Kapitel 13

»Das ist ein tolles Pferd«, sagte Rudolph. »So ein weicher Gang, eine perfekte Vorhand.«

»Du kannst es leider nicht mitnehmen. Atticus gehört meinem Mann.«

Rudolph schien zusammenzuzucken. Frederike biss sich auf die Lippe. Schnell schaute sie sich nach Fortuna um, die ihnen folgte. Auf den Feldern stand der Morgennebel, die Vögel waren schon erwacht und zwitscherten eifrig. Bald würde die Sonne den Nebel vertreiben. Die Luft war noch sehr kühl, aber der Duft des Frühlings war allgegenwärtig.

»Ich liebe diese Jahreszeit«, sagte Frederike leise. »Alles erwacht. Normalerweise gehe ich ja erst abends in den Ansitz, aber diese Tageszeit hat auch einen besonderen Zauber, findest du nicht?«

»Die Frage ist, wie das Niederwild das empfindet.« Rudolph lächelte. »Ihr habt Rehe?«

»Rehe, Stockenten, Fasane, Hasen … alles, was du willst.«

»Habt ihr auch Probleme mit Schwarzwild?«

»Ja, letztes Jahr gab es hier eine große Rotte, die ziemlichen Schaden angerichtet hat. Wenn dir also eine Bache vor die Büchse kommt, kannst du sie gerne schießen. Einen Bassen sowieso.«

»Weißt du, wo ihr Kessel ist?«

Frederike schüttelte den Kopf. »Die Rotte hat sich im Herbst aufgespalten. Ich vermute, dass einige abgewandert sind. Der alte Kessel ist seit einiger Zeit nicht mehr bewohnt, hat der Förster mir berichtet. Aber das Schwarzwild ist immer noch da.«

»Ihr habt viel Wald.«

»Oh ja.«

»Na, mal sehen, ob wir was erwischen.«

»Neulich habe ich bei den Rehböcken einen Mörder gesehen. Ihn würde ich gerne erlegen.«

»Einen Bock mit dolchartigen Spießen? Das ist selten.«

»Ja, aber auch nicht gut. Er kann die anderen Tiere verletzen, und dann gehen sie ein.«

»Also, wenn ich den Mörder sehe oder Schwarzwild, darf ich schießen.« Rudolph nickte amüsiert.

»Nur die alten Bachen oder alte Keiler. Keine Bache, die gerade gefrischt hat.«

»Das versteht sich ja von selbst. Freddy, ich bin nicht das erste Mal auf der Jagd.«

»Es tut mir leid«, murmelte sie. »Natürlich bist du das nicht.«

»Wo ist denn der Ansitz?«

»Ich dachte, wir nehmen einen an den Feldern, in der Nähe der Schnitterhäuser. Dort haben wir sowohl eine gute Sicht auf die Felder als auch in eine Lichtung im Wald dahinter. Es ist nicht mehr weit, und da vorne ist ein kleiner Unterstand für die Pferde.«

»Perfekt.«

Sie banden die Pferde an, hängten ihnen den Futterbeutel um, nahmen die Gewehre und stapften weiter zum Ansitz.

»Ich habe einen Jagdpächter«, erzählte Rudolph leise, fast flüsternd – sie wollten die Tiere ja nicht vorwarnen –, »der kommt jedes Wochenende aus der Stadt zu uns. Er hat eine kleine Hütte gemietet, und sein Revier hat drei Ansitze. Er wechselt immer reihum.«

»Einen Jagdpächter«, sagte Frederike nachdenklich. »Das bringt Geld?«

»Ja, das ist so ein reicher Fabrikschnösel. Aber er jagt nicht, er kommt nur aufs Land, um sich ordentlich einen hinter die Binde zu kippen. Jeden Montag geht die Frau des Försters auf die Ansitze und sammelt die Schnapsflaschen ein. Die Schwarzwildrotte freut es, mich weniger.«

»Dort entlang«, sagte Frederike und wies nach rechts. Der Trampelpfad war schmal, das Gestrüpp dicht. Rudolph ging voran. Nun sah Frederike die zerschlissene Hose, die ihm die Mamsell gegeben hatte. Und auch die Jacke war keinesfalls von Ax. Man hatte in aller Eile Kleidung zusammentragen lassen. Es waren schäbige Stücke, und Frederike schoss die Schamesröte ins Gesicht.

»Die Sachen«, stammelte sie, »die du trägst …«

Rudolph blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Sie sind warm und praktisch.«

»Sie sind nicht von meinem Mann.«

»Nein, das habe ich mir schon gedacht«, sagte er sanft. »Aber das macht nichts. Mir ist es so auch lieber.«

Kurz darauf erreichten sie den Hochsitz und erklommen die Leiter. Sie nahmen Platz, und Rudolph schaute mit dem Fernglas über die Felder. Der Nebel lichtete sich, aber von Wild war noch nichts zu sehen.

Schweigend saßen sie nebeneinander. Frederike spürte die Kälte in den Knochen und die Müdigkeit hinter ihren Augen. Immer wieder sank ihr Kopf nach vorne, und sie drohte einzuschlafen. Nach einer Weile legte Rudolph sachte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. Er strahlte Wärme aus und Geborgenheit. Frederike lehnte sich an ihn und nickte ein.

Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, aber es konnte nicht allzu lange gewesen sein, als sie von Rudolph sanft geweckt wurde.

»Dort!«, wisperte er und zeigte auf den Waldrand am anderen Ende des Feldes. Ein Rudel Rehe kam hervor, zögernd streckten sie ihre Köpfe in den Wind.

»Abwarten. Sie kommen heraus«, meinte Rudolph. Aber er täuschte sich. Irgendetwas hatte die Rehe verunsichert, und sie verschwanden wieder. »Verdammt.«

Frederike streckte sich und rückte ein wenig zur Seite. Es war angenehm gewesen, sich an ihn zu lehnen, so vertraut, obwohl sie sich kaum kannten. In ihrem Magen kribbelte es, als ob sie Champagner getrunken hätte.

Rudolph sah sie an, lächelte, legte wieder den Arm um sie. »Schlaf weiter.«

Frederike lehnte sich in seine Armbeuge. »Das ist falsch«, murmelte sie. »Aber es fühlt sich richtig an.«

»Du liebst deinen Mann.«

»Ja und nein.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich liebe ihn, weil er ein guter Mensch ist, gütig und verständnisvoll. Er ist so klug und weitsichtig.« Frederike stockte.

»Das könnte ich auch alles über meinen Vater sagen«, entgegnete Rudolph nüchtern.

Frederike dachte nach. »Du hast recht. Früher hätte ich auch anders über ihn gesprochen. Aber nun ist er krank.«

»Aber liebst du ihn denn?«, fragte Rudolph wieder.

»Ja. Irgendwie.«

»Irgendwie?«

»Ach verdammt.« Frederike setzte sich aufrecht hin. »Was weiß ich denn von Liebe? Was nutzt mir die Liebe in Gedanken? Er ist nicht da. Er war noch nie da. Wir haben noch nie zusammengelebt, haben keinen Alltag gehabt und auch … auch … sonst nichts. Ich kenne ihn nur als meinen Verlobten – da war er sehr zuvorkommend und liebevoll. Dann haben wir geheiratet, und am Tag nach der Trauung wurde er nach Davos gebracht. Ich bin verheiratet, aber ich habe noch nie eine Ehe geführt. Was willst du denn von mir hören?«

Rudolph schluckte. »Dass es so ist, wusste ich nicht. Ich dachte … also ich habe gedacht, dass ihr wenigstens einige Zeit … also, dass du … ihr …«, stotterte er. Dann kniff er die Augen zusammen, nahm das Fernglas hoch. »Da vorne. Links.« Er reichte Frederike den Feldstecher. »Ist das der Mörder?«

Frederike schaute auf den Waldrand. Wieder kam die Gruppe Rehe langsam hervor. »Ja«, wisperte sie. »Der ganz vorne. Er ist sehr vorsichtig.«

Rudolph nahm das Gewehr hoch, legte es an und schoss. Der Bock steilte auf, fiel dann zur Seite.

»Ein glatter Kammerschuss! Gratulation!«, sagte Frederike beeindruckt und küsste Rudolph auf die Wange.

Rudolph sah sie für einen Moment an, dann senkte er den Kopf. »Danke.«

Ein heißer Stich der Scham ging durch Frederike. Es war unrecht, was sie tat, wie sie sich verhielt. Sie ermunterte Rudolph zu Dingen, die sie nicht erlauben konnte. Sie dachte an Ax, und ihr schlechtes Gewissen wuchs. Schnell stand sie auf und stieg vom Sitz, pfiff nach Fortuna. »Lass uns den Bock sichern.«

Sie stapfte durch das Dickicht am Feldrand bis hin zum erlegten Tier.

Was mache ich nur, dachte sie währenddessen. Wie soll ich mit Rudolph umgehen? Alles in ihr sehnte sich danach, ihn anzufassen, ihn zu küssen, zu schmecken und zu fühlen. Aber gleichzeitig wusste sie, dass es nicht ging. Sie konnte, sie durfte Ax nicht so hintergehen, ihn betrügen. Und sie wollte es auch nicht.

Ax ist in Davos, dachte sie. Und ich bin hier. Ich bin jung und gesund. Und außerdem bin ich einsam, gestand sie sich ein. Ich bin so einsam, dass ich mich über jedes Wort, das mein Inspektor mit mir wechselt, freue. Grundgütiger, das ist schon erbärmlich.

Frederike blieb stehen, wandte sich um. Rudolph war ihr gefolgt. Langsam, aber mit stetigem Schritt, holte er nun auf. Er sah sie fragend an.

»Ist etwas?«

»Ja, es ist eine Menge. Alles eigentlich«, murmelte Frederike. Sie sah ihn an, ihre Blicke tauchten ineinander. Rudolph näherte sich ihr, beugte sich vor. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht, auf ihren Lippen. Frederike schloss die Augen, riss sie dann wieder auf und wich zurück. Es war falsch, sie durfte das nicht tun.

»Freddy …«

»Es tut mir leid.« Sie senkte den Kopf, ging drei Schritte zurück und hob die Hände. »Es schickt sich nicht. Es tut mir leid.«

»Mir tut es nicht leid.« Er ging auf sie zu, nahm ihre Hände. »Ich habe mich in dich verliebt, schon damals, als wir uns das erste Mal gesehen haben. Du hast etwas Besonderes an dir, was dich vor allen anderen auszeichnet. Humor und eine Art von Gewitztheit. Du bist nicht so wie andere Frauen, und das ist mir sofort aufgefallen.«

»Du hast mich für das Dienstmädchen gehalten …«

»Aber für ein besonders hübsches und kluges Dienstmädchen.« Rudolph lächelte verschmitzt. »Und dann wurde mir klar, dass du eine der Töchter warst, ich hätte im Erdboden versinken mögen, so peinlich war es mir. Du musst mich für einen Trottel gehalten haben.«

»Nein, ich fand dich immer schon witzig. Und …« Frederike seufzte. Sie wandte sich um, ging weiter zum Feldrand.

»Und?«, fragte Rudolph, der ihr folgte. »Und was?«

»Meine Mutter hat mich zu der Zeit gedrängt, mich zu entscheiden. Dabei hatte sich noch niemand mir gegenüber erklärt. Es gab einige Interessenten, aber nicht alle passten meiner Mutter. Ihr Favorit war schon immer Ax gewesen. Ax zögerte aber. Damals dachte ich, dass es aufgrund meines Alters sei – ich war ihm zu jung, zu naiv, zu unerfahren und vielleicht zu kindisch. Aber all das stimmte nicht. Er liebte mich damals so wie heute – aber er wusste von seinem Schicksal, seiner Krankheit.« Frederike holte tief Luft.

»Wie hat er die Ehe mit dir eingehen können, obwohl er es wusste?«, fragte Rudolph. »Das ist unanständig.«

»Ax hatte als Kind schon einmal Schwindsucht. Damals wurde er geheilt. Er hat gehofft, dass es diesmal nur eine Atemwegserkrankung sei, keine Tuberkulose. Und wenn doch, so hoffte er wohl, dass er es wieder überstehen würde. Er sagte mir nichts davon. Teilte mir seine Sorge nicht mit. Vielleicht hat er sich auch keine Gedanken gemacht. Ich weiß, er war froh, dass ich seinen Antrag annahm, und er hoffte, noch genügend Zeit zu haben, einen Erben zu zeugen.«

»Wird er gesunden?« Rudolphs Stimme klang drängend, unsicher.

Frederike blieb wieder stehen, sah ihn an. »Das weiß ich nicht.«

Rudolph schüttelte den Kopf. »Das ist nicht fair dir gegenüber.«

»Das Leben ist nicht fair«, sagte Frederike leise. »Ich hatte mir damals erhofft, dass wir weiterschreiben, uns besser kennenlernen … Damals hatte sich Ax noch nicht offenbart. Ich war hin- und hergerissen, fühlte mich von deiner Leichtigkeit angezogen, aber Ax war mir natürlich viel vertrauter. Ich liebte ihn, ich liebe ihn ja immer noch. Und du hast nicht mehr geschrieben …«

»Ich bin doch ein furchtbarer Briefeschreiber. Das liegt mir nicht. Und dann hatte mich deine Mutter beim Abschied zur Seite genommen und mir gesagt, dass du schon versprochen seist. Es wäre noch geheim, aber sicher. Ich dürfte mir keine Hoffnungen machen …«

»Das ist ja die Höhe«, spuckte Frederike empört aus. »Wie konnte sie nur?« Wieder ging sie ein paar Schritte, fiel fast in den Laufschritt. »Meine Mutter hat mein Leben bestimmt. Sie mag es gut gemeint haben, aber es war nie gut. Sie ist schuld daran, dass ich nun hier bin und dass mein Leben in diese Bahnen geraten ist. Ich hasse sie dafür.«

»Deine Mutter wollte sicher nur das Beste für dich …« Rudolph blieb stehen. »Es lag doch auch an mir, Freddy«, sagte er dann.

»Was?«

»Seien wir ehrlich – wenn ich mich mehr ins Zeug gelegt, dich umworben, mit dir in Kontakt geblieben wäre, dann … wer weiß, was dann gewesen wäre. Vielleicht hättest du dich in mich verliebt und hättest Ax’ Antrag abgelehnt.« Rudolph zuckte mit den Schultern. »Ich hatte nicht die Traute. Mir schien es wie ein Kampf, der schon vor dem Antritt verloren war. Ax war immer da, immer an deiner Seite, und dann die Worte deiner Mutter … In meinen Augen warst du schon vergeben. Aber vergessen habe ich dich nie.«

»Wir leben im Hier und Jetzt«, sagte Frederike nachdenklich. »Wer weiß, was noch passiert und was aus uns wird.«

»Ich wünschte, ich hätte damals anders gehandelt.«

Sie hatten den Feldrand erreicht. Der Bock lag auf der Seite, er dampfte noch. Fortuna setzte sich neben das erlegte Tier und hob stolz den Kopf, so als hätte sie ihn erwischt.

»Wir können ihn in den Baum hängen und den Förster später hierherschicken, damit er ihn aufbricht und aus der Decke schlägt«, sagte Frederike und beugte sich über den Bock. »Ein glatter Schuss ins Herz. Sehr gut.«

»Ich bin kein Stadtmensch, Freddy.« Rudolph klang fast beleidigt. »Ich weiß, wie man mit erlegtem Waid umgeht. Auch ich habe eine Jagd auf unserem Gut.« Er nahm sein Messer aus der Tasche und brach den Bock auf.

Nachdem er ihn aus der Decke geschlagen hatte, schnitt er einen Streifen des Fells ab, band ihn um die Hinterläufe und hängte den Bock in einen der Bäume.

»Versuchen wir noch, einen Fasan oder zwei Hasen zu schießen?« Er sah Freddy lächelnd an.

»Gerne. Dafür gehen wir auf einen anderen Ansitz.«

Sie vermieden für den Rest der Jagd die schweren und anstrengenden Themen, sprachen über Waid und Wild, die Fluren auf den Gütern und über das Wetter.

Dennoch hingen die bisher gewechselten Worte über ihnen wie eine schwere Regenwolke.

Sie erlegten zwei Fasane, drei Hasen, und auf dem Rückweg lief ihnen noch eine alte Bache über den Weg, die Frederike mit einem schnellen Schuss erwischte.

Das Federvieh und die Hasen nahmen sie gleich mit. Die Bache brachen sie nur auf, hängten sie dann in den nächsten Baum und kennzeichneten die Stelle mit einem Stoffwimpel. Später am Tag würde der Förster einen seiner Burschen vorbeischicken und die Beute abholen.

»Du hast die Innereien nicht vergraben«, sagte Rudolph erstaunt. »Weder beim Bock noch bei der Bache.«

»Das tue ich nie, der Förster hat die Anweisung, die Innereien mitzubringen. Die bekommen meine Wölfe.«

»Du hängst an ihnen, will mir scheinen.«

»Magst du nachher mitkommen, wenn ich sie füttere?«

»Ich dachte schon, du fragst mich nie.« Rudolph lachte auf.

Sie erreichten die Pferde, die sie am Wirtschaftspfad zurückgelassen hatten, stiegen auf und ritten quer über die noch brachen Felder zurück zum Gut.

»Meinst du, ich könnte ein Bad bekommen?«, fragte Rudolph und klang fast verlegen.

»Ja, ganz sicher.« Frederike verkniff sich ein Lachen. »Aber nur in der Zinkwanne in deinem Zimmer. Das Badezimmer werde ich nämlich in Beschlag nehmen.«

»Damit kann ich leben.«

Im Haus herrschte hektische Betriebsamkeit. Die Familie des Verwalters war angekommen und mit ihr etliche Kisten, Kästen, Koffer und Taschen.

»Grundgütiger«, seufzte Frederike. »Das habe ich ganz verdrängt. Geh du schon nach oben, ich werde den Leuten Bescheid geben, dass sie dir heißes Wasser bringen sollen.«

»Ich weiß, es ist noch etwas früh, aber darf ich in deinen Salon und mir einen wärmenden Schluck genehmigen?«

»Liebster Rudolph«, sagte Frederike und lachte, »fühl dich einfach wie zu Hause.«

»Das tue ich.« Er sah sie an, ihre Blicke tauchten ineinander, und für einen Moment standen sie einfach nur da und schwiegen.

»Gnädigste, Frau von Aaken möchte mit Ihnen sprechen«, sagte Minna, eins der Mädchen, verlegen.

Ob sie gerade erst aufgetaucht war oder schon eine Weile dagestanden hatte, wusste Frederike nicht. Ihre Wangen färbten sich rot und glühten.

Rudolph zwinkerte ihr zu und ging nach oben.

»Bitte sag in der Küche Bescheid, dass unser Gast ein Bad nehmen möchte. Wo ist Frau von Aaken?«

»Ich habe sie in Ihr Arbeitszimmer geführt.«

Ruth von Aaken stand am Kamin, streckte dem Feuer ihre Hände entgegen, als Frederike den Raum betrat. Rasch drehte sich die Frau des Verwalters um, und für einen Moment musterten sich die beiden.

»Herzlich willkommen auf Sobotka«, sagte Frederike und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich hoffe, die Fahrt war nicht zu anstrengend?«

Frau von Aaken kam auf sie zu, nahm Frederikes Hand. »Danke schön. Es gibt so viel, wofür ich mich bedanken muss«, sagte sie mit einer warmen und melodiösen Stimme.

»Aber nicht doch! Ich bin sehr froh, dass Ihr Mann die Stelle angenommen hat und das Gut so wunderbar verwaltet. Seit er da ist, ist vieles leichter für mich.« Frederike wies auf die beiden Sessel vor dem Kamin. »Möchten Sie einen Kaffee?«

»Ich will Sie nicht aufhalten, Sie haben bestimmt eine Menge zu tun. Ich wollte mich nur vorstellen …«

»Nun, für eine Tasse Kaffee reicht die Zeit alle Male.« Frederike klingelte. »Wo sind Ihre Kinder?« Sie setzte sich an den Kamin, und Frau von Aaken, die sichtlich nervös wirkte, nahm ihr gegenüber Platz.

»Die Kinder erobern wohl das Gut«, sagte sie und lächelte. »Sie waren sehr gespannt. Natürlich wollen sie auch die Wölfe sehen, mein Mann hatte von ihnen berichtet.«

»Ich werde sie mitnehmen, aber ermahnen Sie sie gut, nicht alleine ins Gehege zu gehen. Die Wölfe sind zwar einigermaßen zahm, aber es sind und bleiben Raubtiere.«

Frau von Aaken nickte. »Ich habe versucht, es ihnen nahezulegen.«

»Haben Sie die Räume schon gesehen? Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?«

Minna kam und brachte den Kaffee. Sie schenkte beiden Frauen ein, reichte ihnen die Tassen und ging dann wieder.

»Milch? Zucker?«, fragte Frederike amüsiert. »Das Mädchen ist aus dem Dorf und hilft zurzeit nur aus. Gewisse Dinge weiß sie einfach nicht.«

»Schwarz ist wunderbar. Echter Bohnenkaffee, welch ein Luxus.« Langsam schien sich die Frau des Verwalters zu entspannen. »Ich habe die Räume schon gesehen. Es ist schön, dass wir endlich hier sind, aber ich freue mich darauf, in das Verwalterhaus ziehen zu können.« Sie senkte den Kopf. »Eigentlich steht es uns nicht zu, im Haupthaus zu wohnen.«

»Waren Sie schon dort?« Frederike seufzte. »Leider wird es noch dauern, bis das Verwalterhaus fertig ist. Die Böden müssen erneuert werden, die sind verrottet. Außerdem möchte ich das Haus auf den neusten Stand bringen, aber bisher war es nicht möglich, Masten für die Stromleitung aufzustellen – der Boden war lange gefroren.«

»Ich kann mich gar nicht genug bei Ihnen bedanken«, murmelte Frau von Aaken. »Im Verwalterhaus war ich bisher noch nicht, aber ich möchte es mir heute noch ansehen.«

»Fühlen Sie sich wie zu Hause«, sagte Frederike und lächelte. »Ich bin froh, nicht alleine wohnen zu müssen. Mein Mann ist ja sehr krank …«

»Ja, das tut mir auch sehr leid. Aber wissen Sie, die Kinder sind echte Wildfänge. Ich habe meine wahre Mühe mit ihnen. Vielleicht wird es jetzt besser, wenn wir wieder zusammenwohnen und mein Mann durchgreifen kann.«

»Ich war auch ein Wildfang, und meine Geschwister ebenso. Machen Sie sich keine Gedanken.« Frederike hatte an ihrem Kaffee nur genippt, stellte nun die Tasse wieder auf das Tablett und stand auf. »Wenn Sie irgendetwas benötigen, wenn etwas fehlt oder etwas nicht gut läuft, scheuen Sie sich nicht, mich oder die Mamsell anzusprechen.«

»Liebe Frau Baronin«, sagte nun Frau von Aaken und stand ebenfalls auf. »Ich habe Bedenken, mit Ihnen die Mahlzeiten einzunehmen.«

»Warum?«

»Wir sind bei Ihnen angestellt, es ziemt sich nicht. Und ich habe kein Kindermädchen, das mit den Kindern zusammen essen würde …«

»Das ist doch gar kein Problem.«, Frederike winkte ab. »Machen Sie sich keine Gedanken. Solange Ihre Kinder nicht unter dem Tisch sitzen und vom Boden essen, wird es wohl gehen. Ich freue mich wirklich über ein wenig Leben im Haus.«

»Aber Sie haben einen Gast …«

»Stimmt. Aber er ist auch unkompliziert.« Nun lachte Frederike. »Bitte sehen Sie zu, dass die Sorgenfalten aus Ihrem Gesicht verschwinden. Sie sind nämlich ganz unnötig, glauben Sie mir. Wir sehen uns am Mittagstisch.«

»Ihr Wort in Gottes Ohr …«