Franz Xaver Kroetz

1. Eintrag Man kann es nicht abstellen, eitel bis ins Grab: Sie sieht mich, muss mich sehen, denn wir verreisen gemeinsam, zuerst in ihr Haus nach Teneriffa, das auch mal mein Haus war, dann mit dem Auto zurück, solang wir wollen, können, es zusammen aushalten, nach zwanzig Jahren Trennung, Scheidung, Hass, Verachtung und – zuletzt – Gleichgültigkeit.

Also nochmal: Sie sieht mich und denkt sich, das Einzige, was an ihm noch attraktiv ist, ist sein Geld. Denkt sie das? Das Alter ist ein Massaker und hat mich ruiniert. Ich weiß es.

Diesmal mit Teleskop-Prothese unten, billigem Provisorium oben, zwei Ibuprofen 600 gestern, um den Flug zu überstehen, nur aufs Klo muss ich nicht mehr alle zwei Stunden, geht besser.

Sonst? Heute, nach dem ersten gemeinsamen Tag nach siebzehn Jahren, ging es gut. Der Umstand, dass man bei diesem Arrangement einfach ausgeliefert ist, sich selbst UND den andern – das macht milder. Man sitzt im selben Boot. Mit wem? Der Ex, die man seit fünfunddreißig Jahren kennt und von der man keine Ahnung hat (ja, stimmt, höre ich sie sagen).

Aber wenn ich daran denke, dass ich vor einem Jahr keine zehn Minuten mit ihr allein in einem Raum sein konnte, war es entspannt. Und wenn man bedenkt, dass sie mir vor ein paar Jahren noch regelmäßig den Tod gewünscht hat (das „Sandwich“ sagte dazu vor Kurzem: den wünscht sie dir heute noch, Papa, da kannst du ganz beruhigt sein), dann waren wir die ersten vierundzwanzig Stunden friedliche Lämmer und keine zähnefletschenden Bestien; wie man wäre, wenn man könnte, weiß ich nicht. Sie wünscht mir vielleicht nicht mehr den Tod, nur noch, dass ich sie in meinem Testament nicht vergesse.

Ich hab mein Leben irgendwie so an die Wand gefahren, dass ich in München oder in Kirchberg stundenlang dasitzen und vor mich hinstarren kann – und wenn ich zu mir sage: tu doch was, dann fragt es aus mir: was denn? und ich weiß es nicht. Also ist die Reise hierher ins heute regnerische Teneriffa, das warm und blau verschmiert ist, eine Abwechslung.

Aber das Gespräch mit ihr hat was vom Gespräch mit einer fremden Frau, die einfach reden will, egal mit wem, und der man nicht ungern zuhört, auch – ja auch wenn sie nur Dinge erzählt, die sie schon oft erzählt hat. Ich höre mit wohlwollender Langeweile zu, es ist eine Art Musik, nah und fremd zugleich, ein bekannter Singsang aus einer vergangenen Welt. Und in diesen vierundzwanzig Stunden gibt es keine Worte, die wehtun. Wenn man sich nicht mehr liebt und nicht mehr miteinander schläft, dann kann man vielleicht befreundet sein.

Fest steht: Ich bin nicht mehr der, der ich war, und sie ist nicht die, die sie ist. Klingt deppert, find, es ist trotzdem was dran …

Also warten wir ab, wie sich die Kostüme verändern. Und die Kostümierten auch. Ach ja, wir haben Muscheln gekauft, sie hat gekocht und geredet, und ich hab zugeschaut und zugehört. Da entstand so was wie eine linkische, kleine Vertrautheit. Ich bin noch immer ein alter Macho und sie ist noch immer eine appetitliche Köchin.

Schauen wir, wie es sich weiterentwickelt, wir wollen jeden Tag was schreiben, egal was. Und keiner weiß, was der andere schreibt, außer eben SZENEN KEINER EHE.