24. Eintrag Wir wollen zu einem Konzert (Gustav Mahler und Alban Berg) nach Santa Cruz fahren und ich bestehe darauf, dass wir dann auch dort übernachten.

Ich lade ein, eine Wohnung im Zentrum mit zwei Schlafzimmern. Lena und ich schlafen in einem Zimmer, die Ex allein im andern.

Nicht jedes Airbnb-Apartment, das zwei Zimmer haben soll, hat zwei Zimmer. Bis in die Morgenstunden ist der Straßenlärm dominant, als der endlich nachlässt, bahnt sich etwas anderes den Weg durch die geschlossene Tür und durch die Mauer, die keine Mauer ist, sondern eine tapezierte Bretterwand, und die reagiert wie ein Resonanzboden und schickt ein gnadenloses Schnarchen … und mein kriegskranker Vater (beide Weltkriege mitgemacht), der jede Nacht geschnarcht, gelitten, gekämpft und getötet hat, taucht auf und sein Ungeist fährt mir durch den Körper. Ich musste bei ihm schlafen, meine Mutter hat nie ein Zimmer mit ihm geteilt.

Sei nicht hysterisch, sag ich zu mir, schnarchende Menschen haben keine ruhige Minute im Schlaf und sterben früher.

Ich höre nicht hin, ich lenke mich ab, aber das nützt nichts, sie beherrscht mit der Schnarcherei alles, ich hoffe, flehe, bete, dass sie aufhört, dann hoffe, flehe und bete ich, dass sie erstickt, aber den Gefallen tut sie mir auch nicht, sie sägt und sägt und sägt, überschlägt sich, stürzt röchelnd ab, man denkt, das wars, jetzt ist sie tot, aber sie fängt sich wieder, fängt von vorne an und schnarcht wie ein Holzfäller, der einen Bergwald im Akkord fällt.

Irgendwann denke ich (wie hundertmal in der Ehe): Ich bring sie um, aber man tut es nicht, es ist ja strafbar. Man zählt den Rhythmus mit, denkt: Jetzt kommt gleich nach dem Crescendo der Absturz in die Stille, die kurze, da steig ich ein, da müsste es gehen zwischen Abschwellen und einem neuen Anlauf, da muss ich die Lücke erwischen und einschlafen, ihr „entschlafen“ sozusagen, weil ich schneller bin.

Aber ich bin nicht schneller, ich verpass ein ums andere Mal den Einstieg in den Ausstieg und ich geh geräuschvoll pissen; sie fährt kurz auf und sagt mit schneidender Stimme: Musst du denn alle fünf Minuten aufs Klo, nimmst du deine Pillen nicht mehr, dreht sich um und schnarcht weiter.

Ich würde sie gern schütteln, stoßen, anrempeln, anschreien, aber das trau ich mich nicht, wir sind schließlich geschieden, sie ist eine freie, souveräne Person, außerdem nützt es nichts, es hat noch nie was genutzt.

Auf die morgendliche Frage der Ex, wie hast du geschlafen bei dem Lärm (Straßenlärm meint sie), hätte ich sagen müssen: Gut, sehr gut, alles okay, ich liebe es, beim Einschlafen Menschen zu hören, da fühlt man sich zugehörig, beschützt – sage aber: na ja, der Straßenlärm war das eine, aber du hast wieder mal furchtbar geschnarcht, und ich wäre beinah wahnsinnig geworden.

Die Ex schaut mich hasserfüllt an. Sie ist von der Aussage, nein Anklage getroffen, pikiert, beleidigt, wenn ich Pech hab, weint sie beim Frühstück schon – aber sie kriegt die Kurve: Nicht einer meiner Liebhaber (ich schätze fünfzig plus X) hat sich jemals darüber beschwert, dass ich schnarche, wenn, dann hat man es als aparte Eigenart gewertet, stößt sie hervor und wird – die alte Lady! – rot.

Lena und ich schauen uns an und merken: Das ist ein so gewichtiges Argument, dagegen kommen wir nicht an.

Aber das Konzert war wirklich schön und Töne sind Töne, man muss ihnen nur ohne Vorurteile begegnen.