Dabei wusste sie, dass Carina zu ihm gehörte. Trotzdem handelte sie nicht danach. Welche Demütigung! Sie musste sich stärker dagegen wehren.
„Wie mag das alles enden, Francey?“, fragte Bryn leise, ohne ihre Hand loszulassen, wie sie erwartet hatte. „Du weißt, dass ich ‚Titan‘ übernehmen will?“
Francesca antwortete nicht gleich. „Ich kenne deinen Ehrgeiz“, sagte sie dann, „und ich weiß, dass du ernste Absichten hast. Du deckst deine Karten nicht auf, aber es wird dir vermutlich nicht schwerfallen, Onkel Charles auszumanövrieren.“
„Bestimmt nicht.“ Das klang nicht etwa überheblich. Es war lediglich die Feststellung einer Tatsache.
„Grandpas größter Wunsch war, dass du und Carrie heiraten würdet. Ihr solltet die feindlichen Familien versöhnen.“
„Das ist mir klar.“ Bryns Ton verriet keine große Begeisterung. Jedenfalls kam es Francesca so vor.
„Wird sich dieser Wunsch erfüllen?“
Bryn wusste, dass sich Carina zu seiner erbittertsten Feindin wandeln würde, wenn die lang ersehnte Verbindung nicht zustande kam. Darüber musste er lachen, aber es klang nicht heiter. „Überlass das alles mir“, bat er. „Im Moment gilt meine Sorge ausschließlich dir.“
„Mir?“ Ihr wurde glühend heiß, und sie fand keine weiteren Worte.
„Ja, dir. Warum überrascht dich das so? Wir sehen uns selten … viel seltener, als ich möchte.“ Als sie weiter schwieg, drückte er ihre Hand fester und zog sie überraschend an die Lippen.
„‚Und so im Kusse sterb ich‘“, zitierte er Romeo aus Shakespeares berühmter Tragödie.
Francescas Herz setzte einen Schlag aus. Sie kannte Romeos Sterbeworte, aber was dachte sich Bryn dabei, sie zu zitieren? Sie war verwirrt – durch den Kuss ebenso wie durch den rätselvollen Ausdruck in seinen Augen. Ahnte er nicht, welche Qual es bedeutete, ihn zu lieben und dabei zu wissen, dass er zu Carina gehörte? Doch wie konnte er das? Sie tat ja alles, um ihre wahren Gefühle zu verbergen.
„Verlass dein Schneckenhaus, Francey“, fuhr er beinahe heftig fort. „Du hast dich lange genug darin versteckt.“
Der leise Vorwurf kränkte Francesca, umso mehr, als er berechtigt war. „Ich wollte mich nur schützen“, verteidigte sie sich.
„Das verstehe ich.“
„Würdest du jetzt bitte meine Hand loslassen?“
„Natürlich.“ Bryn gab sie sofort frei und schaltete den Motor wieder ein. „Wir sollten uns ohnehin beeilen. Ich möchte nicht lange bleiben.“
„Ich bin bereit“, erklärte sie, aber sie fühlte sich schlecht dabei.
Der Jeep holperte weiter über die sonnendurchglühte Ebene, begleitet von einem Schwarm bunter Papageien, den Francesca erst jetzt bemerkte. Sie sah zu den Vögeln auf und fragte sich, ob und wann sie „Daramba“ wiedersehen würde.
Die forsythschen Ländereien gehörten natürlich zum Erbteil ihres Onkels, obwohl er sich nie sonderlich dafür interessiert hatte. Wie allen Bewohnern des großen Inselkontinents – speziell Westaustraliens – waren ihm weite, offene Landschaften und die ihnen eigene Leere vertraut. Nur „Daramba“ blieb ihm irgendwie unheimlich. Dort war Gulla Nolan auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Nach einer langen, erfolglosen Suche war man zu dem Schluss gekommen, Gulla sei im Alkoholrausch in einer der vielen Lagunen ertrunken oder in einem Sumpf erstickt. Seine Vorliebe für Schnaps war allgemein bekannt gewesen, was Francis Forsyth und Theodore Macallan nicht gehindert hatte, ihn auf ihren Expeditionen als Führer mitzunehmen. Dabei hatten sie auch das Eisenerzlager am Mount Garnet entdeckt.
Bis zum heutigen Tag kannte niemand Gullas Schicksal. In Würdigung seiner Verdienste hatte Sir Theodore einen Treuhandfonds für Gullas Nachkommen eingerichtet, der im Lauf der Jahre beträchtliches Kapital aufwies. Ein Enkel von ihm hatte mithilfe dieser finanziellen Mittel studiert und war erfolgreich in die Politik gegangen. Er galt als entschiedener Gegner der Forsyths – für Charles ein Grund mehr, „Daramba“ und möglicherweise alle Ländereien aus dem Familienbesitz zu verkaufen.
In einer Hinsicht war die Beisetzung von Sir Francis Forsyth einmalig. Niemand weinte. Keiner konnte für den Mann, der als grausam und selbstherrlich gegolten hatte und nie zu den großen Söhnen Westaustraliens gezählt worden war, eine Träne vergießen.
Trotzdem war die anglikanische Kirche „St. George’s“ – ein relativ schlichter neugotischer Bau aus der viktorianischen Zeit – bis auf den letzten Platz besetzt. Alle, die in der Öffentlichkeit etwas darstellten, waren gekommen: ein Senator aus Canberra als Vertreter der Regierung, der Ministerpräsident von Westaustralien, der Gouverneur von Westaustralien, der Sir Francis einmal „einen imponierenden alten Schurken“ genannt hatte, und verschiedene Würdenträger aus Kirche, Wirtschaft und Justiz. Alle saßen auf der rechten Seite hinter den Forsyths. Die linke Seite war den Macallans vorbehalten.
Man konnte es nur als Ironie bezeichnen, dass nicht der Verstorbene, sondern sein ehemaliger Teilhaber und Mitbegründer von „Titan“, Sir Theodore Macallan, überall beliebt gewesen war. Er hatte als echter Gentleman gegolten, als Mann mit Herzensbildung und angenehmen Manieren. Seine Wohltätigkeit war sprichwörtlich gewesen, während Sir Francis bei seinen Spenden nur auf Steuervergünstigungen geachtet hatte – natürlich streng im Rahmen der Gesetze. Er hatte sich immer als ganz normalen Steuerzahler bezeichnet, aber konnte man Milliardär werden, ohne eine Armee von Anwälten zu beschäftigen, deren einziges Ziel es war, den Forsyth-Konzern vor fremden Ansprüchen zu schützen?
Carina, die Forsyth-Erbin, sah nach allgemeinem Urteil fabelhaft aus. Jeder versuchte, einen Blick auf sie zu erhaschen, obwohl später ein Bericht über die Beisetzungsfeierlichkeiten im Fernsehen gesendet werden sollte.
Die Vorschriften für kirchliche Feiern waren seit einigen Jahren merklich gelockert worden. Man spielte modernere Musik, und wer etwas über den Verstorbenen sagen wollte, bekam uneingeschränkt die Gelegenheit dazu. Auch der modische Geschmack hatte sich gewandelt. Die meisten Trauergäste, denen die Welt ohne Sir Francis weitaus lebenswerter erschien, hatten sich angezogen, als wollten sie keinen Gottesdienst, sondern den berühmten „Melbourne Cup“ besuchen. Man spürte sogar etwas von der dort üblichen Spannung. Wer alte Freunde traf, musste aufpassen, nicht laut zu sprechen oder zu lachen. Diskretes Lachen war nur während der – teilweise humorvollen – Nachrufe erlaubt.
Carina Forsyth stahl allen die Schau. Wie gewöhnlich trug sie die teuerste Garderobe und den kostbarsten Schmuck. Jeder staunte über ihre Perlenkette, bei der jede der drei Reihen auf hunderttausend Dollar geschätzt wurde. Niemand sprach mehr über den jüngsten Skandal, bei dem eine Dame der Gesellschaft die Forsyth-Erbin bezichtigt hatte, eine Affäre mit ihrem Ehemann zu haben. Dabei sollte sogar der Ausdruck „Schlampe“ gefallen sein. Das war heute vergessen – zumindest während der Trauerfeier. Später, beim Umtrunk zu Ehren des Verstorbenen, würde es vielleicht anders zugehen.
Francesca, die „zweite Besetzung“, war im Gegensatz zu ihrer Cousine betont schlicht angezogen. Sie hatte sich für ein schlichtes schwarzes Kostüm, einen dezenten Hut und kaum Schmuck entschieden und die Haare zu einem Nackenknoten frisiert, der mit einem schwarzen gerippten Seidenband gehalten wurde. Sie hatte sogar eine Sonnenbrille aufgesetzt, hinter der sie sich verstecken konnte. Nicht, dass Francesca so etwas nötig gehabt hätte. Sie erfreute sich in der Öffentlichkeit eines ausgezeichneten Rufs. Als eine Forsyth hätte sie ihrer Cousine nacheifern und wie eine Schmarotzerin leben können, aber sie setzte sich für gute Zwecke ein, wie ihre allgemein beliebte Tante Elizabeth, die sonderbarerweise bei den Macallans saß.
Das größte Interesse galt neben den beiden Erbinnen dem Testament von Sir Francis. Was hatte er darin verfügt? Dass sein Sohn Charles den größten Teil erben würde, unterlag keinem Zweifel, obwohl er in der Geschäftswelt nicht als großes Licht angesehen wurde. Es existierten mehrere Treuhandfonds, die auch entfernten Verwandten ein Einkommen sicherten, doch das meiste des Forsyth-Vermögens würde traditionsgemäß dem ältesten Sohn zufallen. Sir Francis’ zweiter Sohn Lionel, mit dem er sich schon früh überworfen hatte, lebte nicht mehr.
Charles Forsyth saß, für alle sichtbar, in der ersten Reihe auf der rechten Seite. Links erkannte man Bryn zwischen seiner Großmutter, Lady Antonia Macallan, und seiner schönen Mutter Annette, die trotz zahlreicher Anträge nach dem tragischen Unfalltod ihres Mannes nicht wieder geheiratet hatte. Bryn Macallan galt als hochkarätig. Man wusste, dass er sich unter Sir Francis auch bei schwierigen Aufgaben glänzend bewährt hatte. Er zählte landesweit zu den begehrtesten Ehekandidaten, war aber immer noch Junggeselle. Aus der von Sir Francis angestrebten Verbindung zwischen den Forsyths und Macallans war bisher nichts geworden. Man zweifelte jedoch nicht daran, dass sie in absehbarer Zeit zustande kommen würde.
Der Minengigant „Titan“ war einfach zu groß, um einer Familie zu gehören oder von einem Mann geleitet zu werden. Allerdings sah es so aus, als könnte Bryn Macallan aufgrund seiner Familiengeschichte, seines scharfen Intellekts und seines brillanten Geschäftssinns dieser Mann werden. Waren das nicht einzigartige Voraussetzungen für eine eheliche Verbindung mit Carina Forsyth? Das Schicksal hatte sie beide auf die oberste Stufe gestellt.