8. November Vollmond, und ich stehe um zwei Uhr morgens senkrecht im Bett. Das Licht ist dermaßen intensiv, dass es mich juckt, einen Spaziergang im Mondschein zu machen. Ich denke an den Paragliding-Tandem-Flug, den ich mit dem ExLover mal machte: vom Teide, Izaña, von zweitausendvierhundert Meter nach Puerto de la Cruz bei Vollmond. Atemberaubend schön. Tränen der Freude. Ich konnte es einfach nicht fassen, so etwas erleben zu dürfen. Es war Dezember und die Straßen waren weihnachtlich geschmückt, Minichristbäume aus der Vogelperspektive. Ich fühlte mich wie Superwoman. Fliegen scheint ein Urgefühl zu sein und vermittelt einem so was wie Freiheit. Auch das Landen am Strand, aufregend. Definitiv mein schönstes Vollmonderlebnis – unvergesslich.
Er ist wie ausgewechselt. Freundlich, zuvorkommend, zufrieden. Nach dem Essen wäscht er sogar ab. Er wirkt glücklich und findet den Schreibmodus wunderbar. Keine Spur mehr davon, dass er sich ein Flugticket buchen will. »Und die Reise können wir vor Weihnachten eh nicht antreten«, meint er scherzhaft zu meiner Tochter am Telefon, »Santi braucht seine Zeit.« Ich hatte ihn heute mehrfach aufgefordert, Santi und sein Auto in der Werkstatt zu besuchen, um den Druck zu erhöhen. »Nein, heute nicht, lieber morgen.«
Woher dieser plötzliche Sinneswandel? Hat er den Schreibstau ähnlich wie Verstopfung durch ordnungsgemäße Verdauung und Entleerung beseitigen können? Waren die paar Stunden »Kroetz allein daheim« genug, um die Gegenwart zu reflektieren? Hat er den deutschen Wetterbericht samt Novemberblues studiert? Oder kam vielleicht ich mit einer Flower-Power-Ausstrahlung vom Beach retour? Ich lief nämlich den ganzen Tag im om-Modus durchs Haus. Mir war es plötzlich reichlich wurscht, wie ich künftig mein Geld verdiene, noch hab ich eins und das Leben ist heute. Life is today, tomorrow never comes.
Herrlich, diese selbstverständliche Unabhängigkeit. Interessanterweise, das fällt mir immer wieder auf: Glück lässt sich nicht beschreiben. Wenn wir uns über jemanden ärgern oder uns in Sorgen ertränken, wie leicht schreibt sich der Frust von der Seele. Aber wehe, es geht einem gut! Da schweigt man und genießt und verhält sich ganz unauffällig, damit das Glück nicht Reißaus nimmt. Also hinterfrage auch ich nicht die guten Momente, es tut gut, dass die Seele sich mal leicht anfühlt.
Am Abend machen wir die große Bananenrunde. Franz geht sich heute schwer, aber immerhin ist er gut drauf – man kann nicht alles haben. Mit allen drei Kindern telefoniert.
Und das Meer tobt mit gigantischen Wellen, so sehr, dass die Fensterscheiben in meinem kleinen Häuschen erzittern.
Vollmond, ich bin hellwach, gut aufgelegt und beschäftige mich mit dem digitalen Nachlass, den es zu erstellen gilt, mitten im Leben, während ein Baby-Gecko in meinem Schlafzimmer auf Mückenjagd geht. Geckos bringen bekanntlich Glück. Eben!