Kapitel 19

Als Frans das zweite Mal zum Essen läutete, kam Frederike die Treppe hinunter. Sie hatte sich gewaschen und umgezogen. Ihre Haare waren noch etwas feucht und kräuselten sich im Nacken.

Ax stand in der Diele vor dem Esszimmer und wartete auf sie, streckte ihr die Hand entgegen. »So gefällst du mir viel besser, meine Liebste. In Hosen und mit Pullover schaust du nicht wie eine Baronin aus.«

»Aber die Kleidung ist zweckmäßig und bequem. In Röcken oder Kleidern muss ich erst gar nicht in die Stallungen oder in den Garten gehen.«

Zusammen betraten sie das Esszimmer. Frans hatte den Tisch für sie gedeckt – Ax’ Platz war an dem einen Kopfende, und für Frederike hatte er am anderen aufgelegt.

Frederike lachte. »Lieber Frans, vielleicht können wir eine andere Tischordnung einführen. Besser wäre es doch, wenn wir beide in der Mitte und uns gegenüber sitzen würden, meinen Sie nicht? So wie ich mit von Aaken gesessen habe, bevor seine Familie kam.«

Frans schaute zum Tisch, dann zu ihr. Er wurde tatsächlich rot. »Erbarmung, das stimmt natürlich. Ich werde es sofort ändern.« Er eilte zur einen Kopfseite, nahm den Teller und das Besteck, holte dann die Gläser. Frederike war zur anderen Seite gegangen und hatte von dort das Geschirr und Besteck geholt.

»So ist es doch viel besser«, meinte sie zufrieden.

Ax setzte sich, nahm die Serviette, schlug sie auseinander und legte sie auf seinen Schoß. Er wartete, bis Frans in das Anrichtezimmer gegangen war, um die Suppe zu holen.

»Du hast wirklich dem Verwalter so gegenübergesessen?«, fragte er dann.

»Ja, schau, wir können uns ansehen und uns unterhalten, ohne das drei Meter Tisch zwischen uns sind.«

»Was hattet ihr euch denn zu unterhalten? Ich verstehe nicht, warum er nicht mit dem Gesinde gegessen hat.«

»Aber Ax, er hat hier gewohnt, da fand ich es ganz normal, dass er gemeinsam mit mir speist. Ich habe vorher alleine hier gesessen, und du glaubst nicht, wie deprimierend das war.«

»Ah. Soso.«

Frans brachte die Suppe und frisches Brot, schenkte ihnen Wein ein.

Beide warteten wieder, bis er den Raum verlassen hatte.

»Das missbilligst du doch nicht etwa? Ich meine, wir haben nur die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen.« Frederike entschloss sich, Ax zu verschweigen, dass sie anschließend meistens noch in den Salon gegangen waren und zusammen einen Drink genossen hatten.

»Worüber habt ihr denn gesprochen?«

»Über dies und das … meistens über das Gut«, log Frederike wieder. Abends hatten sie eben nicht über das Gut gesprochen, sondern über Politik und das Weltgeschehen, manchmal auch ein wenig über Klatsch und Tratsch. Von Aaken entstammte einem großen Adelsgeschlecht, er kannte die meisten Bekannten und Freunde von Frederike. Und auch die ausländischen Adelshäuser gaben einiges an Gesprächsstoff her. Oft hatten sie sich köstlich über die Gerüchte, die nie aufhörten zu kursieren, amüsiert.

Ax warf ihr einen langen, nachdenklichen Blick zu.

»Schöner war es natürlich, als dann seine Familie da war«, fügte Frederike schnell hinzu. »Das war wirklich belebend – mit seiner Frau und den Kindern hier. Irgendwie habe ich es bedauert, dass sie ausgezogen sind. Andererseits ist es so natürlich aber viel leichter und entspannter.«

»Ich muss gestehen, dass ich mir das nicht vorstellen kann.«

»Du wirst sie ja morgen kennenlernen und sie sicherlich auch mögen.«

»Die Kinder?«

»Ich dachte jetzt eher an das Verwalterpaar, aber ja, du wirst sicherlich auch die Kinder treffen. Sie sind viel hier am Haus und in der Küche.«

»Das sollte aber nicht überhandnehmen, die Kinder vom Schweizer laufen ja auch nicht durchs Haus.«

Frederike biss sich auf die Innenseite ihrer Wange und verbot sich, eine Antwort zu geben, die sicherlich nicht freundlich ausgefallen wäre.

Sie aßen schweigend. Frans räumte ab, brachte den nächsten Gang.

»Ich hatte dir geschrieben, dass ich eine morgendliche Andacht eingeführt habe. Möchtest du das ab jetzt übernehmen?«, wollte Frederike wissen.

»Ganz bestimmt nicht«, sagte Ax entsetzt. »Ich hatte mich eh gefragt, warum du das gemacht hast.«

»Nun, es hat mich dem Gut und den Leuten nähergebracht. Außerdem schätze ich inzwischen diesen Beginn des Tages mit den Leuten. Es hat etwas Geruhsames, bevor die Hektik beginnt.«

»Willst du das etwa weiterführen?«

»Wenn du es nicht übernimmst, werde ich es wohl weitermachen, ja.«

»Freddy, das ist nicht deine Aufgabe.«

»Warum nicht?«

»Deine Aufgabe ist es, als Baronin das Gut zu repräsentieren und die Familie fortzuführen.«

»Darüber können wir sprechen, wenn es so weit ist«, sagte Frederike und hustete verlegen. »Meine Aufgabe als Baronin war bisher, das Gut zu führen. Und dazu gehört auch die morgendliche Andacht. Auch Onkel Erik hält es so.«

»Ich schätze deinen Stiefvater sehr, aber das ist eine antiquierte Art, ein Gut zu leiten. Wir haben einen Verwalter.«

»Den hat Onkel Erik auch, dennoch kümmert er sich um alle Belange von Fennhusen. Wie willst du es denn halten?«

»Ich werde sehen, wie dieser Verwalter ist, den du eingestellt hast, und wenn er geeignet ist, darf er das Gut führen. Falls nicht, werde ich jemand Neues suchen.«

»Und wie hast du vor, deine Zeit zu verbringen?«

»Ich möchte reisen, noch einiges sehen. Ich möchte mich wieder in der Gesellschaft bewegen.« Er lehnte sich zurück, tupfte seinen Mund mit der Serviette ab. »Ich bin dem Tod gerade so von der Schüppe gesprungen. Den Rest meines Lebens will ich genießen.«

Frederike nickte und dachte über seine Worte nach. Sie konnte ihn sogar verstehen. Ax wollte sein Leben genießen. Dass Sobotka ihm einen angenehmen Lebensstil ermöglichte, wusste er. Aber was alles daran hing und dass die Instmänner und die Leute ebenso vom Gut abhängig waren wie sie von den Leuten, das war ihm offensichtlich nicht mehr klar.

Vielleicht, so hoffte Frederike, würde er nach und nach das Gefühl für das Gut zurückgewinnen und sich wieder damit identifizieren.

»Hast du schon Reisepläne?«, fragte sie, als sie nach dem Dessert in den Salon gingen.

»Noch nichts Konkretes. Erst einmal möchte ich hier ankommen. Aber ich dachte, dass wir im Sommer unsere Hochzeitsreise nach Venedig nachholen könnten. Du hast dich damals so darauf gefreut.«

Frederike senkte entsetzt den Kopf. Ja, sie hatte sich auf Venedig gefreut, aber nun war sie mit Rudolph dort gewesen und konnte die Lagunenstadt niemals mit Ax gemeinsam bereisen.

»Venedig … der Ruf der Stadt hat sehr gelitten. Und wäre das wirklich ein gutes Klima für deine Lunge?« Sie ging zur Anrichte. »Was möchtest du trinken?«

»Einfach einen Bourbon, wenn du hast.«

»Natürlich. Mit Eis?«

Ax schüttelte den Kopf. Sie füllte zwei Fingerbreit in sein Glas, gab es ihm, mixte sich dann einen Gin Tonic und setzte sich ihm gegenüber an den Kamin. Es brannte nur ein kleines Feuer. Tagsüber war es zwar schon warm, aber nachts wurde es immer noch kühl, und es dauerte, bis sich die dicken Gemäuer aufgewärmt hatten.

Schweigend saßen sie sich gegenüber. Frederike hing ihren Gedanken nach. Sie fühlte sich Ax gegenüber schuldig. Wie hatte sie nur mit Rudolph nach Venedig fahren können? Wie hatte sie überhaupt diese Liaisson führen können? Und wie sollte sie nun nur mit Ax weiterleben? Er würde es merken, irgendwann würde er es merken. Und dann würde er sie verurteilen.

»Dies war ein langer Tag«, sagte Ax und trank den Bourbon aus. »Und sehr anstrengend.«

Frederike musterte ihn. Er sah blass und müde aus, aber wahrscheinlich hatte sie auch immer so nach einer Reise nach Davos ausgesehen.

»Bist du … wirklich geheilt?«, fragte sie leise.

Er sah sie an und nickte. »Ja, das bin ich. Hinter uns liegen schwere und schwierige Jahre. Mir tut es sehr leid, dass ich dir das alles aufgebürdet habe, und ich will versuchen, es wieder gutzumachen.« Nun lächelte er zaghaft. »Ich weiß auch, dass in diesen Jahren viel passiert ist und wir nicht dastehen wie bei unserer Hochzeit. Wahrscheinlich müssen wir uns noch einmal neu kennenlernen. Dafür brauchen wir Zeit, du und ich. Aber ich freue mich auf ein Leben mit dir.« Er stand auf, beugte sich über sie und küsste sie sacht auf die Wange. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Ax.«

Sie sah ihm nach, als er den Raum verließ. Sein Rücken war gerade, aber seine Gestalt so viel dürrer als früher. Er ging langsam und bedächtig. Würde sie sich wieder in ihn verlieben können?

Am nächsten Morgen hielt sie die Andacht, so wie immer. Ax ließ sich nicht blicken. Schnell nahm sie ein erstes Frühstück zusammen mit dem Verwalter ein, setzte sich dann mit der Mamsell zusammen.

»Es wird ein paar Tage dauern«, sagte Frederike, »bis mein Mann wieder hier angekommen ist, denke ich. Heute Abend würde ich gerne die von Aakens zu Tisch bitten.«

»Mit den Kindern?«, fragte die Mamsell.

»Ich weiß nicht. Mich haben sie nie gestört, aber mein Gemahl scheint doch noch sehr dünnhäutig zu sein, schließlich hat er gerade erst eine schwere Krankheit überwunden.«

»Die Kinder können unten essen. Ich werde das mit der Frau des Verwalters abklären.«

»Gut. Was können wir anbieten?«

»Wir haben Lamm. Außerdem noch Forellen und Karpfen. Die Teiche sind gerade erst wieder geflutet worden, noch nicht alle Fische wurden eingesetzt. Auch in den Frühbeeten wächst schon einiges, aber darüber müsste ich erst mit dem Gärtner sprechen.«

»Mit dem Gärtner muss ich auch sprechen. Lore soll einfach zusehen, dass sie ein ordentliches Menü auf den Tisch bringt. Das wird sie schon hinbekommen.«

»Ich müsste jemanden nach Posen schicken oder selbst hinfahren. Wir brauchen so einiges an Hauswirtschaftssachen.«

»Was denn?«

»Die Nähseide geht aus, Knöpfe brauchen wir auch. Die große Frühjahrswäsche steht an, jetzt wo das Wetter es zulässt, dass wir sie draußen bleichen. Außerdem fehlt Stopfgarn.« Die Mamsell zog eine Liste hervor. »Die Köchin braucht Soda, Fondor und Salz. Außerdem hätte sie gerne Pfeffer und Pfefferschoten. Der Gärtner fragt nach weiterem Saatgut und auch einigen Setzlingen. Wir hatten ja in zwei Frühbeeten Schädlinge und haben einiges verloren. Ich würde in Posen zu den Gärtnereien gehen und es dort versuchen.«

Frederike ließ sich den Zettel geben, überflog die Posten. »Haben wir noch genügend grüne Seife? Der Hausputz steht an. Und was ist mit Kerzen und Streichhölzern?«

»Ich werde in der Küche nachfragen. Seife haben wir wohl noch, aber ich würde doch gerne das Pulverwaschmittel, von dem die Werbung so schwärmt, ausprobieren.« Sie legte Frederike eine Zeitungsseite hin. »Sogar neulich bei der Filmvorführung im Dorfkrug gab es einen Film über die besonderen Wirkungen.«

»Wir müssen mit dem Fortschritt gehen. Ich weiß, dass meine Freundinnen im Reich fast alle nur noch Pulverwaschmittel verwenden«, sagte Frederike nachdenklich. »Fahren Sie morgen nach Posen. Sie können die Einkäufe erledigen und sich dann einen halben Tag freinehmen. Hans soll Sie fahren, er kann dann auch freinehmen.«

»Wann müssten wir zurück sein?«, fragte die Mamsell und senkte den Kopf. »Ich würde so gerne mal wieder in ein Lichtspielhaus gehen und eine Wochenschau sehen. Dort wird doch jetzt auch Fox’ Tönende Wochenschau gezeigt.«

»Natürlich, machen Sie das, Mamsell. Ich würde zu gerne mitkommen – aber das geht im Moment ja nicht.« Frederike zwang sich zu lächeln. »Was müssen wir sonst noch besprechen?«

»Für die große Wäsche habe ich acht Frauen aus dem Dorf bestellt. Wir werden sie natürlich verpflegen.«

Frederike nickte.

»Aber …«, die Mamsell zögerte, »… wie ist es mit der Entlohnung?«

Frederike seufzte. »Geld ist knapp im Moment.«

»Das ist allen bekannt. Sie könnten die Frauen mit Deputaten entlohnen. Die meisten haben nur ein paar Ziegen, aber keine Kuh, weil sie weder genug Land haben, noch das Geld für das Futter bezahlen können. Wir haben genügend Milch, und der Ertrag ist für das Gut nicht ausschlaggebend.«

»Würden sich die Frauen darauf einlassen?«, fragte Frederike skeptisch.

»Die Bitte, sie so zu entlohnen, kam von den Frauen, Gnädigste. Setzkartoffeln und Zwiebeln standen an zweiter Stelle.«

»Dann machen wir das so«, beschloss Frederike.

Sie besprachen noch ein paar Dinge, dann ging die Mamsell. Erst jetzt fiel Frederike ein, dass sie solche Entscheidungen von nun an mit Ax besprechen musste.

Es war schwer genug gewesen, die Leitung des Gutes zu übernehmen, jetzt Ax wieder miteinzubeziehen erschien Frederike als noch schwieriger. Was, wenn er sich gegen ihre Entscheidungen stellte? Sie hob die Hände. Dann war es so, dann konnte er von nun an die Leitung übernehmen. Frederike fühlte sich müde und ausgelaugt. Zu viele offene Fragen standen im Raum. Doch sie hatte keine Zeit, sich auszuruhen, die Besprechung mit dem Verwalter stand an.

Von Aaken wartete schon in der Diele. Frederike begrüßte ihn.

»Lassen Sie sich von Minna einen Kaffee bringen. Ich komme gleich.« Sie schaute in das Esszimmer, doch Ax hatte noch nicht gefrühstückt, die Wärmeplatte stand unberührt auf der Anrichte neben dem Tisch. Sie hob die Deckel. Das Rührei war inzwischen verschrumpelt, und der Speck hatte die Konsistenz von alten Schuhsohlen. Sie pustete die Kerzen unter der Warmhalteplatte aus, klingelte nach dem Mädchen.

»Räum das weg. Wenn der gnädige Herr aufsteht, macht ihr einfach alles neu.«

»Aber … wann steht er auf?«, fragte Minna.

Frederike zuckte mit den Schultern. »Wann immer es ihm beliebt. Er hatte gestern eine anstrengende Reise und ist sicherlich noch erschöpft.«

»Gnädige Frau«, druckste Minna herum, »darf ich etwas fragen, was uns alle beschäftigt?«

»Natürlich«, antwortete Frederike erstaunt. Was konnte das sein, das die Leute umtrieb?

»Wir fragen uns, nun ja, der Gnädigste, er war ja sehr krank. Schwindsucht …«

»Ja?«

»Ist er wirklich wieder gesund?« Minna fragte dies kaum hörbar.

»Ihr macht euch Sorgen? Das müsst ihr nicht. Er ist noch ein wenig schwach, aber gesund ist er wohl doch.«

»Danke. Ich wollte nicht aufdringlich sein.« Minna knickste.

»Mein liebes Mädchen, du bist nicht aufdringlich. Bitte bring dem Verwalter und mir Kaffee und sag mir Bescheid, sobald der gnädige Herr aufgestanden ist.«

Danach sprach Frederike mit dem Verwalter, ging mit dem Gärtner durch die Anpflanzungen und ritt zum Gestüt. Das Gestüt lag etwas außerhalb des Guts. Sie nahm ihren Hengst Kobold, um zum Gestüt zu gelangen. Jede Minute, die sie auf seinem Rücken verbringen konnte, genoss sie. Sie liebte den süßen Geruch des Pferdeschweißes, die dampfende Haut nach einem Galopp über den Wirtschaftspfad. Immer wieder musste sie sich dort über den Hals des Pferdes beugen, weil sich die Äste der Bäume so tief nach unten neigten. Ich muss dem Gärtner sagen, dass wir die Bäume beschneiden müssen, dachte Frederike. Vor dem Gestüt lag ein großer, dampfender Haufen Mist.

Frederike sprang von Kobold, reichte einem der Burschen die Zügel.

»Warum ist das noch nicht auf dem Hof?«, fragte sie verärgert. »Das muss der Mist von mindestens drei Tagen sein. Gerade jetzt brauchen wir den Dung für die Frühbeete und die erste Anzucht.« Ihr Blick suchte den Leiter des Gestüts.

»Es ist der Mist von vier Tagen, Gnädigste«, sagte Jan Mazur, der das Gestüt leitete. Er unterstand dem Verwalter, hatte aber weitreichende Befugnisse.

»Und warum?« Frederike war in den letzten Tagen nicht hier gewesen.

»Der Traktor.« Mazur war kein Mann von großen Worten. Er kaute eigentlich immer auf einem Grashalm und hatte eine Schiebermütze, die er tief ins Gesicht zog. »Der is kaputt.«

»Der Traktor ist kaputt?«, fragte Frederike nach.

»Jau.«

»Und was haben Sie gemacht, um das zu beheben?«

»Ich habe es dem Inspektor gesagt.«

»Wann?«

»Na, heute.« Mazur grinste verlegen. »Hatte vorher keine Zeit. Ham vier neue Fohlen. Wollnse sehen? Prachtstücke.«

»Was für eine Frage, natürlich will ich sie sehen.« Frederike folgte ihm in den großen Stall.

»Drei Hengste, eine Stute. So kann’s weitergehen. Je mehr Hengste, desto besser.«

»Sind alle gesund?«

»Ei sicher dat. Alles prima. Gute Pferde.«

Frederike spähte in die erste Box. Das Hengstfohlen trank gerade gierig bei seiner Mutter.

»Der ist von heute Nacht und schon so sicher auf’n Beenen«, sagte Mazur so stolz, als ob es sein Kind wäre. »Nebenan ist das Stutfohlen. Kräftig und gesund, lange Beine, schönes Fell. Ich würd se behalten wollen.«

Frederike schaute in die nächste und dann auch in die zwei weiteren Boxen.

»Wir erwarten noch zwanzig weitere Fohlen in diesem Jahr.« Mazur schien fast zu wachsen. »Und alles läuft gut.«

»Nur der Mist kann nicht im Hof bleiben.«

»Das is man richtig, aber wegschaufeln kann ich auch nich, oder?«

»Ich kümmere mich darum«, sagte Frederike und nahm dem Burschen die Zügel ihres Hengstes aus der Hand, stieg auf und ritt zurück.

Kurz vor dem Mittagessen kam sie wieder auf dem Gut an und suchte gleich nach Hans, dem der Fuhrpark unterstand.

»Der Traktor auf dem Gestüt ist kaputt, hat Mazur mir gesagt.«

»Ei, habe ich schon jehört«, antwortete Hans. »Wird jleich jemand rüberlaufen und es richten, Jnädigste.«

»Danke, Hans.« Frederike wandte sich ab, pfiff nach Fortuna, die ihr immer folgte.

»Jnädigste, auf’n Wort«, sagte Hans leise.

»Ja?«

»Ei, de Mamsell hat jesagt, dass se un ich morjen Nachmittag freiham. In Posen. Is das so richtig?«

Frederike nickte.

»Und wir dürfen ins Lichtspielhaus?«

»Was immer Sie an Ihrem freien Nachmittag tun wollen.«

»Das ist phänomenal. Danke, Baronin.«

»Aber nur, wenn der Traktor bis dahin wieder läuft und der Mist auf den Beeten ist.« Frederike zwinkerte ihm zu. »Komm, Fortuna«, sagte sie dann und ging beschwingt zum Haus. Sie wusch sich flüchtig, nahm sich eine frische Bluse, doch die Hose behielt sie an.

Ax war inzwischen aufgestanden und wartete im Salon auf sie.

»Frans hat schon zum Mittag geläutet«, sagte er.

»Hallo, Ax«, erwiderte Frederike. »Hast du gut geschlafen?«

Ax schnaubte. »Ja, habe ich. Aber wo warst du? Ich habe Hunger.«

»Wann bist du aufgestanden?«

»Vor einer halben Stunde.«

Frederike schaute auf die Kaminuhr, es war fast eins. »Oh, ich hatte gesagt, dass sie dir bis elf Frühstück bereithalten sollen … nun gibt es ja Mittag.« Sie sah ihn an und küsste ihn ganz leicht auf den Mund. Dann nahm sie seine Hand und zog ihn mit sich. »Ich war draußen beim Gestüt. Wir haben drei Hengstfohlen und eine wundervolle Stute. Zuckersüß, kräftig und gesund.« Frederike strahlte geradezu vor Freude. »Ist das nicht wunderbar?«

»Du gehst darin auf, nicht wahr?«, sagte Ax zögerlich.

»Worin?«

»In der Führung des Gutes.«

Frans öffnete ihnen die Schiebetüren zum Esszimmer. Diesmal hatte er direkt die zwei Plätze in der Mitte eingedeckt.

Frederike schwieg, bis sie saßen und Frans die Suppe aufgetragen hatte. Mittags gab es oft nur eine Suppe oder Brühe, danach kalten Braten und etwas Gemüse, Kartoffeln – so noch welche da waren – mit Soße. Auf den meisten Gütern wurde mittags groß und mehrgängig warm gegessen, und nur wenn Gäste kamen, wurde abends die Hauptmahlzeit in mehreren Gängen serviert. Frederike hatte dies schon vor geraumer Zeit auf Sobotka geändert, da sie das erste Jahr über sowieso meist alleine speiste und tagsüber auf dem Gut unterwegs war. Deshalb wollte sie mittags nur eine Kleinigkeit. Auch als der Verwalter einzog, hatte sich dieses System bewährt, und sie hatten es beibehalten, selbst nachdem seine Familie nachgezogen war.

Es gab die erste Spargelsuppe und dazu Brot und frische Butter. Ax aß mit gutem Appetit.

»Du magst es, das Gut zu führen«, fragte er nochmals, nachdem Frans die Teller abgeräumt hatte.

Frederike dachte nach. »Ich hatte keine Wahl, Ax. Ich musste es tun, und jetzt tue ich es. Ich habe eine Aufgabe gefunden. Ich glaube, inzwischen mache ich es recht gut. Allerdings wäre das Gut schon längst bankrott, wenn wir nicht den neuen Verwalter hätten. Hast du ihn schon kennengelernt?«

Ax hüstelte. »Wann denn? Ich bin vorhin erst wach geworden. Es tat gut, nach dieser langen Reise zu schlafen.« Fast klang es so, als sei es ihm peinlich.

»Das glaube ich. Ist das Bett so gut für dich? Die Matratze ist neu mit Rosshaar gestopft.«

»Ja, wunderbar.«

»Nun ja, ich habe mir erlaubt, den Verwalter und seine Frau heute Abend zum Essen einzuladen. Dann könnt ihr euch kennenlernen. Was meinst du?« Nervös sah sie ihn an.

»Eine hervorragende Idee. Ich freue mich darauf.«

Frans brachte den nächsten Gang. Es gab Hühnerbrust aus den Resten von gestern, Bratkartoffeln und ein wenig Salat.

»Das war ein mageres Essen«, meinte Ax, als die Teller abgeräumt waren. »Steht es so schlecht um das Gut?«

Frederike lachte auf und erklärte ihm die veränderten Essensregeln. »Heute Abend wird es reichlich geben, und wenn du jetzt noch Hunger hast, werde ich klingeln. Ich bin mir sicher, es ist noch Suppe da.«

»Nein, danke«, sagte Ax nachdenklich. »Du hast einiges geändert, nicht wahr?«

»Ich hatte keine Wahl. Willst du nun die Gutsbücher sehen?«

»Nein, ich möchte das Gut sehen.«

»Ich lasse für dich satteln. Soll ich mitkommen?«

»Sei mir nicht böse, aber ich glaube, ich muss das erst einmal alleine bewältigen.« Er stand auf und nickte ihr zu.

Verdammt, dachte Frederike, nachdem Ax das Esszimmer verlassen hatte, es ist so schwer mit uns. Wie soll das noch werden?

Frans kam herein. »Darf ich abräumen, Gnädigste?« Sie nickte nur.

Er brachte die Teller in den Anrichteraum und kam mit einem Glas zurück. »Ein Gin-Fizz. Als Gruß aus der Küche«, sagte er und lächelte wissend.

»Das ist viel zu früh«, meinte Frederike.

»Manchmal, aber nur manchmal, muss man Ausnahmen machen. Für die Nerven. Prost, Baronin.«