6. Dezember Wir verlassen gut aufgelegt Salamanca, nachdem ich noch kurz auf die Post bin, um meiner Enkeltochter ein spanisches Buch zu schicken. Die Fahrt ist öde. Es regnet, der Himmel hängt grau über uns und die Landschaft bereichert nicht meine Seele. In dieser ohnehin trostlosen Stimmung erhalte ich eine Mail aus Heidelberg. Eine Standardabsage an die »reife Catherine Deneuve«. Aufgrund der Konstellation wird mir eine Woche vor Drehbeginn mitgeteilt, dass sie leider absagen müssen. No way to Heidelberg. Und geschrieben haben sie nur, weil ich am Tag zuvor nachfragte. Fuckers. Einmal Würde in den Orkus und kräftig runtergespült. Es wäre für mich ein zu schöner Triumph gewesen, diese Reise mit Dreharbeiten abschließen zu können. Und jetzt das. Fast schon filmreif die Story von dem Paar, das die ganze Reiseroute aufgrund eines eCastings ändert, und als es dort ankommt, ist der Film anderweitig schon längst besetzt. Ich bin enttäuscht, es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Die Würde des Menschen ist unantastbar, gilt nicht im Filmbusiness. Man weiß auch nicht, ob man unter den ersten fünf oder unter weiteren fünfzig angefragten Schauspielerinnen war. Man weiß gar nichts, außer no way to Heidelberg. Ich versuche meine Enttäuschung wegzudrücken. »Dann fahren wir nun doch nach Asturien!«, sage ich zu Franz, der sehr verständnisvoll ist.
Wir kommen in León an, Parkgarage mitten im Ort und wieder zu Fuß auf der Suche nach einer Bleibe. Das Hotel Paris, mitten in der Fußgängerzone. Die Stadt bebt geradezu von Menschen, die Gassen sind belebt, die Restaurants voll. Morgen ist Feiertag und die Spanier feiern gern. Franz möchte ein Taschenmesser, damit er sich nicht immer mein kleines Schweizer Messer ausleihen muss. Er kauft ein günstiges für dreizehn Euro und macht Small Talk mit dem Verkäufer. Witzchen, die ich alle übersetze. Nach dem Kauf sagt Franz als Pointe »und sonst kann ich sie abstechen« und macht eine humorvolle Geste in meine Richtung. Mir bleiben die Wörter im Hals stecken. »Das übersetze ich nicht«, sage ich, adiós, und gehe mit ihm aus dem Laden. »Da ist man einmal gut aufgelegt und macht einen Witz.« »Häusliche Gewalt ist kein Witz. Täglich sterben Frauen, ermordet von ihrem Lebenspartner. Mehr als die Hälfte der Frauen in Spanien sind Opfer häuslicher Gewalt. Ich weigere mich ja selten, etwas zu übersetzen, aber eine Morddrohung an mich selbst geht mir nicht über die Lippen.« Er ist betreten. Im Hotelzimmer sagt er: »Ich werde immer daran denken, dass du dich geweigert hast zu übersetzen, als ich es gekauft habe.« Er wiegt das Messer in der Hand.
Wir gehen essen. Ein begehrter Asia-Laden mit lauter Musik. Die Stimmung rutscht noch weiter ab. Während die Spanier vor unserem Hotelfenster das Leben genießen, meint F. X., dass wir nun schnell heimfahren sollten, nix Asturien, gleich ins Baskenland, ihm fällt nichts mehr zum Schreiben ein, die Reise käme zu teuer und außerdem ist er deprimiert. »Heute bin ich dran mit traurig sein«, sage ich und gehe ins Bad, um einmal die Enttäuschung in Form einer Träne über die Wange kullern zu lassen. Morgen ist auch kein Tag.
Ich muss wieder zu meiner inneren Dankbarkeit und Heiterkeit zurückfinden. Ich lebe sein Leben als Trittbrettfahrerin mit. Ein Déjà-vu.