Kapitel 8

»Die Zustände sind nicht tragbar«, sagte Erik nun das dritte Mal.

Sie waren früh am Morgen aufgestanden, hatten sich im Büro mit dem Inspektor getroffen.

»Warum haben Sie noch kein Saatgut gekauft? Jetzt ist die Zeit, um Weizen und Roggen auszubringen. Aber ohne Saatgut?«

»Wir haben noch etwas vom letzten Jahr«, versuchte sich der Inspektor zu verteidigen. »Außerdem haben wir auf bessere Preise gehofft.«

»Sind Sie des Wahnsinns? Die Preise für Weizen fallen seit Jahren. Wann sollte es denn noch bessere geben. Ich sehe in den Beständen mehrere Hektar brachliegen. Wieso?«

»Nun ja, weil eben die Preise gefallen sind. Da machte es keinen Sinn, die Felder zu bestellen.«

»Sie lassen die Felder brach? Es gibt noch nicht einmal Gründünger?«

»Wiese, die wächst von selbst.«

»Und wie wird sie genutzt? Als Weide? Für Heu?«

»Wir nutzen diese Flächen nicht«, sagte der Inspektor stoisch.

»Noch nicht einmal als Weide?«

»Wir haben die Vieh- und die Pferdezucht heruntergefahren. Und es gibt Weiden in der Nähe des Gutes.«

»Warum?«

»Es lohnt sich nicht. Die Ausfuhrsteuern sind zu hoch.«

»Warum verkaufen Sie nicht hier? Auch Polen braucht Weizen, Roggen, Heu, Vieh, und tatsächlich sind auch Pferde begehrt. Vor allem Trakehner.«

»Das möchte ich nicht. Ich bin Deutscher, und ich werde die polnische Nation nicht unterstützen. Ich verkaufe nur nach Deutschland, ich bin Patriot. Wenn Sie das anders sehen, dann gebührt Ihnen Schande und Verachtung«, sagte der Inspektor und stand auf. »Ich habe meine Aktionen und Tätigkeiten mit Ax von Stieglitz abgesprochen, er hat alles genehmigt. Ich weiß nicht, warum wir dieses Gespräch führen.« Er sah Frederike an. »Wenn Sie, Gnädigste, der Nation nicht so zugetan sind wie ihr Mann, dann sind Sie vielleicht falsch hier. Dies ist ein deutsches Gut. Mit deutschen Werten.«

»Guter Gott«, seufzte Frederike sprachlos und sah Onkel Erik an. Sie wusste einfach nicht, was sie darauf erwidern sollte.

»Mein lieber Mann«, sagte Onkel Erik, und seine Stimme klang freundlich. »Nationalpatriotismus ist sicherlich eine gute Sache, aber ein Gut zu führen hat nicht viel damit zu tun. Wenn man ein Gut führt, dann muss man die Felder bestellen. Man muss säen und ernten. Der Boden muss bearbeitet werden, und zwar in einer bestimmten Fruchtfolge. Wenn er zu lange brachliegt, wachsen dort nur Gras und Kräuter und die Bodennarbe verfilzt – dann wird es schwer, den Boden wieder aufzupflügen. Aber all das wissen Sie sicher, mein guter Mann.« Er sah den Inspektor eindringlich an. »Ein Gut muss bewirtschaftet werden, und gerade in diesen schweren Zeiten ist es unglaublich, gute Felder nicht zu bestellen.«

»Wenn wir die Felder bestellen und den Ertrag dann ins Reich verkaufen, fressen uns die Abgaben und Steuern auf. Wir haben fast gar keinen Gewinn.«

»Dann wird der Ertrag eben nicht ins Reich verkauft.«

»Was?« Der Inspektor starrte Onkel Erik wütend an. »Das geht nicht. Das ist ideologisch nicht richtig. Wir sind Deutsche, und wir bauen Weizen für das Reich an und für niemanden sonst.«

»Wer sagt das?«

»Der Gauleiter.«

»Guter Mann, wir sind hier in Polen, und hier gibt es keinen Gauleiter. Halluzinieren Sie?«

»Ich kenne Erich Koch, und ich weiß, dass wir bald keinen polnischen Korridor mehr haben werden. Alles, was früher einmal zu Deutschland gehörte, wird wieder im Reich vereint sein. Auch diese Provinz.«

»Sind Sie von Sinnen, Mann?« Erik stand auf. »Sie machen sich lächerlich. Und strafbar.«

»Sie sind derjenige, der die Augen verschließt. Adolf Hitler wird uns in das Dritte, das große Reich führen. Und bis dahin gilt es, auszuhalten und die Feinde zu schwächen. Und wenn es von unten ist, indem man keinen Weizen anbaut.«

»Was Sie damit schwächen, sind das Gut und der Boden.« Onkel Erik schien sichtlich fassungslos. »Das kann nicht Ihr Ernst sein. Die Felder müssen bewirtschaftet werden, damit sie ertragreich bleiben.«

»In ein, zwei Jahren kann man das alles aufholen. Und dann arbeiten wir für das Reich!«

»Was für ein Schwachsinn«, entfuhr es Erik. »Das meinen Sie doch nicht ernst.« Er sah den Inspektor an. »Doch«, sagte er dann ernüchtert. »Sie meinen das so.«

»Natürlich! Wir tun alles für das Reich.«

»Sie jetzt nicht mehr.« Erik klang auf einmal müde. »Hiermit entlasse ich Sie aus Ihrer Tätigkeit.«

»Was? Das können Sie gar nicht«, sagte der Inspektor empört.

»Er vielleicht nicht, aber ich. Ich habe die Generalvollmacht über das Gut.« Frederike lächelte milde. »Und ich glaube, es ist das Beste, wenn Sie gehen.«

»Ihr Mann wird das nicht zulassen. Er ist mit mir einer Meinung.« Der Inspektor stampfte auf.

»Das wird sich noch zeigen, aber für den Moment ist es unerheblich. Ich entlasse Sie mit sofortiger Wirkung.«

Der Inspektor schaute zu Erik, dann wieder zurück zu Frederike, schüttelte den Kopf. »Nun gut. Wie Sie wollen, dann gehe ich. Ich werde dem Gauleiter melden, dass hier antinationalsozialistische Umtriebe am Werk sind. Heil Hitler!« Er streckte die Hand aus, schlug die Hacken zusammen, drehte sich knackig um und verließ das Büro.

»Grundgütiger«, seufzte Erik. »Gut, dass dieser Abschaum weg ist.«

»Aber was mache ich nun?« Frederike war erleichtert, dass der Inspektor gegangen war. Er hatte ihr Beklemmungen bereitet, und dem nationalsozialistischen Gehabe konnte sie nichts abgewinnen, auch wenn diese Gesinnung immer mehr Anhänger fand. Doch ganz ohne Inspektor konnte sie das Gut nicht führen.

»Heinrich von Aaken ist der Sohn eines Bekannten von mir. Der dritte Sohn. Er hat Landwirtschaft studiert und ist recht fit, was die neuen agrarwirtschaftlichen Dinge angeht. Vorläufig kann er kein Gut seiner Familie übernehmen, deshalb sucht er eine Stellung. Ich habe ihm Sobotka angeboten, und er ist interessiert. Er kommt übermorgen. Ein netter Mann und kein Nationalsozialist. Er ist wohl etwas links, aber im verträglichen Rahmen.«

»Du hast schon im Vorfeld Ersatz gesucht?«

Erik nickte.

»Du bist unglaublich, Onkel Erik, danke!«

»Er wird den Karren aus dem Dreck ziehen, so wie ich ihn einschätze. Ich könnte das auch oder unser Verwalter – aber wir haben Fennhusen und damit genug zu tun. Was hier abläuft, ist eine Mangelwirtschaft. Die Böden und Gegebenheiten sind alle da, der Verwalter hat sie brachliegen lassen – für das Reich –, prüft, was für ein Schwachsinn. Dieses Gut liegt in Polen und natürlich verkauft man die Agrargüter in das Land, in dem das Gut liegt. Was nützt es, wenn man tausend Hühnchen kilometerweit verfrachtet – sie werden auch vor Ort gegessen.« Erik redete sich in Rage und merkte es. »Meine Liebe, es tut mir leid, dass ich laut geworden bin.«

»Werde ruhig noch lauter«, sagte Frederike lachend. »Ich bin so froh über deinen Vorschlag. Aber wird dieser von Aaken die Stelle wirklich annehmen?«

»Hast du ein Gesindehaus für ihn? Er würde mit Frau und Kindern kommen.«

»Ja, habe ich – aber es bis morgen … egal, lass uns in das Esszimmer gehen, dann kannst du noch einen Kaffee trinken. Ich habe gleich ein Treffen mit Tante Edel, der Mamsell und Lore.« Frederike seufzte.

»Von Aaken kommt erst einmal alleine, um sich das Gut anzusehen und sich einen Überblick zu verschaffen. Seine Familie wird später nachkommen.«

»Wunderbar, ich lasse ein Gästezimmer herrichten.«

»Während du mit Edel und der Mamsell sprichst, werde ich mir das Gestüt anschauen«, sagte Erik. »Dazu hätte ich auch noch Verbesserungsvorschläge – wenn du erlaubst.«

»Dir immer«, sagte Frederike dankbar.

Das Gespräch mit Tante Edeltraut, der Mamsell und Lore verlief friedlicher, als Frederike erwartet hatte. Es stellte sich heraus, dass der Inspektor die Leute gegen Frederike aufgewiegelt hatte.

»Er glaubt, Sie sind zu jung, um das Gut zu führen, Baroness«, sagte die Mamsell und senkte beschämt den Kopf. »Von Ihren neuen Methoden hielt er gar nichts. Er ist reichstreu und seit ein paar Monaten bei der NSDAP. Wir sollten die Gemeinde und den Bezirk korrumpieren – und hier auf dem Gut damit anfangen, zumindest solange Sie sich nicht öffentlich auf die Seite der Nazis stellen. Es tut mir sehr leid.«

»Der Inspektor ist Geschichte«, sagte Frederike seufzend. »Ein neuer Verwalter wird schon bald kommen. Für ihn und seine Familie brauche ich eines der Gesindehäuser. Was ist da frei?«

»Es gibt im Moment zwei Häuser, die leer stehen, und wenn der Inspektor geht, haben wir drei.«

»Der Mann kommt mit Familie – Frau und Kinder. Ich weiß nicht, wie viele Kinder.«

»Dann kommt nur das alte Verwalterhaus in Frage«, sagte die Mamsell nachdenklich. »Da ist aber einiges zu machen. Wann trifft er denn ein?«

»Morgen schon – aber ohne Familie. Bitte bereiten Sie eines der Gästezimmer für ihn vor.«

Die Mamsell nickte und notierte etwas auf ihrer Liste.

»Gut«, sagte Tante Edeltraut zufrieden. »Damit konnten wir hoffentlich die Ungereimtheiten in den Abrechnungen erklären. Dennoch haben wir Probleme mit dem Haushaltsgeld.«

»Ja, die Kosten sind zu hoch«, gab die Mamsell zu. »Früher hatten wir immer einige Frauen aus dem Dorf, die nach Bedarf eingesprungen sind. Der Inspektor legte aber Wert auf arische Angestellte.«

»Ich fasse es nicht«, empörte Frederike sich. »Wieso weiß ich von diesen Dingen nichts?«

»Ich sollte es Ihnen nicht sagen«, gestand die Mamsell. »Und ich wollte Sie, in Ihrer Lage, nicht auch noch damit belasten. Wir alle haben gehofft, dass der Gnädigste nach ein paar Wochen wieder hier sein würde – aber das war ja nicht der Fall. Und so wurde das Spiel des Verwalters zu einer Spirale.«

»Das haben wir ja jetzt aufgebrochen«, meinte Tante Edeltraut resolut. »Aber wie senken wir die Kosten? Was schlagen Sie vor, Mamsell?«

Die Mamsell dachte nach. »Wir haben eine Köchin«, sie nickte Lore zu, »zwei Küchenmädchen, wovon eine auch kochen kann – nicht so wie Lore, aber sie kann einige Dinge übernehmen. Dann haben wir zwei Spülmädchen, die auch niedrige Hausarbeiten übernehmen, drei Zimmermädchen. Frans als ersten Diener – aber das ist nur eine Notlösung. Frans ist einfach zu alt, er schafft die Arbeiten nicht mehr. Deshalb haben wir auch noch zwei junge Diener – sie sind aus dem Reich und mehr am Aufbau eines Gaus interessiert als an den anfallenden Arbeiten. Es sind Parteifreunde des Inspektors, die er hierhergeholt hat. Auch zwei der Zimmermädchen hat der Inspektor über die Partei geschickt bekommen – Ilse und Armhild.«

Frederike schüttelte fassungslos den Kopf. »Mir wurde gesagt, dass es kaum Personal gibt, wir also dankbar sein müssen, wenn wir überhaupt jemanden haben.«

»Wir missen das anders aufteilen«, fuhr Lore dazwischen. »In Kiche ich brauche Leute, die anpacken kinnen. Die Blanka kann kochen, die will ich behalten. Sie lernt schnell und jut. Die Zofia is ’n bisschen langsam, awwer sie jibt sich Mihe, die is auch jut. Awwer Zimmermädchen brauchen wir keene drei. Nich, wenn wir den eenen Fligel eh jeschlossen halten.«

»Da hat Lore recht«, sagte die Mamsell. »Es kommt darauf an, wie das Haus in Zukunft geführt werden soll. Der Gnädigste hatte mehr Personal eingestellt, weil er ein größeres Haus führen wollte – nach Ihrer Vermählung. Aber nun …«

»Wir müssten den linken Flügel erst einmal sanieren, bevor wir ihn wieder nutzen können. Den rechten Flügel im Übrigen auch«, sagte Frederike nachdenklich. »Ax hatte große Pläne …«

»Nun ist Ax nicht da, Freddy«, warf Tante Edeltraut ein. »Du musst dir überlegen, was du willst. So wie ich es verstanden habe, sind drei Mädchen im Moment zu viel. Wie wurde das früher gehandhabt?«

»Wenn es Gesellschaften gab, kamen Frauen aus dem Dorf und haben geholfen. Aber wir hatten lange keine Gesellschaften – bis Silvester letzten Jahres. Da hat es nur mit Ach und Krach geklappt. Wenn wir aber wieder regelmäßig Frauen aus dem Dorf zu Arbeiten heranziehen würden, würde es auch besser laufen«, sagte die Mamsell.

»Wir werden sowieso umdenken und umstrukturieren müssen«, erklärte Frederike. »Unsere Erzeugnisse werden wir hier verkaufen und nicht mehr ins Reich verfrachten. Der Umsatz muss gesteigert werden, also brauche ich mehr Helfer aus dem Dorf. All das wird sich ändern. Und dann kann ich darüber nachdenken, das Haus zu sanieren und könnte auch wieder mehr Leute einzustellen. Sie sollten von hier sein, Einheimische. Ich werde darüber nachdenken. Aber die beiden Zimmermädchen müssen dessen ungeachtet gehen. Hätten wir tageweise Hilfe, die wir uns dazuholen können?«

»Ja.«

»Wunderbar. So machen wir das. Was ist mit dem Gesinde?«

»Der Inspektor hat fast alle entlassen …«

»Und was machen sie nun?«

»Einige sind weggezogen, nach Posen oder Warschau. Aber die meisten haben keine Perspektive.«

»Ab jetzt haben sie hoffentlich wieder eine. Ich setze auf den neuen Verwalter. Dann werden wir auch auf dem Gut wieder Stellen vergeben können – und zwar an die Dörfler.«

»Gnädige Frau«, sagte die Mamsell und schluckte, »ich hatte mit mir gerungen, ob ich die Stelle kündige … aber nun sehe ich, dass es wieder aufwärtsgeht. Danke.« Sie stand auf, nickte allen zu und ging.

»Ei, das war ja man ein Jespräch«, seufzte Lore.

»Willst du immer noch zurück nach Fennhusen?«, wollte Tante Edeltraut wissen.

»Erbarmung. Jetzt bleiwe ich hier und schau mir an, ob es klappt. Wäre ja noch schöner, wenn ich och abhauen würde. Muss ja bei der Jnädigsten bleiben, nich wahr?«

»Danke, Lore«, sagte Frederike erleichtert.

»Ei, und jetzt geh ich inne Kiche und werde kochen.« Lore strich über ihre Schürze und streckte die Schultern. »Wäre ja jelacht, wenn we dat nich hinbekommen.« Eilig ging sie nach unten.

»Ich hätte jetzt gerne ein Likörchen.« Tante Edeltraut lächelte zufrieden.

»Ja, das haben wir uns verdient.« Frederike ging zur Anrichte und schenkte ihnen beiden ein. »Ich setze viel auf den neuen Verwalter. Onkel Erik hat ihn ausgesucht, ich vertraue seinem Urteil. Aber ich weiß nicht, wie Ax das alles finden wird.«

»Ax wird froh sein, dass du dich kümmerst. Fährst du demnächst wieder nach Davos?«

»Eigentlich erst im Juni. Aber ich glaube, sobald der neue Verwalter hier ist und wir miteinander auskommen, werde ich zu Ax fahren. Ich muss Dinge mit ihm besprechen. Auch wenn ich eine Generalvollmacht habe, mag ich nicht alles über seinen Kopf hinweg entscheiden.«

Tante Edeltraut nickte. »Du hast es nicht leicht, Kind.«

»Wer hat das schon«, murmelte Frederike.

Onkel Erik und seine Schwester blieben noch zwei Tage. Erik wollte den neuen Aufseher in das Gut einweisen. Heinrich von Aaken schien ein echter Glücksgriff zu sein, und Frederike verstand sich auf Anhieb mit ihm. Er wurde sich mit Erik schnell einig und beschloss, direkt auf dem Gut zu bleiben. Seine Familie würde in ein paar Wochen nachkommen, sobald das Gesindehaus bezugsfertig war.

Nach Edeltrauts und Eriks Abreise setzte sich Frederike an ihren Schreibtisch, nahm einen Bogen Briefpapier und den Füllfederhalter.

»Mein Liebster«, schrieb sie, kaute dann auf dem Füller.

Durch Onkel Eriks Initiative und seinen Einsatz, dadurch, dass er einen neuen Verwalter besorgt hatte, war ihr eine große Last von den Schultern genommen worden, und die Erleichterung spürte sie schon. Dennoch würde sie auch von Aaken erst einmal beaufsichtigen müssen.

Viele Dinge auf dem Gut mussten sich ändern, und sie hatte diejenige zu sein, die die Zügel führte. Und immer noch fühlte sie sich nicht bereit und reif genug dazu. Was wusste sie schon vom Agrarmarkt, von der Fruchtfolge, vom Ackerbau und der Milchwirtschaft? Sie wusste, wie man einen Gutsgarten zu bestellen hatte, wie man das Gemüse und die Früchte verwertete und haltbar machte, aber von der Pferdezucht hatte sie keine Ahnung.

Ax hatte sie durch sein Schweigen über seine Krankheit in die kalte Realität gestoßen, und sie merkte immer mehr, wie übel sie ihm das nahm. Sie wusste auch, dass diese Gefühle keine gute Grundlage für eine Ehe waren. Aber sie hatte ja gesagt, und somit waren die Weichen für ihr Leben gestellt, und sie musste das Beste daraus machen.

Mein Liebster, las sie und nahm den Füllfederhalter wieder in die Hand.

In den letzten Tagen ist viel auf Sobotka passiert, und ich möchte Dir davon berichten. Ich bin mir nicht sicher, ob Du meine Meinung teilen und meine Entscheidungen nachvollziehen kannst, hoffe es jedoch sehr.

Ich hatte Dir schon mehrfach berichtet, dass ich mit den Abrechnungen des Gutes Probleme hatte – unsere Kosten steigen, aber die Einnahmen sind gesunken. Außerdem hat der Inspektor eigenmächtig einige Dinge unternommen, die ich nicht gutheißen konnte. Er hat die meisten Felder und Äcker in diesem Frühjahr nicht bestellt, noch nicht einmal für das nötige Saatgut hat er gesorgt. Auf meine Fragen bekam ich keine Antworten. Da ich Dich nicht noch mehr damit belasten wollte, habe ich meinen Stiefvater um Rat gefragt. Er hat mit dem Verwalter von Fennhusen die Bücher geprüft und ist dann angereist, um mit dem Inspektor zu sprechen.

Ich weiß nicht, ob Dir bewusst war, wie nationalsozialistisch der Inspektor ist – jedenfalls wollte er das Reich fördern und Polen von unten sabotieren. Das geschah allerdings auf Kosten des Gutes.

Es ist alles zu lang, um es in einem Brief zu erklären, aber ich komme Dich demnächst wieder besuchen, und dann können wir darüber sprechen. Gerne bringe ich auch die Bücher mit, um sie Dir zu zeigen.

Wieder hielt Frederike inne. Sie merkte, dass sie versuchte, sich zu rechtfertigen, zu erklären. Und sie merkte auch, dass sie sich nicht sicher war, ob Ax ihr zustimmen würde.

Onkel Erik riet mir, den Inspektor zu entlassen. Ich bin seinem Rat gefolgt. Auch zwei der neuen Zimmermädchen habe ich entlassen. Wie wir weiter mit dem Haus und dem Personal verfahren, müssen wir noch entscheiden – aber das hat sicherlich etwas Zeit. Viel wichtiger ist es, das Gut wieder rentabel zu bewirtschaften. Deshalb habe ich einen neuen Verwalter eingestellt – Heinrich von Aaken. Er entstammt einem alten Junkergeschlecht aus der Mark Brandenburg, ist der dritte Sohn der Familie. In Berlin und in England hat er Landwirtschaft studiert und interessiert sich sehr für fortschrittliche Methoden. Er wird mit seiner Familie im alten Verwalterhaus wohnen, was wir aber erst noch herrichten müssen.

Wieder setzte sie den Füllfederhalter ab und dachte nach.

Von Aaken, schrieb sie dann weiter, hat mir versprochen, dass er schnellstmöglich Saatgut besorgen und die ersten Felder bestellen wird. Den Dung und die Jauche haben wir schon ausgefahren. Endlich sind die Böden nicht mehr gefroren, und einige Felder können schon jetzt bearbeitet werden.

Auch was die Pferdezucht angeht, ist er ein Kenner – seine Familie züchtet selbst. Der Inspektor hat letztes Jahr nur drei Stuten decken lassen, so dass wir kaum Nachwuchs haben. Die Jährlinge hat er unter Preis verkauft, aber immerhin sind die Zwei- und Dreijährigen eingeritten.

Du wunderst dich sicher, dass das Gut offensichtlich so schlecht geführt wurde – und sicherlich liegt es auch daran, dass ich davon bisher keine Ahnung hatte. Deshalb bin ich äußerst froh über Onkel Eriks Hilfe.

Er wollte versuchen, Dich telefonisch zu erreichen – aber ich habe ihm erklärt, wie schwierig es ist. Meist bist Du ja auf der Terrasse zur Luftkur. Das war nur die halbe Wahrheit. Frederike hatte ein paar Mal in Davos angerufen, aber die Telefonate mit Ax waren mühsam. Die Verbindung war meist schlecht, er war müde oder unkonzentriert. Deshalb schrieb sie ihm lieber.

Mein lieber Ax, ich hatte meinen nächsten Besuch im Juni geplant, eigentlich in der festen Überzeugung, Dich dann mit nach Hause nehmen zu können. Nun habe ich nichts weiter von Dir oder Deinem Arzt gehört. Ich hoffe, dass ich bald Nachrichten positiver Art von Dir bekomme.

Ich werde nun sehen, wie es mit von Aaken läuft, und dann nach Davos fahren. Auf dem Weg möchte ich gerne meine alten Klassenkameradinnen Annchen und Lottchen besuchen. Ich hoffe, wir werden uns schon im nächsten Monat wiedersehen.

Du fehlst hier.

In Liebe

Deine Frau

Frederike

Ich hätte, dachte sie, »du fehlst mir« schreiben sollen, aber es wäre nicht aus tiefstem Herzen gekommen, musste sie feststellen.

Frederike klebte den Brief zu und brachte ihn Frans, damit er ihn zur Post gab.