13. Dezember Huch, der Dichter ist um zehn Uhr wach und will weiterfahren. Okay, auch recht. Ich habe schon diverse Wohnungen in Orléans rausgesucht und erzähle ihm davon. Eine ist besonders süß, mit Blick auf Kathedrale. Shit, mittlerweile schon vergeben. Ich bedaure, nicht gleich gebucht zu haben. Vor lauter Gesuche kenne ich mich auf dem Stadtplan fast schon aus. Wie ich auf Orléans komme, will er wissen, das wäre ja DER totale Umweg. Ich zeige ihm mein Navi und meine »Strecke ohne Maut«. In der Tat zeigt sein Handy andere Wege auf als meins. »Wo möchtest du hinfahren und ich suche eine Bleibe?« Orléans, Tours, Limoges, Guéret, Montluçon, Bellac, La Souterraine, Vichy, Moulins. In all diesen Orten suche ich nach einem Quartier. Vom Schloss bis zur Bruchbude, alles dabei. Ich bin schon ganz blöd im Hirn. The winner is ein Hotel in Moulins, gehobene Klasse, welches ich nicht herausgesucht hatte. Bingo. Bis dorthin sind es sechs Stunden Autofahrt mit zwanzig Minuten Pause an einer schrecklichen Raststation mit Kaffee aus dem Automaten. Der Himmel ist grau, wir fahren durch öde Landschaften. Bonjour tristesse. Es gibt sicher irgendjemanden, der sagt: »Coucou ist die schönste Stadt. Die Umgebung ist wunderbar. Ich liebe es. Mein Zuhause.« Wenn man hier hineingeboren wird, dann ist’s vielleicht wirklich die schönste Heimat. Ich jedenfalls möchte in den meisten Orten nicht mal als Plakat hängen.

F. X. fährt. Alles. Die gesamte Strecke. Bravo. Aber auch ein Beifahrerdasein will gelernt sein. Es gelingt mir, mich die meiste Zeit ruhig zu verhalten. Aber als er auf der Landstraße hundertzwanzig fährt, wo nur neunzig erlaubt sind, es zu dämmern beginnt und es draußen minus zwei Grad hat, kann ich nicht umhin, meine imaginäre Fußbremse durchzudrücken und mich ab und an am Griff festzuhalten.

In einer Kurve tauchen sie dann auf: Mama Wildschwein mit zehn Frischlingen. Winzlinge. Das Mutterschicksal berührt ihn, von da an fährt er langsamer, vorsorglich, falls noch mal Wildschweine auftauchen sollten. Muttersau müsste man sein.

Wir erreichen Moulins bei Dunkelheit. Das Hotelzimmer im alten, herrschaftlichen Haus ist gemütlich. Das Badezimmer entzückend in blau-weiß, altmodisch, aber passend zum Schloss. Wir suchen das einzige noch offene Lokal und bekommen durch Zureden noch eine Pizza. Der Chef, runder geht es kaum, bereitet sie selbst zu, der Koch ist schon daheim. Die anderen Gäste ernähren sich eher von Flüssigkeiten. Eine füllige einsame Lady an dem einen Tisch will unbedingt den jungen Mann mit Halbglatze an der Bar einladen. Der Mann »bekniet« im übertriebenen Sinn den Wirt, das Geld nicht anzunehmen, er möchte von Madame nicht eingeladen werden. Zu spät. Nun muss er sich mit der Lady unterhalten, sozusagen als Dankeschön.

Wir unterhalten uns trotz der diversen Spannungen verhältnismäßig gut. Ich erzähle Franz von meinem Paragraf-dreiundvierzig-Schein beim Gesundheitsamt und dass ich mit dem Wisch überall kochen dürfe. Infektionsschutzgesetz noch vor Corona. Kostenrechnung: vierzehn Euro und eine Stunde ein veraltetes Video gucken, zehn Minuten »Beratung« einer Gesundheitsbeamtin, ob wir auch das Video verstanden haben. Ich saß unter lauter meist männlichen Ausländern, Türken, Griechen, Afghanen, Ostasiaten … – und weiß nun, wie man ordnungsgemäß Hände wäscht oder dass man rohe Eier nicht in der Sonne stehen lassen sollte. Das war’s. Mit der Bescheinigung bin ich befähigt zu kochen für jedermann. Nur ich kann kochen! Ich möchte echt nicht wissen, was da so alles auf unseren Tellern landet. Wir müssen gute Abwehrkräfte haben.

»Hast du deine Ohrstöpsel?«, frage ich Franz vor dem Schlafengehen. Oje, falsche Frage, ich werde schon wieder »übergriffig«, ich Böse. Lange Litanei seinerseits über meine Schnarcharien. Ich brauche Schlaf und keinen Gute-Nacht-Stress. Also packe ich Kissen, Handtücher, Winterjacke und Schlafsack und installiere mich in dem schnuckeligen Badezimmer zwischen Dusche und Klo. Franz versucht mich noch von meinem Vorhaben abzubringen, auch des Nachts mit »du schnarchst doch gar nicht«, aber ich schlafe köstlich und befreit, niemanden zu stören – auch mich nicht. Ich bin bestimmt der einzige Gast, der hundertachtundzwanzig Euro ausgibt – pardon, Franz hat es ausgegeben und zur Hälfte genutzt –, also vierundsechzig Euro, um in einem Badezimmer zu nächtigen. Es gibt doch immer wieder Wege, einzigartig zu sein. Guten Morgen.