16.10.2005
Mein Gott, bin ich deprimiert. Die Sache mit der Taube war ein Fehlschlag. Dabei hatte ich alles genau durchdacht. Es lief halt nur etwas unglücklich. Jetzt kann ich es ja verraten: Natürlich habe ich die Taube heimlich ins Dorf geschmuggelt. Ich war auch derjenige, der sie anschließend mit einer Marmeladenbrötchen-Flatrate nach Strich und Faden verwöhnt hat. Die Taube hatte ich im Internet bestellt. Auf youtaube.
Nachdem ich den Vogel ausgesetzt und versorgt hatte, fuhr ich mit Teil zwei des Plans fort: die Gefahr, die von der Taube ausging, etwas überzudramatisieren. Nicht, dass die Menschen im Dorf glaubten: »Pah, nur ein Täubchen. Das kann uns nichts.«
Zu diesem Zweck hatte ich eine breit angelegte PR-Kampagne gefahren. Mit dem Kommunikationsziel, das Dorf in Panik zu versetzen. Zunächst war ich zwei Tage lang mit einem Megaphon durch die Straßen gezogen und hatte gerufen:
»Liebe Jufer! Wir haben eine Taube im Dorf! Bitte bleiben Sie in Ihren Häusern! Ich habe die Lage im Griff! Sobald es Neues zu berichten gibt, melde ich mich wieder. Ach so. Es herrscht Ausnahmezustand. Hatte ich nicht gesagt, oder? Ihr Jan-Uwe Fitz, Taubenvergrämer vor dem Herrn.«
Fünf Minuten später lief ich noch einmal durch das Dorf und fügte hinzu:
»Liebe Jufer! Es wird schlimmer und schlimmer! Nur für den Fall, dass Sie das nicht selbst bemerken. Aber bitte bleiben Sie ruhig. Ich habe die Lage noch besser im Griff als eben. Ich will nicht angeben, aber ich bin beruhigt, dass wir mich haben.«
Dann ging es ans Vergrämen. Natürlich unter größtmöglicher Eigen-PR. Am Anfang rief ich laut, damit es alle im Dorf hören konnten:
»Haha, Taube! Da bist du aber zur falschen Zeit am falschen Ort. Mit dem Taubenvergrämer von Juf ist nicht zu spaßen. Lange wirst du unser Dorf nicht mehr unsicher machen! Gut für Juf, dass es mich hat. Aber schlecht für dich! Schuft. Oder Schuftin.«
Um den dramatischen Effekt noch zu steigern, hatte ich die Taube auch antworten lassen.
»Pah! Ihr Hurensöhne. Und Hurentöchter. Euch mache ich ALLÄÄÄ!«
Darauf hatte ich – wieder mit meiner echten Stimme – erwidert: »Das werden wir ja sehen! Du elende Taube. Oder Täubin.«
»Wie hast du mich genannt?«
»Elende Taube! Oder Täubin!«
»Boah. Ich hatte es ja schon mit vielen Taubenvergrämern zu tun, aber du scheinst ein besonders guter zu sein.«
»Vielen Dank für das Kompliment.«
»Gern geschehen. Du hast es verdient.«
Heute weiß ich, dass mein Konzept doch die eine oder andere Lücke aufwies. Ich will nicht sagen, dass es gescheitert ist, aber »Rohrkrepierer« scheint mir recht passend zu sein. Vielleicht wäre ohne Herrn Menkes Eingreifen alles anders gelaufen, aber woher sollte ich wissen, dass einer meiner bescheuerten Mitbürger das Haus verlässt? Dass er dazu trotz meiner PR-Maßnahmen den Mut findet? Und dann sogar noch bereit ist, die Taube eigenhändig zu vergrämen, weil ich das nicht schaffe?
Mal abgesehen davon, dass ich gar nicht weiß, wer mich für meine Vergrämung bezahlt hätte. Haben wir in Juf überhaupt einen Bürgermeister? Ach, so viele Fragen, die ich im Vorfeld doch nicht bedacht hatte.
Herr Menke hat die bewusstlose Taube jedenfalls mit nach Hause genommen. Obwohl es eigentlich meine war. Aber das konnte ich schlecht zugeben, sonst wäre herausgekommen, dass ich hinter dem Tauben-Komplott steckte. Und wie hätte das ausgesehen? Ein Taubenvergrämer, der heimlich seine eigene Nachfrage schafft. Das wäre so verwerflich, als würde ein Virenschutzprogrammhersteller selbst Viren programmieren und in Umlauf bringen. Oder ein Geheimdienst heimlich Anschläge gegen das eigene Land initiieren.
Etwas Gutes hatte die Begegnung mit Herrn Menke aber doch: Ich habe eingesehen, dass ich in Juf nie auf einen grünen Zweig kommen werde. Dass es eine Illusion ist, in Juf jemals eine Taube zu vergrämen. Ich habe doch alles probiert und mich dabei streng an die Tipps des Ratgebers »Dann tun Sie doch einfach so, als wären Sie ein erfolgreicher Taubenvergrämer« gehalten. Ein paar Auszüge:
1. Schaffen Sie ein neues Feindbild.
Es gibt vielleicht keine Tauben in Ihrem Ort, aber Meisen, Spatzen, Finken und Amseln. Also erklären Sie kurzerhand diese Vögel zu Schädlingen. In Gesprächen betonen Sie beiläufig, wie gefährlich zum Beispiel Amseln sind. Orientieren Sie sich bei Ihren Horrorszenarien an den schlechten Eigenschaften der Tauben – denn auch Amseln koten. Und warum sollten deren Ausscheidungen harmloser sein als Taubenkot? Flechten Sie in das Gespräch ein: »Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Amselkot mehr Erreger enthält als Taubenkot. Muss man sich mal vorstellen!« Und erklären Sie, dass nur die Amsellobby daran schuld sein kann, dass das niemand weiß. Die hätte Einfluss bis in höchste Regierungskreise. Falls Sie es sich finanziell leisten können, schalten Sie Anzeigen und lassen Sie Plakate, Flyer und Broschüren drucken, in denen die Gefährlichkeit der Amseln kommuniziert wird. Slogan: »Amseln – die Teufel der Lüfte«.
2. Behaupten Sie, es sei Ihr Verdienst, dass Ihr Ort taubenfrei ist. Ihr Konzept der Abschreckung wirke perfekt. Und außerdem eile Ihnen ein markerschütternder Ruf in der Taubenwelt voraus. Nur lebensmüde Tauben wagten sich in Ihre Nähe.
3. Schmuggeln Sie heimlich eine Taube in Ihr Dorf und bauschen Sie deren Gefährlichkeit auf.