6. November Ich hab in der Stadtwohnung bis neun Uhr geschlafen. Das Plätschern der Stimmen in der Straße hat mir Geborgenheit vermittelt. Gemütlich.
Mit meiner Tochter zum Frühstücken auf den Markt. Als wir zurückkommen, steht F. X. frisch geduscht und gebügelt da. Nein, er hat nicht gut geschlafen, es war zu laut, außerdem hätte ich geschnarcht, die Zimmertüre hätte die Lautstärke nicht gedämpft. Ich Schnarchmonster! Dabei schnarche ich nur, wenn ich im Stress bin und anscheinend auch nur bei meinen Kindern oder Franz. Egal, jedenfalls ein guter Grund sich vormittags schon mal schuldig zu fühlen.
Nach einem Spaziergang durch die Stadt fahren wir an die Playa de las Teresitas. Es beginnt zu nieseln und außer mir will niemand ins Wasser, das mit vierundzwanzig Grad aber wärmer ist als die Luft. Ich genieße die Auszeit, lasse mich rücklings treiben und höre dem Steinerollen auf dem Meeresboden zu, während meine Augen dem Spiel von Sonne und Wolken folgen. Wie geil, der Friede sei mit dir, ach quatsch: mit mir!
Auf dem Rückweg stoppen wir in Puerto, Fischsuppe essen in einem urigen Lokal. »Hier würdet ihr nie hineingehen, aber man isst fantastisch«, rufe ich den beiden zu. »Stimmt, da hätte man eher Sorge, eine Fischvergiftung zu bekommen«, meint Franz beim Anblick des Lokals. Als Musik spanische Schlager aus den Sechzigerjahren. Eine andere Welt. »Schon allein bei der Musik fühle ich mich um dreißig Jahre jünger«, meint Franz mit einem Schmunzeln. Santiago, der Wirt, will jedem seine Cazuela verkaufen. Zu Recht, der Eintopf schmeckt köstlich.
Zum Schluss geht’s wieder mal ums Geld: Die Tochter will zahlen, weil sie gut verdient, F. X. will über mich zahlen lassen und meint: »Die Mama wird uns auch wieder einladen können, wenn sie mal wieder arbeitet und verdient.« Mama kann euch heute schon einladen, schließlich nage ich nicht am Hungertuch! Ich bezahle also, meine Einladung.
»Veronica Ferres fragte mich, da man in der Branche redet, du würdest finanzielle Nöte haben, ob ich dich als Ex unterstützen würde. Ich antwortete: na ja.« Dazu machte er eine wackelnde Handbewegung. »Würde ich aber tun, wenn nötig.« Oh Mann, diese Gönner und dazu ein Satz, der einem das Gefühl gibt, vor der ganzen Branche bloßgestellt zu werden. Diesen Monat jähren sich zwanzig Jahre Hausfrauenrevolution und am Dilemma hat sich nichts geändert: nicht erwerbstätig ist gleich ohne Honorierung ist gleich nicht messbare Leistung. Ich klopfe mir auf die Schulter: Drei Kinder großgezogen, gesund und alle was geworden, zwanzig Jahre Dichter ausgehalten, vierundzwanzig Stunden am Tag und seit wiederum zwanzig Jahren mich in diversen Berufen immer neu erfunden, dazu soziale Projekte, wie das »Kino Frauen aller Kulturen«, auf den Weg gebracht. Schubladenbilder als »Tochter, Nichte und Ex von«, die mich ein Leben lang begleiten. Zwischen Glamour und Nichts.
Auf dem Heimweg will Franz bei der Apotheke stoppen, er will Ohrstöpsel für die Reise kaufen, weil ich so schnarche. Jetzt. Wir waren aber heute schon in einer Apotheke, die wir nicht betreten konnten, da dort noch Maskenpflicht herrscht. »Franz, je mehr Druck du mir machst, desto lauter schnarche ich. Außerdem sind wir doch gar nicht auf Reisen«, antworte ich schon etwas angesäuert. »Ich wollte die Reise mit den Kindern machen, nicht mit dir.« Hä?
Daheim angekommen, ziehen wir uns alle drei zurück. Reserviertheit heißt die Parole. Am nächsten Morgen kommt meine Tochter zu mir und kichert vor sich hin. »Mama, der Papa versteckt seine Zahnpasta vor uns hinter dem Bilderrahmen auf dem Waschtisch.« Ja, die von ihm mitgebrachte Mundpflege war schon immer ein Heiligtum, das es zu beschützen gilt.