8. Dezember Wie herrlich es doch ist, ein Zimmer für sich zu haben! Fenster auf, sich im Bett drehen und wenden und schnarchen zu können nach Herzenslust. Wie eine Königin. Erholung pur. Franz geht es genauso und er möchte sofort die Wohnung für drei statt zwei Nächte. Er setzt sich im Laufe des Tages auch durch und ich buche um – diesmal problemlos. Der Drei-Tages-Rhythmus scheint ihm besser zu bekommen: Ankommen, Einleben, Abreisen.
Bilbao ist wunderschön. Zwischen verwinkelten Gassen in der Altstadt und Wolkenkratzern, die historischen Gebäuden die Hand geben – ein lebendiges Stadtbild. Wir erreichen das Guggenheim-Museum. Puppy, Jeff Koons’ überdimensionales Hündchen mit Blümchen, begrüßt uns. Der Dichter davor, in seiner neuen grünen Daunenjacke, wirkt verschwindend klein. Faszinierende Nebelinstallationen rund um den mächtigen Bau. Ich erkenne die Handschrift von Fujiko Nakaya, da ich ihre Ausstellung in München sah, und erzähle mit Begeisterung davon. Das Kunstbauwerk von Frank Gehry ist überwältigend. Ob er den Dokumentarfilm von Sydney Pollack, ›Sketches of Frank Gehry‹ kennt? Nein? Unbedingt anschauen. Ach, und endlich erreiche ich die Spinne von Louise Bourgeois. Es war immer mein Traum, einmal darunterzustehen. Ich sprudle vor Begeisterung über ihr Werk.
Wir kommen an zwei Straßenkünstlern vorbei. Zwei Säcke, die »Lama-Köpfchen« mit einem hölzernen Maul haben. Immer wenn jemand vorbeikommt, stimmen sie die Kastagnetten-Mäuler an und klappern gekonnt. Franz beobachtet sie und will einen Euro spenden. Die Lamas mit Sonnenbrille beginnen mit ihm zu reden. Ich bleibe im Hintergrund und übersetze nichts. Lustigerweise funktioniert hier die Kommunikation. Franz spricht mit den Puppen und versucht, sich verständlich zu machen, die Puppenspieler grunzen ein paar deutsche Wörter. Beim Theater ist seine Hemmschwelle gering. Interessant. Der magische Raum funktioniert auch auf der Straße.
Ich zücke meinen Presseausweis und bekomme freien Eintritt, also bitte nur eine Seniorenkarte. Wir fahren in den obersten Stock. Das Bauwerk lässt keine Kunst zu, es ist selbst Kunst. Das erste Kunstwerk, welches ich sehe, kommt mir auch bekannt vor. Ja klar, El Anatsui, ein ghanaischer Künstler, der aus Müll riesige Wandteppiche macht. Hab eine großartige Ausstellung von ihm gesehen. Heute komme ich mir aber gebildet vor! Das war’s dann auch schon. Der Rest der ausgestellten Kunstwerke geht mir am A… vorbei und ausnahmsweise sind Franz und ich uns einig. Die Räume, in denen wir uns bewegen, sind zu dominant. Die Kunstwerke oft zu eintönig. Bei manchen wäre so eine Portion Kartoffelbrei oder Tomatensuppe der »letzten Generation« durchaus eine Bereicherung. Nach drei Stunden sind wir durch. Meine Highlights waren außen vor dem Museum, nicht innen.
Wir schlendern durch die Stadt. Ich kaufe ein, koche und räume auf. Feierabend. Ich beschäftige mich stundenlang mit Unterkünften der kommenden Tage. Wie der Fuchs, der auf den Unterschlupf des Kaninchens starrt, um seine Beute zu erwischen, starre ich aufs Handy. Meine Augen sind mittlerweile rechteckig geworden. Hasta la iPhone-vista, Baby. Unter unserem Fenster wird es laut. Eine Batucada! Brasilianisches Samba-Trommeln mit afrikanischem Ursprung. Ich betrete den Balkon. Der Rhythmus schießt mir sofort in die Beine. Von ganz allein setzen sie sich in Bewegung und tragen mich. Noch steif wie ein Stock lockere ich durch Salsabewegungen ganz langsam das Becken. Die Gasse füllt sich mit jungen Menschen. Unsere Straße wird zur Partymeile. Auch hier kann ich vor Franz mit meinem Wissen punkten, während ich mich ganz selbstverständlich im Salsa wiege. Ich scheine doch nicht so blöd zu sein, ich G’scheithaferl. Es ist eine mitreißende Stimmung. Herrlich. Zum Schluss schmeißen wir fünf Euro für die Performance den Musikern zu und erhalten einen eigenen Trommelwirbel an unseren Balkon gerichtet. Muchas gracias, chicos!
Während ich die Horizontale aufsuche, tobt das Leben in der Straße.
Als ich aufwache, bei Morgengrauen, muss ich einen Blick vom Balkon werfen. Da muss doch Müll liegen ohne Ende? Ich täusche mich. Die Fiesta wurde weggefegt. Die Straße ist friedlich und unberührt. Und es regnet in Bilbao.