22. Eintrag Im Anaga-Gebirge, der etwas „abseits“ liegende, vielleicht schönste Teil der Insel. Die Ex ganz wild darauf, uns alles zu zeigen bzw. zu sagen. Sie hat ja schon vier Touristengruppen auf Teneriffa betreut, wie sie immer wieder sagt, und sie auch ins Anaga-Gebirge geführt.

Da diese Gruppen vornehmlich aus alten Touristen bestanden, werden ihre Oldies unser fester Reisebestandteil, auch wenn wir nur aus ihr (sechsundfünfzig), mir (sechsundsiebzig) und Lena (dreißig) bestehen: Pass auf, da vorn geht es steil runter, unser Fünfundachtzigjähriger wär beinahe abgestürzt, ich konnte ihn gerade noch auffangen / schaffst du das oder sollen wir umkehren? / jetzt schnaufst du aber, da vorne ist eine Bank, ruh dich aus / du hast einen roten Kopf, willst du einen Schluck Wasser? / hast du das Kortison dabei? / da ist ein Klo, danach kommt so schnell keines mehr / soll ich mit dem Auto herfahren (vom Parkplatz) und dich abholen? / lauf mir nicht weg, sonst verirrst du dich, ich bin gleich wieder da / du musst einfach mehr Wasser trinken so wie ich / usw. usf.

Als die Ex mich endlich so weit hat, dass ich mir schwerstbehindert, hundertjährig, rollstuhlbedürftig, blind, lahm und halbtot vorkomme, raffe ich mich zu einer kurzen, wütenden Erklärung auf und verbitte mir diese blödsinnige Sorgen- und Hilfslitanei. Ich stelle fest, dass das eine Form von Markieren, Denunzieren und Ruinieren ist, es dient nicht mir, es hilft dir, deine Überlegenheit, deine „Jugend“ (du altes Arschloch), deine Gesundheit zu zelebrieren; es ist eine Art letzter Sieg über mich, den du mit Hilfe meines Alters erringst und gnadenlos ausspielst. Lass das, sonst kehr ich um und nehm ein Taxi und fahr zum Flughafen. (Es gibt hier kein Taxi und keinen Flughafen.) Aber es wirkt trotzdem, die Ex (und auch die Tochter) hören auf, mich so gnadenlos selbstsüchtig alt und blöd zu machen, bis sie selbst ganz jung sind und ich verreckt bin … und wir beschließen, dass wir weiterwandern, aber ohne hysterisch kassandröses Gewinsel. Und die Stille, die der Ex das Maul für kurze Zeit stopft, tut gut …