24. Oktober Wir sind uns tagsüber aus dem Weg gegangen. Da stehen noch die gedachten, aber nicht ausgesprochenen Worte in der Küche. Rückzug auf beiden Seiten – er unten, ich oben. Er findet seine alten CDs und hört Musik. Super, vielleicht entspannt ihn das.
Anruf bei der neunzigjährigen Fanny, einer nahen Verwandten, die ich die letzten Monate intensiv betreut und mich gegen den Dschungel der Bürokratie erfolgreich gewehrt habe. Nun ist sie endlich auf Reha, aber in dieser Fachklinik herrschen geradezu diktatorische Zustände. Besuch nur nach Vereinbarung mit Covid-Test und Zertifikat. Meine Tochter wollte sie besuchen und rief am Freitag an – nächster Termin am Donnerstag um elf Uhr. »Ich bin berufstätig«, meinte meine Tochter freundlich bittend. Aber nix da, Pech gehabt. Dann erzählt mir Fanny von der lauten Mitbewohnerin, über die sie sich beschwert habe, wofür sie aber gerügt worden sei. Im Hintergrund fängt die Bettbewohnerin an zu schimpfen und zu schreien. Mir tut Fanny leid. Es ist unfassbar, wie alte Menschen in Deutschland behandelt werden. Ich werde eine Beschwerde schreiben, so wie ich es schon bei der Krankenkasse und den Krankenhäusern tat – mit Erfolg. Es liegt an uns, nicht wegzuschauen. Missstände müssen aufgedeckt werden.
Heutiges Seniorenprogramm: zu Fuß Richtung Playa San Marcos, halbe Stunde hin und halbe retour. Als Asthmatiker hat Franz Angst, dass ihm die Luft ausgeht. Abhilfe ein Schub Cortison. Sein Knie ist sowieso unberechenbar. Es beginnt zu nieseln, als wir uns dem Auto nähern. »Und jetzt fahren wir an den Strand und gehen eine Runde schwimmen. Das tut deinem Knie gut«, sage ich forsch. »Aber es regnet!« »Na und? Das Meer ist warm und heute ruhig genug.« Er widerspricht nicht.
Dort angekommen sind glücklicherweise ein paar Badegäste. Er springt ins Meer und man spürt seine Freude, den inneren Schweinehund zu überlisten und ganz gegen sein Prinzip spontan zu sein. Als ich endlich im Meer bin, kommen hohe Ebbewellen und automatisch setzt bei mir der Trigger ein, als ich einmal nicht aus dem Meer kam und für meine Kleinkinder und mich um Hilfe schreien musste, weil uns die Kraft verließ, das Ufer zu erreichen. Die Wellen im Auge paddele ich also schnell Richtung Leiter, mit leichter Panik, sodass der Mann hinter mir im Wasser zu lachen beginnt. Ich muss ausgesehen haben wie die Maus im Rahmhaferl, die dermaßen um ihr Leben tritt, dass aus dem Rahm die Butter wurde. Franz ist happy und seinem Knie hat die Abkühlung gutgetan. Nun ist er richtig gut aufgelegt. Wir gehen noch mal zur Feria de Artesanía und essen Lapas am Stand, wieder mit den netten Nachbarn.